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2.3 Ein Stück vom „Kuchen“ abbekommen

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Die kognitiven Grundfähigkeiten („Intelligenz“) spielen – von Störungen abgesehen – bei der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen eine eher geringe Rolle (vgl. Jude 2008, 26). Entscheidend dafür, ob wir als kompetente Sprecher wahrgenommen werden, sind die Erwartungen an uns und wie wir ihnen gerecht werden. Seit den Forschungen des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky unterscheidet man deshalb zwischen dem, was ein Subjekt (können) kann (Kompetenz), und dem tatsächlich gezeigten Verhalten (Performanz). Die Konsequenz daraus ist bis heute, dass Kompetenz selbst nicht messbar ist. Wir können nur auf sie schließen, z.B. durch Tests. Dieser nur indirekte Zugang zur Ermittlung von Kompetenz zeigt sich im Übrigen auch bei der Formulierung von Lernzielen, die Lernergebnisse (beobachtbare Produkte) beschreiben.

Überspitzt gesagt: Wenn ich nie spreche (Performanz), werde ich sicher nicht als kompetenter Sprecher wahrgenommen. Auch wenn ich vielleicht ein guter Sprecher wäre, also die entsprechende Kompetenz mitbringe. Die Sprachhandlungsfähigkeit erweist sich damit als wesentliches Ziel des Deutschunterrichts, sie soll über „die bloße Befähigung zur sprachlichen Bewältigung von Lebenssituationen“ (Budde et al. 2012, 47) hinausgehen. Schüler sollen beispielsweise nicht nur eine Breze oder eine Fahrkarte kaufen können, sondern sich auch mit der ästhetischen Qualität von Sprache auseinandersetzen, indem sie z.B. Gedichte daraufhin analysieren.

In der aktuellen Kompetenzdiskussion hat sich v.a. Weinerts allgemeine und fachübergreifende Definition als einflussreich erwiesen. Er definiert Kompetenz als

die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001, 27; Herv. v. Verf.).

Versuchen wir Weinerts Definition zu sezieren: Vordergründig geht es zunächst einmal um das Problemlösen. Im Deutschunterricht lösen wir, je nach Medium und Konzeption, verschiedene Probleme: Warum schreibe ich rennen mit <nn>? (Rechtschreibung). Warum heißt es nicht *nach rannte er ihm? (Grammatik). Wie strukturiere ich meinen Text (Textlinguistik)? Stellen Sie sich diese Problembereiche der Sprache wie eine Torte mit mehreren Tortenstücken vor. Wir können die Teilbereiche des Deutschunterrichts als solche Tortenstücke begreifen. Sie bilden gemeinsam die Sprachkompetenz als Ganzes.

Die Teilbereiche des Deutschunterrichts sind Sprache untersuchen (Grammatik), Lesen, literarisches Lernen (inkl. Kinder- und Jugendliteratur), Medien, Rechtschreiben, Texte verfassen, Sprechen, Gespräche führen und Zuhören. In diesem Buch werden Lesen, Literatur und Medien nicht behandelt. Sie sind traditionell Gegenstand der Literatur- und Mediendidaktik, nicht der Sprachdidaktik.

In jeder dieser Dimensionen können sprachliche Probleme, die wir z.B. durch die Analyse eines schulischen Schreibauftrags erkannt haben, auf unterschiedlichen Ebenen auftreten. Es handelt sich bei ihnen zunächst immer um kognitive Aspekte: Sie können beim Individuum bereits verfügbar (gelernt) oder zumindest potentiell (künftig) erlernbar sein. Es handelt sich also um Wissen, das erworben wurde/wird. Dieses Wissen soll den Kern unseres Modells bilden. Übrigens: Ist Ihnen aufgefallen, dass hier der Performanzaspekt, also die Anwendung des Wissens, noch fehlt? Das Gedächtnis ist damit zentral für den ersten Teil dieser Kompetenzdefinition.

Die Definition Weinerts weist darüber hinaus eine Zweiteilung auf („sowie“): Kompetenz wird zwar einerseits als kognitive Problemlösefähigkeit verstanden, andererseits, betont Weinert, ist sie von weiteren Bedingungen abhängig, die im Subjekt oder in der Umwelt verankert sein können. Sie bilden die zwei weiteren Ebenen des Konstrukts und beeinflussen die Performanz, also die Sprachverwendung in konkreten, variablen Situationen.

