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V.

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In der Gestalt des Buchbindeimeisters Weber wurde bald einer jener „Krauterer " entdeckt, welche zur fraglichen Zeit, weil sie keinen Gesellenlohn zahlen konnten, hauptsächlich durch Lehrbubenschindung „ihr Leben machten ", wie man hierzulande sich auszudrücken pflegt. Diese Lehrzeit beschrieb ich bereits in der Schrift „Acht Jahre hinter Schloss und Riegel". Da dieselbe anno 1886 im Gefängniss geschrieben wurde und aus demselben heraus geschmuggelt werden musste, erschien sie anonym, weshalb ich von mir selber in dritter Person sprach. Ich nehme dem einschlägigen Kapitel, knapp und präcise, wie es gehalten ist, das Folgende :

„Diese Lehrzeit gestaltete sich aber bald zu einer völligen Sclaverei. Obgleich der biedere Lehrmeister sich hundert Gulden Lehrgeld zahlen liess und verlangte, dass der Lehrling sein Bett mitbringe und für seine Wäsche aufkomme, beutete er sein Opfer bis zum letzten Blutstropfen aus. Im Sommer musste einfach von 5 Uhr Morgens bis zum Sonnenuntergang gearbeitet werden und im Winter dehnte sich die Schinderei oft gar bis 10 und 12 Uhr Nachts aus. Ausserden gewerblichen Arbeiten hatte der schwächliche Bursche noch Hausknechts- und Kindsmagds-Dienste zu leisten.

Dass er unter solchen Umständen seinen Beruf nicht Heben lernte, leuchtet wohl ein. Aber er betrachtete auch seine Lehrzeit nur als eine Warteperiode. Und worauf wartete er wohl? Er sehnte sich den Augenblick herbei, wo er ausgewachsen sei und sich die Entstellung seines Gesichtes, wie er sich einredete, verzogen haben werde. Dann wollte er (wie bereits im vorigen Abschnitt angedeutet wurde) die Bretter beschreiten, welche die Welt bedeuten.

Das war eine Idee, für welche er Tag und Nacht schwärmte und von der ihn Niemand abzubringen vermochte, bis es endlich klar zu Tage lag, dass er körperlich theaterun-

fähig sei.

Als Lehrling vermochte er Letzteres noch nicht vorauszusehen; und er bereitete sich mit einer unverwüstlichen Hartnäckigkeit und allen Hindernissen zum Trotte auf seinen

vermeintlichen späteren Beruf vor.

Wenn er fortgeschickt wurde, um fertige Waaren abzuliefern, Rohmaterialien einzukaufen oder auch für die Meisterin Marktgänge zu thun, so pflegte er auf der Strasse - — auswendig oder nach dem Buche — Gedichte oder ganze dramatische Scenen zu deklamiren, was mitunter die Strassen- jugend zu förmlichen Zusammenrottungen veranlasste. Mancher erwachsene Sachkenner aber, der den Knaben recitiren hörte, pflegte da zu sagen : „Schade um den Jungen, dass er

nicht für's Theater ausgebildet werden kann."

Geld hatte der arme Bursche natürlich keines; wenn er also einer Theatervorstellung beiwohnen wollte, welches Verlangen insbesondere an Sonntagen Zu einem unwiderstehlichen sich gestaltete, so musste er zusehen, dass das umsonst

geschehen konnte.

Er schlich sich auf die Bühne oder ins Orchester und wusste für längere Zeit die daselbst dienstthuenden Geister durch allerlei falsche Vorspiegelungen in guter Laune ihm

gegenüber zu erhalten.

Kaum hatte indessen der prosaische Buchbindermeister den Kunstenthusiamus seines Eleven entdeckt und ausgefunden, auf welche Weise der letztere die Musen belauschte, so gab er auch schon dem Theaterdiener und Orchesterfactotum diesbezügliche Winke mit dem Zaunpfahle. Johann wurde zum Tempel hinausgeworfen, so bald man ihn erblickte.

Das konnte ihn jedoch nicht entmuthigen, sondern spornte ihn nur dazu an, seinen Zweck, den feindlichen Gewalten zum Trotz, zu erreichen. Er wählte nun den soge-

nannten Schnürboden, einen Raum, welcher sich oberhalb der Bühne befindet, als seine Privatgallerie aus. Um sicherer dort- hin gelangen zu können, pflegte er sich schon eine Stunde vor Beginn der Vorstellung, wo die Bühne noch ganz dunkel war, einzuschleichen und zu seinem Elysium emporzuklettern.

Sein spätes Nachhausekommen trug ihm fast an jedem Montag Morgens die schönsten Hiebe ein, aber am nächstfolgenden Sonntag waren dieselben längst verschwitzt, und

die Schleichwege der Kunst wurden abermals beschritten.

Kam vollends eine berühmte Grösse, die vielleicht nur in 3 — 4 Vorstellungen, und zwar an Wochentagen, auftrat, nach Augsburg, so war für unseren jungen Theaterschmächtling schon gleich ganz und gar guter Rath theuer. Weder Geld,

noch Zeit, noch Erlaubniss zum Theaterbesuch — , da gab es nur noch Eines, den Reissaus.

So oft ein Theater-Phänomen Gastrollen in Augsburg gab, brannte Johann seinem'Lehrmeister durch und kam erst wieder, wenn die Kunstleistungen genossen waren. Da wurde am Tage Brod gebettelt und Nachts gleich auf dem Schnürboden, wo es warm war, geschlafen. Die obligaten Hiebe für die eine Desertion hinderten niemals eine anderweite, so bald sich nur das kritische Verlockungsobject zeigte.

