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4.3 Ist Grammatikunterricht überhaupt nötig?

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Bevor die eigentlich rhetorisch formulierte Frage vertieft wird, lohnt sich zunächst ein Blick in die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz, die unter anderem auch den Rahmen für Lehrpläne bilden. Diese wurden unter anderem auch für das Fach Deutsch sowohl für den Primarbereich als auch für weiterführende Schulen bis hin zur Allgemeinen Hochschulreife entwickelt. Im Folgenden werden exemplarisch kurz die Standards für den Primarbereich und die für die allgemeine Hochschulreife vorgestellt. In den Bildungsstandards für den Primarbereich (KMK 2005, 6) ist beispielsweise zu lesen:

Die Entwicklung ihrer Sprachhandlungskompetenz umfasst auch das Nachdenken über Sprache. Dazu ermöglicht der Deutschunterricht den Kindern erste Einsichten in Sprachstrukturen und macht sie mit elementaren Fachbegriffen bekannt.

In den Bildungsstandards (KMK 2005, 7) werden vier Kompetenzbereiche angeführt, dazu gehört auch der Bereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen mit den Aspekten „sprachliche Verständigung untersuchen“ und „an Wörtern, Sätzen, Texten arbeiten“, wodurch ausdrücklich Grammatikunterricht genannt und auch gefordert wird. Die Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife (KMK 2012, 20–21) weisen als Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch reflektieren aus und geben zur inhaltlichen Konzeption vor:

Die Schülerinnen und Schüler analysieren Sprache als System und als historisch gewordenes Kommunikationsmedium und erweitern so ihr Sprachwissen und ihre Sprachbewusstheit. Sie nutzen beides für die mündliche und schriftliche Kommunikation (KMK 2012, 20).

Explizit werden unter dem Punkt „Grundlegendes Niveau“ (KMK 2012, 20) die beiden Aspekte „sprachliche Strukturen und Bedeutungen auf der Basis eines gesicherten Grammatikwissens und semantischer Kategorien erläutern“ und „Strukturen und Funktionen von Sprachvarietäten beschreiben“ angeführt. Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel lernen, zwischen Form und Funktion eines Wortes zu unterscheiden (zum Beispiel: Die Katze läuft über die Wiese: Katze ist der Form nach ein Nomen, welches in der Kombination mit dem bestimmten Artikel in dem Satz das Subjekt ist). Außerdem sollen die Lernenden das (Sprach-)Varietätenspektrum der deutschen Sprache kennen lernen. Sie sollen erkennen, dass die Standardsprache eine Varietät neben vielen anderen ist (Dialekte wie Bairisch, Fränkisch, Rheinisch; Soziolekte wie Kiezdeutsch, Jugendsprache, Verwaltungssprache u. s. w.).

Für den Schulunterricht haben Wild & Schilcher (2018) ein Modell mit möglichen Erwartungen an die Kompetenzentwicklung formuliert. In das Modell integriert sind verschiedene Teilkompetenzen sowie Erwerbsprozesse.

Abb. 4.4:

Kompetenzmodell Wild & Schilcher (2018, 68)

Die Empfehlungen der Bildungsstandards werden exemplarisch anhand des bayerischen Lehrplans für das Gymnasium vorgestellt: In den Lehrplan integriert ist ein so genanntes „Kompetenzstrukturmodell“ (vgl. Abb. 4.5), das die relevanten Kompetenzbereiche, welche auf den Bildungsstandards basieren, integriert. Das Kompetenzstrukturmodell gilt für alle weiterführenden Schularten und führt das Modell des Primarbereichs fort.

Abb. 4.5:

Kompetenzstrukturmodell für das Fach Deutsch (Gymnasium) (https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/gymnasium/deutsch)

Wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde, ist Grammatik sowohl in den Bildungsstandards als auch in den Lehrplänen fest verankert. Das Kompetenzstrukturmodell ordnet den Aspekt Sprachgebrauch und Sprache untersuchen und reflektieren sogar so an, dass er die Kompetenzbereiche Sprechen und Zuhören, Lesen – mit Texten und weiteren Medien umgehen und Schreiben umfasst. Diese sind Grundlage für den Lernbereich und haben stützende Funktion. Bereits daraus ist die Relevanz der Grammatik an sich bzw. des schulischen Grammatikunterrichts ersichtlich. Sowohl die Bildungsstandards als auch die Lehrpläne fokussieren die Kenntnis von sprachlichen Strukturen und auch die Fähigkeit der Reflexion darüber.

