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Vorwort des Herausgebers

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Dem Besucher, der Johannes Schells Arbeitszimmer betrat, bot sich ein ungewöhnlicher Anblick: Umgeben von Bücherregalen und technischen Geräten modernsten Zuschnitts stand eine Hobelbank, an den Wänden hingen Regale mit Schreinerwerkzeugen. Man hätte meinen können, bei einem Handwerker statt bei einem Philosophen zu Gast zu sein. Diese Einrichtung war sprechend: Solide wie eine handwerkliche Arbeit sollte auch die geistige Arbeit sein. Das war die Ansicht von Dr. Johannes Schell, der neben seinem Beruf als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Geographie philosophische Studien trieb, sich mit Architektur und Mathematik befasste und einige Bühnenstücke schrieb.

Die Liebe zur Literatur zeichnete bereits den Schüler und Studenten aus. Als Siebzehnjähriger verfasste er sein erstes Drama – über Napoleon. Den Studenten drängte es nach einer Begegnung mit einem großen Literaten, die ihm Thomas Mann, der damals noch in München lebte, gewährte. Innerhalb von drei Jahrzehnten entstanden eine Reihe von Schauspielen, von denen eines - aus dem Jahre 1940 - Thomas von Aquin zum Gegenstand hat; es trägt den Titel „Die Rast am Quell“. Hier berührt die Dichtung die Philosophie, die nun vor allem die Aufmerksamkeit Johannes Schells auf sich zog. Nach dem Kriegsende 1945 notiert er Betrachtungen zur Sprache. Wann er zum ersten Mal Grundzüge seiner späteren Philosophie entwickelte, ist nicht klar bestimmbar. Ein erster erhaltener Entwurf dazu trägt schon den Titel „Aktologie“, der die besondere Wendung seines Philosophierens zum Ausdruck bringt. Er ist nicht datiert. Parallel zu seiner Berufstätigkeit arbeitete Johannes Schell an seinen philosophischen Gedanken. Zeit, sie angemessen auszuarbeiten und zusammenzufassen, fand er aber erst nach seiner Pensionierung Ende der siebziger Jahre. Ein volles Jahrzehnt nahm diese Arbeit in Anspruch, deren Abschluss aber Krankheit und der Tod 1990 verhinderten. Mitte der achtziger Jahre lag bereits ein vollständiges Manuskript von 800 Seiten vor, das Johannes Schell aber verwarf und vernichtete. Es störte ihn der voluminöse Umfang. Es gab aber wohl auch innere Gründe, die ihn zu diesem radikalen Schritt veranlassten. Die Arbeit und die Welt des Denkens wuchsen mit ihm, und er sah immer neue Aspekte, die er noch berücksichtigen und vertiefen wollte. Man merkte ihm an: Was ihn bewegte, war kein abstraktes Gedankengebäude, sondern eine lebendige und reale Welt, in die er sich hineinarbeitete und deren Fülle er gedanklich angemessen fassen wollte; das jeweils Niedergeschriebene erschien ihm immer noch nicht gut genug.

Auch der hier veröffentlichte Entwurf war bis zu einem gewissen Abschluss gediehen, als Johannes Schell zu einem neuen Anlauf Anstalten machte. Zum Glück war der Neubeginn diesmal nicht so radikal, sondern beschränkte sich auf zwei Kapitel, die er dem letzten Drittel des Manuskriptes einfügte – Wichtiges nochmals zusammenfassend und Neues ergänzend. Es sind dies die Kapitel 55 und 56. Diese Überarbeitung des zweiten Entwurfs wurde durch die einsetzende Erkrankung bald gelähmt und beendet. So ist das, was uns hier vorliegt, ein Torso.

Warum nun die Veröffentlichung eines nicht abgeschlossenen Manuskriptes? Dafür gibt es drei Gründe: Zum einen ist die Arbeit weit genug gediehen, um die Zielsetzung klar erkennen zu können. Zum anderen handelt es sich um das Lebenswerk eines ungewöhnlichen Mannes. Entscheidend aber ist der dritte Grund: Das, was trotz aller Vorläufigkeit vorliegt, ist bedeutsam genug, einem größeren Publikum vorgestellt zu werden.

