Читать книгу JOHN ETTER - Stummer Schrei - John Etter - Страница 11

Kapitel 8

Оглавление

Bevor John ins Krankenhaus fuhr, machte er an seinem Büro halt. Susanne saß an ihrem Schreibtisch und hämmerte auf der PC-Tastatur herum. Es war John noch immer ein Rätsel, wie jemand so schnell schreiben konnte. Nach eigenen Angaben, die sie in ihren Bewerbungsunterlagen gemacht hatte, waren es fast dreihundert Anschläge in der Minute. Und jedes Mal, wenn er sie tippen sah, glaubte er das auch. Mit einem herzlichen Lächeln begrüßte sie ihn.

„Guten Morgen, Chef! Ich wollte dich schon anrufen. Vor fünf Minuten habe ich einen Namen gefunden, der zu der jungen Frau passen könnte.“

„Und der wäre?“

„Selina Hächler, sie verschwand vor fast zehn Jahren auf dem Schulweg.“

„Da war sie zehn. Soll das heißen, dass sich dieser …“, noch rechtzeitig stoppte John. Er wusste, dass er es nicht aussprechen durfte, was er dachte.

„Das dachte ich mir auch, Chef. Hier ist ein Bild von der Kleinen.“ John starrte auf das Foto eines Kindes. Dann nickte er vorsichtig.

„Das könnte sie sein. Such mir die Adresse raus, aber noch kein Anruf bei den Eltern. Ich will wissen, warum Selina ihren Nachnamen nicht nennen wollte.“

„Es kann dauern, bis sie dir vertraut.“

„Ich habe Zeit. Selina und ihre Tochter werden bei mir einziehen. Ich hab zusammen mit Bruno und Nina die halbe Nacht Zimmer renoviert und Möbel aufgebaut. Und das Jugendamt lässt es momentan auch einmal zu.“

„Das freut mich. Auch für dich. Ein bisschen Leben im Haus wird dir guttun. Ich wollte dir ja schon vorschlagen, eine WG zu gründen, falls das mit Alina nicht ins Rollen kommt.“ Ein Leuchten lag in den blauen Augen, das ihre Worte als Scherz kennzeichneten.

„Das wäre was geworden. Du die Chaotin und ich der Ordnungsfanatiker.“ Ging John jedoch gut gelaunt auf ihren Scherz ein. Susanne lacht.

„Na dann husch, raus mit dir. Es zieht dich doch schon wieder in die Klinik.“

„Merkt man das?“

„Wie es andere sehen, kann ich dir nicht sagen, aber ich bemerke schon, dass du nicht bei der Sache bist. Sobald ich die Adresse hab, ruf ich dich an.“ John nickte.

„Danke und Susanne, mach danach den Laden dicht und genieße die Sonne. Du hast es dir verdient.“

„Na, das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen, Chef. Aber ich muss noch unsere freien Mitarbeiter koordinieren. Haben wieder einiges an Fremdgehprämien in Aussicht.“ Sie lachte und warf ihre langen roten Haare zurück. John hatte das Büro noch nicht verlassen, da klapperten auch schon wieder die Tasten.

Fast hätte er die Tüte mit den Sachen im Kofferraum vergessen, so schnell wollte er das Krankenhaus betreten. John musste über sich selber lachen. So kannte er sich nicht. Trotz allem stand er bald vor Selinas Krankenzimmer. Er klopfte an und betrat den Raum. Sie saß auf dem Bett. Ein Zweites war inzwischen auch in den Raum gerollt worden, auf dem Lea saß und in einem Bilderbuch blätterte.

„Guten Morgen ihr zwei!“

„Guten Morgen, John!“ Selina begrüßte ihn mit einem dünnen Lächeln, das endlich auch ihre grauen Augen erreichte, die John an einen stürmischen See erinnern würden, wenn mehr Leben in ihnen wäre.

„Ich habe euch ein paar Sachen mitgebracht. Er reichte Selina die Tüte. Den Teddy zog er zuvor heraus und ging zu Leas Bett.

