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3.2.4 Konstruktionsgrammatik (KG)

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Im Anschluss an zwei Modelle, die mit Kategorien wie dem Konzept der Satzglieder arbeiten und daher bis zu einem gewissen Grad anschlussfähig bleiben an eine traditionelle Grammatik, soll abschließend zu den Darstellungen verschiedener Grammatikbeschreibungen noch ein Modell (bzw. eine ganze Gruppe von verwandten Theorien) angesprochen werden, das – je nach Strömung bzw. Auslegung – deutlich mit unseren bisherigen Vorstellungen von externer und indirekt auch interner Grammatik bricht.

Im Folgenden erfolgt eine Generalisierung, indem nicht auf unterschiedliche Theoriebildungen innerhalb der Konstruktionsgrammatik eingegangen wird. Da dieses Konzept noch relativ neu ist, bisher wenig Anwendung für das Deutsche gefunden hat und von verschiedenen Strömungen durchzogen ist, wollen wir es nur kurz exemplarisch vorstellen. Wir halten es jedoch für durchaus wahrscheinlich, dass das Konzept im Laufe der nächsten Jahre zunehmend in die Didaktik und Methodik des Sprachenlehrens und -lernens Eingang findet, denn gerade mit Blick auf die Zweit- und Fremdsprachendidaktik weist die Konstruktionsgrammatik einige sinnvolle Annahmen auf, so dass von ihr zukünftig überzeugende, didaktisch hilfreiche Impulse zu erwarten sind. Darauf weist u.a. ein sehr zur Lektüre empfohlener Aufsatz von Handwerker (2008) hin, in dem die Verfasserin eine Verknüpfung zwischen dem Sprachenlernen mit Hilfe von Chunks und den Annahmen der Konstruktionsgrammatik herstellt.

In der Zweit- und Fremdsprachendidaktik bezeichnet man als Chunks Einheiten, die aus mehr als einem Wort bestehen und als Gesamtheit erlernt werden. Es handelt sich um formelhafte Elemente wie z.B. Das Buch ist entspannend, die als Gesamtheit erlernt und abgespeichert werden. Chunks können in einem weiteren Prozess als Muster für neu zu bildende Bausteine dienen, wie z.B. Die Musik ist entspannend. D. h. in einem ersten Schritt wird der Baustein memoriert, in einem späteren aufgespalten und als Muster auf neue Konstruktionen übertragen. Auch idiomatische Wendungen (z.B. das Gelbe vom Ei), Kollokationen (Hunde bellen), Grußformeln (Grüß Gott) und Satzanfänge (Wir möchten gerne …) werden zu den Chunks gezählt.

Eine starre Trennung von Sprache bzw. von Sprachverarbeitung in unserem Gehirn in Lexikon und Grammatik wird aufgegeben. Stattdessen geht man von einem Kontinuum zwischen Wörtern und Konstruktionen, die aus mehreren Wörtern bestehen, aus. Diese Konstruktionen sind als Einheit zu verstehen, die Bedeutung lässt sich somit nur holistisch – also anhand der kompletten Konstruktion erschließen und nicht aus der Summe der einzelnen Bausteine. Regeln, wie z.B. dass die Valenz eines Verbs die Anzahl von Bausteinen im Satz festlegt, existieren in der Konstruktionsgrammatik nicht. Es gibt somit keine Konstruktionsregeln und nach Ansicht der meisten Vertreterinnen und Vertreter dieses Modells auch kein angeborenes Sprachregelsystem. Dieses Modell trennt zudem nicht in Kern- und Peripheriebereiche, d.h. Konstruktionen wie idiomatische Wendungen (z.B. da steppt der Bär) oder verblose Sätze (Jetzt aber raus aus den Aktien!) – beide sind in der VDG schwer erklärbar – werden nicht als Ausnahmen gesehen, sondern als gleichwertige Bestandteile der Sprache. Von anderen Grammatikmodellen zu Unrecht marginalisierte Beispiele aus dem Sprachalltag – die im Übrigen gar nicht so selten sind – stehen in der Konstruktionsgrammatik auf gleicher Ebene mit Sätzen aus dem sogenannten Kernbereich der Sprache.