Wir berühren damit die Frage nach der Besonderheit dieser „Philosophie des Denkens.“ Der Untertitel verweist auf „Erfahrungen mit der Philosophie Rudolf Steiners“; d.h. es wird von „Erfahrungen“ gesprochen. Damit nennt Johannes Schell eine Methode, die Rudolf Steiner zur Grundlage und zum Grundstein seiner Philosophie machte: Das Prinzip der Erfahrung, der Beobachtung sollte in die scheinbar nur logische und nur rationale Welt der Philosophie eingebracht werden. Anstelle von logischen Konstruktionen sollten Erfahrungen treten, Erfahrungen des Denkens – eine bis heute jedem Schulphilosophen suspekte Angelegenheit, auch wenn 1989 in Wolfgang Stegmüllers „Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie“ Bd. IV, Stuttgart 1989, S. 161 zum ersten Mal ein analoger Begriff in einer Philosophiegeschichte auftauchte: „Empirischer Vorstoß ins Normative und Transzendente“ (John L. Mackie). Zum anderen ist die Rede von „Erfahrungen mit der Philosophie Rudolf Steiners“. Beide Komponenten sind von Bedeutung; die erste macht deutlich, dass es sich weder um ein philosophisches System noch um Gedanken handelt, die allein logischem Nachdenken entsprungen sind und nur durch dieses geprüft werden können; die zweite zeigt, was diese Arbeit von Johannes Schell nicht ist: eine systematische Darstellung der Philosophie Rudolf Steiners. Eine solche Darstellung war nicht die Absicht Johannes Schells. Dies dürfte – ich kann es nur vermuten – darin begründet sein, dass Johannes Schell seine Art zu philosophieren wohl schon entwickelt hatte, bevor er mit den Schriften und dem Werk Rudolf Steiners bekannt wurde. Und Steiners Schriften waren ihm zunächst auch keine Hilfe. Johannes Schell tat sich besonders mit den Darstellungen schwer, die von geistigen Inhalten handelten, da er diese Inhalte nicht einfach als Mitteilungen hinnehmen konnte. Er wollte wissen, wie ein Mensch in unserer Zeit von solchen Dingen so reden konnte. So griff er zu Steiners philosophischen Schriften – in der Annahme, hierin etwas zu haben, was er mit rein philosophischen Mitteln nachprüfen konnte. Er prüfte energisch; denn er hatte sich vorgenommen, Steiner zu widerlegen, kam aber zu dem Ergebnis, dass ihm dies nicht möglich war. Denn auch Steiner theoretisierte nicht, sondern baute seine Philosophie auf Erfahrungen im Umgang mit dem Denken auf.

Wie Rudolf Steiner entwickelte auch Johannes Schell eine Philosophie, die philosophische Probleme nicht nur rational lösen, sondern zu den Grundlagen der Ratio vordringen will. Diese Grundlagen werden empirisch durch Beobachtung und Analyse der Denkakte erschlossen, deren erkenntnistheoretische und logische Bedeutung untersucht wird. Die Methodik dieser Philosophie des Denkens und der Denkakte führt in die Welt des reinen Denkens hinein und erhellt geistige Realitäten, in denen Logik und Wirklichkeit wurzeln. Ihre Verbindung, die die neuzeitliche Philosophie immer mehr verloren hat, wird so wieder deutlich. Heidegger, der ähnliche methodische Wege einschlug, nannte seine Philosophie eine Fundamentalontologie. Bei Johannes Schell und Rudolf Steiner müsste man von der Einheit einer Fundamentalontologie und einer Fundamentallogik sprechen, denn beide zeigen, dass Logik und Wirklichkeit eine gemeinsame Wurzel haben, was nur allzu leicht verkannt wird. Die Welt des Denkens bildet die Wirklichkeit nicht ab, sondern schafft ihre Grundlage. So wird verständlich, warum die vorneuzeitlichen Philosophien an dieser Stelle mit dem Gottesbegriff oder mit Begriffen von Göttern gearbeitet haben und warum diese Begriffe in der Neuzeit verschwinden mussten. Aber ebenso wird deutlich, wie sie wieder eine zeitgemäße Erneuerung erfahren können, ohne eines traditionellen Glaubens zu bedürfen, der sie nicht stützen kann, sondern umgekehrt einer Stütze bedarf. Hier liegt die besondere Bedeutung dieser Philosophie. Sie überwindet die Jahrhunderte alte Trennung von „Sein“ und „Bewusstsein“ und gibt den großen Bemühungen der Philosophiegeschichte, die heute Gefahr laufen, nur als geistreiche, aber müßige Geschäfte betrachtet zu werden, ihre existenzielle und weltgeschichtliche Bedeutung zurück, weil deutlich wird, dass das Erkennen keine Privatveranstaltung, sondern ein Vorgang der Weltgeschichte und der Evolution des Menschen ist. Wir leben in einer Wahrheitswelt, aus der wir uns und unsere Welt bestimmen. Diese Welt erweist sich als eine unbezweifelbare geistige („übersinnliche“) Realität, aus der wir immer leben und denken - sowohl im Irrtum wie in der Wahrheit -, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Sie liegt allen unseren Begriffsbildungen zugrunde und begründet all unsere Werte. Diese Werte sind in den letzten beiden Jahrhunderten verlorengegangen, weil die Anbindung dieser Begriffsbildungen – zu denen selbstverständlich auch die ethischen Werte gehören – an diese Wahrheitswelt verloren gegangen ist. An ihre Stelle traten Ideologien, Nationalismen und Fanatismen aller Art, die das soziale Leben untergraben und zerstört haben. Johannes Schell gelingt es, durch eine tiefgehende Analyse des Erkenntnisaktes diese Verbindung wiederherzustellen und neu zu beleben. Ebenso erlebt der Erkennende, dass ihn ein solcher Umgang mit Philosophie verändert. Er erlebt die Grundkräfte des Menschseins, die sowohl in der Evolution als auch in ihm selbst tätig sind - und die er in die Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens einbringen muss, wenn der Weg zu einer humanen Gesellschaft eingeschlagen oder beibehalten werden soll. Eine solche Philosophie erörtert nicht nur die philosophischen Gedanken des Humanen, sondern legt die realen Kräfte der Humanitas frei, die in den Denkakten und im Denken erfahren werden können. Sie darf daher als eine der bedeutendsten Leistungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts gelten.