„Und der hier ist für dich.“ Die Kleine streckte die Hand aus und fuhr dem Teddy durch das weiche Fell. Dann drückte sie ihn an sich.

„Das wäre doch nicht nötig“, meinte Selina.

„Ich mache es gerne. Außerdem sind die Anziehsachen notwendig.“ John lächelte sie an.

„Danke!“ Tränen schwammen in den Augen.

„Nicht weinen, ich wollte, dass ihr euch freut.“

„Freue mich!“, antwortete sich Lea.

„Das ist schön. Ich werde mich jetzt erkundigen, wann ihr entlassen werdet.“

„Wohin kommen wir denn?“ Selina sah ihn ängstlich an.

„Nachher kommt noch eine Frau vom Jugendamt, um mit dir zu sprechen. Aber ich kann dir schon verraten, dass ihr zu mir ziehen könnt.“ Selina nickte, doch der ängstliche Ausdruck in ihrem Blick schwand nicht. John setzte sich zu ihr auf die Bettkante und senkte seine Stimme so weit, dass Lea, die mit ihrem Teddy spielte, ihn nicht verstehen konnte.

„Es muss keine Dauerlösung sein, wenn du es nicht willst. Aber fürs Erste ist das wohl die beste Lösung.“

„Es ist nur …“ Selina zuckte mit den Schultern. John legte eine Hand auf ihren Arm.

„Ich verstehe und du kannst mir vertrauen.“ Bevor Selina antworten konnte, klopfte es sacht an die Tür. John stand von dem Bett auf und setzte sich auf den Stuhl, bevor Selina ihren Besuch hereinbat.

Es war Anita Weber. Sie nickte John zu, stellte sich Selina vor und sah sich in dem Krankenzimmer um.

„Wollte Frau Dr. Bär nicht kommen?“

„Sie war kurz da, aber nach einem Anruf musste sie gehen“, erklärte Selina.

„Auch gut! Ich müsste alleine mit Ihnen sprechen, Selina.“

„Wenn es für dich okay ist, gehe ich mit Lea runter in die Cafeteria.“

„Das wäre nett, John.“

„Sie können mir ja sagen, wann wir wieder nach oben gehen können“, wandte er sich an Anita Weber.

„Das werde ich machen, Herr Etter.“

„Na komm, Lea. Dann schauen wir mal, was es Leckeres gibt.“ John nahm das Kind auf den Arm und sah noch einmal zu Selina, die wieder so ängstlich wirkte.

„Was isst du denn gerne?“

„Ich muss essen, was es gibt. Es gibt nämlich nichts anderes, als das, was die böse Frau immer gekocht hat. Und sie wurde wütend, wenn ich gesagt hab, dass es nicht schmeckt.“

„Also, ab jetzt kannst du immer sagen, wenn es dir nicht schmeckt. Und ich muss doch wissen, was du magst, damit ich für deine Mami und dich kochen kann.“ John strich ihr über die blonden Locken. Lea lehnte sich vertrauensvoll an ihn. So betraten sie die Cafeteria. John setzte das Kind ab, damit er das Tablett nehmen konnte.

„Magst du Kakao?“

„Kenn ich nicht. Kenne nur Wasser, Kamillentee und Milch.“

„Kakao ist Milch mit Schokolade.“

„Was ist Schokolade?“

„Das kann man nicht erklären. Wie wäre es denn, wenn du probierst, ob du Kakao magst?“

„Wie schmeckt Kakao?“

„Lecker, süß.“

„Süß mag ich. Mag auch gerne Zucker im Tee.“

„Gut! Und was möchtest du essen?“ Er hob sie hoch, damit sie das Speisenangebot begutachten konnte.“ Lea legte den Kopf schief.

