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Vom Gefängnis des Ich in die Tyrannei des Selbst

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Doch abseits einer Überhöhung unserer Breitengrade sprechen wir hier auch vom selben Kulturkreis, der das Ekstatische seit mehreren Jahrzehnten immer massiver in seine Schranken weist. Soziologen orten eine „Überprivatisierung“ unserer Gesellschaft. Gemeint ist eine Leitkultur, in der jeder nur mehr er selbst sein soll, ja viel eher, regelrecht er selbst sein muss. Damit verbunden ist ein unhinterfragter Authentizitätskult, mit welchem wir jedem Freiraum entsagen, auch einmal jemand anderer sein zu dürfen. Starr und eingeengt im unverfälschten „wahren Selbst“ wird jedes Ausbrechen zum gesellschaftlichen No-Go.

Dabei avanciert die Verwirklichung des sogenannten „Selbst“ zur alles dominierenden Religion. Ob am Jakobsweg, beim Spirit Dance oder beim Tantra-Sex: Urlaub, Tanz oder Liebesspiel – alles nur mehr im Namen und auf Rechnung des Selbst. Der Philosoph Robert Pfaller betont in diesem Zusammenhang auch die Übervertrautheit, welche wir von unseren Beziehungen abverlangen. Andere nennen sie die „Tyrannei der Intimität“ [11]. Im Zuge dessen führt dieser Zwang, immer wahr und unverfälscht zu sein, schnell auch in eine wechselseitige Zementierung. Denn wir nehmen einander so jedweden persönlichen Entfaltungs- oder besser Spielraum.

Nehmen wir hier nun einen weiteren unhinterfragten Wert, nämlich „Gesundheit“ hinzu, dann erhalten wir eine mitunter fatale Mischung. Persönliches Wohlbefinden als höchstes Gut, verbunden mit der Verpflichtung zu permanenter Authentizität, machen uns hypersensibel und intolerant zugleich. Sie wirken mit an der Etablierung einer neumodischen Verbotskultur, welche Großstädte in George-Orwell-Utopien verwandelt. Rauchen, Trinken, Dicksein oder meinetwegen Nacktbaden – eine Welt, in der alles dem Rotstift zum Opfer fällt, macht uns vielleicht „sicherer“ oder „gesünder“, das Dasein jedoch erfährt eine beklemmende Einengung. Kein Wunder also, wenn Leute hier ausbrechen und in phantastische Wirkwelten auswandern. Doch egal wohin: Das allem zugrunde liegende Religiöse schleppen sie unbewusst mit. Das Resultat prägt das ganz und gar selbstbewusste Auftreten spirituell-esoterischer Selbstdarsteller: hyperauthentisch, aber nicht echt.

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