Johannes Schell versteht sich damit auf dem Gedankenweg, den Rudolf Steiner eingeschlagen hat; ihn möchte er fortführen. Er folgt damit der tiefsten philosophischen Intention Rudolf Steiners – nämlich die Möglichkeit einer empirischen Wissenschaft vom Geiste zu zeigen und zu begründen. Rudolf Steiner nannte diese Wissenschaft vom Geiste „Anthroposophie“. Sie stellt substanziell etwas anderes dar als das, was man heute Geisteswissenschaft zu nennen gewohnt ist. Die Begründung einer solchen Wissenschaft war das große Anliegen der Philosophie Rudolf Steiners. Er wurde nicht müde, auf diese Bedeutung seiner Philosophie hinzuweisen, insbesondere seiner „Philosophie der Freiheit“, die aus dieser Methode hervorgegangen ist. Sein Lebenswerk zeigt immer wieder die Hinwendung zur Philosophie; bis ins Jahr 1916 arbeitete er an Werken rein philosophischen Inhalts. Und in einer rein geisteswissenschaftlichen Schrift gibt er sogar den auf den ersten Blick schwer verständlichen Hinweis, dass jemand, der einen sicheren Weg in die geistige Welt suche, diesen in seiner „Philosophie der Freiheit“ finde:

„Es ist der Weg, welcher durch die Mitteilungen der Geisteswissenschaft in das sinnlichkeitsfreie Denken führt, ein durchaus sicherer. Es gibt aber noch einen anderen, welcher sicherer und vor allem genauer, dafür aber auch für viele Menschen schwieriger ist. Er ist in meinen Büchern «Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» und «Philosophie der Freiheit» dargestellt. Diese Schriften geben wieder, was der menschliche Gedanke sich erarbeiten kann, wenn das Denken sich nicht den Eindrücken der physischsinnlichen Außenwelt hingibt, sondern nur sich selbst. Es arbeitet dann das reine Denken, nicht das bloß in Erinnerungen an Sinnliches sich ergebende in dem Menschen, wie eine lebendige Wesenheit. Dabei ist in den genannten Schriften nichts aufgenommen aus den Mitteilungen der Geisteswissenschaft selbst. Und doch ist gezeigt, dass das reine, nur in sich arbeitende Denken Aufschlüsse gewinnen kann über die Welt, das Leben und den Menschen. Es stehen diese Schriften auf einer sehr wichtigen Zwischenstufe zwischen dem Erkennen der Sinnenwelt und dem der geistigen Welt. Sie bieten dasjenige, was das Denken gewinnen kann, wenn es sich erhebt über die sinnliche Beobachtung, aber noch den Eingang vermeidet in die Geistesforschung. Wer diese Schriften auf seine ganze Seele wirken lässt, der steht schon in der geistigen Welt; nur dass sich diese ihm als Gedankenwelt gibt. Wer sich in der Lage fühlt, solch eine Zwischenstufe auf sich wirken zu lassen, der geht einen sicheren Weg; und er kann sich dadurch ein Gefühl gegenüber der höheren Welt erringen, das für alle Folgezeiten ihm die schönsten Früchte tragen wird.“ (Rudolf Steiner, Geheimwissenschaft im Umriss, Dornach 68. Auflage 1968, S. 343f.)