„Kenn ich alles nicht. Kenn nur Brot mit Käse und Spaghetti mit Soße. Schmeckt aber nicht immer gut.“ John schluckte einen Kloß, der sich in seinem Inneren bildete herunter. Es tat ihm beinahe körperlich weh, was diesem Mädchen und seiner Mutter angetan worden war. Dass beide körperlich einiges aufzuholen hatten, sah man ihnen an. Auch hier würde er sich Hilfe holen müssen.

„Soll ich dir dann was aussuchen, was ich gerne gegessen habe, als ich so alt war, wie du?“ Sie nickte. Er griff nach einem Teller, auf dem ein mit Salami und Salat belegtes Croissant lag. Dann bezahlte er und führte Lea zu einem Tisch. Vorsichtig nippte sie an dem heißen Kakao.

„Lecker!“, nickte sie und trank gleich noch etwas. Dann biss sie in das Croissant. Auch das schmeckte ihr. John trank seinen Kaffee, während er sie lächelnd beobachtete.

„Möchtest du noch etwas?“, fragte er, nachdem sie aufgegessen hatte.

„Bin satt!“, befand Lea.

„Gut, jetzt müssen wir noch ein bisschen warten, bis wir wieder zu deiner Mami dürfen.“

„Was will die Frau von Mami?“

„Sie muss mit deiner Mami sprechen, damit ihr zu mir ziehen könnt.“

„Warum? Hat auch keiner gefragt, ob wir bei dem bösen Mann bleiben wollen.“

„Aber jetzt, wo ihr von dem bösen Mann weg seid, muss jemand wissen, wo ihr wohnt.“

„Warum?“

„Weil das so ist. Niemand wusste, dass ihr bei dem bösen Mann wart. Sonst wäre da auch jemand hingekommen und hätte nachgesehen, wie es euch geht.“ Es fiel John schwer, es kindgerecht zu erklären.

„Aber es kamen doch Leute zu Besuch.“

„Aber von denen hat keiner verraten, dass ihr da wart. Das war das Geheimnis des bösen Mannes.“

„Ist es auch ein Geheimnis, dass wir bei dir wohnen?“

„Nein, das werden bald alle wissen, die es wissen müssen.“

„Auch der böse Mann?“

„Nein, der wird es nicht erfahren. Und seine Schwester wird bestraft, weil sie euch nicht gut behandelt hat.“

„Und er nicht? Dann kann er uns doch von dir weg holen.“

Nun sah er die Angst, die immer in Selinas Augen stand auch im Blick ihrer Tochter und das Herz wurde ihm schwer.

„Nein, das kann nicht passieren. Er ist nicht mehr da, sonst wäre er auch bestraft worden.“

„Nicht mehr da? Hat Gott ihn bestraft?“ John war verwundert, ein kleines Kind, das nie sein Dachbodengefängnis verlassen hatte, von Gott sprechen zu hören.

„Was weißt du denn von Gott?“, fragte er interessiert.

„Mami hat erzählt, dass Gott uns irgendwann mal hilft und wir wohin kommen, wo es schön ist und wo uns keiner mehr wehtun kann. Und dass Gott böse Menschen bestraft.“

„Ja, man kann schon sagen, dass Gott den bösen Mann bestraft hat und euch so geholfen hat.“ Dann trat Anita Weber ein und setzte sich zu den beiden an den Tisch.

„Ich werde in den nächsten Tagen vorbeikommen und mal schauen, wie Selina und Lea sich eingelebt haben. Sie müssen noch mit der Ernährungsberaterin sprechen, für alle Fälle. Es gibt noch einiges, was die beiden jungen Frauen aufholen müssen.“ Dann stand sie auch schon wieder auf und verschwand.

„So, dann können wir jetzt zu deiner Mami gehen.“ John hob Lea auf seinen Arm und trug sie zu dem Krankenzimmer ihrer Mutter zurück.

Selina zog ihre Tochter in ihre Arme.

„Mami, hab Kakao getrunken, war lecker. Und da gibt es ganz viel zu essen.“

„Ja, erzähl mal, was alles.“

„Weiß gar nicht, wie das alles heißt. John hat mir so ein gebogenes weiches Ding mit Wurst und Salat drauf gegeben. Hat gut geschmeckt.“

„Das ist ja schön.“ Verwirrt sah sie John an.

