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4.5.2 Scaffolding

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Aus der Unterrichtspraxis und generell aus der Zweitspracherwerbsforschung (vgl. hierzu Cummins 2008; Kniffka & Siebert-Ott 2007, 110) ist bekannt, dass Elemente der konzeptionellen Mündlichkeit, die so genannten BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) bisweilen schneller und effektiver erworben werden als bildungs- oder fachsprachliche Elemente der Schriftlichkeit, die so genannten CALP (Cognitive Academic Language Proficiency). Die beiden Fähigkeiten definiert Cummins (2008, 71) folgendermaßen:

BICS refers to conversational fluency in a language while CALP refers to students' ability to understand and express, in both oral and written modes, concepts and ideas that are relevant to success in school.

Vor allem für den (Fach-)Unterricht sind CALP relevant, da durch sie in erster Linie gewährleistet wird, dass Sachverhalte von den Schülerinnen und Schülern auch verstanden werden (vgl. hierzu auch Kapitel 05). Ohne ausgeprägte schriftsprachliche Fähigkeiten können sowohl Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Erst- als auch solche mit Deutsch als Zweitsprache scheitern, da sie dem Unterrichtsgeschehen eventuell nur eingeschränkt folgen und die für einen Sachverhalt relevanten Informationen schlichtweg nicht entnehmen können. Grundgedanke eines Scaffoldings ist es daher, zunächst die vorhandenen sprachlichen Ressourcen der Schülerinnen und Schüler zu nutzen und erst in einem zweiten Schritt neue sprachliche Mittel (z.B. Fachwortschatz oder komplexere syntaktische Strukturen) zu integrieren (vgl. hierzu Kniffka & Siebert-Ott 2007, 110).

Mit dem Terminus Scaffolding, aus dem Englischen am besten mit 'Baugerüst' übertragen, wird eine sprachunterstützende Methode bezeichnet, die vor allem, aber nicht nur im Zweitspracherwerb als „Unterstützungssystem im (sprachsensiblen) Fachunterricht“ eingesetzt werden kann (Kniffka 2010, 1). Diese Methode existiert auch im Erstspracherwerb bzw. in der Erstspracherwerbsforschung als „(sprachliche) Unterstützungshandlung“ bzw. als „vorübergehende Hilfestellung“ (Kniffka 2010, 1). Die Metapher des Baugerüsts ist dabei nahezu wörtlich zu verstehen. Ein Gerüst wird beispielsweise zum Errichten eines Gebäudes benötigt und dafür eben aufgebaut. Sobald es nicht mehr erforderlich ist, weil das Gebäude fertiggestellt ist, wird es wieder abmontiert. Entwickelt wurde das Verfahren des Scaffolding von Gibbons (2002, 10), die es folgendermaßen definiert:

Scaffolding, however, is not simply another word for help. It is a special kind of help that assists learners to move toward new skills, concepts, or levels of understanding. Scaffolding is thus the temporary assistance by which a teacher helps a learner know how to do something, so that the learner will later be able to complete a similar task alone.

Die Aufgabe jeder Lehrperson im Erst- und Zweitspracherwerb ist es daher, zu ermitteln, ob die einzelnen Schülerinnen und Schüler eine Lücke zwischen BICS und CALP aufweisen und diese gegebenenfalls in einem zweiten Schritt dann auch zu schließen. Kniffka unterscheidet diesbezüglich zwischen Makro- und Mikro-Scaffolding (vgl. Kniffka 2010, 2). Zu Makro-Scaffolding gehören (vgl. Kniffka 2010, 2):

 Lernstandserfassung: Zunächst ist es eine Notwendigkeit, den aktuellen Sprachstand der Schülerinnen und Schüler zu ermitteln und zu hinterfragen, ob die geplante Unterrichtseinheit die Kinder in sprachlicher Hinsicht nicht unter- bzw. überfordert. Bei der Lernstandserfassung ist es nötig, dass alle in der Klasse tätigen (Fach-)Lehrkräfte kooperieren und sich absprechen, um so eventuelle sprachliche Defizite aller Schülerinnen und Schüler umfassend zu ermitteln.Für die Beurteilung des Fortschritts von einzelnen Schülerinnen und Schülern (während einer Schulstunde oder auch hinsichtlich eines ausgewählten Aspektes) kann generell folgendes Bewertungsraster verwendet werden (vgl. Tab. 4.3):

