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Waldwanderungen zwischen Heimat und Italien

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In vielen Romanen und Novellen Eichendorffs kam dem Wald eine überaus wichtige Rolle zu. Ganz überwiegend erschien er wie schon bei Tieck als stadtferne Gegenwelt, in die sich die Protagonisten zur quasireligiösen Sinnsuche zurückzogen.48 Zeitweilig aus ihrer gewohnten Lebenssphäre ausbrechend, erlebten Eichendorffs Protagonisten in solchen emotionalen Topographien des Silvanen amouröse, heroische oder militärische Abenteuer. Der Landschaftskontext der Handlung zeigte die stets männlichen und mehrheitlich adligen Akteure, die unter Bäumen wanderten, im Wald jagten und feierten oder in waldumstandenen Schlössern logierten.49 Eindeutiges Kontrastbild zum wild konnotierten deutschen Wald war der manierierte Garten des Südens, dessen nur scheinbare Idylle von betörenden Pflanzendüften, lockenden Wasserspielen und verführerischen Frauen unheilvolle Folgen zeitigen konnte.50

Schon das Vorwort von Ahnung und Gegenwart (1815) – einem frühen Werk Eichendorffs – wies ausdrücklich auf dessen politischen Entstehungszusammenhang hin. Dort rühmte der Dichter und Freiwillige der antinapoleonischen Kriege Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843), dass Eichendorff sich wie er „in den Reihen der Vaterlandsretter“51 soldatisch engagiert habe. Daneben waren diese Zeitereignisse auch in der Geschichte um die Grafen Friedrich und Leontin selbst präsent: Dies betrifft insbesondere das dritte Kapitel, das vor dem historischen Hintergrund des Tiroler Aufstandes gegen französische und bayerische Besatzungstruppen handelte.52 Angesichts dieser Befunde ist die Tatsache autobiographischer Prägungen in der Forschung grundsätzlich kaum umstritten – es besteht jedoch keineswegs Einigkeit über deren jeweiligen Grad und Stellenwert.53

Bereits der Beginn des Romans zeigte in einer Kombination fluvialer, montaner und silvaner Motive den Protagonisten Graf Friedrich „zwischen den grünen Bergen und Wäldern“54 der Donau. Nach einem freuderfüllten Aufenthalt auf einem waldumgebenen Schloss ließ Eichendorff Friedrich das später viel zitierte Gedicht Abschied schreiben. Dieses beschwor im Moment des Scheidens emphatisch und in persönlicher Ansprache den Wald, der unter anderem zur moralischen Rückversicherung diente: „Bald werd’ ich dich verlassen,/Fremd in der Fremde gehn,/Auf buntbewegten Gassen/Des Lebens Schauspiel sehn;/Und mitten in dem Leben/Wird deines Ernst’s Gewalt/Mich Einsamen erheben/So wird mein Herz nicht alt.“55 Die Beschwernisse eines entfremdeten Lebens fern des Waldes wurden Friedrich bald darauf deutlich angesichts der ihn nun bedrängenden Menschenmengen, denn zurück in der Residenzstadt empfand er nichts als Gedankenenge und besaß kaum mehr die Kraft zum Gebet. Deswegen wünschte er sich sehnsüchtig wieder „die kühle Waldund Bergluft“56 herbei, um sich mental zu wappnen und zu stärken. Als er sich schließlich aus schierer Lebensverzweiflung in der „tiefsten Einsamkeit des Gebirges“57 zurückgezogen hatte, traf er dort die Tiroler Aufständischen gegen Napoleon und schloss sich ihnen an. Einer der Jäger intonierte im Morgengrauen das Gedicht Der Tyroler Nachtwache, das die Zuhörenden zum solidarischen Kampf „gleichwie die Stämme in dem Wald“58 aufforderte.