„Ein Croissant mit Salami.“ Erklärte er. Selina gab einen Laut von sich, der halb Lachen, halb Schluchzen war.

„Ja, das habe ich früher auch gerne gegessen. Bevor ich bei dem bösen Mann gewohnt habe.“

„Wo war das? Hast mir nie erzählt, dass du nicht immer bei dem bösen Mann gewohnt hast.“ Lea löste sich von ihrer Mutter und sah sie interessiert an. Selina wurde blass.

„Ich möchte nicht darüber sprechen. Es ist kein schönes Märchen.“

„Mag aber Geschichten hören.“

„Ich bringe euch nachher noch Bücher mit. Dann kannst du Geschichten hören, Lea.“

„Das ist fein!“, nickte die Kleine.

„Selina, du hattest Nina Bär ja schon kennengelernt.“ Es fiel John schwer, Selina zu fragen, ob sie Nina mochte.

„Ja, sie ist nett. Glaube ich zumindest.“

„Ja, hat mir ein Buch mitgebracht.“

„Gut. Nina und ihr Mann, Bruno, sind regelmäßig bei mir zu Gast, denn ich habe früher mit Bruno zusammengearbeitet. Und wir sind gute Freunde. Aber es ist mir wichtig, dass du dich auch wohl fühlst.“ Sie lächelte.

„Es wird schon gehen.“

„Wir müssen auch über einige Dinge reden, doch das hat Zeit bis später. Jetzt spreche ich aber wirklich erst mit einer Ärztin, wann ich euch mit nach Hause nehmen kann.“ Während er die Tür schloss, hörte er Leas Stimmchen.

„John ist nett.“ Selinas Antwort wartete er jedoch nicht ab.

Im Stationszimmer traf er wieder auf die Ärztin, mit der er schon zweimal gesprochen hatte.

„Herr Etter, es ist gut, dass ich noch einmal mit Ihnen sprechen kann.“

„Ich wollte eigentlich nur wissen, was die Untersuchung bei Lea ergeben hat.“ Das Blut rauschte in seinen Ohren.

„Bei ihr ist soweit alles in Ordnung. Eine Unterernährung und daraus resultierende Mangelerscheinungen, die aber schnell in den Griff zu bekommen sind. Und das, was Sie befürchteten, ist nicht geschehen.“

„Das ist gut! Was muss bei der Ernährung beachtet werden?“

„Vitaminreiche Kost und viel frische Luft, dann dürfte sich das Problem von selber beheben. Nahrungsergänzung will ich eigentlich nicht verabreichen. Und das gilt für beide. Ein Medikament für die Mutter würde ich gerne mitgeben. Einmal eine Tablette am Morgen sollte reichen.“

„In Ordnung, ich werde es beherzigen. Wann kann ich sie abholen?“

„Wohin kommen die beiden denn?“

„Zu mir. Ich habe bereits zwei Zimmer eingerichtet.“

„Dann Morgen!“ Die Ärztin zwinkerte, so als wolle sie sagen, dass bei einem anderen Ort ihre Antwort anders gelautet hätte.

„Da bin ich aber froh. Muss ich noch andere Dinge beachten?“

„Nur Selinas labile Psyche. Und Lea sollten Sie genau beobachten. PTBS kann sich auch erst später äußern. Wobei ich glaube, dass Selina ihre Tochter gut beschützt hat.“ John nickte. Auch er hatte bereits bedacht, dass sich auch bei Lea später eine posttraumatische Belastungsstörung bemerkbar machen könnte.

