Читать книгу Eine neue Wirtschaft - Johannes Gutmann - Страница 12
Die kapitalistische Monsterwirtschaft schafft die Bürger allmählich ab und ersetzt sie durch Konsumenten
ОглавлениеNach Jahrhunderten der Revolutionen, Demonstrationen und Aufstände, nach Kriegen und menschlichen Katastrophen, entstanden im 20. Jahrhundert endlich Demokratien, in denen Rede- und Meinungsfreiheit herrscht und Menschen als freie und gleichberechtigte Bürger zusammenleben. Diesen Status zu erreichen, entspricht auch ganz dem Sinn der Wirtschaft: Sie ermöglicht den Wohlstand und die Infrastruktur, die für eine funktionierende Demokratie notwendig sind.
Doch die kapitalistische Monsterwirtschaft hat diesen Sinn verloren. Immer weiter lassen wir wirtschaftlichen Interessen den Raum, unser Privatleben zu bestimmen. Wir sind gern dazu bereit, unsere Privatsphäre aufzugeben und den Marktplatz in unser Wohnzimmer zu verlegen, wenn wir dafür mit wenigen Klicks bei Amazon bestellen und uns mit unseren Facebook- oder Instagram-Freunden unterhalten können.
Der Preis dafür wird uns immer bewusster. Konzerne wie Google, Apple oder Facebook wissen mittlerweile alles über uns. Sie analysieren, was wir kaufen, welche politische Gesinnung wir haben, ob wir gesund leben oder mit wem wir eine Beziehung führen. Daten werden zur neuen Weltwährung.
In ihrem Buch Himmlisch frei beschäftigt sich die Journalistin und Theologin Renata Schmidtkunz mit Kunstwerken vornehmlich osteuropäischer Künstler. Sie hatten zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer ihren Schock über die neuen Verhältnisse in ihren Bildern verarbeitet. Mit der »westlichen Welt« konnten sie wenig anfangen.
»Ein Kunstwerk blieb mir besonders in Erinnerung«, schreibt Schmidtkunz. »Auf einer weißen Wand waren mit einer einfachen schwarzen Linie zwei menschliche Figuren gemalt. Eine stand aufrecht und hielt, offensichtlich demonstrierend, ein Schild hoch. Darunter stand geschrieben: Citoyen (Bürger). Aber das Wort war durchgestrichen. Daneben stand eine zweite Figur, gebeugt, mit hängenden Armen, links und rechts mit schweren Einkaufstaschen behängt. Darunter stand das Wort: Consumer (Konsument).«
Der Begriff Citoyen war nach der französischen Revolution 1789 in Mode gekommen. Er beschrieb die neue Rolle des Menschen, der im Geiste der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Bürger bezahlten Steuern, im Gegenzug garantierte ihnen der Staat grundlegende Freiheits- und Mitbestimmungsrechte. Damals, am Ende des 18. Jahrhunderts, war das eine gewaltige Neuerung.
Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel glaubte, dass der Mensch als freier Bürger die höchste Stufe seiner Existenz erreicht hatte. Dass Menschen gleichberechtigt und gerecht nebeneinander leben konnten, war demnach die höchste Errungenschaft, die erstmals durch den Citoyen geleistet wurde.
Heute wurde der Citoyen allerdings durch den Konsumenten abgelöst. Der Wert, den jemand für die Gesellschaft hat, ergibt sich aus seiner Effizienz und seinem Reichtum. Oberflächliche und materielle Symbole sind wichtiger geworden als politische Meinungen.