Читать книгу Verfall und Triumph: Gedichte - Johannes Robert Becher - Страница 10
Verfall
ОглавлениеUnsere Leiber zerfallen,
Graben uns singend ein:
Berauschte Abende wir,
Nachtsturm- und meerverscharrt.
Heißes Blut vertrocknet,
Eitergeschwür verrinnt.
Mund, Ohr, Auge verhüllet
Schlaf, Traum, Erde, der Wind.
Gelblich träger Würmer
Enggewundener Gang.
Pochen rollender Stürme.
Wimpern, blutrot lang.
. . . „Bin ich zerbröckelnde Mauer,
Säule am Wegrand, die schweigt?
Oder Baum der Trauer,
Über den Abgrund geneigt?“ . . .
Süßer Geruch der Verwesung,
Raum, Haus, Haupt erfüllend.
Blumen, flatternde Gräser.
Vögel, Lieder, quillend.
„Ja —: verfaulter Stamm . . .“
Schimmel. Geächz. Gestöhn.
Unter wimmelnder Himmel Flucht
Furchtbarer Laut ertönt:
Pauke. Tubegedröhn.
Donner. Wildflammiges Licht.
Zymbel. Schlagender Ton.
Trommelgeschrill. Das zerbricht. —
Der ich mich dir, weite Welt,
Hingab, leicht vertrauend,
Sieh, der arme Leib verfällt,
Doch mein Geist die Heimat schaut.
Nacht, dein Schlummer tröstet mich,
Mund ruht tief und Arm.
Heller Tag, du lösest mich
Auf in Unruh ganz und Harm.
Daß ich keinen Ausweg finde,
Ach, so weh zerteilt!
Blende bald, bald blind und Binde.
Daß kein Kuß mich heilt!
Daß ich keinen Ausweg finde,
Trag wohl ich nur Schuld:
Wildstrom, Blut und Feuerwind,
Schande, Ungeduld.
Tag, du herbe Bitternis!
Nacht, gib Traum und Rat!
Kot, Verzerrung, Schnitt und Riß —
Kühle Lagerstatt . . .
Alles muß noch ferne sein,
Fern, o fern von mir —
Blüh empor im Sternenschein,
Heimat, über mir!
Einmal werde ich am Wege stehn,
Versonnen, im Anschaun einer großen Stadt.
Umronnen von goldener Winde Wehn.
Licht fällt durch der Wolken Flucht matt.
Verzückte Gestalten, in Weiß gehüllt . . .
Meine Hände rühren
An Himmel, die von Gold erfüllt,
Sich öffnen gleich Wundertüren.
Wiesen, Wälder ziehen herauf.
Gewässer sich wälzen. Brücken.
Gewölbe. Endloser Ströme Lauf.
Grauer Gebirge Rücken.
Rotes Gedonner entsetzlich schwillt.
Drachen, Erde speiend.
Aufgerissener Rachen, die Sonne brüllt.
Empörung. Lachen. Geschrei.
Verfinsterung. Erde- und Blutgeschmack.
Knäuel. Gemetzel weit . . .
. . . „Wann erscheinest du, ewiger Tag?
Oder hat es noch Zeit?
Wann ertönest du, schallendes Horn,
Schrei du der Meerflut schwer?
Aus Dickicht, Moorgrund, Grab und Dorn
Rufend die Schläfer her?“ . . .