Exemplarischer Kriterienkatalog Name der Schülerin/ des Schülers:
War/Ist der/die Schüler/-in in der Lage …
das Problem/den Sachverhalt zu skizzieren z.B. klare Formulierung
die Lösung/Erkenntnisse vorzutragen: benutzt die Vergangenheit verwendet angemessenen Wortschatz begründet die Vorgehensweise z.B. machte Tempusfehler (mit Beispielen) z. T. eingeschränkter Wortschatz z.B. war nicht der Fall
entsprechende/geeignete Fragen zu stellen z.B. Fragestellung z. T. nicht stringent, stellte W-Fragen
hilfreiche Vorschläge zu unterbreiten z.B. benutzte in erster Linie „vielleicht
weitere/zusätzliche Kommentare Raum für Beobachtungen aller Art

Tab. 4.3:

Bewertungsraster (nach Gibbons 2002, 127)

 Hinzugezogen werden können hierbei auch die speziell für Bayern entwickelten Beobachtungsbögen SISMIK (Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen) und SELDAK (Sprachentwicklung und Literacy bei deutschsprachig aufwachsenden Kindern), die unterschiedliche sprachliche Aspekte wie Sprachentwicklung und Literacy, Sprachliche Kompetenz, Familiensprache und Familie des Kindes, Wortschatz, Satzbau und Grammatik beinhalten (vgl. hierzu Ulich & Mayr 2008a; Ulich & Mayr 2008b).

 Bedarfsanalyse: Die geplante Unterrichtseinheit und alle verwendeten didaktischen Mittel sind auf ihre sprachliche Geeignetheit hin zu untersuchen und eventuell den sprachlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler anzupassen.

 Unterrichtsplanung: Lernstandserfassung und Bedarfsanalyse sind zunächst jeder Unterrichtsplanung vorauszuschalten. Daraufhin ist es die Aufgabe der Lehrerin/des Lehrers sowohl fachliche als auch sprachliche Parameter zu kombinieren. Gibbons (2002, 122) unterbreitet hierzu folgende Optionen, die exemplarisch aufgelistet werden:

rezeptiv produktiv
mündlich Welche Ansprüche an den mündlichen Sprachgebrauch liegen vor? Welche Art von Höraufgaben wird verwendet? Welche Art des Hörens ist involviert? Einseitiges? Wechselseitiges? Welcher spezifische Wortschatz wird durch das Thema erforderlich gemacht? Welche Ansprüche an den mündlichen Sprachgebrauch liegen vor? An welchen Stellen können im Unterrichtsverlauf Möglichkeiten für den mündlichen Sprachgebrauch integriert werden?
schriftlich Wie können die Texte für die Lernenden aufbereitet /zugänglich gemacht werden? Welche Arten von schriftlichen Texten werden vorkommen bzw. welche Textsorten sollten verwendet werden? Welche Arten von Konnektoren tauchen in diesen Textsorten auf? Welcher spezifische Wortschatz wird durch das Thema erforderlich gemacht? Welche Grammatikaspekte werden durch das Thema von den Schülerinnen und Schülern gefordert (z.B. Tempus)?

Tab. 4.4:

Optionen für die Unterrichtsplanung (nach Gibbons 2002, 122)

Kniffka (2010, 3) führt ergänzend zu Gibbons (2002) exemplarisch folgende Aspekte aus, die für Makro-Scaffolding außerdem erforderlich sind: Integration des Vorwissens der Schülerinnen und Schüler, Auswahl von didaktisch geeignetem Unterrichtsmaterial, Einsatz verschiedener Darstellungsformen (unter Berücksichtigung des jeweiligen Sprachstandes der Schülerinnen und Schüler), Strukturierung von Lernaufgaben (von der Alltagssprache zur Fachsprache, vom Konkreten zum Abstrakten), Verwenden von Brückentexten (falls Schulbuchtexte das sprachliche Niveau der Lernenden überschreiten sollten), sprachlicher Input von Seiten der Lehrperson und letztendlich Einbindung von metasprachlichen und metakognitiven Phasen.

