Читать книгу Homilien über den ersten und zweiten Brief an Timotheus - Johannes Chrysostomos - Страница 7

Zweite Homilie.

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I.

5. Das Ziel aber der Ermahnung ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben. 6. 7. Weil Einige hierin das Ziel verfehlten, sind sie auf eitles Gerede verfallen, indem sie Gesetzeslehrer sein wollen, ohne zu verstehen, was sie sagen und wofür sie Beweise beibringen.

I. Nichts bildet einen so dunklen Fleck am Menschengeschlechte wie die Mißachtung der brüderlichen Liebe und der Mangel an dem eifrigen Bestreben, sie lebendig zu erhalten, wie im Gegentheil Nichts eine so schöne Zierde ist als die Bruderliebe mit aller Kraft zu erstreben. Und Das will Christus sagen mit den Worten: „Wenn Zwei in Bezug auf das Nämliche mit einander übereinstimmen, dann werden sie Alles erhalten, um was sie bitten;“ und wiederum: „Wenn die Schlechtigkeit überhand nimmt, wird die Liebe erkalten.“23 Dieses Erkalten ist die Mutter aller Häresien. Die mangelnde Bruderliebe erzeugte den Neid gegen Diejenigen, welche mehr Auszeichnungen genoßen, der Neid die Herrschsucht, und die Herrschsucht wurde die Mutter der Häresien. Deßhalb hat auch Paulus nach den Worten: „Daß du Einigen befehlest, nicht anders zu lehren,“ die Art und Weise erörtert, wornach Das geschehen kann. Welches ist nun diese Art und Weise? Die Liebe. Gleichwie also in der Stelle: „Christus ist das Ziel des Gesetzes“24 die volle Erfüllung des Gesetzes gemeint ist und das Gebundensein des Gesetzes an Christus, so ist auch hier die Ermahnung an die Liebe gebunden. Das Ziel der Heilkunst ist die Gesundheit. Ist diese vorhanden, dann bedarf es keiner ärztlichen Hilfe. Und ist die Liebe vorhanden, dann bedarf es keiner Ermahnung. Von was für einer Liebe spricht aber der Apostel? Von der ächten, nicht von der, welche bloß bis zu Worten geht, sondern die aus dem Gemüthe, der Gesinnung, aus dem Mitgefühle kommt. „Aus reinem Herzen“ sagt er. Entweder vom guten Lebenswandel, meint er, oder von der ächten Liebe. Ein schlechter Lebenswandel nämlich ruft Zwistigkeiten hervor. „Ein Jeder, der Böses thut, hasset das Licht.“25

Es gibt allerdings auch eine Liebe unter schlechten Menschen. Ein Räuber z. B. ist der Freund des andern, ein Mörder der Freund des andern. Aber das ist keine Liebe „aus einem guten Gewissen“, sondern aus einem schlechten, keine aus einem „reinen Herzen“, sondern aus einem unreinen, keine aus „ungeheucheltem Glauben“, sondern aus einem fingirten und erheuchelten. Der Glaube ist ein Spiegel der Wahrheit; der ächte Glaube ist der Vater der Liebe. Wer wirklich an Gott glaubt, der bringt es niemals über sich, von der Liebe zu lassen.

Weil Einige hierin das Ziel verfehlten, sind sie auf eitles Gerede verfallen.“ Trefflich ist der Ausdruck „das Ziel verfehlen“ (ἀστοσχήσαντες). Denn es gehört eine Kunst dazu, richtig zu treffen und nicht neben das Ziel zu schießen. Man muß vom heiligen Geiste dirigirt werden. Es gibt nämlich gar viele Dinge, die von der rechten Richtung ablenken, und man muß das Auge auf einen einzigen Punkt gerichtet haben.

„Indem sie Gesetzeslehrer sein wollen.“ Da sieht man eine weitere Anschuldigung: die der Herrschsucht. Deßhalb sagte auch Christus: „Ihr sollt Niemanden Rabbi nennen.“26 Und wiederum der Apostel: „Denn nicht einmal sie selber beobachten das Gesetz, sondern damit sie sich rühmen in euerem Fleische.“27 Sie streben nach Würden, will der Apostel sagen, und deßhalb haben sie ihr Auge nicht auf die Wahrheit gerichtet.

