Читать книгу Homilien über den ersten und zweiten Brief an Timotheus - Johannes Chrysostomos - Страница 8

Dritte Homilie.

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I.

12. Ich danke Dem, der mir Kraft verliehen hat, Christo Jesu, unserm Herrn, weil er mich für treu erachtete, indem er mich zum Dienste bestimmte. 13. Mich, der ich früher ein Lästerer war und ein Verfolger und Mißhandler. Aber ich fand Verzeihung, weil ich unwissend gehandelt im Unglauben. 14. Es erwies sich aber übergroß die Gnade unseres Herrn mit Glauben und Liebe in Christo Jesu.

I. Daß die Demuth vielen Gewinn bringt, davon können wir uns überzeugen, nirgends indeß findet man sie so leicht. Die Demuth in Worten ist häufig, häufiger als nothwendig, die demüthige Gesinnung aber zeigt sich nirgends. Der heilige Paulus aber erstrebte sie so eifrig, daß er sogar allenthalben nach Vorwänden sucht, um seinen Sinn zur Demuth zu stimmen. Da es nämlich natürlich ist, daß Männer, die sich guter Thaten bewußt sind, Mühe haben, sich demüthig zu stimmen, so mußte sich natürlich auch der Apostel große Gewalt anthun. Sein gutes Gewissen hob ihn empor wie ein Wogenschwall. Man sehe nun auch an dieser Stelle, wie er es anfängt! Er hatte gesagt: „Das Evangelium des Ruhmes Gottes ist mir anvertraut worden, das Evangelium, woran Diejenigen keinen Theil haben dürfen, die noch vom Gesetze Gebrauch machen.“ Es steht nämlich noch im Gegensatz zum Gesetze, und der Unterschied ist derart, daß die Anhänger des Gesetzes noch gar nicht würdig sind, am Evangelium Theil zu haben. Gerade als wollte Jemand sagen, daß Menschen, denen Kerker und Strafe gebührt, nicht das Recht haben, in den Kreis von Philosophen einzutreten. Nachdem also der Apostel sich gebrüstet und den Mund voll genommen hatte, demüthigt er sich sofort und sucht auch die Andern zu überreden, Dasselbe zu thun. Nachdem er geschrieben: „Ich wurde betraut,“ korrigirt er sich sofort selber, damit man nicht meine, er spreche so aus Stolz. Man sehe also, was er für eine Korrektur anbringt, indem er fortfährt und sagt: „Ich danke Dem, der mir Kraft verliehen in Christo Jesu, unserm Herrn, weil er mich für treu erachtete, indem er mich zum Dienste bestimmte.“ Siehst du, wie der Apostel allenthalben seine Vollkommenheit verhüllt und Alles auf Gott zurückführt, freilich nur insoweit, als der freie Wille nicht gefährdet ist. Denn da würde der Ungläubige vielleicht sagen: „Wenn Alles an Gott liegt, und wenn von uns gar Nichts beigetragen wird, sondern wenn uns Gort wie ein Stück Holz oder Stein vom Laster zur Tugend hinüberschiebt, warum hat er dann den Paulus so hergerichtet, den Judas aber nicht?“ Man sehe, wie klug der Apostel den Ausdruck wählt, um diesem Einwand zu begegnen! „ Ich wurde betraut,“ sagt er. Das ist an ihm eine Ehre und Auszeichnung, aber nicht ausschließlich von ihm ausgehend. Denn man sehe, was er sagt: „Ich danke Dem, der mir Kraft verliehen, Christo Jesu.“ Das ist Gottes Verdienst. Dann kommt wieder sein eigenes: „Weil er mich für treu erachtete.“ Ganz richtig, weil er mit seiner eigenen Person Nutzen stiften sollte. „Indem er mich zum Dienste bestimmte, mich, der ich früher ein Lästerer war und ein Verfolger und Mißhandler. Aber ich fand Verzeihung, weil ich unwissend gehandelt im Unglauben.“ Man sehe, wie er sein persönliches und Gottes Verdienst neben einander stellt, dabei aber den Hauptantheil der göttlichen Vorsehung zuschreibt, seinen Antheil aber tief herabschraubt, nur daß er, wie oben gesagt, dem freien Willen nicht zu nahe tritt. Was soll aber Das heissen: „Der mir Kraft verliehen“? Merk’ auf! Der Apostel nahm eine gewaltige Last auf sich und bedurfte gar sehr des Einflusses von oben. Bedenke, was es hieß, gegenüber den täglichen Mißhandlungen, Schmähungen, Nachstellungen, Gefahren, Spöttereien, Beschimpfungen und Angriffen auf das Leben fest zu stehen, nicht zu ermüden, nicht zu straucheln, nicht den Rücken zu wenden, sondern Tag für Tag aus allen Seiten von Pfeilen getroffen dazustehen, unverwandten Auges ohne eine Spur von Furcht! Das war nicht Sache menschlicher Kraft, übrigens aber auch nicht Sache göttlicher Stärkung allein, sondern auch Sache seines freien Willens. Denn daß Gott den Apostel erwählte auf Grund Dessen, daß er sein künftiges Wirken im Voraus erkannte, darüber höre man, was er sagte, bevor Paulus sein Predigtamt begann: „Dieser ist mir ein Gefäß der Auserwählung, um meinen Namen zu tragen vor Völker und Könige.“43 Gleichwie nämlich Diejenigen, welche im Kriege die königliche Fahne, das gewöhnlich so genannte Labarum, tragen, vieler Kraft und Erfahrung bedürfen, damit sie es dem Feinde nicht preisgeben, so bedürfen auch Diejenigen, welche den Namen Christi tragen, nicht bloß im Kriege, sondern auch im Frieden vieler Kraft, damit sie denselben nicht schmähenden Mäulern preisgeben, sondern daß sie ihn mit Würde tragen und die Last des Kreuzes auf sich nehmen. Es gehört in der That eine große Kraft dazu, den Namen Christi zu tragen. Wer nämlich etwas Unwürdiges sagt, thut oder denkt, der trägt diesen Namen nicht, der hat Christum nicht in sich. Der Christusträger schreitet in feierlichem Aufzuge dahin, nicht über den Marktplatz, sondern durch den Himmelsraum, und Alles bebt in heiligem Schauer. Engel bilden das Geleite und sind in Staunen versunken.

