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Zwischenbilanz

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Joseph von Eichendorff war weit mehr als nur der emotional-naive Walddichter, wie ihn die breitere Öffentlichkeit und Teile der literaturwissenschaftlichen Forschung allzu lange und gerne beschworen. Wenngleich der Waldnatur ebenso wie bei Tieck in der Tradition der Romantik keinerlei Eigenwert jenseits der menschlichen Perspektive zugeschrieben wurde, bedarf dieses durch Rezeptionsverengungen weiter verfestigte Bild dennoch einiger Differenzierungen. So finden sich in Eichendorffs Werk nicht nur zahlreiche der bekannten und vertonten Waldidyllen, sondern ebenso weit weniger harmonische Waldszenarien zwischen erhabenem Schauder und dämonischem Schrecken. Darüber hinaus blieb der Wald wie schon bei Tieck ein positiv besetzter Zufluchtsraum, um im literarischen Gefilde der Poesie zeitweilig von den zermürbenden Anforderungen der Welt zu pausieren. Ein derartiges eskapistisches Moment war allerdings stets von der Erkenntnis des Dichters begleitet, im wirklichen Leben keine auf Dauer angelegte Vereinigung mit der idealisierten Natur erreichen zu können.

Zumindest im Zeitraum von 1806 bis 1815 verfasste Eichendorff auch Waldgedichte mit explizit politischem und militärischem Gehalt, die im historischen Kontext von napoleonischer Vorherrschaft und antinapoleonischen Kriegen standen. Dort erklärte der Dichter einen unvergänglichen Freiheitswald – und in ihm insbesondere die Baumspezies der Eiche – zum wirkmächtigen Kontrastbild der gesellschaftlichen Umstände wie zum trutzigen Sinnbild des Widerstandes gegen Frankreich. Zudem verklärte er ihn zum stolzen Symbol vaterländischer Vergangenheit, in dem die altehrwürdigen Tugenden von deutscher Freiheit und deutscher Treue seit germanischer Zeit verwurzelt seien. Auch Eichendorffs nichtliterarische Texte brachten an mehreren Stellen die abgelehnten Geistesbewegungen von Reformation und Revolution mit der Zähmung und letzten Endes Entwurzelung jener wilden Wälder in Verbindung. In eine ähnliche Richtung wies seine normativ unterlegte Gegenüberstellung von künstlichem französischen Freiheitsbaum und naturgemäßer deutscher Eiche.

Dabei geriet schon bei Eichendorff selbst der Wald zum emotionalmetaphorischen Bedeutungsträger, um im Feld der Literatur die von ihm ersehnte Einheit und Freiheit voranzubringen. Ungeachtet seines vergleichsweise gemäßigten patriotischen Sentiments, galt er in der Rezeption zunehmend als Inbegriff deutschnationaler Dichtung und seine Waldvorstellungen erreichten vermittels ihrer literarischen Qualität auch politische Popularität. An einigen Stellen erweiterte Eichendorff die solchermaßen imaginierte Nationalnatur noch, um über die Bäume hinaus die Bergwelt der Alpen oder die Flussnatur von Rhein und Donau einzubeziehen. Wenngleich eine solch gezielte Instrumentalisierung von Natur für nationale Zwecke weder naturhistorisch noch geschichtlich zu begründen war, unternahmen deutsche Dichter und Denker in der Folge verstärkt derartige silvapatriotische Anstrengungen.

Der deutsche Wald

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