„Ohne zu verstehen, was sie sagen und wofür sie Beweise beibringen.“ Hier macht er ihnen den Vorwurf, daß sie das Ziel des Gesetzes nicht kennen und den Zeitpunkt, bis zu welchem dessen Herrschaft reichen sollte. Warum bezeichnest du also, Paulus, Das als eine Sünde, wenn es in der Unwissenheit wurzelt? Es ist ihnen Das begegnet, nicht bloß weil sie Gesetzeslehrer sein wollten, sondern auch weil sie an der Liebe nicht festhielten. Auch sonst entsteht die Unwissenheit aus solchen Dingen. Wenn nämlich die Seele sich fleischlichem Thun hingibt, dann stumpft sich ihr scharfer Blick ab. Und wenn sie von der Liebe läßt, geräth sie in Streitsucht, und das Auge des Verstandes wird geblendet. Denn wer von irgend einer Begierde nach diesen irdischen Dingen befallen wird, ist berauscht von der Leidenschaft und kann kein unbestochener Richter über die Wahrheit sein.

„Sie wissen nicht, wofür sie Beweise bringen.“ Wahrscheinlich haben sie über das Gesetz groß gesprochen und viel daher geredet über Reinigungen und die sonstigen körperlichen Vorschriften.

Der Apostel verschmäht es übrigens, über diese Dinge sich weiter auszulassen, da sie ja doch Nichts sind als ein Schattenbild von Ideen, und befaßt sich mit einem dankbareren Gegenstande. Was ist das für einer? Er preist das Gesetz, versteht aber hier unter dem Gesetze den Dekalog. Von diesem aus aber verwirft er auch das mosaische Gesetz. Denn wenn selbst dieses die Übertreter straft und für uns unnütz wird, um wie viel mehr dann das erstere!

8. Wir wissen aber, daß das Gesetz gut ist, falls Jemand dasselbe gesetzmäßig gebraucht, 9. Indem wir wissen, daß für den Gerechten das Gesetz nicht vorhanden ist.

Es ist gut, sagt er, und es ist nicht gut. Wie so? frägt man; wenn Jemand es nicht gesetzmäßig gebraucht, ist es dann nicht gut? Gut ist es auch so. Aber was der Apostel sagen will, ist Dieses: wenn er es (das Gesetz) in Werken erfüllt. Das will er hier ausdrücken in den Worten: „Wenn Jemand dasselbe gesetzmäßig gebraucht.“ Wenn man es zwar in Worten hochhält, durch Thaten aber übertritt, das heißt einen ungesetzlichen Gebrauch davon machen. Auch ein solcher Mensch macht einen Gebrauch davon, aber nicht zu seinem eigenen Vortheil.

Es läßt sich noch eine andere Erklärung geben. Welche ist das? Etwa folgende: Wenn du das Gesetz gesetzmäßig gebrauchst, dann verweist es dich an Christus. Denn da sein Zweck in der Rechtfertigung des Menschen besteht, diese aber nicht im Bereiche seiner Macht liegt, so verweist es an Den, der sie zu bewirken vermag.

Eine andere Art von „gesetzmäßigem Gebrauch des Gesetzes“ besteht darin, wenn man es so beobachtet, daß es überflüssig wird. Was will Das sagen? Gleichwie ein Pferd vom Zügel einen guten Gebrauch macht, nicht wenn es sich bäumt und knirscht, sondern wenn es denselben einfach gleich einem Schmuck umhängen hat: so macht auch vom Gesetze einen gesetzmäßigen Gebrauch Derjenige, welcher nicht als Sklave von dessen Buchstaben recht handelt, sondern wer macht einen gesetzmäßigen Gebrauch davon? Derjenige, der sich bewußt ist, daß er desselben gar nicht bedarf. Wer es nämlich in der Tugend soweit gebracht hat, daß er das Gesetz beobachtet nicht aus Furcht vor demselben, sondern aus reinem Pflichtgefühl, der macht einen gesetzmäßigen und richtigen Gebrauch davon. Wenn Jemand einen solchen Gebrauch davon macht, daß er nicht das Gesetz fürchtet, sondern die Verurtheilung zu der darin ausgesprochenen Strafe vor Augen hat.28


II.