Wenig später diskutierten Friedrich und sein Gefährte Leontin über die glorreichen Zeiten deutscher Freiheit, die sie als „frische, ewigjunge Waldesbraut“59 sehnsüchtig zurückerwarteten. Beide verstanden darunter keineswegs eine abstrakte philosophische Größe, wie sie etwa die rationale – und in Eichendorffs Augen demnach geschichtslose – Aufklärung postulierte. Vielmehr war das Objekt ihrer Sehnsucht Leontin zufolge „jene uralte, lebendige Freyheit, die uns in großen Wäldern wie mit wehmüthigen Erinnerungen anweht“60. Allerdings musste diese Zeit vergangener Größe und Waldfreiheit nach genauerem Nachdenken unwiederbringlich verloren gegeben werden, denn „die Wälder haben sie ausgehauen“61 zur Schwächung der Widerstandskraft des Althergebrachten – ein solches Motiv sollte Eichendorff in seinem nichtliterarischen Werk wiederaufnehmen. Am hoffnungslosen Ende der Geschichte entschied sich Friedrich, zur spirituellen Einkehr in ein natürlich waldumschlossenes Kloster zu gehen. Leontin hingegen sah seine Zukunft über dem Atlantik im „noch unberührten Waldesgrün“62 des amerikanischen Kontinents. Eichendorff schrieb damit sowohl den deutschen als auch einigen nichtdeutschen Wäldern das Potenzial zu, in ihrem Wildnischarakter Auswege aus scheinbar verzweifelten persönlichen wie gesellschaftlichen Situationen zu eröffnen.

Ebenfalls zahlreiche Waldbezüge bot Eichendorffs Novelle Dichter und ihre Gesellen (1834), die knapp zwei Jahrzehnte später erschien und den Wanderungen der Hauptfigur Baron Fortunat folgte. Einen gleichnamigen Protagonisten hatte bereits Tieck einem seiner Stücke gegeben, was sich auf ein traditionell waldnahes Literaturmotiv bezog.63 Auch in Dichter und ihre Gesellen spielten große Teile der Handlung unter Bäumen, sodass gleich zu Anfang ein Reiter „auf der grünen Höhe“ auftauchen und zwei Sätze weiter „der Wald von allen Höhen“ rauschen konnte.64 Kurze Zeit später erinnerte sich Fortunat anlässlich einer Gedichtrezitation wehmütig an das „Waldesrauschen meiner Kindheit“65, das als erhabene Erinnerung der Vergangenheit aufschien. Bald danach hatte ein wilder Waldmann seinen literarischen Auftritt, dessen rauschende „Waldessprache“66 dem gelehrten Latein der verachteten Philister positiv gegenüberstand. Eine unschuldig-ursprünglich imaginierte Waldumgebung beschrieb Eichendorff auch in diesem Werk als stadtfernen Hort der „ungebundenen Freiheit“ und der „glückseligen Abgeschiedenheit“.67

Nachdem die Handlung sich in das deutsche Sehnsuchtsland Italien verlagert hatte, verwarnte Fortunat den von den dortigen Frauen und Gärten allzu begeisterten Studenten Otto. Schließlich locke zu Hause das „Waldesrauschen unserer heimathlichen Berge“68, das die Reize der üppig blühenden mediterranen Vegetation mehr als aufwiege. So sang Fortunat nach seiner glücklichen Rückkehr aus dem warmen Süden wieder genordet diese Verse: „Mir aber gefällt doch Nichts so sehr,/Als das deutsche Waldesrauschen!“69 In Dichter und ihre Gesellen zeigt sich zwar – anders als bei Ahnung und Gegenwart – kein direkter tagespolitischer Kontext, aber es finden sich dessen ungeachtet ebenfalls silvane Identitätsstereotype. Damit siegte letztendlich doch die Lockung tiefgründiger deutscher Natur gegen die so flirrende wie oberflächliche Schönheit Italiens. Noch deutlicher als in den eichendorffschen Romanen und Novellen offenbaren sich Stilisierungen des Waldes zur romantischen Seelenlandschaft und Gegenwelt in zahlreichen seiner Poeme.

Der deutsche Wald

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