„Ich danke Dem, der mir Kraft verliehen, unserm Herrn Jesus Christus.“ Man beachte, wie der Apostel auch für sein eigenes Verdienst Gott dankt! Er weiß ihm nämlich Dank dafür, daß er ein „Gefäß der Auserwählung“ ist. Aber Das ist ja deine Sache, heiliger Paulus! Gott sieht ja nicht auf die Person. Aber, sagt er, ich weiß ihm Dank, daß er mich dieses Dienstes gewürdigt hat. Denn Das ist mir ein Beweis dafür, daß er mich für treu erachtet. Denn gleichwie in einem Hauswesen der Verwalter dem Herrn nicht bloß dafür Dank weiß, daß er ihm die Verwaltung anvertraute, sondern wie Dieß auch als Beweis gilt, daß der Herr ihn für treuer hält als Andere: gerade so verhält es sich auch hier.

Ferner sehe man, wie der Apostel das Erbarmen und die Liebe Gottes preist, indem er einen Blick auf sein früheres Leben wirft! „Mich, der ich ein Lästerer war, ein Verfolger und Mißhandler.“ Wenn er von den noch ungläubigen Juden spricht, dann drückt er sich milde aus: „Ich gebe ihnen das Zeugniß,“ sagt er, „daß sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit Einsicht.“ Von sich selber aber sagt er: „Ich war ein Lästerer, Verfolger und Mißhandler.“ Siehst du, wie er sich erniedrigt, wie wenig er Eigenliebe hat, welch demüthige Gesinnung ihm innewohnt? Es genügte ihm nicht, einfach zu sagen, er sei ein Verfolger und Lästerer gewesen, sondern daß er Das in einem besonders hohen Grade gewesen sei. Ich blieb, will er sagen, in der Schlechtigkeit bei mir selber nicht stehen, ich war nicht zufrieden mit dem Lästern, sondern ich verfolgte auch noch Die, welche fromme Christen sein wollten. Die Lästerung wurde zur wilden Wuth.