„Ich habe bereits eine Psychologin eingeschaltet, die Selina auch schon besucht hat.“

„Das Problem mit Psychologen ist, dass sie nicht immer genau dann da sind, wenn der Patient sie dringend braucht.“

„Nina Bär ist nicht nur Psychologin, sondern auch eine gute Freundin. Das wird also schon werden.“

„Dann bin ich beruhigt. Was wissen Sie inzwischen über Selinas Eltern?“

„Ich habe ihren Namen und gleich wohl auch die Adresse. Aber bevor ich etwas unternehme, will ich wissen, warum Selina sie nicht erwähnt hat. Wobei ich es verstehen kann. Sie wurde mit zehn Jahren entführt. Und jetzt ist sie zwanzig.“

„Das ist ja noch länger, als ich vermutet hatte.“ Er konnte das Erschrecken in den Augen der Ärztin sehen und nickte.

„Sie wird Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten.“

„Halten Sie mich bitte weiterhin auf dem Laufenden. Ich möchte auf jeden Fall erfahren, wie es mit Selina weitergeht.“

„Das werde ich machen. Im Übrigen werde ich mich persönlich um die Krankenhausrechnung kümmern.“

„Das brauchen Sie nicht, dazu leben wir zum Glück in einem Sozialstaat.“

Nun ging er noch einmal zu Selina.

„So, gute Nachrichten, ich kann euch beide morgen früh abholen.“

„Das ist schön!“ Aber Selinas Stimme merkte er an, dass sie noch nicht wusste, was sie davon zu halten hatte.

„Soll ich euch trotzdem für heute noch ein Buch bringen?“

„Ja! Mami kann mir dann wieder eine Gutenachtgeschichte vorlesen.“

„Kann ich erst mit dir sprechen, John? Alleine?“ Er nickte und half ihr aus dem Bett. Die Sachen, die er für sie ausgesucht hatte, waren etwas zu groß, das fiel ihm sofort auf.

„Worum geht es?“ Sie hatten sich vor die Zimmertür gestellt.

„Was erwartest du, als Gegenleistung?“

„Nichts, ich mache es gerne. Und was die Dinge angeht, die dir angetan wurden, Selina, darüber können wir irgendwann sprechen, wenn du bereit bist. Jetzt geht es darum, dass ihr beide zur Ruhe kommt.“ Er streckte die Hand aus und legte sie ihr auf die Schulter.

„Ich kann gehen, wann immer ich will?“

„Natürlich! Du kannst auch ausziehen, wenn du eine andere Wohnung hast. Aber ich freue mich schon darauf, nicht mehr alleine zu wohnen.“

„Warum Lea und ich?“

„Weil ihr gerade Hilfe braucht. Und jetzt geh wieder zu deiner Tochter. Wir sprechen in den nächsten Tagen über alles.“ John öffnete die Tür und schob Selina zurück in das Zimmer.

„Ich wollte mich nur noch schnell verabschieden, Lea. Aber ich komme nachher mit einem Buch für euch zwei wieder.“ Dann verließ er das Krankenhaus und machte sich auf den Weg ins Präsidium, weil er mit Bruno sprechen wollte.

Sein Handy piepste und zeigte den Eingang einer Nachricht an. Sie war von Susanne und beinhaltete die Adressen des inzwischen geschiedenen Ehepaares Hächler. Er tippe schnell ein >Danke< und lief die Treppen hinauf in den zweiten Stock. Bruno saß bei geöffneter Bürotür an seinem Schreibtisch und las in einer Akte. Er sah jedoch hoch, als John gegen den Türrahmen klopfte.

„Komm rein!“

„Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich Selinas Nachnamen kenne und, dass sie zusammen mit Lea bei mir einziehen wird.“

„Und wie ist Selinas Nachname?“

„Hächler, sie ist vor zehn Jahren auf dem Schulweg entführt worden.“

„Vor zehn Jahren sagst du? Einen Moment!“ Bruno tippte etwas in seinen Computer.

