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7: Junior Choice

Jeden Samstagmorgen versammelten wir drei – Mum, Dad und Nigel –

uns am Küchentisch, um zu frühstücken. Im Radio lief um acht Junior Choice mit Ed „Stewpot“ Stewart, das Kindern und ihren Eltern eine weitere hervorragende Möglichkeit bot, einander näher zu kommen.

Aus dem ganzen Land schickten die Leute Briefe. Ed begann sie vorzulesen: „Wir haben einen Brief von Edith Baker aus Accrington. ‚Lieber Ed, unser Jimmy feiert am Samstag seinen achten Geburtstag, und für seine Feier hat er sich einen Kuchen mit einem Bild von dir darauf gewünscht!‘“

Glucksend fuhr Ed fort: „Ich kann mir niemanden vorstellen, der diesen Kuchen essen will, Edith, sind Sie sicher, dass es eine gute Idee ist? Sie schreibt weiter: ‚Wir verpassen die Sendung nie. Könnten Sie ihm bitte etwas aus dem Dschungelbuch vorspielen‘. Nichts lieber als das“, sagte Ed in seiner freundlichen, näselnden Stimme.

Und los ging’s mit „I Wanna Be Like You“. Keith Wests „Excerpt From A Teenage Opera“ wurde in Junior Choice gerne gespielt, ebenso „Puff The Magic Dragon“ und alles von Mary Poppins. Und wir waren alle Wachs in Eds Händen, wann immer er „Supercalifragilisticexpialidocious“ spielte.

Um zehn Uhr war die Sendung vorbei, und wir machten uns für den Wochenend-Einkauf fertig. Sonntags zogen wir uns für die Kirche an. Obwohl Dad nicht arbeitete, kam er merkwürdigerweise auch sonntags nicht mit uns in den Gottesdienst. Er zog es vor, im Auto zu sitzen und die Zeitung zu lesen. Würde Dad deshalb nicht mit Mum und mir in den Himmel kommen?

Zu Hause hörten wir nachmittags wie gebannt Rundfunksendungen. Dad hatte dem Trend nachgegeben und sich in den frühen 1970ern auch eine HiFi-Anlage zugelegt, was in meinen Augen eine notwendige Entwicklung war, so wie das zusätzliche Vinyl-Dach für den Ford oder Nylon-Shirts. Das bedeutete, dass wir jetzt im Fernsehraum Musik abspielen und Radio hören konnten.

Die HiFi- oder Stereo-Anlage – dieses System besaß zwei Lautsprecher –

stand auf einem speziell angefertigten Bord links von Dads Polstersessel und gehörte damit klar in seinen Machtbereich. Er fing an, Alben zu kaufen: Dvoraks Greatest Hits und Rimsky-Korsakovs großartige Scheherazade.

Für manche Einkäufe taten sich Mum und er zusammen, etwa für Max Bygraves Sing-Along-A-Max-Serie. Max tat damals, was Rod Stewart später mit The Great American Songbook machte. Das war tolle Partymusik, wenn meine Tanten und Onkel zu Besuch waren und Drinks serviert wurden.

Aber im Grunde waren die Taylors eine Radio-Familie.

Wenn die Langeweile von Dads Sonntags-Cricket ausgestanden war –

alle schliefen dabei ein, auch er –, begann um siebzehn Uhr auf Radio 1 die Top 30 Chart Show. Dad, ich und meine Oma, die zu Besuch war, kamen am Wohnzimmertisch zusammen, während Mum Tee, Sandwiches, Kuchen und, wenn wir Glück hatten, ihren unerreichten Trifle auftischte. Es gab in der ganzen Woche kein Ereignis, das die drei Generationen mit so viel Begeisterung zusammenbrachte wie die Top 30 Chart Show.

Eigentlich war es der Enthusiasmus von mir und meiner Mutter, der die Party zum Laufen brachte; Dad und Oma hätten ebenso gut darauf verzichten können. Aber sie schwammen mit dem Strom, und es fühlte sich zumindest so an, als würden uns die Höhen und Tiefen der Pop-Welt alle gleichermaßen erregen. Es war eine der wenigen gemeinsamen Familien-Aktivitäten.