II.

„Aber ich fand Erbarmen, weil ich unwissend handelte im Unglauben.“ Warum also fanden die anderen Juden kein Erbarmen? Weil sie nicht aus Unwissenheit, sondern mit Bewußtsein und vollem Verständniß thaten, was sie gethan. Und damit du dich davon vollständig überzeugst, höre den Evangelisten, wenn er sagt, daß „Viele von den Pharisäern und Juden zwar glaubten, aber den Glauben nicht bekannten. Sie liebten nämlich die Ehre bei den Menschen mehr als die Ehre bei Gott.“44 Und wiederum sagt Christus: „Wie könnt ihr glauben, da ihr Ehre von einander annehmet?“45 Und abermals heißt es: „Dieses sagten die Eltern des Blindgebornen wegen der Juden, damit sie nicht aus der Synagoge gestoßen würden.“46 Und die Juden selber hinwiederum sagten: „Sehet, wir richten Nichts aus, weil die ganze Welt ihm nachläuft!“47 Allenthalben quälte sie ja die Leidenschaft der Herrschsucht. Und doch sagten sie selber: „Niemand kann Sünden vergeben als Gott allein.“48 Und sofort that Christus, was sie für ein Zeichen Gottes erklärt hatten. Wo war aber zu jener Zeit Paulus? Vielleicht, könnte man behaupten, zu den Füßen Gamaliels, fern von dem Getriebe des großen Haufens. Gamaliel war ein Mann, der um der Herrschsucht willen Nichts that. Wie finden wir nun Paulus später unter dem großen Haufen? Er sah, wie das Christenthum wuchs und dann zur Herrschaft kam, und wie Alles ihm zuströmte. Zu Christi Lebzeiten schaarten die Leute bald sich um seine Person, bald um die Schriftgelehrten. Als sie sich aber gänzlich von diesen abgewandt hatten, da erst that Paulus, was er that, nicht aus Herrschsucht wie die Übrigen, sondern aus Eifer. Weßhalb reiste er denn nach Damaskus? Er hielt das Christenthum für eine faule Sache und fürchtete, die Predigt desselben möchte sich überallhin verbreiten. Anders die Juden. Nicht aus Rücksicht auf das Volk thaten sie Alles, sondern um der Herrschsucht willen. Man höre nur, wie sie sprachen: „Sie werden unser Volk und unsere Stadt verderben.“49 Welche Furcht war es, die sie erbeben machte? Menschenfurcht.

Übrigens ist der Punkt einer genaueren Betrachtung werth, wie Paulus, der genaue Kenner des Gesetzes, ein „Unwissender“ sein konnte. Er selber hat ja gesagt, daß „Gott das Evangelium in der Vorzeit durch seine Propheten verheissen hat.“50 Wie konntest also du, der Eiferer für das Gesetz der Väter, du als Schüler zu den Füßen Gamaliels sitzend, ein Unwissender sein? Männer, die auf Flüssen und Seen sich herumtrieben, und Leute von der Zollbank liefen herbei und nahmen den Glauben an, du aber, der Gesetzeskundige, übernimmst die Rolle eines Verfolgers? Deßhalb hat er über sich selbst das Urtheil gesprochen mit den Worten: „Ich bin nicht werth, ein Apostel zu heissen.“51 Deßhalb bekennt er sich zu einer Unwissenheit, welche ein Kind des Unglaubens war. Darum sagt er, daß er „Erbarmen gefunden“.

