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Stamm-Kunden, Prosumer-Movements und Klientenreligionen

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – die Marke als Fanreligion

Beispielgebend für diesen Trend präsentiert sich zweifelsohne die Mac-Gemeinde. Wie kaum zuvor hat man es hier verstanden, eine Marke mit quasireligiöser Bedeutung aufzuladen. Natürlich finden wir auch hier die klassischen Instrumente der Produkt-Mythologisierung. Nicht umsonst spricht man von Apple, mit dem Symbol des angebissenen Apfels aus dem biblischen Paradies8, nicht von ungefähr erinnert das iPhone an Stanley Kubricks Stein der Weisen aus „2001: Odyssee im Weltraum“ [56], die Community-Zeitschrift nennt sich MacBIBEL [57], Steve Jobs stieg auf zum iGod, und laut Frankfurter Rundschau eint die Anhänger zudem auch das Einverständnis darüber, „dem richtigen Teil der Menschheit anzugehören“ [58]. Die religiöse Trickkiste ist den Werbefachleuten wohl immer noch die liebste.

Doch vor allem die Community selbst trug wesentlich dazu bei, dass sich der Börsenkurs in astronomische Höhen katapultierte. Und so versammelt man sich um etwas, was den Marx’schen Begriff des „Warenfetisch“9 radikal versinnbildlicht. Zum Insignium von Zugehörigkeit und Lifestyle über alle Grenzen hinweg wird – als könnte es nicht anders sein – ein Telefon. Stammestümelei wäre hierfür wohl das richtige Wort.

Mac-User aller Länder vereinigt euch! Was der Kommunismus niemals zuwege brachte, erleben wir hier in Form einer Art Fan-Religion. Nicht umsonst wird die Gefolgschaft des Apfels gerne als die „Apple-Jünger“ oder die „Mac-Gläubigen“ bezeichnet. Wenn Menschen tagelang vor einem Geschäft kampieren, nur um der neuesten technischen Errungenschaft teilhaftig zu werden, dann ist der „Fan“ nur die Vorstufe, „Fanatismus“ das Resultat10.

Sollte es also hier schon ein wenig nach Esoterik riechen, dann nicht ohne Grund. Denn das Macintosh-Imperium lebt auf seine ganz eigene Weise von der Energie seiner Gefolgschaft. Die User-Gemeinde ist es, die mit unzähligen selbst programmierten Apps und Features ein ganzes „Maciversum“ erschuf. Durch seinen eigenen Eifer bindet sich hier der User an das Logo. Jeder agiert als proaktiver Teil dieses technisch-ästhetischen Himmelreiches, einer Form von Techno-Religion. Die Community sonnt sich im Lichte ihres Labels.

Und sie missioniert – das Prosumer-Movement

Wurden Sie jemals von einem Windows-User zum Umstieg gedrängt? Vermutlich nicht, weil eben genau dieses religiöse Etwas die besondere Atmosphäre des Apple-Kosmos ausmacht. Das Kollektiv entwickelt Korpsgeist. Alle sind dabei und jeder empfindet sich als wichtig. Dabei wirkt man hier als Teil eines gemeinsamen Projektes. Gelebt wird die Markentreue. Je mehr Anhänger mitziehen, umso erfolgreicher die Unternehmung, desto erlösender die Teilhabe. Moderne Markenwelten verstehen sich zusehends als gemeinschaftlicher Werbefeldzug, eben als Prosumer-Movement.

Doch was hat das Ganze mit dem Markt des Spirituellen zu tun? Selbst wenn wir explizit von der Vermarktung vordergründig rein materieller Güter sprechen, handelt es sich stets um einen ganzheitlichen Akt, der damit einhergeht. Denn der Käufer, Kunde oder User dehnt sein Selbstverständnis über das Konsumgut hinaus aus. Er vereinigt sich gewissermaßen mit alledem, was er auf das Objekt seiner Begierde projiziert. Esoterisch gesprochen verschmilzt er mit dessen Aura11. Das Erzeugnis wird ein Teil seines Selbst- oder besser Identitätsmodells [59] und verbindet ihn so wiederum mit einer weiteren Dimension. „Get connected“, lautet die Devise. Dabei erfährt man so etwas wie Verbundenheit und vernetzt sich vor allem geistig mit weiteren Protagonisten dieser Sphäre. Der rein physische Akt des Produkterwerbs bildet demnach nur eine Seite der Medaille. Als ausschlaggebend präsentiert sich eben nicht nur die materielle Ebene, sondern auch die rituelle. Und deren Erfahrungsschatz geht, wie wir noch sehen werden, weit über das rein Symbolische hinaus.

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Markendesigner verfolgen gerne die Strategie der Produktmythologisierung. Das Erzeugnis wird dabei mit übernatürlicher Bedeutung ausgestattet. Der Konsument kann über sein eigenes Engagement am Glanz des Produktes teilhaben. Die gemeinsame Mission für die Marke formt die User zu einer Art „Gemeinde“.