Dabei geht dieses Modell durchaus von syntaktischen Mustern aus, die auf neue Sätze „vererbt“, d.h. übertragen werden. Schemata wie z.B. die Abfolge von Subjekt – Prädikat – Objekt werden auf neu gebildete Sätze übertragen. Hier zeigen sich jedoch Probleme, da die Konstruktionsgrammatik z.B. nicht erklären kann, warum bei den folgenden Beispielsätzen der zweite nicht grammatisch ist, obwohl beide nach dem gleichen syntaktischen Muster aufgebaut sind:

  Mika rollt den Rennwagen über die Ziellinie.

  *Jan schwimmt das Rennboot über die Ziellinie.

Die Valenz- und Dependenzgrammatik dagegen kann durch ihr Konzept der Valenz eine tragfähige Lösung anbieten, indem sie zwischen intransitiven/einwertigen (z.B. schwimmen) und transitiven/zwei- oder dreiwertigen Verben (z.B. rollen) unterscheidet. Die Konstruktionsgrammatik dagegen tut sich hier schwer, denn eine „Vererbung“ des Musters Subjekt + Prädikat (rollen) + Akkusativobjekt auf Sätze mit schwimmen im Prädikat führt zu ungrammatischen Sätzen nach dem Muster *Subjekt + Prädikat (schwimmen) + Akkusativobjekt. Sie müssen daher als eigenständige Konstruktion abgespeichert werden. Dies fechten die Vertreter dieses Modells wiederum nicht an, da sie gar nicht von einer hundertprozentigen Übertragbarkeit/Vererbung von Mustern auf neue Konstruktionen ausgehen, sondern von Tendenzen.

Allerdings – und darauf weist z.B. Handwerker (2008) hin – erfolgt das Lernen von Sprache u.a. über fertige, aus mehreren Wörtern bestehende Bausteine, sogenannte Chunks. Die dabei erworbenen Muster werden, wie bereits oben dargelegt, auf neu zu bildende Sätze übertragen. Dass dabei Fehler auftreten, also Sätze mit schwimmen nach Mustern mit anderen Verben gebildet werden und daher ungrammatisch sein können, zeigt sich in den u-förmigen Erwerbsverläufen. Die Konstruktionsgrammatik als Modell, das von fertigen Konstruktionen ausgeht, kommt hier den tatsächlichen Verhältnissen beim Spracherwerb deutlich näher als z.B. die Valenz- und Dependenzgrammatik. Ein Sprachenlerner erwirbt anhand des Inputs von Chunks Muster einer Sprache und erkennt Regularitäten, die er auf neue Muster überträgt. Häufig werden dabei korrekte Sätze gebildet, auch ohne konkrete, theoretische Regeln, wie sie z.B. die Valenz- und Dependenzgrammatik annimmt.

Mit u-förmigem Spracherwerb bezeichnet man die Beobachtung beim Spracherwerb, dass nach einer anfänglichen – scheinbar fortgeschrittenen Sicherheit bei der Sprachverwendung – die Anzahl nicht korrekt gebildeter Sätze wieder zunimmt. Erst mit einer weiter fortschreitenden Sicherheit in der Sprachverwendung nimmt die Anzahl inkorrekter Bildungen wieder ab. Diese Beobachtung lässt sich gut mit dem Konzept der Chunks erklären. Zu Beginn des Erwerbs werden Chunks memoriert und korrekt wiedergegeben. Im Zuge einer Übergeneralisierung werden dann die dabei erworbenen Muster auf neue Sätze übertragen, wobei es zu falschen Anwendungen kommt. Dies illustriert folgendes Beispiel:

Die Katze Luna fängt die Maus. (erworbenes Muster = Beginn des u-förmigen Verlaufs)

*Die Katze Luna spielt die Maus. (Muster wird übergeneralisiert = unteres Ende des u-förmigen Verlaufs)

Die Katze Luna spielt mit der Maus. (korrektes Muster wurde erkannt = oberes Ende des u-förmigen Verlaufs)

Was lernen wir Lehrerinnen und Lehrer daraus: Fehler ist nicht einfach Fehler, sondern kann auch ein Indikator für einen fortschreitenden Spracherwerb sein.

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