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I.

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Meine Mutter war eine Gouvernante, sehr gebildet und freisinniger Denkungsart. Mein Vater, Sohn armer Leute, versuchte es, nachdem er der Volksschule entwachsen, zu „studiren" wobei er sich auf Stipendien verlassen und im Uebrigen durch sogenanntes Stundengeben einen kärglichen Lebensunterhalt verschaffen musste. Es dauerte aber nicht lange ehe er „auf dem Pfropfen" sass. Da er gut singen, Guitarre- und Zitherspielen konnte, vegetirte er sodann eine Zeitlang als „fahrender Sänger", später ging er zum Theater, hatte aber auch damit kein Glück. Schliesslich kehrte er wieder in die Heimath (Augsburg) zurück und bekam bei erbärmlichem Salair eine Advokaten-Schreiberstelle. Bald darauf lernte er meine Mutter kennen und beide gewannen einander binnen Kurzem so lieb, dass die Folgen davon nicht lange auf sich warten Hessen, was meiner Mutter ihre Stelle kostete. Was nun? Heirathen konnten sie nicht, weil der Gemeinderath, der damals über solche Angelegenheiten zu entscheiden hatte, seine Zustimmung dazu verweigerte, da, wie sich die offiziellen Volks- Vormünder ausdrückten, so ein armseliges Schreiberlein ja doch keine Familie zu ernähren

vermöge. Im „Concubinat" vermochten sie auch nicht zu leben, weil das erst recht strengstens verboten war. Mein Grossvater jedoch, der seinen einzigen Sohn sehr lieb hatte, wusste Rath zu schaffen. Er erbte kurz zuvor ein kleines Häuschen, wodurch seine sonst auch recht windigen Verhältnisse — er war Maurer-Pollier, d. h. Werkmeister — sich etwas besserten. Der engagirte nun pro Forma raeine Mutter als „Dienstmädchen", während sich mein Vater bei ihm gewisserraassen als „Zimmerherr" einquartirte.

Am 5. Februar 1846 kam ich zur Welt — wie man sieht, polizeiwidriger Weise. Zwei Jahre später, also anno 1848, als auch Baiern ein kleines Revolutiönchen erlebte (eigentlich

war es nur ein Bierkrawall in Verbindung mit einer „moralischen" Protestbewegung gegen die Königsmaitresse Lola Montez), dämmerte es im Rathhaus von Augsburg so ein klein wenig und meine Eltern bekamen eine Heirathslizenz. Davon machten sie umso schleuniger Gebrauch, als der Zungenschlag böser Nachbarinnen nachgerade zu täglichen Scandalen Anlass gab. Immerhin feierte diese Sippschaft gerade am

Hochzeitstage noch einen grossen Triumph, und Anlass dazu gab ich. Als Zweijähriger war ich nämlich schon gut auf den Beinen. Ich wollte partout in der Hochzeits-Kutsche zur Trauung mitfahren, was natürlich nicht anging. Während nun meine Grosseltern vom Fenster ans dem Gefährt nachsahen, war ich davon geschlichen und suchte hinter dem Wagen herzulaufen. Das war so recht ein „gefundenes Fressen" für die auf der Lauer liegende Umwohnerschaft, welche in ein schallendes Hohngelächter ausbrach, das nicht eher nachliess, als bis meine Grossmutter mir nachgeeilt war und mich in's Haus zurück gebracht hatte.

Dass ich nicht besonders verhätschelt werden konnte, verstand sich bei dem geringen Einkommen meines Vaters ganz von selbst — Schmalhans war da beständig Küchenmeister. Umso zärtlicher waren hingegen meine Eltern um meine Erziehung besorgt. So sehr und so erfolgreich bemühte sich ganz besonders meine Mutter nach dieser Richtung hin, dass ich bereits im Alter von fünf Jahren zu lesen und etwas Buch-

staben zu kritzeln vermochte, weshalb ich auch schon in diesem Alter in die Volksschule aufgenommen wurde, in der ich jedoch wenig lernte, was mir nicht zuvor schon meine Mutter beigebracht gehabt hätte.

Neu war für mich nur der Religionsunterricht, doch „zog" derselbe nicht, denn was ich davon in der Schule durch einen zelotischen Kaplan zu hören bekam und zu Hause erzählte, das machten sowohl meine Mutter, als auch mein Vater, welche total "gottlos" waren, dermassen lächerlich, dass der ganze Schwindel nur noch einen komischen Eindruck auf mich machte und niemals meinen Schädel inficiren konnte. Einschalten rauss ich hier, dass zwar mein Vater in seinen alten Tagen einen kirchlichen Posten bekleidete — er wurde Verwalter des katholischen Friedhofs — , dass er innerlich

aber ein Ungläubiger blieb bis an sein Lebensende. Seine Anstellung verdankte er auch keinesweges etwaigen Heucheleien religiöser Art, sondern dem Umstände, dass er ein guter Redner war und als solcher in den 6oer Jahren einen antipreussischen Ton ä la „Vaterland"- Sigl, nämlich baierisch- derb, anschlug und in partikularistischen Vereinen wegen seines Agitations - Talentes einen beträchtlichen Einfluss — „Pull" würde man in Amerika sagen — hatte.

