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Stabilitätspolitik und Nationalklischee

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Die Literatur über den Publizisten Arndt erörterte vergleichsweise ausführlich dessen politische und nationale Einstellungen. Wenngleich sie sich dadurch von der überwiegend werkimmanenten Forschung zu Tieck und Eichendorff unterscheidet, dominierte in diesen Schriften lange Zeit eine Tendenz zur Idolisierung Arndts.9 Diese Interpretationen wichen erst nach 1945 langsam einer weniger affirmativen Perspektive. Während die historischen Zeitkonstellationen die Schärfe der jeweiligen Wortwahl beeinflusst hatten, veränderten sich Arndts grundlegende politische Ansichten kaum.10 Sein Politikverständnis entzieht sich jedoch anders als sein vergleichsweise stereotyper Nationalismus allzu schematischen Deutungsmustern, weil er neben konservativ-restaurativen auch liberal-demokratische Einstellungen vertrat.11

Zunächst setzte sich Arndt in jüngeren Jahren intensiv mit dem Gedankengut der Aufklärung auseinander. Im Laufe seines Lebens wuchs aber das Misstrauen gegen die abstrakten Prinzipien solcher „Gleichmacher und Völkerbeglücker“12, wie er sie verächtlich nannte. Gewaltsame Veränderungen der gesellschaftlichen Ordnung lehnte er grundsätzlich ab, da sie den unveränderlichen Prinzipien der Natur widersprächen. Sein Werk zeigt daher – im Gegensatz zu dem anderer später nationalbewegter Zeitgenossen – nicht einmal zeitweilige Begeisterung für das Geschichtsereignis der Französischen Revolution.13 Jedoch begrüßte er einige der in seinem Sinne positiven Folgen wie die Besserstellung der Bauern und die Machteinschränkung zulasten der höheren Stände. Grundsätzlich hielt Arndt an den traditionellen Einrichtungen von Adelsherrschaft und Monarchie fest, wollte aber teils tief greifende Reformen verwirklicht sehen. Und, obwohl er der grenzenlosen Volksherrschaft ablehnend gegenüberstand, forderte er zumindest die Verwirklichung einer eingeschränkten Mitbestimmung sowie die weitgehende Abschaffung der Zensur.

Sein Verhältnis zur Denkbewegung der Romantik entwickelte sich von früher geistiger Prägung hin zu späterer partieller Abwendung.14 Kritisch sah Arndt vor allem den in seinen Augen mangelnden Praxis- und Wirklichkeitsbezug vieler dieser Dichter und Denker, die sich aufgrund dessen zeitweise durch kosmopolitische und revolutionäre Ideen hätten verführen lassen. Demgegenüber vertrat er eine explizit (tages)politische Perspektive des Nationalen und entwickelte konkrete Gesellschaftsentwürfe für die Gegenwart. Während der Jahre der französischen Vorherrschaft und der antinapoleonischen Kriege zeigten seine historischen und politischen Schriften eine zeitweilige Wiederannäherung an das Gedankengut der Romantik. Ein gemeinsames Element waren antifranzösische Ressentiments, überdies offenbarten sich Parallelen im organischen Verständnis des Volkes als Resultat von Geographie und Klima.

Während indes die politische Romantik zunehmend das Ideal mittelalterlicher Adels- und Klerusherrlichkeit beschwor, stand für Arndt weiterhin das Volk im Mittelpunkt der Überlegungen.15 Den deutschen Fürsten warf er vor allem mangelndes Nationalgefühl vor, da sich viele von ihnen weder militärisch gegen Napoleon stellten noch einen deutschen Einheitsstaat ermöglichen wollten. Patriotisches Gegenbild zum Adel war für den Sohn eines freigelassenen Leibeigenen ein als urwüchsig idealisiertes Bauerntum, das besonderer Förderung bedürfe: Denn, „wo ein freier Bauer ist, da ist ein tapferes Volk, ein freies Land“16. In den Bauern sah er die Basis eines ständischen Staatsaufbaus, die ein stabilisierendes Gegengewicht zur bürgerlichen Welt der Oberschichten bilden sollte. Hierbei unterschied Arndt zwischen sittsamer Schlichtheit auf dem Lande und lasterhafter Oberflächlichkeit „in den Städten zwischen den Mauern“17. Aus nationalem Interesse forderte er unermüdlich eine umfassende Umverteilung von Bodenbesitz, um der Landbevölkerung ein angemessenes Leben zu ermöglichen. Demgemäß wollte auch er die sozialen Problemlagen der Zeit nicht durch eine Ablösung der Ständeordnung beseitigen, dachte aber bezüglich einer systemimmanenten Lösung im Gegensatz etwa zu Tieck oder Eichendorff in nationalistischen statt ethischen Kategorien.

