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3.2.2.1 Ergänzungen und Angaben

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Die Anzahl der Ergänzungen in einem vollständigen Satz wird von der Wertigkeit des Verbs festgelegt. Das Konzept der Wertigkeit wurde vom Begründer der VDG – Lucien Tesnière (1893–1954) – eingeführt und als Valenz bezeichnet. Eisenberg (1999, 57) wählt hierzu folgenden Vergleich: „Man spricht vom Verb als vom strukturellen Zentrum des Satzes und vergleicht seine Rolle mit der des Atomkerns, der Elektronen als Satelliten an sich bindet.“

Ein einwertiges Verb fordert eine Ergänzung, zwei- und dreiwertige dementsprechend zwei oder drei Ergänzungen:

 Die Katze Luna schläft. (schlafen = einwertig)

 Onur isst Steinpilze. (essen = zweiwertig)

 Nadja stiehlt Theresa das Vorlesungsskript. (stehlen = dreiwertig)

Die Anzahl der möglichen Ergänzungen ist somit durch die Valenz des Verbs bestimmt. Wird dies bei der Satzformulierung missachtet, so können ungrammatische Sätze entstehen. Allerdings lassen Verben zum Teil einen unterwertigen Gebrauch zu, d.h. nicht alle im Stellungsplan des Verbs vorgesehenen Ergänzungen müssen auch tatsächlich im Satz vorkommen. Folgende Beispiele illustrieren dies. Mit Asterisk (*) gekennzeichnete Sätze sind ungrammatisch:

 *Die Katze Luna schläft Nudeln. (schlafen als einwertiges Verb kann keine zweite Ergänzung in den Satz einbinden)

 Die Katze Luna schläft den ganzen Tag. (den ganzen Tag ist keine Ergänzung, sondern eine Angabe und wird nicht vom Verb gefordert)

 Nadja stiehlt das Vorlesungsskript. (stehlen als dreiwertiges Verb kann unterwertig verwendet werden, d.h. die Dativergänzung Theresa muss nicht im Satz erscheinen)

 *Stiehlt Theresa das Vorlesungsskript. (stehlen kann zwar unterwertig verwendet werden, die Nominativergänzung Nadja ist jedoch obligatorisch, d.h. sie muss im Satz repräsentiert sein)

Bei der Analyse eines Satzes geht man bei diesem Grammatikmodell so vor, dass zunächst die Wertigkeit des Verbs bestimmt wird:

Jemand liest etwas. (lesen = 2-wertig: Wer? Wen/Was?)
Jemand schenkt jemandem etwas. (schenken = 3-wertig: Wer? Wem? Was?)
Jemand schnarcht. (schnarchen = 1-wertig: Wer?)

Wichtig ist dabei, dass bei der Analyse immer von der Bedeutung im konkreten Satz ausgegangen wird, denn die Valenz des Verbs ist von seiner Bedeutung abhängig. Hierzu erfahren Sie mehr auf S. 35f. Zudem ist zu beachten, dass auch Nebensätze als Satzglieder des Hauptsatzes fungieren können:

  Kevin liest, dass etwas Schlimmes passieren wird.

Innerhalb dieses Satzgliedes – also innerhalb des Nebensatzes – lassen sich wiederum Satzglieder bestimmen. Das finite Verb im Nebensatz eröffnet aufgrund seiner Valenz wiederum zu besetzende Stellen für Ergänzungen. Dies bezeichnet man als Feinstruktur des Satzes.

Um Satzglieder zu bestimmen, verwendet man verschiedene Tests, die als Operationen bezeichnet werden. Diese in Schule und Didaktik auch als Glinz’sche Proben (basierend auf Glinz 1952) bekannten Verfahren sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ent- und weiterentwickelt worden und finden heute in folgenden Formen Verwendung:

 Umstellprobe/Verschiebeprobe: Es wird erprobt, welche Wortgruppen gemeinsam verschoben werden können.Die Katze Luna spielt mit dem kleinen Hund Nikos hinter dem Haus. <=> Mit dem kleinen Hund Nikos spielt die Katze Luna hinter dem Haus.

 Spitzenstellungstest: Nur Elemente eines Satzes, die die Position vor dem finiten Verb einnehmen können, sind Satzglieder.Die Katze Luna spielt danach mit ihren Ratten. <=> Danach spielt die Katze Luna mit ihren Ratten.

 Ersatzprobe: Welche Wortgruppen sind ersetzbar (z.B. durch Pronomen)?Sie spielt mit ihm dort. <=> Die Katze Luna spielt mit dem kleinen Hund Nikos hinter dem Haus.