Unter dem „Gerechten“ versteht übrigens der Apostel hier Den, der die Tugend übt. Also Derjenige macht einen rechten Gebrauch vom Gesetze, welcher nicht verlangt von demselben geleitet zu werden. Denn gleichwie man den Knaben Vorschriften zum Schreiben vorlegt, und wie der Knabe, der nicht nach der Vorlage, sondern aus dem Kopfe schreibt, mehr versteht und seine Buchstaben besser kann: so läßt sich auch Derjenige, welcher über dem Gesetze steht, nicht von demselben leiten. Wer es nicht aus Furcht erfüllt, sondern aus Drang zur Tugend, der befolgt das Gesetz in höherem und höchstem Maaße. Diejenigen, welche Strafe fürchten, und Die, welche das Ehrgefühl spornt, erfüllen das Gesetz nicht auf gleiche Weise. Es besteht keine Ähnlichkeit zwischen Dem, welcher über, und Dem, welcher unter dem Gesetze steht. In seinem Lebenswandel über dem Gesetze stehen, das heißt einen „gesetzmäßigen Gebrauch davon machen“. Derjenige macht einen guten Gebrauch vom Gesetz und beobachtet es wirklich, welcher mehr thut, als das Gesetz verlangt, welcher es nicht zum Erzieher haben will. Das Gesetz besteht ja zum größten Theile nur aus Verboten. Das Meiden der Sünde macht aber nicht den Gerechten, sondern die Übung des Guten. Also wer sklavenartig bloß von Sünden sich enthalt, der erfüllt nicht den Geist des Gesetzes. Darum ist es gegeben, damit es die Übertretung bestrafe. Auch die Andern machen einen Gebrauch davon, aber zitternd vor der Strafe. „Willst du die Gewalt nicht fürchten,“ sagt der Apostel, „dann thue das Gute!“29 Als wollte er sagen: Nur für die Bösen ist das Gesetz ein Verkünder von Strafen; welchen Nutzen aber hat es für Den, welcher durch seine Werke die ewige Seligkeit verdient? Der Arzt gehört für den Verwundeten, nicht für den Gesunden und sich wohl Befindenden.

„Für die Gesetzlosen (heißt es weiter) und Unbotmäßigen, für die Gottlosen und Sünder.“ Unter den „Gesetzlosen“ sind die Juden zu verstehen, ebenso unter den „Unbotmäßigen“. „Das Gesetz,“ sagt der Apostel, „bewirkt Zorn.“ Das bezieht sich auf die Übelthäter. Wie gälte Das in Bezug auf den Ehrenhaften? „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde.“30 Was geht Das den Gerechten an? „Für den Gerechten ist das Gesetz nicht vorhanden.“31 Weßhalb? Weil er ausserhalb des Bereiches der Strafe steht, und weil er nicht darauf zu warten braucht, daß er seine Pflichten durch das Gesetz kennen lerne, indem er in seinem Innern die Gnade des heiligen Geistes hat, die ihm dieselben diktirt. Das Gesetz wurde gegeben, damit die Menschen durch Furcht und Drohung in Schranken gehalten werden. Bei einem gehorsamen Pferde bedarf es keines Zügels und keine Erziehung bei Einem, der keinen Erzieher braucht.

„Für die Gesetzlosen und Unbotmäßigen, die Gottlosen und Sünder, Unheiligen und Entweihten, Vatermörder und Muttermörder.“ Der Apostel bleibt dabei nicht stehen, bei den „Sündern“ allein, sondern er spezifizirt sie, um die Vertreter des Gesetzes zu beschämen. Und nach der Spezifizirung spricht er auch davon, daß man sie meiden soll, obschon das Gesagte schon geeignet wäre, um von ihnen abzuschrecken. Wen meint er nun damit? Die Juden. Diese sind „Vater- und Muttermörder,“ und sie sind „Unheilige und Entweihte“. Sie bezeichnet er mit den „Gottlosen und Sündern“. Da sie aber solche Leute waren, war es nothwendig, das Gesetz zu geben. Sage mir, beteten sie nicht fortwährend die Götter an? Haben sie nicht den Moses gesteinigt? Haben sie nicht ihre Hände mit Verwandtenmord befleckt? Werfen ihnen nicht die Propheten allenthalben diese Dinge vor? Für die Erforscher der himmlischen Dinge waren jene Vorwürfe überflüssig. „Für die Vater- und Muttermörder,“

10. die Menschenmörder, Hurer, Knabenschänder, Menschenräuber, Lügner, Meineidigen, und was sonst noch der gesunden Lehre widerstreitet;

Treffend heißt es: der „gesunden“ Lehre. Denn jene Dinge sind lauter Leidenschaften einer kranken Seele.

11. gemäß dem Evangelium des Ruhmes des seligen Gottes, das mir anvertraut worden ist.