Modelle für alle Lernbereiche, die nach Weinerts Konzept erstellt wurden und jeweils die einschlägigen Grundlagen vereinen, finden sich bei Schilcher (2018).

In Analogie zu anderen Modellen (vgl. insbesondere Rosebrock & Nix 2014 zum Lesen; Lischeid 2014 zu Grammatik) schlagen wir daher eine Erweiterung und Dreiteilung des Konzepts der Sprachkompetenz vor, die sich durch alle Teilbereiche (Dimensionen) des Faches zieht. Die Teilbereiche beeinflussen sich gegenseitig.

Abb. 2.3:

Dimensionen von Kompetenz

Den inneren Kern unseres Modells bildet also die kognitive Ebene. Sie umfasst implizite und explizite, d.h. unbewusste bzw. bewusstseinsfähige, Wissensbestände:

Viele deklarative (= Faktenwissen) und prozedurale (= Handlungswissen) Wissensbestände liegen in Hinblick auf Sprachproduktion und Rezeption implizit vor. Wir können auf Sie automatisiert zugreifen, ohne uns jedes Mal die Regelhaftigkeiten und Abläufe bewusst machen zu müssen. Müssen Sie nachdenken, wie man ein <u> schreibt? Wohl nicht. Ein Schreibanfänger dagegen schon. Gleiches gilt für das Wissen und Können, das sprachreflexive Akte betrifft. Wir bezeichnen diese Wissensbestände im Alltag häufig als „Sprachgefühl“. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um Mechanismen, die Sprache zum Gegenstand machen (Sprachbewusstheit) und das Nachdenken über verschiedene Aspekte (Reflexion i. e. S.) erlauben. Erinnern Sie sich an obenstehende Beispiele zum Kiezdeutschen und zum Bairischen? Lassma den Butter, Lan (oder so ähnlich). Wie haben Sie Ihre Entscheidung begründet? Sprachbewusstheit ist eine zentrale Kategorie von Sprachunterricht, da sie die Aufmerksamkeit auf sprachliche Phänomene richtet. Budde et al. (2012, 32) betonen außerdem das rekursive Verhältnis von Sprachreflexion und Sprachbewusstheit: „Sprachbewusstheit stellt eine wesentliche Voraussetzung für sprachreflexive Tätigkeiten dar, ist jedoch zugleich auch das Ergebnis von Sprachreflexion.“ Diese Tätigkeiten sind auch Voraussetzung für eine Reflexionsfähigkeit über die Sprache als System und über den Sprachgebrauch an sich, z.B. in Form von Sprachkritik.

Hinzu kommt explizites Wissen, das systematisch und deklarativ über Sprache und ihren Gebrauch gespeichert ist: „Ein Grundprinzip der Rechtschreibung ist die Phonem-Graphem-Korrespondenz“, „ich spreche meinen Chef nicht mit Hey Du an“ usw. Es bezeichnet im Wesentlichen Sachverhaltswissen (z.B. Ich weiß, dass man eine Kuh mit Kuh bezeichnet) und entsteht durch das Lernen von Fakten wie z.B. Vokabeln oder Rechtschreibregeln (vgl. Gerrig & Zimbardo 2008, 234). Es liefert in dieser Form allerdings keine Strategien, um sprachliche Probleme zu lösen, sondern nur „Bausteine“ dazu (vgl. Ossner 2008, 45).

Als Folge der Outcome-Orientierung, also der Orientierung an Sprachproduktion im Rahmen der Kompetenzdiskussion der letzten Jahre, fokussieren viele Kompetenzmodelle (z.B. Ossner 2008) diese kognitive Ebene, da ihre Facetten im Gegensatz zu den anderen Ebenen in der Regel gut messbar sind. Sie werden in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches dargestellt.