Schulischer Grammatikunterricht ist gemäß den Bildungsstandards obligatorisch und die in der Überschrift formulierte Frage ist mit „ja“ zu beantworten. Grammatikunterricht ist aber nicht nur erforderlich, weil Bildungsstandards und Lehrpläne ihn integrieren und fordern. Wissen über grammatische Strukturen und die Fähigkeit, über Form und Funktion von diesen zu reflektieren, sind wesentlicher Bestandteil sowohl des Erst- als auch des Zweitspracherwerbs. Denn ein bewusster Umgang mit Sprache ist nur dann möglich, wenn Wissen und Einsicht in ihren Bau vorhanden ist (vgl. hierzu Habermann et al. 2015, 143). Habermann, Diewald & Thurmair (2015, 144) bezeichnen Grammatikwissen als „flexible[s] Instrument zum Ausdruck unserer Gedanken und Absichten“ und als „Perspektivierungs- und Justierungsinstrument“. Wissen über Grammatik und vor allem Sprachreflexionsfähigkeit führen zu Sprachbewusstsein (Language Awareness). Oksaar (2003, 126) definiert Sprachbewusstsein als vielschichtigen

Begriff der konstruktivistischer [sic!] Lerntheorie, er zentriert auf Lernerautonomie und bewusste Verarbeitung des Lernerwissens, das mit Erfahrungswissen eines Individuums zusammenhängt. Zu diesem gehören alle Handlungsweisen, von körperlichen Bewegungen bis zum Sprechen von Sprachen und soziales Handeln.

Sprachbewusstsein äußert sich in der bereits erwähnten Fähigkeit zur Sprachreflexion und führt im Regelfall zur Ausprägung metasprachlicher Fähigkeiten (vgl. Luchtenberg 2010, 111). Vor allem für den Spracherwerb ist Sprachbewusstsein relevant. In der Forschung wird betont, dass der Erstspracherwerb sich vom Zweitspracherwerb alleine schon dadurch unterscheidet, dass beim Erstspracherwerb keinerlei (Sprach-)Basis vorhanden ist, auf die der Lernende zurückgreifen könnte. Beim Zweitspracherwerb hingegen besitzt der Lernende bereits Grundlagen und Fähigkeiten, die ihm beim Erwerb der zweiten oder auch weiteren Sprache von Nutzen sein können: „[A]lles früher Gelernte kann das zukünftige Lernen und Verhalten beeinflussen, positiv oder negativ.“ (Oksaar 2003, 109)

Es geht im Grammatikunterricht aber nicht nur um die Ausbildung von Sprachbewusstsein und metasprachlichen Fähigkeiten. Grammatikwissen ist u.a. wichtig für das Lernen und eigenständige Anwenden von Rechtschreibregeln (vgl. Spiegel 2014, 11–21). Kann zum Beispiel ein Schüler/eine Schülerin Wortstämme sicher identifizieren (z.B. Todtödlich, lern- → Lerner), nützt ihm/ihr dieses Wissen auch bei der Rechtschreibung (vgl. Kapitel 09).

Zusammenfassend ist Grammatikunterricht sinnvoll, weil …

 sprachliche Verständigung auf der Verwendung (korrekter) grammatischer Strukturen beruht.

 Sprachbewusstsein nur so gefördert werden kann.

 der Schüler/die Schülerin Wissen über den Bau und die Funktion von grammatischen Strukturen haben muss.

 metasprachliches Wissen dadurch hervorgerufen wird.

 Grammatikwissen die Basis ist für weitere (Lern)Bereiche (zum Beispiel für Rechtschreibung).

 Sprachvergleiche angestellt werden können.

 der Geltungsbereich für so genannte Normen kritischer bewertet und hinterfragt werden kann.

Wie bereits in Kapitel 03 erwähnt wird, ist es wichtig, dass eine Lehrkraft, die Grammatikunterricht leitet, über fundiertes Grammatikwissen verfügt. Man kann nur einen Sachverhalt kompetent vermitteln, den man verstanden hat und über den man auch weitreichende Kenntnisse hat.

Aufgabe: Finden Sie Beispiele zu den zuvor genannten Gründen, warum Grammatikunterricht in Hinblick auf den Spracherwerb sinnvoll ist.

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