Also zur Bekräftigung des Evangeliums ist das Gesetz auch jetzt noch nothwendig, die Gläubigen jedoch brauchen es nicht. „Evangelium des Ruhmes“ nennt es der Apostel wegen nichts Anderem als wegen Derjenigen, die sich der Verfolgungen und des Leidens Christi schämen. Also um der andern Ursachen willen sowie gerade dieser Menschen wegen spricht er von einem „Evangelium des Ruhmes“, um zu zeigen, daß das Leiden Christi ein Ruhm ist. Oder auch er deutet auf die Zukunft im Jenseits. Wenn die Gegenwart voll Schmach und Schimpf ist, in der Zukunft gibt es Das nicht. Ein Evangelium bezieht sich überhaupt auf die Zukunft, nicht auf die Gegenwart. Warum sagt dann aber der Engel: „Siehe, ich verkündige euch, daß euch der Heiland geboren wurde?“32 Der Neugeborene sollte ein Heiland erst werden. Er wirkte nicht schon bei seiner Geburt Wunder.

„Gemäß dem Evangelium des Ruhmes des seligen Gottes.“ Unter (Gottes) Ruhm (δόξα) versteht der Apostel entweder die Anbetung Gottes, oder er will sagen, daß die Gegenwart voll ist von seinem Ruhm, noch viel mehr aber die Zukunft. Er spricht von der Zeit, wo Gottes Feinde unter seinen Füßen liegen, wo er keinem Widerspruch mehr begegnet, wo die Gerechten all die Herrlichkeiten schauen, die kein Auge geschaut, kein Ohr gehört, und die in keines Menschen Herz gekommen. „Ich will,“ spricht der Herr, „daß, wo ich bin, auch Diese seien, damit sie schauen meinen Ruhm, den du mir gegeben.“33 Lernen wir, wer denn wohl Diese sind, und preisen wir sie glücklich Angesichts der Seligkeit, welche sie genießen, des Ruhmes und des Lichtes, deren sie theilhaftig sind! Der irdische Ruhm ist eine Bagatelle und ist unbeständig, und selbst wenn er aushält, so hält er nur bis zum Tode aus, und dann erlöscht er für immer. Denn es heißt: „Sein Ruhm wird nicht in die Gruft steigen hinter ihm.“34 Bei Vielen aber hält er nicht einmal hienieden bis zum Ende aus. Von jenem andern Ruhme aber läßt sich so Etwas nicht annehmen, sondern ganz das Gegentheil, daß er nämlich bleibt und niemals ein Ende nehmen wird. So ist Das, was von Gott kommt: bleibend und erhaben über Wechsel und Ende. Der jenseitige Glanz stammt nicht von aussen, sondern von innen; nicht von kostbaren Gewändern z. B. oder von einem Troß von Bedienten, nicht von prächtigen Equipagen stammt der jenseitige Glanz, sondern sein Schimmer umfließt ohne solchen Tand die Gestalt des Menschen selber. Jetzt ist Einer, dem solche Dinge mangeln, des Ruhmes entkleidet; im Jenseits ist es nicht so. In den Bädern sehen wir Entkleidete, berühmte und unberühmte Männer; wir sehen auch schlechte. Mancher Marktbesucher geräth in Verlegenheit, wenn ihn seine Diener irgend eines Bedürfnisses wegen (auf einen Augenblick) verlassen. Im Jenseits aber trägt Jeder seinen Glanz allenthalben mit sich.35 Und gleichwie die Engel, wo sie auch erscheinen mögen, von ihrem Glanze umflossen sind, so auch die Heiligen. Oder vielmehr gleichwie die Sonne keines Mantels bedarf, und sonst Nichts bedarf, sondern sobald sie aufgegangen, auch sofort den ihr innewohnenden Glanz ausstrahlt, so wird es auch dereinst sein.


III.