Ossner (2008) unterscheidet im Wesentlichen drei Wissensarten: Prozess-, Problemlöse- und das Reflexionswissen, das jeweils (implizit oder explizit) zur En- und Dekodierung von Sprache benötigt wird. Sie können jeweils hierarchieniedrigere (basale) oder -hohe Aspekte betreffen. Prozesswissen (Prozedurales Wissen) bezeichnet das Können, das automatisierte Beherrschen von Fertigkeiten oder Methoden (z.B. Kuh schreibt man K-u-h). Es „bezieht sich auf die Art und Weise, wie Sie behalten, wie Dinge getan werden. Es wird genutzt, um sich perzeptuelle, kognitive und motorische Fertigkeiten anzueignen, sie aufrechtzuerhalten und sie anzuwenden.“ (Gerrig & Zimbardo 2008, 234). Problemlösewissen heißt, dass jemand über „Strategien zur Bewältigung von Problemsituationen“ (Ossner 2008, 32) verfügt (z.B. Ich kann die Schreibweise von Kuh im Wörterbuch nachschlagen). Reflexionswissen, auch Metakognitives Wissen („Wissen über Wissen“), umfasst Erfahrungen, die aufgrund unseres sprachlichen Handelns gemacht werden (z.B. ich vergesse bei Kuh oft das <h>) und steuert die Anwendung der bzw. Aufmerksamkeit für die anderen Wissensarten.

Die sprachlichen Erfahrungen, die wir sammeln und abspeichern, haben Auswirkungen auf das Subjekt als solches. Die zweite Ebene unseres Modells bildet daher eine Subjektebene. Sie umfasst alle affektiv-personalen Aspekte. Wer schon einmal in der Schule unterrichtet hat, weiß, dass der Habitus (am ehesten wohl mit ‚Einstellungen, Gewohnheiten’ übersetzbar) und die Motivation der Schülerinnen und Schüler eine wesentliche Rolle für die Bereitschaft spielen, sich mit Lerngegenständen auseinanderzusetzen. Der Habitus resultiert aus einer Vielzahl von Lernerfahrungen (und dem damit verbundenen Selbstwirksamkeitserleben), die sich zu Gewohnheiten des Denkens, Fühlens und Handelns verfestigen.

Gerade im DaZ-Bereich spielt die Gelegenheit, positive sprachliche Erfahrungen in der L2 zu machen, eine wichtige Rolle. Jeuck (2015, 38) zufolge betrifft dies „die zur Verfügung stehende Zeit und Energie, die Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten, die Qualität der Kommunikationsbedingungen, die Konzeption und Qualität des Unterrichts“. Fehlen solche Gelegenheiten, kann es zu einer negativen Einstellung gegenüber der Zielsprache kommen. Motivation, Interessen, Leistungsbereitschaft etc. sind wesentliche Faktoren, um die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ zu überschreiten und sich mit Sprache zu beschäftigen (vgl. Jeuck 2015, 38f; Hayes 2012, 372). Dabei ist „Motivation […] der allgemeine Begriff für alle Prozesse, die der Initiierung, der Richtungsgebung und der Aufrechterhaltung physischer und psychischer Aktivitäten dienen“ (Gerrig & Zimbardo 2008, 414; Herv. v. Verf.). Sie kann extrinsisch („von außen gesteuert“) oder intrinsisch („von innen heraus“) vorliegen. Die Motivation, sich mit Sprache auseinanderzusetzen, kann zudem je nach Dimension variieren. Sie ist aber immer notwendig, um sprachliche Phänomene (auch aus ästhetischer Sicht) wahrzunehmen und sich mit ihnen (sei es gesteuert oder ungesteuert) auseinanderzusetzen.

Vergleichen Sie die beiden folgenden Aussagen. Welche ist eher intrinsisch, welche eher extrinsisch: Ich möchte eine gute Note im Rechtschreiben vs. Ich möchte weniger Fehler bei der Großschreibung machen. Es dürfte offensichtlich sein, welche Art der Motivation langfristig zu den günstigeren Lernprozessen führt: Eine intrinsische Motivation führt dazu, den „Stoff“ beherrschen zu wollen und damit idealiter zu einer internalen stabilen Attribution. Nach Köhnen (2011, 33) lässt sich deshalb Lern- und Leistungsmotivation im Sprachunterricht v.a. dadurch fördern, indem man ein realistisches Anspruchsniveau setzt, bei der Erklärung von Misserfolg/Erfolg günstige Attributionsmuster sowie eine positive Selbstwertbilanz anstrebt (Freude über Erfolg > Ärger über Misserfolg).

In allen Kontexten von Lernen suchen wir Gründe für Erfolge bzw. Misserfolge. Sie werden durch das Individuum selbst (= internal) oder durch Außenfaktoren (= external) beschrieben. Nach Holodynski & Oerter (2008, 548) erklären wir Leistungen entweder durch unsere Fähigkeiten (internal-stabil), durch besondere Anstrengung (internal-variabel), durch die Schwierigkeit der Aufgabe (external-stabil) oder Glück bzw. Pech (external-variabel). Anzustreben sind internal-stabile Attributionen.