Das von Arndt vertretene Modell gesellschaftlicher Ordnung kombinierte Aspekte der traditionellen Monarchie mit begrenzten demokratischen Bestandteilen wie der Idee der Volksbewaffnung oder der Freiheit von Presse und Wissenschaft. Deren fortgesetzte Einschränkung musste er auch persönlich erfahren, als er während der obrigkeitsstaatlichen Demagogenverfolgungen im Jahr 1820 für zwei Jahrzehnte die Lehrerlaubnis an der Bonner Universität verlor.18 Grundsätzlich verstand er solche politischen Freiheiten jedoch nicht im französischen Sinne als einen politischen Wert an sich, sondern lediglich als Voraussetzung für das Fortbestehen einer starken Nation auch ohne Nationalstaat. Im Jahr 1848 war Arndt, der Zeit seines publizistischen Lebens eine weitgehende Pressefreiheit und eine grundsätzliche Adelsreform gefordert hatte, ebenso wie Jacob Grimm Abgeordneter im Parlament der Paulskirche.19 Dort übte er generelle Kritik am mangelnden Nationalgefühl und anhaltenden Partikularismus der Fürsten ebenso wie an den radikalen Strömungen der demokratischen Bewegung. Daneben tat er sich mit konkreten waldbezogenen Anträgen hervor, etwa für die zeitgenössisch viel diskutierte Aufhebung der Jagdfrohnden zur Verbesserung der bäuerlichen Lebensbedingungen.20

Die Neubewertung Arndts nach dem Zweiten Weltkrieg führte auch dazu, dass sein ausgeprägtes nationales Denken anders als zuvor nicht mehr überwiegend positiv bewertet wurde. Vielmehr stellte die Forschung die Kombination von radikalnationalistischen und judenfeindlichen Denkmustern zunehmend kritisch dar.21 Generell waren diese im Zeitkontext kaum originell, aber infolge zahlreicher Rückgriffe auf biblische Sprachmuster prägnant formuliert und somit besonders wirkmächtig. Die Genese kollektiver Identifikation erfolgte bei Arndt in einzelnen Phasen, die die allgemeinen politischen Entwicklungen der Zeit spiegelten.22 Bis zur Jahrhundertwende hatte er in landespatriotischer Denkweise Pommern, das damals noch zu Schweden gehörte, als sein Vaterland verstanden. Emotional identifizierte er sich vor allem in seinen Gedichten und Märchen mit der Insel Rügen, auf der er geboren war.23 Bis zur Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 dehnte sich das Ziel seiner nationalen Sehnsucht auf das ganze Deutschland aus.24 Dieses definierte er unabhängig von jeweiligen Territorialgrenzen großdeutsch entlang der Sprachverbreitung, was unter anderem die Deutsch sprechenden Teile der österreichischen und schweizerischen Bevölkerung einschloss. In den folgenden Jahren propagierten seine Schriften diese Nationsvorstellung unter dem eindringlichen Motto „ihr müsset Deutsche sein wollen“25 immer radikaler, um die Bevölkerung zum Aufstand gegen Frankreich aufzurufen.