Streben wir also diesem Glanze nach, den an Werth Nichts erreicht; lassen wir jenen andern bei Seite, dem an Werthlosigkeit Nichts gleichkommt. „Brüste dich nicht mit der Falte des Gewandes,“ heißt es.36 Solches ward in alter Zeit kleinen Kindern37 zugerufen. Auch der Tänzer, die Hure, der Komödiant hat Gewänder an und zwar schönere und kostbarere als du. Und überdieß brüstest du dich mit einem Ding, um dessen Besitz dich die Motten bringen, wenn sie sich daran machen. Siehst du, welch unbeständiges Ding es ist um den Glanz des irdischen Daseins? Du brüstest dich mit einem Ding, welches Würmer erzeugen und Würmer vernichten. Man sagt, es seien winzige Thierchen in Indien, von welchen diese Gespinnste gefertigt werden. Du kannst dir einen Mantel kaufen, wenn du willst, der aus himmlischem Stoffe gewoben ist, ein wunderbares und herrliches Gewand, einen Mantel von ächtem Gold. Dieses Gold ist kein Metall, das Verbrecherhände38 aus der Erde gruben, sondern ein Produkt der Tugend. Umhüllen wir uns mit diesem Kleide, das nicht arme Leute und Sklaven herstellen, sondern Gott der Herr selber. Aber, wirst du sagen, ist denn in diesen Mantel Gold hineingewoben? Was geht Das dich an? Den Verfertiger (des Mantels) bewundert Alles, nicht den Träger. Jener ist ja in Wirklichkeit der Schöpfer des Prachtstückes. Gleichwie wir bei gewöhnlichen Kleiderstoffen nicht das Holz in der Walkerstube bewundern, worauf der Stoff ausgespannt ist, sondern den Mann, der denselben verfertigt, obwohl das Holz es ist, das ihn trägt und woran er befestigt ist; wie also diese Gewandstoffe nicht des Holzes wegen da befestigt sind, so ist’s auch bei jenen anderen Gewändern nicht der Fall. Es handelt sich nämlich um den Stoff selber, damit er tüchtig geschwungen und nicht ein Fraß der Motten wird.39