Wir handeln spirituell – der Markt als Schauplatz des Religiösen

Beobachten wir uns einmal selber im Kaufhaus: Auch ganz ohne meditative Innenschau kann jeder an sich selbst wahrnehmen, welchen Einfluss die wohlarrangierten sinnlichen Reize auf unsere Befindlichkeit ausüben. Auch wenn es sich vielleicht nur um die Ausschüttung neurochemischer Botenstoffe handelt, Lifestyle-Shopping, gelebte Markenkulte und das Mitwirken in User-Communitys gehen uns wortwörtlich unter die Haut. Denn sie provozieren spürbare innere Sensationen.

Nicht von ungefähr wird hier vom Shopping-Erlebnis gesprochen. „Marketing spüren“ [60] lautet folgerichtig ein Buchtitel des Wiener Marketing-Insiders Christian Mikunda. Der „Vordenker der Erlebniswirtschaft und Begründer der Strategischen Dramaturgie“ bringt nahe, „warum wir uns Gefühle kaufen“ [61]. Kaum zufällig erfahren bei Mikunda die Sieben Todsünden des Christentums eine erlösende Sublimierung. Hochmut wird zu „Glory“, aus Wollust erwächst „Intensity“ – beide auch Zielobjekte der spirituellen Sinnsuche. Der Autor spricht definitiv von leiblich-energetischen Phänomenen.

Ob wir nun wollen oder nicht, wir frönen vielleicht dem Materialismus, aber dennoch leben wir in einer durch und durch „verspiritualisierten“ Welt. Das Universum des Kapitalismus ist der Markt, man tanzt um den Warenfetisch, der Kaufrausch fungiert als Ekstaseritus der Postmoderne. Der „Markt“ dient dabei nicht als bloßer Religionsersatz. Er entpuppt sich bei näherer Betrachtung vielmehr als Projekt unserer „Wieder-Anbindung“ (von lateinisch: re-ligare). Er offenbart sich als Schauplatz einer Art fühl- und lebbaren Religiosität.

Konsum goes Spirit – vom Prosumer-Movement zur Klientenreligion

Ob nun bewusst inszeniert oder nicht: Das spirituelle Feeling wohnt modernen Warenkulten bereits inne. Labels wie Apple und Co. mögen dem kritischen Beobachter vielleicht schon ein wenig pseudoreligiös und zu abgehoben erscheinen. Doch eines sei an dieser Stelle festgehalten: Hier präsentiert sich diese geistige Ebene von Zugehörigkeit und Energietransfer immer noch in Verbindung mit einem Referenzobjekt: einem konkreten Ding, einem Produkt oder einer Dienstleistung mit einem vielleicht fragwürdigen, aber dennoch konkreten Nutzen in dieser Welt.

Doch was passiert, wenn wir dieses Geistige komplett von jeder materiellen Verwendbarkeit entkoppeln? Was erwartet uns, wenn nicht mehr das Produkt in unseren Händen, sondern Spiritualität selbst, ganz ohne diesseitigen Sinn und Zweck, zum alleinigen Verbrauchsartikel mutiert? Was geschieht, wenn wir die Ballonschnur durchschneiden? Dann steigen wir auf in die Dimension des frei schwebenden spirituellen Mehrwerts. Genau hier tummeln sich haufenweise Anbieter, die es hervorragend verstehen, aus purem Nichts bares Geld zu machen. Das Prosumer-Movement transformiert sich zu dem, was Hartmut Zinser [62] passend als „Publikums- oder Klientenreligionen“ identifiziert. Spiritualität wird zum bloßen Konsumgut, das Unsichtbare zur käuflichen Ware für die Massen. Und so erleben wir die logische Weiterentwicklung eines Zeitgeistes, in dem immer mehr Geld für immer weniger ausgegeben wird.

„If less is more, maybe nothing is everything“ (Rem Koolhaas) [63]. Es ergeht uns wie Manuel, bis letztendlich nichts mehr übrig bleibt. „Money for nothing.“

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Das in modernen Warenwelten bewusst provozierte, quasireligiöse Empfinden erfährt am Markt des Spirituellen eine Art Loslösung von allem Irdischen. Bar jeden Nutzens im Diesseits zählt hier rein der spirituelle Mehrwert. Ohne materielle Grundlage ist dieser beliebig potenzierbar. Und so wird mit gar nichts sehr viel Geld gemacht.

„Die Betreiber dieser Schule kassieren vielleicht mal an diesem Nachmittag … nur Pi mal Daumen … an die 400.000 Euro“, beteuert der Aussteller.

Seine Augen leuchten dabei wie die eines Kindes vorm Christbaum. Er wirkt aufgeputscht, angereichert mit zu viel Business und Hochgefühl. So viel, dass sein Mitteilungsbedürfnis mit ihm durchgeht. So high, dass er den Audiorekorder in meinen Händen nicht bemerkt.

„400.000 Euro … habe ich mich verhört? Ich verstehe nicht – wie soll das gehen?“, hake ich kopfschüttelnd nach.

„Das ist Esoterik, mein Freund (…). Kein Akademiker, der ein bisschen Vernunft im Kopf hat, kann das verstehen!“

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