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III.

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Ein „Mädchen für Alles" — wer diese Rolle kennt, der spielt sie heutzutage gewiss nicht gerne mehr; besonders wollen die städtischen Evatöchter nicht so leicht etwas davon

wissen; sie haben ganze Büschel ausgeraufter Haare darin gefunden. In Amerika wird diese so hervortretende „Dienstbotennoth" nur noch dadurch gemildert, dass ländlich-sittliche Grünhörner ab und zu in die Netze schwimmen, während speziell in Californien die Chinesen einen mehr als ausreichenden Ersatz bieten.

Ich aber bin weder Chinese, noch weiblichen Geschlechts, noch war ich auch nur ausgewachsen oder sonst bei besonderen Kräften, als mich meine Stiefmutter nach dem Muster eines Thierbändigers durch Hunger und Hiebe zu einem „Mädchen für Alles'" dressirte.

Schon während meiner Krankheit, mehr jedoch als ich gesund geworden war, in der Schulperiode, wie zur Zeit der Ferien, nahm dieses schauderhafte Weib jede wachende Minute, die mir zur Verfügung stand, in Anspruch. Ich musste alle Schuhe und Stiefel wichsen oder schmieren, welche die Familie benützte. Ich hatte Holz zu hacken, Wasser zu tragen, Kleider zu reinigen, Feuer zu machen, Lampen zu putzen, Einkäufe zu machen, zu scheuern, zu waschen, abzustauben, Kinder zu wiegen oder herum zu schleppen u. s. w. u. s. w. Aufgestanden wurde schon um 5 Uhr Morgens; aufgeweckt wurde man durch die „Fabrikler", wie man verächtlich die Spinner und Weber nannte, die in aller Frühe buchstäblich zur Arbeit galoppirten. Deren Tagewerk begann nämlich Morgens um 5 Uhr und währte bis 7 Uhr Abends. Pferde- bahnen oder dergleichen gab es damals noch nicht, und wenn es welche gegeben hätte, so wären sie von diesen Leuten sicherlich doch nicht benützt worden, denn ihr Wochenlohn belief sich höchstens auf 6 Gulden. Die meisten Fabriken befanden sich ausserhalb der Stadt, und da dieselbe zu jener Zeit noch von mittelalterlichen Festungsmauern umgeben war, so mussten Viele grosse Umwege machen, um zu den Thoren zu gelangen, daher der allgemeine Dauerlauf.

Wenn andere Kinder in den Schulpausen oder zur Ferienzeit spielten und sich ihres Lebens erfreuten, musste ich Dienstmädchen spielen. Nur am Sonntag, wo mich meine

Zuchthexe zum Hochamt und zur Predigt in die Kirche schickte, konnte ich mich eine Zeitlang im Freien ergehen, weil ich zwar, um gesehen zu werden, jedesmal vorn durchs

Hauptthor in die Kirche eintrat, aber durch eine Seitenpforte mich alsbald wieder davon schlich. Dieser. Haussclaverei ist es denn auch zuzuschreiben, dass ich keine Gelegenheit hatte, mich im Schwimmen, Schlittschuhlaufen oder ähnlichen Jugendsports zu ergehen.

Dabei bekam ich niemals genug zu essen, so dass ich gezwungen war, bei Bäckern Brod zu betteln oder auch zu stehlen. War ich renitent, so setzte es Hiebe. Nur durch passiven

Widerstand erzwang ich mir von Zeit zu Zeit etwas mildere Behandlung, nämlich, wenn ich davon lief, sozusagen Strike machte und ganz und gar von Bettelei, sowie Feld- und anderem Kleindiebstahl lebte, während ich mich zur Nachtzeit irgendwo, meist auf irgend einer Bodenkammer, wie ein Hund verkroch. Solch ein erbärmliches Leben hatte ich bis in mein fünfzehntes Jahr hinein zu führen, d. h. bis ich in eine „Lehre" kam, während welcher, wie der Leser noch hören wird, ich wahrlich auch nichts zu lachen hatte.

Mein Vater suchte freilich oft mich zu beschützen, aber er war ja den ganzen Tag nicht zu Hause. Von 8 bis 12 Uhr Vormittags und von 2 bis 6 Uhr Nachmittags arbeitete er als

Bureauschreiber der Kreisregierung von Schwaben und Neuburg und von 1 bis 2 Uhr, sowie von 6 bis 8 Uhr Abends gab er Unterrichtsstunden, sonst hätte sein Einkommen nicht gereicht, eine Familie zu ernähren. Immerhin setzte es manchmal ganz gewaltigen Krach. Einmal war mein Vater nahe daran, das weibliche Ungeheuer zu erwürgen, ein anderes Mal stand er im Begriffe, ihm den Schädel einzuschlagen.

So wurde meine früheste Jugendzeit mir gründlich verbittert. Und da ich so wenig der Liebe genoss, so entfaltete sich in meinem Herzen ein unbändiger Hass — damals gegen

den weiblichen Haustyrannen. Und dieses Uebergewicht in der negativen Gefühls-Entwickelung scheint schon da so stark gewesen zu sein, dass es für das ganze spätere Leben massgebend blieb. Denn wo und wenn immer private oder öffentliche Tyrannen vor mir in Erscheinung traten — ich musste sie von ganzer Seele hassen.

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