Obgleich mir unter solchen Umständen der Katechismus lächerlich vorkam, musste ich denselben später doch auswendig lernen, was ich allerdings nur papageiartig that, weil ich sonst „gottsjämmerlich" von obgedachtem Kaplan verhauen worden wäre, denn der hielt, so lange er im Schulraum verweilte, den Ochsenziemer so fest in Händen, als ob derselbe damit verwachsen wäre.

Ueberhaupt stand damals die Prügel-Pädagogie in vollster Blüthe. Es gab 6 Jahresklassen und 3 Schulmeister, so dass jeder derselben gleichzeitig je zwei Klassen, jede mindestens 150 Knaben bergend, zu „unterrichten" hatte. Einen solchen

Haufen Kinder in Zucht und Ordnung zu halten, war natürlich keine Kleinigkeit — das ging noch über das Schafweiden und Gänsehüten. Deshalb mussten eben alle erdenklichen Züchtigungs-Instrumente einerseits und die Hände, Rücken,

Podexe etc. der Kinder andererseits herhalten. Ein ganz besonderer Haudegen war Derjenige, welcher die Mittelklassen dirigirte und unter dessen Fuchtel auch ich im dritten Jahre meiner Schulzeit stand. Hinter seinem Katheder war eine förmliche Sammlung von Schlagwerkzeugen exhibirt: Ruthen, Riemen, Rohr- und Hasselnussstöcke, Ochsenziemer, zusammengeflochtene Bassgeigensaiten etc. Und so oft er Executionen vornahm, stand er erst eine Weile vor seinem Folterkasten, um zu erwägen, was wohl dem betreffenden „Sünder" gegenüber am „schlagendsten" wirken könnte.

Eine spezielle Marotte, "die er hatte, war die folgende : Als Hausarbeit gab er unter Anderem tagtäglich vier Rechenexempel auf. So bald die Schule begonnen, wurden die mit Namen versehenen Aufgabenhefte eingesammelt. Hernach hatte ein Schulgehülfe die Aufgaben an der grossen Tafel laut zu lösen und anzukreiden. Dann wurden die Hefte beschnüffelt. Wer alle vier Rechnungen correct gemacht hatte, bekam

sein Heft mit guter Note zurück. Die Uebrigen wurden, je nach der Anzahl der mathematischen Fehlgeburten, sortirt und in die vier Winkel der Schule gestellt. Wer nur eine Rechnung unrichtig löste, bekam vier Hiebe auf die Handflächen, für zwei Irrthümer setzte es acht, für drei zwölf und für vier sechszehn Hiebe. Dabei grinste der Prügelmeister ganz vergnügt in sich hinein und rief ein über's andere Mal:

,,Die Bosheit steckt tief in dem Herzen des Knaben, aber die Zuchtruthe treibt sie wieder heraus" — spricht der weise Salomon. — Mich selber traf freilich kein einziger Schlag, denn meine Mutter hatte mir nicht nur bei Zeiten das Einmaleins gehörig beigebracht, sondern revidirte auch täglich meine Schularbeiten, so dass mir nicht so leicht etwas Menschliches oder vielmehr Unmenschliches passiren konnte. Immerhin war es äusserst deprimirend, diese scheusslichen Prügeleien mit ansehen und das Jammergeheul der Opfer derselben vernehmen zu müssen. Diejenigen, welche die meisten ,, Tatzen",

wie man die obgedachte Hiebsorte nannte, bekamen und am öftesten geprügelt wurden, schrien übrigens am wenigsten. Auf ihren Handflächen hatten sich förmliche Hornhäute gebildet ! ! Wie nicht anders zu erwarten war, endete dieser

Schulmeister später im Irfenhause. —

Unter solchen Verhältnissen wurde ich nahezu acht Jahre alt, als ein Ereigniss eintrat, das nicht nur buchstäblich sehr schmerzlich für mich war, sondern auch für mein ganzes späteres Leben ausschlaggebend wirkte. Doch davon soll in dem folgenden Kapitel die Rede sein. Hier sei nur noch das Urtheil reproduzirt, welches damals die Meisten über mich fällten, mit denen ich in Berührung kam. Es lautete: „Dieser Hans ist ein recht netter und gescheidter Junge, aber doch ein bitterbösser Bub' !" — Hinter meiner Lebendigkeit witterte man Bosheit, hinter meinem Hang zu Spässen Ungezogenhe' .

Meine Eltern aber hatten ihre Freude an mir, so wie ich war. Das konnte mir genügen. Uebrigens brachte ich aus der Schule auch alljährlich einen Preis nach Hause.

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