Die Entwicklung eines bestimmten Habitus (z.B. „Ich bin ein guter Schreiber“) ist davon abhängig, in welcher Funktion wir uns jeweils mit Sprache auseinandersetzen bzw. diese gebrauchen: Zum Wissenserwerb, zur Unterhaltung, zur (ästhetisch-kulturellen) Bildung. Dadurch geraten unterschiedliche Aspekte von Sprache in den Blick. Domänenspezifisch können daher Unterschiede bestehen: Lesen Sie z.B. lieber Sachtexte oder Romane?

Die soziale Ebene bildet den äußersten Kreis unseres Modells. Hierbei handelt es sich v.a. um die sozialen Beziehungen, in denen Kommunikation (mit und über Sprache) stattfindet sowie die damit verbundenen Kontexte. Das Spektrum reicht von eher informellen Situationen (Familie, Freunde, Bekannte), institutionellen (Schule, Universität etc.) bis hin zu öffentlichen Situationen (Zeitung, Zeitschrift, Theater, Radio etc.). Eine Teilkompetenz stellt hier die Fähigkeit und Fertigkeit dar, das entsprechende sprachliche Register zu wählen (vgl. Kapitel 10). Also z.B. die Beantwortung der Frage, ob die Varietät Kiezdeutsch bei einem Referat in der Schule angemessen sein kann. Bereits zuvor haben wir angesprochen, dass auch der Spracherwerb an den Kontext gebunden ist. Folgendes Beispiel (nach Jeuck 2015, 16) illustriert dies. Stellen Sie sich vor, ein Kind spricht mit seinen Eltern nur Türkisch. Wenn das Kind mit seinen Eltern beispielsweise Eisenbahn spielt, erwirbt es spezifischen Wortschatz; wenn es aber nicht auch in einem deutschsprachigen Kontext Eisenbahn spielt, wird es keinen deutschen Wortschatz für diesen Bereich erwerben. Dies kann dazu führen, dass das Kind sich in der L2 dazu kaum äußert, Objekte als Ding benennt oder dafür Wörter aus dem Türkischen entlehnt (vgl. Jeuck 2015, 16).

In die soziale Ebene lässt sich auch das Modell der Sprachdynamik integrieren (vgl. Schmidt & Herrgen 2011). Dieses Modell geht davon aus, dass Sprecher ihr Sprachverhalten gegenüber ihren Kommunikationspartnern variieren und den entsprechenden Kontexten jeweils anpassen (vgl. Schmidt & Herrgen 2011, 29). Dieses Modell spricht in so einem Fall von einer Mikrosynchronisierung, wenn es eine Einzelsituation zwischen zwei Kommunikationspartnern betrifft. Eine Schülerin, die mit einem Mitschüler spricht, wird ihre Sprache in eine andere Richtung synchronisieren (z.B. in Richtung Jugendsprache) als bei einem Gespräch mit der Schulleiterin, wo eventuell eine gegenseitige Synchronisation in Richtung einer standardnahen Varietät erfolgt. Solche „Anpassungsvorgänge“, die nicht nur in der mündlichen, sondern auch in der schriftlichen Kommunikation erfolgen können, sind als Kompetenzen auf der sozialen und auf der kognitiven Ebene zu verorten. Schmidt & Herrgen (2011) gehen in ihrem Sprachdynamikmodell über die Synchronisierung auf der Mikroebene hinaus. Wichtige Bausteine ihrer Theorie sind weitere Synchronisierungsakte, die als Meso- und Makrosynchronisierungen bezeichnet werden. Mesosynchronisierungen verstehen sie als „Herausbildung gruppen- und situationsspezifischer sprachlicher Konventionen“ (Schmidt & Herrgen 2011, 31). Sie beziehen sich auf Sprachgemeinschaften innerhalb von Gruppen wie Klassenverband oder Peergroup. Makrosynchronisierungen sind „Synchronisierungsakte, mit denen Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sich an einer gemeinsamen Norm ausrichten“ (Schmidt & Herrgen 2011, 32). Eine Norm bildet dabei die standardsprachliche Schriftsprache. Es sind jedoch auch weitere Normen denkbar, die im Fokus einer Makrosynchronisierung stehen können, wie z.B. Formen eines regionalen Standards.

