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Guru war gestern

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Doch es sind eben nicht die herkömmlichen Guru-Kulte und Sekten, die zum einträglichen Business werden. Zu viel Aufwand, zu viel Publicity und zu viele lästige Anhänger brächte ein Sektierertum alter Schule mit sich. Die Kasse würde vielleicht stimmen, doch wer will schon gerne tagelang im Schneidersitz verharren, sich den Bart in die Suppe hängen lassen und den Guru markieren? So etwas bedeutet harte Arbeit. Fortwährendes meditatives Training, Chi Gong, stundenlanges Chanten von betörenden Mantren, den ganzen Tag barfuß herumlaufen, überall Räucherstäbchen und tagein tagaus dröhnende Sitar-Klänge: Das geht an die Substanz. Immerzu müsste man seine Schäfchen im Zaum halten, nur um dann womöglich noch von lästigen Reportern bloßgestellt zu werden. Und das vielleicht noch komplett in Weiß oder Orange gekleidet, wer will das schon?

Die Religionsschaffenden von heute gehen andere Wege. Ausgesprochen elegant finden sich diese in unserem „Brand Yourself“-Zeitgeist zurecht. Liefert doch dieser ein Milieu, in dem Bedeutung und Image vom Kunden selbst erworben werden. Die hieraus resultierende Eigenmarke erweist sich dabei als Produkt unserer Kauf- und Konsumationsentscheidungen. Eine so passfertig zurechtgezimmerte Ich-AG versorgt ihren Konstrukteur mit einer neuen, glanzvollen Einhausung, sein Ego erfährt so etwas wie Aufladung. Ob nun spirituell oder mit Mausklicks, die Pflege und Vermarktung des Selbst sind im wahrsten Sinne des Wortes selbstverständlich. Und ehe wir uns versehen, landen wir im Kultischen. Denn wo weniger das „Wahre“, sondern vielmehr die „Ware Selbst“ zum Verkaufsartikel aufsteigt, avanciert eben dieser sorgfältig auswählende Konsument zum aktiv miterschaffenden User. Bekanntlich hat sich der Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt.

Sehr treffend hat hier der Internet-Papst und Chefredakteur von Wired [54], Chris Anderson, vor wenigen Jahren den sogenannten „Prosumer“ [55] wieder ins Spiel gebracht. Schließlich holen die Marken von heute den kleinen Mann mit ins Boot. Die bloßen Konsumenten von einst wandeln sich demnach zu arbeitswilligen Produzenten. Man selbst wird bedeutsam. Der User macht sich „useful“. Er empfindet sich als integraler Bestandteil eines größeren Prozesses und gestaltet diesen eigenmotiviert mit. Foren, Chatrooms und User-Conventions sind die wichtigen Identitäts-Tauschbörsen. Dabei steigt der eigene Marktwert mit zunehmender Selbstprofilierung im Virtuellen. Der Prosumer erlebt folglich nicht nur eine Art spürbaren Anschluss an ein größeres Ganzes, sondern erst durch ihn, mit ihm und in ihm nimmt das Konsumierte Gestalt an. Als Medium für diesen Energiefluss dient das Internet, doch gespeist wird das Treiben durch die Strahlkraft einer starken Marke, in deren Namen man sich engagiert. „In hoc signo vinces“7, ob nun als Siegeszeichen bei Kaiser Konstantin, auf einer Zigarettenschachtel oder in Form eines leuchtenden Emblems auf der Rückseite eines Notebooks: Man wirkt im Zeichen des Labels.

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Moderne Marken beliefern den Kunden nicht nur mit Produkten, sondern laden diesen ein, sich an einer Art „Marken-Welt“ zu beteiligen, sich zu engagieren. Als aktiver Mitgestalter derartiger „Brandlands“ erfährt der User Bedeutsamkeit. Zum Verkauf stehen nicht nur Waren, sondern vor allem auch Sinn und Identität.

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