In der Vorrede zur 3. Auflage der «Theosophie», die 1910 erschien, heißt es: „Wer noch auf einem anderen Wege die hier dargestellten Wahrheiten suchen will, der findet einen solchen in meiner «Philosophie der Freiheit».“

Bei der Lektüre von Johannes Schells Arbeit erkennt man, dass diese Bemerkung wohl begründet und berechtigt ist, auch wenn Johannes Schell nicht direkt auf sie hinweist. Johannes Schell ist den gleichen Weg wie Rudolf Steiner gegangen – und hat dabei immer mehr dessen Größe erkannt. So war aus dem Kritiker ein Weggefährte geworden, der dann sogar seine Eigenständigkeit in den Dienst des Größeren stellte. Rudolf Steiner wollte die Probleme der Philosophie nicht durch theoretisches Nachdenken lösen, sondern das Denken auf einen experimentellen Weg bringen, der zur geistigen Erfahrung führt. Und bei dieser geistigen Erfahrung handelt sich nicht um ein persönliches „mystisches“ oder „esoterisches“ Erleben, sondern um eine übersubjektive Grundlegung aller Erkenntnis und Welterfahrung; sie bildet die Grundlage aller Philosophie und aller Wissenschaft. Dies arbeitet Johannes Schell akribisch und minutiös heraus.

Das, was Rudolf Steiner die „Anschauung des Denkens“ nannte, wurde für Johannes Schell zum entscheidenden Erlebnis und zum Schlüssel für sein eigenes philosophisches Arbeiten. Hier war ein Quellpunkt und ein Zentrum gewonnen, mit dem er und um das er seine Erfahrungen ordnen konnte. Sie gehen, was die Beobachtung des Denkens betrifft, über das hinaus, was Steiner in seinen philosophischen Werken beschrieben hat. Und es hat nicht an scheinbar wohlmeinenden Ratschlägen gefehlt, diese Einsichten doch ohne Bezug auf Rudolf Steiner als selbstständige und eigene Philosophie zu veröffentlichen. Es gehört zur Charaktergröße von Johannes Schell, dieser Versuchung widerstanden zu haben. So liegt uns nun ein Werk vor, das einerseits eigenständige philosophische Elemente enthält, zum anderen aber den philosophischen Weg Rudolf Steiners als den eigenen erkennt und anerkennt.

Johannes Schells Buch wendet sich an ein anthroposophisches Publikum, das die wissenschaftlichen Grundlagen der Möglichkeit einer Geisteswissenschaft sucht. Es richtet sich an Philosophen, die die philosophische Wende, die von Steiner, Husserl, Heidegger, Gadamer und Wittgenstein – auf ganz unterschiedliche Weise – vollzogen wurde, anerkennen und fortführen wollen. Es bietet Logikern ein Hilfe, die die Grundlagen der Logik erforschen möchten. Vor allem aber wendet es sich an jeden Menschen, der nicht bewusstlos vor sich hinleben möchte, sondern Aufklärung wünscht über die gewaltige Gabe der Evolution, auf deren Anwendung niemand verzichten kann – sei seine Tätigkeit auch noch so simpel – und die doch so häufig und so entsetzlich verkannt wird: das menschliche Denken. Es ist das Janusgesicht der Evolution: kalt, schattenhaft und blass auf der einen Seite, auf der anderen der Quell der Wahrheit, des Lebens und der Wirklichkeit, die ewige Weltenachse des Seins und Werdens. Johannes Schell hat wie kein zweiter in dem zu Ende gegangenen Jahrhundert es verstanden, diese Lichtseite des Denkens zu erforschen und zu beschreiben.