Was heißt: „Er hat mich für treu erachtet“? Der Apostel gab Nichts preis von Dem, was des Herrn ist. Er schreibt ihm Alles zu, auch sein Eigenes. Er eignete Gottes Ehre nicht sich zu. Höre, wie er auch anderwärts spricht: „Männer, warum hört ihr auf uns? Wir sind Menschen wie ihr.“52 Das heißt: „Er hat mich treu befunden.“ Und wiederum anderwärts: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“53 Und wiederum: „Er, der in uns das Wollen und Vollbringen bewirkt.“54 Der Apostel erklärt sich mit jenen Worten als strafwürdig; denn solche Leute sind es, welche des Erbarmens bedürfen. Und anderwärts spricht er wieder: „Blindheit war zum Theil in Israel; aber die Gnade Gottes war überströmend mit dem Glauben und der Liebe in Christo Jesu.“55 Wie steht es also damit? Wenn du von einem „Erbarmen“ hörst, so sollst du nicht an Das allein denken. „Ich war ein Lästerer, Verfolger und Mißhandler“ spricht der Apostel. Also war er auch strafwürdig. Aber die Strafe wurde nicht verhängt: „Ich fand Erbarmen.“ Aber hat es damit sein Bewenden und erstreckt sich das Erbarmen nur darauf, daß ihm die Strafe geschenkt wird? Keineswegs, sondern es sind noch gar viele andere und große Dinge damit verbunden. Denn nicht bloß von der drohenden Strafe hat uns Gott befreit, sondern er hat uns auch gerecht gemacht, hat uns zu Kindern gemacht, zu Brüdern. Freunden, Erben und Miterben (Christi). Deßhalb heißt es: „Die Gnade war überströmend,“ um anzudeuten, daß die Geschenke über das Mitleid noch hinausgingen. Denn so Etwas thut nicht Jemand, der bloß Mitleid hegt, sondern Jemand, der freundschaftliche Gesinnung hat, der zärtliche Liebe empfindet.

Nachdem nun der Apostel Vieles und Großes gesagt hat über die Barmherzigkeit Gottes, daß Gott mit ihm, dem Lästerer, Verfolger und Mißhandler, Erbarmen hatte, und daß er dabei allein nicht stehen blieb, sondern ihn noch vieler anderen Dinge würdigte, wendet er sich dann gegen den Einwand der Ungläubigen, gegen die Behauptung, daß die Willensfreiheit aufgehoben sei. Er fügt also bei: „Mit dem Glauben und der Liebe, die da ist in Christo Jesu.“ Darin allein besteht unsere Leistung will er sagen; wir haben geglaubt, daß Gott uns das Heil verleihen kann.


III.

Wollen wir ihn also lieben durch Christus! Was heißt Das: „durch Christus“ (διὰ Χριστοῦ)? Daß er es ist, welcher uns Das vermittelt, nicht das Gesetz. Siehst du, welche Güter uns durch die Vermittlung Christi zugeflossen sind, und welche durch die des Gesetzes? Auch hat der Apostel nicht einfach gesagt: „Die Gnade war in Fülle vorhanden (ἐπλεόνασεν), sondern: „sie war überströmend“ (ὑπερεπλεόνασεν). Und wahrhaftig, Das war ein Überströmen, wenn sie Menschen, welche zahllose Strafen verdient hatten, plötzlich zur Kindschaft (Gottes) hinführt! Man beachte ferner das Wörtchen „in“ (ἐν)! Es ist so viel wie „durch“ (διά). Nicht bloß Glauben ist nothwendig, sondern auch Liebe. Es gibt auch heutzutage noch Viele, welche an die Gottheit Christi glauben, aber ihn nicht lieben und die Werke der Liebe nicht ausüben. Wie wäre es möglich, da ihnen alles Andere lieber ist: Geld, Geburt, Schicksalsglaube, Beobachtung des Vogelfluges, Wahrsagereien und Augurien? Wenn wir aber durch unseren Wandel Gott Unehre machen, sage mir, was ist das für eine Liebe? Wenn Jemand einen Freund hat, den er warm und feurig liebt, so soll er wenigstens auch Gott so lieben, ihn, der seinen Sohn hingegeben hat für seine Feinde, obwohl wir gar kein Verdienst aufzuweisen hatten. Ja, was sage ich, ein Verdienst! Wir hatten die ärgsten Sünden begangen und uns die Frechheiten erlaubt ohne jede Ursache. Aber Gott hatte uns nach allen Wohlthaten und Liebesbeweisen auch jetzt nicht verworfen, sondern gerade jetzt, wo wir noch mehr Böses verübten, uns seinen Sohn geschenkt. Wir dagegen haben ihm trotz all des Guten, das wir ihm verdanken, nicht einmal die Liebe erwiesen, die man einem Freunde zollt. Welche Hoffnung bleibt uns noch? Ihr erschrecket über dieses Wort! Möchtet ihr über euere Werke erschrecken!