Die Relevanz der „kognitive[n] Aktivierung“ in Kombination mit einem „schülerorientierte[n] Unterrichtsklima“ (Klieme 2008, 4) wurde auch durch die Ergebnisse der DESI-Studie bestätigt. Die Aufgabe des Lehrenden besteht also zusammenfassend und vereinfacht gesagt darin, jedes Thema zunächst hinsichtlich sprachlicher Besonderheiten/Auffälligkeiten zu untersuchen (vgl. Kniffka & Siebert-Ott 2007, 111).

Während sich das Makro-Scaffolding überwiegend mit der Situierung und den Lernaufgaben befasst, steht im Zentrum des Mikro-Scaffoldings (vgl. Kniffka 2010, 3) letztendlich die konkrete Unterrichtsaktion, für die Gibbons (2002, 124) folgende Tipps unterbreitet:

 Brainstorming: Was wissen die Lernenden bereits zu der Thematik? (Sammlung von relevantem Sach- und Fachwortschatz)

 Nutzen von unterschiedlichen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung: Fachpersonen schriftlich oder auch mündlich kontaktieren (Einüben von formelhaften Wendungen: Wie begrüße ich jemanden? Wie trage ich mein Anliegen vor?), Zeitungen oder auch Artikel zur Thematik lesen und Stichpunkte von den Lernenden zusammentragen lassen.

 Fachpersonen interviewen (Lernende sollen entsprechende Expertenfragen im Vorfeld formulieren).

 Informationen im Klassenkreis vortragen/besprechen (Schulung der mündlichen Sprachkompetenz und zugleich der Hörkompetenz).

 Besprechung im kleinen Kreis (Einüben und Vertiefen von Gesprächs- und Argumentationsformeln).

Kniffka (2010, 3) nennt als weitere allgemein zu beachtende Prinzipien für die Lehrer-Schüler-Interaktion:

 Einplanen von zusätzlicher Zeit für die Lehrer-Schüler-Interaktion, da vor allem DaZ-Schülerinnen und -Schüler eventuell etwas länger brauchen, um Informationen zu entschlüsseln.

 Einräumen von mehr Zeit für Antworten vor allem für DaZ-Schülerinnen und Schüler, da diese für die gedankliche Vorbereitung und das Durchdenken von Antworten oftmals einen flexibleren zeitlichen Rahmen benötigen.

 Abwechslung in Bezug auf Interaktionsmechanismen: Durchbrechen der starren „Frage-Antwort-Bewertung-Struktur“, indem beispielsweise eine Schülerin/ein Schüler die Rolle des Lehrers/Moderators einnimmt.

 Ergänzend ist noch die Bereitstellung von Differenzierungsmaterial sowohl zur qualitativen als auch zur quantitativen Differenzierung anzuführen.

Nachfolgend wird die Vorgehensweise beim Scaffolding anhand der Geographieunterrichtseinheit „Der Kompass weist den Weg“ für die 5./6. Klassen verdeutlicht (vgl. Kniffka & Neuer 2008, 124). Die Abbildung zeigt anschaulich zwei Grundprinzipien des Scaffoldings:

 vom Konkreten zum Abstrakten: Fachliche Ebene;

 von der Alltagssprache (BICS) zur Fachsprache (CALP): Sprachliche Ebene.

Abb. 4.9:

Scaffolding-Modell von Gibbons (nach Kniffka & Neuer 2008, 129)

Den beiden Prinzipien wird durch von Gibbons geforderte Aktivitäten Rechnung getragen. Die fachliche Ebene wird einerseits durch zwei Experimente (den Kompass ausprobieren und anwenden) in Partnerarbeit und andererseits durch das Referieren der Erkenntnisse repräsentiert. Die sprachliche Seite beinhaltet ein Voranschreiten von der Alltagssprache hin zur konzeptionellen Fachsprache. Zunächst wird in Partnerarbeit der Kompass besprochen, daraufhin werden im Klassenverband die gesammelten Ergebnisse vorgetragen und in einem letzten Schritt werden die Ergebnisse in Form eines Protokolls verschriftlicht, wobei auf die Integration von fachsprachlicher Lexik und Syntax geachtet werden soll.

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