Ein weiterer Aspekt von Sprachkompetenz soll hier ebenfalls erwähnt werden. Er ist als „Außenperspektive“ sowohl auf der kognitiven als auch auf der sozialen Ebene zu verorten: Wie bewerten wir sprachliche Äußerungen? Sind wir als Sprecher durch sprachliche Ideologien „voreingenommen“? Bedeutsam für unsere Überlegungen ist vor allem die Ideologie der Homogenität einer Sprache (vgl. Maitz & Elspaß 2013, 35–36). Sie geht davon aus, dass eine Sprache tendenziell homogen, eher frei von Einflüssen anderer Sprachen und eigener Dialekte sein soll. Vorstellungen, die hiermit verbunden sind, äußern sich in Form von Attributen wie reine, schöne oder unverfälschte Sprache. Sprachliche Variation, generell eine Vielfalt in Äußerungen wird bei einem solchen „Glaubensgrundsatz“ als eher unerwünscht, ja teilweise als sprachbedrohend wahrgenommen. Zieht man jedoch beispielsweise die Karten des online verfügbaren Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA, Elspaß & Möller 2003) heran, wird schnell klar, dass sprachliche Variation auch in der gesprochenen Standardsprache völlig normal ist.

Um zu unserem bereits am Beginn dieses Kapitels präsentierten Wort der/die Butter zurückzukommen, empfiehlt sich folgende Karte des AdA: http://www.atlas-alltagssprache.de/runde-5/f15a-f/

Eine Auseinandersetzung mit der verbreiteten, jedoch falschen Annahme, dass eine Sprache möglichst homogen sein sollte, kann im Unterricht unter anderem mit den Karten des AdA angeregt werden. Aber auch verschiedene im Internet verfügbare Videos, die die vermeintliche Reinheit der deutschen Sprache thematisieren, können eine Diskussion im Klassenzimmer anregen. Hierzu bieten sich die folgenden Videos an. Das erste setzt sich mit der Bewertung von Jugendsprache, das zweite mit Kiezdeutsch auseinander.

 „Jugendsprache – Wandel statt Verfall?“ (13.11. 2018):https://www.youtube.com/watch?v=Rwcsry3mXvQ

 „Guckst du Beitrag über Sprache!“ (13.11.2018):https://www.youtube.com/watch?v=DL4XS4FOw_s

Einen differenzierten, wertneutralen Blick auf die Gesamtheit einer Sprache, inklusive ihrer alten und neuen Varietäten und Varianten, ihrer Heterogenität also, sehen wir als Teil der Sprachkompetenz auf der sozialen Ebene an. Dies ist vor allem deshalb relevant, um der Diskriminierung aufgrund einer heterogenen Sprachverwendung entgegenzuwirken, die im deutschsprachigen Raum eine lange Geschichte aufweist: Viele Generationen von Dialektsprechern haben z.B. in der Schule wiederholt eine Abwertung ihrer L1 erfahren müssen (zu den verschiedenen Facetten sprachlicher Diskriminierung siehe z.B. König 2015). Genauere Vorschläge zur Didaktik und Methodik in Bezug auf sprachliche Ideologien und deren Behandlung im Deutschunterricht finden sich in Eller-Wildfeuer & Wildfeuer 2018.

Vollmer & Thürmann (2013, 47f) weisen darauf hin, dass auch der Fachunterricht z. T. hohe sprachliche Anforderungen stellt, die sich auf den Lernerfolg auswirken. Sie sind maßgeblich von drei Dimensionen abhängig:

1 Welche Inhalte und Methoden werden gelernt?

2 Welche Zeichensysteme, Genres, Modalitäten müssen erworben werden (z.B. Symbole in der Mathematik: plötzlich schreibt man das <R> leicht anders und es auch hat eine andere Bedeutung)?

3 Welche kognitiv-sprachlichen Funktion müssen in Hinblick auf den Diskurs beherrscht werden?

Sie kommen zu den allgemeinsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten hinzu bzw. sind in diese eingebettet. Eng damit hängt daher die Textkompetenz und Diskursfähigkeit zusammen, d. h. die Fähigkeit, (domänenspezifisch) Textualität herzustellen und diesbezüglich über verschiedene Strategien zu verfügen, verbunden mit einem entsprechenden Repertoire sprachlicher Mittel (vgl. Kapitel 07 und 08).

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