Und wie kannst du behaupten, erwidert man, daß wir Gott nicht einmal jene Liebe erweisen, die wir einem Freunde zollen? Wie ich Das behaupten kann? Ich will versuchen, es zu beweisen. Ich wünschte allerdings, daß meine Worte mehr ein leeres Gerede wären als eine begründete Behauptung. Aber ich fürchte, daß sie nur allzu richtig sind. Man sehe! Für Freunde, für wirkliche Freunde haben Viele nicht selten Verluste auf sich genommen; um Christi willen aber will man nicht nur keinen Verlust erleiden, sondern nicht einmal mit Dem, was man hat, zufrieden sein. Für Freunde haben wir uns oft beschimpfen und anfeinden lassen; Christi wegen aber will Niemand von einer Feindschaft Etwas wissen, sondern da heißt es: „Die Liebe ist umsonst, der Haß aber nicht.56 An einem hungernden Freunde werden wir nicht vorüber gehen; Christum aber, der uns täglich angeht, nicht um große Gaben, sondern bloß um Brod, lassen wir gar nicht zu uns, und zwar zu einer Zeit, wo wir übelriechende Dinge heraufrülpsen, breit und mit vollem Bauche daliegen, vom gestrigen Weine stinken, das Geld hinauswerfen theils an Huren, theils an Schmarotzer, theils an Schmeichler, theils für Schaubuden, Narren und Zwerge; denn auch solche Verirrungen der Natur werden zu einem Gegenstande des Vergnügens gemacht. Gegen Freunde, wahre Freunde empfinden wir niemals einen Neid, und ihr Glück veranlaßt keine Regung der Bitterkeit in uns; bei Christus aber passirt uns Das allerdings. Irdische Freundschaft zieht offenbar mehr als die Furcht Gottes. Auch der heimtückische und neidische Mensch hat mehr Respekt vor den Menschen als vor Gott. Wie so? Ich will es sagen! Obwohl nämlich Gott in’s Herz sieht, läßt er doch nicht ab von seinem Ränkeschmieden. Wenn ihn aber ein Mensch beobachtet, dann ist es aus, dann wird er roth. Warum ich Das sage? Zu einem Freund, der im Unglück ist, laufen wir herbei; und wenn wir nur ein wenig zögern, so fürchten wir, man möchte es uns übel nehmen; Christo aber, der oft im Gefängnisse stirbt, machen wir nicht einmal einen Besuch. Und zu treuen Freunden eilen wir hin, nicht weil sie treu, sondern weil sie Freunde sind.


IV.