„Hier haben wir es ja. Kollege Röllin hat den Fall bearbeitet. Zusammen mit Franziska Talmann.“

„Du sprichst mit Röllin, ich mit Franziska Talmann?“

„Sprich du mit beiden. Ich muss mich wieder um Adelina Pazzotti kümmern.“

„Was hat sie denn ausgesagt?“

„Selina war freiwillig da und sie hätte Lea oben eingeschlossen. Aber, da sie den Schlüssel zum Dachgeschoss in der Kitteltasche hatte, können wir diese Aussage widerlegen. Gleich darf ich sie zum Haftrichter fahren.“

„Und, was meinst du?“ Bruno schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung! Ich glaube nicht, dass sie in Haft geht. Nicht vorbestraft, fester Wohnsitz, du kennst das ja.“

„Ja und ich habe es früher schon gehasst. Ich mach mich dann mal auf den Weg zum Kollegen Röllin. Ich will was über Selinas Eltern erfahren.“

„Warum rufst du nicht einfach an?“

„Weil ich erst wissen will, weswegen Selina auf stur schaltet, wenn das Gespräch auf sie kommt, bevor sie erfahren sollen, dass ihre Tochter lebt.“

„Findest du das fair?“

„Ganz ehrlich, Bruno? Ich weiß es nicht. Aber ich bin eher Selina verpflichtet, als ihren Eltern. Sie muss geschützt werden.“

„Da hast du natürlich recht. Melde dich heute Abend. Ach ja, viel Spaß mit deinen neuen Mitbewohnern.“

„Danke! Und kommt doch in den nächsten Tagen vorbei. Selina muss ja auch mal an andere Menschen gewöhnt werden.“

„Mal sehen, wann wir Zeit finden. Aber wir sind auf jeden Fall für dich da, wenn du jemanden brauchst.“

„Ich weiß!“ John verabschiedete sich und ging zur Tür. Hier drehte er sich noch einmal um.

„Ach ja, welches Büro hat Röllin eigentlich?“

Wenig später stand John vor einem Büro im ersten Stock. Er klopfte an die verschlossene Tür.

„Ja!“ Die Stimme war kratzig und klang nicht freundlich. Dennoch stieß John die Tür auf und betrat den Raum. Der Mann hinter dem Schreibtisch sah müde aus. So müde, wie John sich bei manchem Fall gefühlt hatte.

„Hallo, ich bin John Etter, ein ehemaliger Kollege und ich arbeite inzwischen als Privatdetektiv.“

„Ich weiß, wer du bist. Der ehemalige Partner von Bruno Bär.“ Auch die Stimme des Mannes klang müde. John nickte zu dem Stuhl vor dem Schreibtisch.

„Darf ich mich setzen, was wir zu besprechen haben, könnte eine Weile dauern.“

„Was soll ich denn mit dem Wunderknaben zu besprechen haben?“

„Es geht um Selina Hächler. Vielleicht erinnerst du dich an den Fall“, ging John über seine Anspielung hinweg.

„Natürlich. Eine der wenigen Kinder, die ich nicht zurückgebracht habe. Meine Ehe ist darüber zerbrochen, weil ich sie auch in meiner Freizeit gesucht habe, nachdem alle anderen schon aufgegeben haben.“

„Selina ist wieder da.“

„Was? Wann und wo?“ Jetzt kam endlich Leben in den Mann.

„Vor zwei Tagen. Hast du nicht von dem Unfall mit dem unbekannten Toten und dem Mädchen gehört?“

„Doch, aber so was interessiert mich nicht. Ich suche vermisste Kinder.“

„Wir haben den Toten identifiziert und das Mädchen jetzt ebenfalls.“

„Wusste sie nicht mehr, wer sie war? Nach so langer Zeit auch kein Wunder.“

„Ich denke, dass sie es noch weiß, aber nicht sagen will. Und ich will wissen warum.“

„Wer war der Mann, bei dem sie aufgegriffen wurde?“ Interesse kehrte in den Blick des alten Ermittlers zurück.

„Alberto Pazzotti.“

„Sagt mir nichts. Gab damals auch kaum Hinweise.“

„Was sagten denn die Eltern?“

JOHN ETTER - Stummer Schrei

Подняться наверх