So enthusiastisch Most in seiner Jugendzeit für's Theater schwärmte, so entschieden verabscheute er schon zu jener Zeit die Kirche und allen Religionskram. Wenn sein Lehr-

meister ein Buch zu binden hatte, dessen Titel errathen liess, dass es die Pfaffen angreife, so nahm Johann gewiss dasselbe in seine Dachkammer und las darin bis spät in die Nacht hinein.

Zu damaliger Zeit existirte aber in Baiern ein Gesetz, wo- nach alle jungen Leute bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre an Sonntagen Nachmittags die sogenannte „Chri-

stenlehre" zu besuchen hatten, widrigenfalls ihnen der Polizei-Arrest offen stand. Diesem letzteren sollte unser Johannes bald entgegengehen.

Es war ihm zu albern geworden, alle sechs Wochen vorschriftsmässig zu beichten, und er blieb daher von der Sündenlosscheuerung fort; auch verleitete er mehrere andere

Burschen seines Alters, ein Gleiches zu thun. Darob gab es am nächsten Sonntag eine wahre Kirchen-Sensation. Als der Pfaffe über die Beichten der Betreffenden keine Quittungen eingereicht bekam, zerrte er die verstockten Sünder bei den

Öhren aus den Bänken und hiess sie bis nach der „Christenlehre" auf's Kirchenpflaster knieen. Hernach schleppte er die Bockbeinigen nach seinem Zimmer, prügelte Einen nach dem Anderen tüchtig durch und zwang sie schliesslich, ihm augenblicklich zu beichten. Most verstand es jedoch, sich dieser geistlichen Nothzucht durch Flucht zu entziehen. Auch nahm er sich vor, künftighin gänzlich von der Christenlehre fern zu bleiben. Die Consequenzen seines diesbezüglichen Handelns bestanden in einer Vorladung zur Polizei.

Am 17. April 1862 klopfte es an der Thüre des Buchbinders. Das übliche „Herein 1 " war von Innen noch nicht ganz verklungen, als von Aussen auch schon im Feldschritt

ein Polizist seinen Einzug bewerkstelligte.

„Ist hier nicht der Lehrling Johann Most?" fragte der Uniformirte, indem er eine Vorladung aus der Tasche zog. Und das verdutzte Gesicht des biederen Meisters hatte noch keine Antwort ahnen lassen, so schnarrte es unter dem kommissalen Schnurrbart auch schon weiter: „Der Lehrling Johann Most soll heute Nachmittag um drei Uhr zum Herrn Aktuar Schmidt kommen." Dann machte dieser Schutzengel noch klar, dass er vier Kreuzer Bestellgeld zu bekommen habe, sackte ein und zog ab.

Die Scene, welche zwischen Meister und Lehrling sich nun abspielte, kann der Leser leicht errathen, insbesondere, wenn er selber einmal verdammt gewesen sein sollte, eine „Lehrzeit" zu bestehen.

Zur bestimmten Stunde wandelte das Bürschchen nach dem Polizeiamt.

Der Polizeiaktuarius, ein echter Mandarin, brannte dein armen Jungen 24 Stunden Polizeiarrest auf, welche er prompt abgesessen hat, und denen ausserdem noch diverse Schopfbeuteleien, Rohrhiebe und Grobheiten seitens des Lehrmeisters hinzugefügt wurden.

„Gebessert" haben diese Prozeduren aber den bösen Johannes keineswegs. Während seines Aufenthaltes im „Bürgerstübchen", wie der Arrest für kleine Vergehen ge-

nannt wurde, gelobte er sich vielmehr, von nun ab niemals mehr eine Kirche zu betreten; und er hat seinen Vorsatz getreulich gehalten, ohne dass das übrigens weitere schlimme

Folgen für ihn gehabt hätte.

Wie gar oft zuvor schon, so kam es am 14. April 1863 zwischen Most und dem Meister zu einer jener Controversen, bei welchen das Ende vom Liede Prügel für den Schwächeren

durch den Stärkeren sind.

Den Ausgangspunkt des Streites bildete ein angebrannter Leimpinsel, welcher den Tyrannen der Werkstatt dermassen in Wuth versetzte, dass er die Leimpfanne dem Jungen, welcher das Malheur verschuldet haben sollte, an den Kopf zu werfen suchte, welches Ziel er indessen glücklicher Weise verfehlte.

„Ich will Gott danken, wenn Du, Galgenstrick, erst einmal aus meinem Hause bist," rief das erzürnte Meisterlein.

„O," entgegnete der so Adressirte phlegmatisch „Sie brauchen mich ja nur freizusprechen. Meine Zeit ist ohnehin schon in sechs Wochen abgelaufen."

„Meinethalben gehst Du lieber heute wie morgen zum Teufel," brüllte der durch solche „Frechheit" noch mehr gereizte Zünftler.

Der Lehrbub aber nahm die Sache sehr wörtlich, wenn er auch in Bezug auf den Teufel glaubte, dass er bei demselben bisher gewesen sei, also ihn nicht erst aufzusuchen

brauche.

Er nahm seine Mütze vom Nagel, huschte zurThüre hinaus, schnürte in der Dachkammer sein Bündel und eilte nach Hause, um seinem Vater die überraschende Mittheilung zu

machen, dass er nun „frei" sei."

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