Siehst du, wie Nichts aus Furcht Gottes geschieht oder aus Liebe zu ihm, sondern Alles zum Theil aus Freundschaft, zum Theil aus Gewohnheit. Wenn wir von einem Freunde Abschied nehmen, dann weinen und seufzen wir, und sehen wir ihn gar auf der Bahre, dann wehklagen wir, obschon wir wissen, daß er nicht ganz für uns verloren ist, sondern daß wir ihn bei der Auferstehung wiedersehen werden. Wenn aber Christus tagtäglich von uns Abschied nimmt oder vielmehr, wenn wir Christum tagtäglich fortjagen aus unserer Nähe, da empfinden wir keinen Schmerz, da glauben wir nichts Böses zu thun, indem wir ihn he leidigen, kränken, schmähen und thun, was er nicht haben will. Aber Das ist noch nicht so schauderhaft, daß wir ihn nicht einmal wie einen Freund behandeln. Ich werde beweisen, daß wir ihn sogar als Feind behandeln. Wie so? „Der Gedanke des Fleisches,“ sagt Paulus, „ist feindlich gegen Gott.“ Mit diesem Gedanken nun gehen wir fortwährend umher, Christum aber, der sich fortwährend uns nähern will und vor unsere Thüren kommt, verfolgen wir. Die bösen Werke nämlich sind diese Verfolger. Täglich lassen wir ihn mißhandeln durch unsern Geiz und unsere räuberischen Handlungen. Es wird Jemand als bedeutender Mann gepriesen, als guter Prediger, als Kirchenlicht: gleich beneiden wir ihn, weil er das Interesse Gottes fördert. Es scheint zwar, daß unser Neid diesem Manne gilt, aber er zielt auf Christus. Nicht doch, sagt man, sondern wir wünschen nur, daß diese Förderung nicht durch Andere, sondern durch uns geschehe. Also nicht durch Christus, sondern durch uns! Denn wenn durch Christus, so wäre es uns gleichgiltig, ob sie durch uns oder durch Andere geschieht. Sage mir, wenn ein Arzt ein Kind hat, das daran ist, zu erblinden, und er selber versteht es nicht zu kuriren, aber er findet einen Andern, der es kann, wird er Diesem sein Haus verschließen? Keineswegs, sondern er wird zu ihm sagen: Ob durch dich oder durch mich die Kur geschieht, ist gleichgiltig. Warum? Weil er nicht sein persönliches Interesse im Auge hat, sondern das des Kindes. Und so würden auch wir, wenn wir das Interesse Christi im Auge hätten, sagen: Mag es durch uns oder durch einen Andern gefördert werden! „Christus wird verkündet, sei es in Wahrheit, sei es zum Vorwand,“ sagt der Apostel.57 Höre, was Moses sagt zu Denen, die ihn aufreizen wollten, als die Anhänger des Eldad und Modad prophezeiten: „Ereifere dich nicht für mich! O daß Jemand es machen könnte, daß das ganze Volk zu Propheten des Herrn werde!“58 — Also diese Dinge haben sämmtlich ihre Quelle im Ehrgeiz. Ist Das nun nicht ein Gebahren, wie es Feinden und Gegnern (Gottes) zukommt? Einer hat dich geschmäht? Du sollst ihn lieben! Und wie ist Das möglich? Es ist möglich, ganz gut möglich, wenn du willst. Wenn du einen Lobredner von dir liebst, dann hast du kein Verdienst. Das thust du nicht um des Herrn willen, sondern um des Lobes willen. Es hat dir Einer Schaden zugefügt? Erweise ihm eine Wohlthat! Hast du einem deiner Wohlthäter eine Wohlthat erwiesen, so hast du nichts Großes gethan! Es wurde dir schweres Unrecht, schwerer Verlust zugefügt? Beeile dich, es mit dem Gegentheil zu vergelten! Ja, so wollen wir unseren Lebenswandel einrichten! Das lege ich euch an’s Herz. Hören wir auf, Unrecht zu thun und die Feinde zu hassen! Der Herr befiehlt uns Feindesliebe, und wir verfolgen ihn, unsern Freund! Gott bewahre, sagt man. Ja, mit Worten protestiren wir alle dagegen, mit den Thaten aber nicht. So groß ist die Verblendung der Sünde, daß, was in Worten unerträglich ist, in Thaten erträglich wird. Lassen wir endlich einmal, was unser ewiges Heil schädigt und vernichtet, damit uns zu Theil werde, was für die Freunde (Christi) bestimmt ist! „Ich will,“ heißt es, „daß, wo ich bin, auch meine Jünger seien, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“59 Diese möge uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Barmherzigkeit unsers Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater und dem hl. Geiste sei Lob, Macht und Ehre jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

Homilien über den ersten und zweiten Brief an Timotheus

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