Johannes Schell hat für seine Darstellung die mündliche Rede gewählt; er spricht seine Leser wie ein Publikum an. Diese stilistische Eigentümlichkeit ist durch zweierlei begründet: einmal dadurch, dass Johannes Schell seine Philosophie tatsächlich einem anthroposophischen Publikum in einer Reihe von Vorträgen vortrug; zum anderen sah er in dieser Darstellungsweise die geeignete Form für eine Philosophie, die nicht logischem und systematischem Nachdenken, sondern Beobachtungen entspringt, die zur angemessenen Darstellung einen ungezwungenen Freiraum brauchen und sich nicht in ein System zwängen lassen. Wie bei den tatsächlich gehaltenen Vorträgen wendet er sich auch in der schriftlichen Niederlegung seiner Philosophie an ein anthroposophisches Publikum. Er bezieht sich auf Steiner als einer Persönlichkeit, deren Leistung nicht erst nachgewiesen werden muss, sondern erkannt und anerkannt ist. Diese Haltung hat selbstverständlich mit den vorgebrachten Inhalten der Philosophie des Denkens und ihrer Begründung nichts zu tun; sie begründen sich durch sich selbst.

Johannes Schells Untersuchungen sind gewachsen, haben sich entwickelt und entfaltet. Auch diesem Sachverhalt wollte er in der Form der Niederschrift Rechnung tragen: So erklären sich Wiederholungen und Zusammenfassungen, die schon Bekanntes unter neuen und weiterführenden Gesichtspunkten nochmals aufgreifen. Diese Wiederholungen waren von Johannes Schell gewollt; sie sind ihm nicht versehentlich unterlaufen. Sie sollten auch dem wichtigsten Anliegen von Johannes Schell dienen, den Hörer und Leser in die Realwelt des Denkens immer wieder hineinzuversetzen. Hierin liegen m. E. ein besonderer Wert und eine besondere Leistung des Werkes. Allerdings verlangt dies vom Leser, die besprochenen Erfahrungen, d.h. die gedanklichen Akte und inneren Gegenüberstellungen nachzuvollziehen. Wer hier nicht mitgehen will oder kann, wird nicht verstehen, wovon die Rede ist. Johannes Schell beschreibt subtile geistige Erfahrungen und Tätigkeiten an und mit dem Denken; an keiner Stelle theoretisiert er oder bewegt er sich auf der Ebene von Schlussfolgerungen oder Spekulationen. Er vollzieht und beobachtet kognitive Akte, weshalb er seine Philosophie ursprünglich Aktologie nennen wollte. Wir setzen an ihre Stelle in Anlehnung an den neuen Titel „Die Philosophie des Denkens“ den Terminus „Philosophie der Denkakte“.

Es schmälert den Wert des Buches nicht, auch auf die Passagen hinzuweisen, die unvollendet geblieben sind und einer weiteren Überarbeitung bedurft hätten. Die Stärke der Arbeit von Johannes Schell liegt fraglos in der Analyse des Gesamtphänomens des menschlichen Denkens. Daher trägt sie zu Recht den Titel „Die Philosophie des Denkens“. Zwei Aspekte aber sind nicht in genügender Ausführlichkeit zur Darstellung gekommen: Der eine betrifft eine eingehende Analyse des Phänomens der Wahrnehmung. Dieses Defizits war sich Johannes Schell bewusst; und er wusste auch, dass eine Behebung über seine ihm noch zur Verfügung stehenden Kräfte hinausging. Hier hätte neben allgemeinen psychologischen Werken auch die Sinneslehre Rudolf Steiners Berücksichtigung finden müssen. In diesem Bereich konnte Johannes Schell nur auf Arbeiten anderer Wissenschaftler verweisen. Zweitens fehlt eine tiefere Untersuchung und Begründung des Freiheitsproblems. Wegen der Erkrankung von Johannes Schell ist die Behandlung dieser Thematik nicht über erste Anfänge hinausgekommen. Dazu wird im Nachwort über die geplante Fortführung des Werkes noch etwas gesagt. Allerdings kann mit gutem Grund angenommen werden, dass derjenige, der die Ausführungen zur Natur des Denkens mitvollzogen und geprüft hat, über eine Grundlage verfügt, die es ihm ermöglicht, diese Frage selbst zu beantworten.

Dr. Werner Heil

Ludwigsburg, im Januar 2014

Die Philosophie des Denkens

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