Mit den Kriegen 1813 bis 1815 schließlich erreichte die militante Beschwörung einer nun vor allem preußisch-deutsch verstandenen Nation ihren Höhepunkt.26 In diesem Zeitraum durchdrang all seine Schriften in obsessiver Weise eine nationale Weltanschauung, die zum Wesenskern seines Denkens geriet. Zahllose dem Volk statt den Fürsten zugeeignete Gedichte und Aufrufe verherrlichten mit heilsgeschichtlicher Emphase deutsche Kultur und Sprache zur Stärkung des Kampfgeistes.27 Besonderes Augenmerk legte er als Geschichtsprofessor auf ausführliche historische Herleitungen, um seinen politischen Argumenten und Forderungen gesteigerte Überzeugungskraft zu verleihen. Allerdings beruhten frühere Annahmen über die Reichweite dieser Propaganda auf Fehleinschätzungen der Breitenwirkung Arndts.28 Während seine Schriften in den nationalen und gebildeten Kreisen umfänglich rezipiert wurden, traf das für die explizit als Zielgruppe avisierten Massen schon aufgrund des eingeschränkten Alphabetisierungsgrades keineswegs durchgängig zu – ungeachtet damals verbreiteter Kommunikationsweisen wie etwa des Vorlesens.

Die nationale Identifikationsarbeit erfolgte bei Arndt vorrangig nicht über die Definition des Eigenen, sondern durch Abgrenzung von einem imaginierten Anderen.29 Im Zentrum stand Frankreich als zuerst noch vorbildliches Land der Nationalbegeisterung und Wehrbereitschaft, mit dem er sich in seinem Werk wiederholt auseinandersetzte. Nach der Französischen Revolution sah er im übermächtigen Nachbarland ein nachzuahmendes Exemplum für die Deutschen seiner Zeit, denen er in drastischen Worten einen Mangel an patriotischem Gefühl vorwarf.30 Damit einher ging zu Beginn die grundsätzliche Anerkennung von Bildung und Charakter der Franzosen, ehe er mit der Ausweitung der napoleonischen Expansionspolitik nach 1806 einen stets radikaler werdenden Volkshass vor allem gegen das Nachbarland predigte.31 Nun beschrieb er zunächst die Person Napoleons und schließlich die gesamte französische Nation mit den etablierten Völkerstereotypen als oberflächlich, frivol und lasterhaft.32 Die Franzosen bezeichnete Arndt abwertend als „Volk von Mischlingen“, dem er „echte Germanen und teutsche Menschen“ positiv gegenüberstellte.33 In eine vergleichbare Richtung wiesen Formulierungen vom drohenden Untergang eines Volkes, wenn es zu „abgeartet“ oder „verbastardet“ sei.34

Ein weiteres wichtiges Feindbild des arndtschen Nationalismus waren die Juden, die er im Hinblick auf vermeintliche Eigenschaften wie Beharrlichkeit und Überheblichkeit im Nationalen ausdrücklich mit den Franzosen verglich.35 In anderem Sinne zog er eine Parallele zu den Deutschen, die er in der Zeit der nationalen Erniedrigung „als eine Art Judenvolk, gleichsam als ein welthistorisches Opfer für andere“36 bezeichnete. Zahlreiche Stellen seines Werkes zeigten eine tief sitzende Abneigung gegen die jüdische Bevölkerung, die für ihn einen gefährlichen Fremdbestandteil im deutschen Volk darstellte.37 Ferner brachte Arndt diese Gruppe in enge Verbindung mit den von ihm abgelehnten Geisteshaltungen des Kosmopolitismus und des Liberalismus.38 Zur Erhaltung des deutschen Volkes plädierte er für ein striktes Einwanderungsverbot, wollte aber zumindest den schon im Land befindlichen Juden den – vorher auch von Vertretern der Aufklärung propagierten – Ausweg der Konversion zur letztendlichen Assimilation offenlassen. Der studierte Theologe Arndt respektierte zwar die heilsgeschichtliche Rolle des biblischen Judentums, sah aber in der Gegenwart eine deutsch-jüdische Konkurrenz um den Status des auserwählten Volkes. Schließlich führte er das unstete Wanderleben der Juden nicht auf die realiter gegen sie gerichteten Grunderwerbsverbote und Vertreibungen zurück, sondern auf eine vermeintlich nomadische Herkunft ohne die abhärtende Bewährung in Feld und Wald.39 Doch nicht nur in diesem Falle verknüpfte Arndt die naturalen Eigenschaften von Landschaften wiederholt mit den ethnisch-nationalen Charakteristika von Völkern.

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