Wie sollte es also nicht die ärgste Thorheit sein, auf Nichts solchen Eifer zu verwenden (wie auf irdischen Tand). Alles dafür in Bewegung zu setzen, sein ewiges Heil preiszugeben, an die Hölle nicht zu denken, gegen Gott zu freveln, den hungernden Christus zu vergessen? Was soll man sagen zu dem Luxus mit wohlriechenden Dingen aus Indien, Arabien und Persien, trockenen und flüssigen? zu dem Luxus mit Salben und Parfüm, was Alles einen hohen und unnützen Aufwand verursacht? Wozu salbst du, o Weib, deinen Körper, der innen voll Unreinigkeit ist? Warum lassest du dich wegen deines üblen Geruches so viel kosten und thust Dasselbe, wie wenn Jemand eine Salbe in den Koth wirst oder Balsam auf einen Ziegelstein gießt? Es gibt wirklich eine Salbe, wenn du willst, es gibt wirklich ein Parfüm, womit du deine Seele salben kannst, nicht aus Arabien, nicht aus Äthiopien, nicht aus Persien, sondern vom Himmel selber stammend, gekauft nicht mit Gold, sondern mit freier Wahl des sittlich Guten und mit ungeheucheltem Glauben. Diese Salbe kauf’ dir, deren Wohlgeruch die ganze Welt zu erfüllen vermag! Von ihr dufteten die Apostel. „Wir sind ein herrlicher Wohlgeruch,“ sagt ja der Apostel, „den Einen zum Tode, den Andern zum Leben.“40 Was heißt Das? Nun, man sagt ja, daß auch die Schweine am Wohlgeruch ersticken. Übrigens nicht bloß der Leib der Apostel duftete von der geistigen Salbe, sondern auch ihre Kleider. Die Gewänder des hl. Paulus dufteten ja so herrlich, daß sie die Dämonen verscheuchten. Welches aromatische Blatt, welche Kassia, welche Myrrhe übertrifft nicht an Annehmlichkeit und Nützlichkeit ein solcher Wohlgeruch! Wenn er die Dämonen verscheuchte, was vermochte er nicht sonst noch Alles? Diese Salbe wollen wir uns anschaffen! Sie verschafft uns aber die Gnade des heiligen Geistes mittelst Almosen. Von dieser Salbe sollen wir auch dereinst duften bei unserem Hingange in’s Jenseits und sollen so die Aufmerksamkeit der Heiligen auf uns lenken. Und wie hienieden die mit Wohlgerüchen Gesalbten Aller Augen auf sich lenken, und gleichwie dann, wenn der Salbenduftende ein Bad betritt oder eine Kirche oder sonst einen frequenten Ort, Alles mit den Blicken an ihm hängt und Alles sich ihm zuwendet: so ist’s auch in jener Welt. Wenn die Seelen, welche geistigen Wohlgeruch aushauchen, eintreten, dann steht Alles auf und schaart sich um sie. Und auch hienieden wagen die Dämonen und die Laster sich nicht an sie heran und vertragen ihren Wohlgeruch nicht; sie ersticken daran. Also in diese Dunstwolke wollen wir uns hüllen! Jene andere verleiht uns auch den Schein von unmännlicher Weichlichkeit, diese aber den von Seelenstärke; sie macht uns zu einem richtigen Gegenstand der Bewunderung. Auch viel Vertrauen flößt sie uns ein. Dieser Dunst ist nicht ein Produkt der Erde, sondern ein Kind der Tugend. Er welkt nicht, sondern blüht fort. Er macht seinen Besitzer werthvoll. Mit diesem Wohlgeruch werden wir gesalbt bei der Taufe, und dann duften wir herrlich. Und daß wir auch in der Folge davon duften, das ist Sache unseres Eifers. Deßhalb sind auch vor Alters die Priester gesalbt worden. Das war ein Symbol der Tugend. Der Priester soll angenehm duften. Die Sünde aber ist das Uebelriechendste, was es gibt. Vernimm, wie der Prophet sie schildert: „Es stanken und faulten meine Striemen.“41 Wahrhaft schlimmer und stinkender als Fäulniß ist die Sünde. Was stinkt denn z. B. ärger als Unzucht, sag’ es mir? Wenn du es auch im Momente der That nicht empfindest, so betrachte, was es um die Sünde ist nach der That, dann wirst du ihren Gestank, ihren besteckenden Schmutz, ihr schmerzliches Brennen, ihre Abscheulichkeit schon wahrnehmen! So ist’s mit jeder Sünde; bevor sie begangen ist, hat sie etwas Süßes, nachdem man sie aber vollbracht, dann ist’s mit der Süssigkeit aus und zu Ende, dann kommt die Traurigkeit und Beschämung. Bei der Gerechtigkeit ist das Gegentheil der Fall. Anfänglich macht sie Beschwerden, zuletzt aber bringt sie Vergnügen und Wohlbehagen. Übrigens kann bei der Sünde auch der Genuß kein ächter sein wegen der bevorstehenden Schande und Strafe, und andererseits bei der Gerechtigkeit die Beschwerde nicht wirklich eine solche wegen der Hoffnung auf Belohnung. Sag’ mir, wie ist’s bei der Trunksucht? Gewährt sie nicht höchstens nur beim Trinken selber einen Genuß? oder vielmehr nicht einmal beim Trinken? Wenn nämlich dem Trunkenbold die Sinne vergehen, und wenn er von den Anwesenden Niemand mehr sieht, wenn er sich schlimmer geberdet als ein Wahnsinniger, wo ist da noch ein Vergnügen? Auch in der unzüchtigen Handlung liegt kein Genuß. Denn wenn die Seele als Sklavin der Lust das Urtheil verliert, was ist das für ein Vergnügen? Wenn sich’s so verhält, dann ist auch das Vergnügen ein schäbiges. Das nenne ich keinen ächten Genuß, wenn die Seele in der Lust vom Körper gefesselt und gezerrt wird. Was ist das für ein Vergnügen, mit den Zähnen knirschen, die Augen verdrehen, einen Kitzel empfinden und sich über Gebühr erhitzen! Es ist Das so wenig ein Vergnügen, daß wir uns beeilen, um es schnell hinter uns zu haben, und Mißbehagen empfinden, wenn es vorbei ist. Wenn es wirklich ein Genuß ist, dann gib ihn nicht auf, beharre bei dem Vergnügen! Siehst du, daß es sich hier nur um den Namen eines Vergnügens handelt? Aber bei uns verhält sich’s nicht so. Da ist ächte Süssigkeit, nicht ein Genuß, der Etwas von der zehrenden Flamme hat, sondern ein solcher, der die Seele frei schalten läßt und sie mit Wonne ganz durchtränkt. So war die Wonne des Paulus beschaffen, wenn er sagt: „Darin freue ich mich (nicht bloß jetzt), sondern werde mich auch freuen;“ und: „Freuet euch im Herrn allezeit!“42 Jene sündhafte Lust bringt Schande und Strafe; sie sucht das Dunkel auf und schafft Sorgen ohne Zahl; diese aber weiß Nichts von all Dem. Ihr also wollen wir nachstreben, damit wir der ewigen Seligkeit theilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater sowie dem heiligen Geiste sei Ruhm, Herrlichkeit und Ehre jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.

Homilien über den ersten und zweiten Brief an Timotheus

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