 Frageprobe: Dies dient der genauen Bestimmung der Satzglieder.Mit wem spielt die Katze Luna? Mit dem kleinen Hund Nikos.Wo spielt die Katze Luna mit dem kleinen Hund Nikos? Hinter dem Haus.

Grundsätzlich ist bei den Satzgliedoperationen zu beachten, dass sich der Sinn des Satzes nicht grundlegend ändern darf. Durch sich an diese Operationen anschließende Tests gelangt man zu einer weiteren Klassifikation der zunächst ermittelten Satzglieder:

 Satzglieder, die vom Verb gefordert werden, sind Ergänzungen (in der traditionellen Grammatik sind dies Subjekte und Objekte): Ergänzungen sind obligatorisch (notwendig) oder fakultativ (weglassbar)Kevin liest ein Buch. > *Liest ein Buch. => ENOM obligatorischKevin liest ein Buch. > Kevin liest. => EAKK fakultativ

 Satzglieder, die nicht vom Verb gefordert werden, sind Angaben (in der traditionellen Grammatik Adverbialien): Angaben können ebenfalls weggelassen werden, erfüllen aber zugleich den sogenannten „Geschehenstest“. In einem ersten Schritt wird dazu geprüft, ob das entsprechende Satzglied weglassbar ist:Kevin liest heute ein Buch.Kevin liest ein Buch.=> heute ist weglassbarIn einem zweiten Schritt prüft man, ob das Satzglied mit und das geschieht bzw. und das geschah angehängt werden kann:Kevin liest ein Buch und das geschieht heute.=> Geschehenstest positiv=> heute ist eine Angabe (temporal)Kevin liest ein Buch und zwar heute. => "und zwar"-Test positiv => heute ist eine Angabe (temporal)

Folgende Grafik aus Kessel & Reimann (2017, 24) gibt einen passenden Überblick, der bei der Analyse hilfreich ist:

Abb. 3.2:

Entscheidungsbaum bei der Satzgliedanalyse

Zur weiteren Klassifikation der Funktion der ermittelten Satzglieder können zudem folgende Fragetests verwendet werden. Zur leichten Vergleichbarkeit haben wir in Klammern die entsprechenden Bezeichnungen aus der traditionellen Grammatik mit angegeben. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Arten von Ergänzungen und Angaben und ist nicht vollständig. So fehlen etwa Präpositional- und Situativergänzung sowie Finalangaben.

Frage Satzgliedfunktion
Wer oder was? Nominativergänzung (Subjekt)
Wessen? Genitivergänzung (Genitiv-Objekt): Ich bediene mich des Buches.
Wem? Dativergänzung (Dativ-Objekt)
Wen oder was? Akkusativergänzung (Akkusativ-Objekt)
Wann? Seit wann? Wie lange? Wie oft? Temporalangabe (Adverbiale der Zeit)
Wo? Wohin? Woher? Lokalangabe (Adverbiale des Ortes)
Wie? Modalangabe (Adverbiale der Art und Weise)
Warum? Aus welchem Grund? Kausalangabe (Adverbiale des Grundes)

Tab. 3.2:

Fragetest zur Bestimmung der Funktion eines Satzgliedes im Satz

Aus zahlreichen Hochschulseminaren wissen wir, dass die Bestimmung der Valenz regelmäßig Schwierigkeiten bereitet oder Anlass zu Diskussionen bietet. Dies überrascht nicht, wenn man sich bewusstmacht, dass die Valenz auch bei auf den ersten Blick identischen Verben durchaus schwanken kann, in Abhängigkeit vom Satzkontext oder von der jeweiligen Bedeutung des Verbs. Beispielhaft lässt sich dies am Verb geben illustrieren, das in der Grundbedeutung 3-wertig ist. Verwendet man das Verb jedoch im Sinne von Spenden geben, ist es 2-wertig. Im Kontext Kartenspielen (wir bevorzugen hier das bayerische Kartenspiel Schafkopfen) ist es dagegen 1-wertig:

 Michelle gibt dem Lehrer ihre Kekse. (geben: 3-wertig)

 Die Firma gibt Spendengelder. (geben: 2-wertig)

 Xaver gibt! (geben im Sinne von ‚Karten ausgeben‘: 1-wertig)

Bei der Ermittlung der Verbvalenz ist somit immer der Kontext und die entsprechende Bedeutung mit zu berücksichtigen. Hierzu gibt es mit dem VALBU (= Valenzwörterbuch der deutschen Verben) bzw. E-VALBU (online unter http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index.html) ein Nachschlagewerk, das bei der Ermittlung der Wertigkeit eines Verbs hilfreich sein kann.

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