Der Höhepunkt kam um fünf Minuten vor sieben. Dann wurde der nationale Nr.-1-Hit in voller Länge gespielt, es sei denn, der Song war so beliebt wie George Harrisons „My Sweet Lord“, der scheinbar monatelang den Spitzenplatz besetzte. In diesem Fall spielten sie bloß ein paar Takte des Songs, was ein Segen war, wenn man das Lied Woche für Woche bis zum Überdruss gehört hatte.

Mit der Zeit fiel mir auf, dass die Lieder, die ich wirklich mochte, es selten an die Spitze schafften. Meistens waren die Nr.-1-Songs etwas zu kitschig für meinen Geschmack: „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“, „Welcome Home“ oder „I’d Like To Teach The World To Sing“. Talentshow-Gewinner oder Songs aus TV-Werbespots. Die coolen Songs schienen sich etwas außerhalb der Top 10 anzusiedeln. Wenn der Nummer-1-Hit gelaufen war, setzte Radio 1 aus, und es war Zeit für den Seewetterbericht – diese merkwürdig interessante Lektion in Sachen Wetter und europäischer Geografie. Was war Dogger Bite? Danach beanspruchten die Diensthabenden bei BBC Light Entertainment die Radiowellen wieder für Your Hundred Best Tunes mit rührseligem Zeug wie „In A Monastery Garden“ und „Songs My Mother Taught Me“. Dad machte es sich in seinem Sessel bequem, vielleicht mit einem Drink aus dem vorderen Zimmer, und Oma, die leise mitsang, nickte manchmal ein, wenn sie ein oder zwei Gläschen getrunken.

Die Simon Road 34 war ein musikalisches Haus, allerdings nicht im Sinne der Trapp-Familie. Niemand konnte auch nur eine Note spielen, und es gab im Haus kein einziges Musikinstrument. Und keiner wagte es, laut zu singen, außer Dad, wenn er blau war.

Abgesehen von Mums Transistor-Radio und Dads Stereo-Anlage gab es noch das treue, mit Eichenholz verkleidete Grammophon, das, solange ich denken konnte, im vorderen Zimmer auf dem Boden stand. Es war ein Erbstück aus Großmutters Haus. Mum und Dad benutzten es nur selten und stellten Karaffen und Whiskygläser darauf ab. Ein Bord neben dem Plattenteller war mit einer Auswahl von abgegriffenen Schellackplatten vollgestellt. Diese Überreste der Tanzmusik-Ära – Connie Francis, Frank Sinatra, Peggy Lee – waren das Spielzeug meiner Eltern gewesen und ausrangiert worden, lange bevor ich zur Welt kam.

Zwei Dinge an diesem alten Möbelstück faszinierten mich. Das war zunächst, seit ich ein Kleinkind war, der Plattenteller selbst. Es machte Spaß, ihn als Teststrecke für meine Matchbox-Autos zu benutzen. Ich hielt die kleinen Fahrzeuge so nahe an den kreisenden Filz, dass die Räder in den sich wie verrückt drehenden Belag griffen. Dabei beugte ich mich herunter, um eine Nahansicht der winzigen Reifen zu bekommen. Den visuellen Eindruck begleitete ich mit stimmlich erzeugten Sound-Effekten: der Gangschaltung und dem Brummen der Motoren.

Das zweite Element, das mich in späteren Jahren an der Musiktruhe faszinierte, war ein Röhrenempfänger, der zum Warmlaufen über eine Minute brauchte. Das Radio empfing Signale aus ganz Europa, und auf dem Frequenzband standen Orte wie Hilversum und Luxemburg, die einen exotischen Reiz ausübten. In meinen häuslichen Geografie-Stunden hatte ich vage von ihnen gehört. Der Ton schwankte, mal war er gleichmäßig und beruhigend, mal stotterte der Empfang. War das ein Spionage-Netzwerk? Ich liebte das Geräusch, wenn der Empfang schlecht war, fast genauso wie die Sendungen. Das Knistern, Ploppen und Zischen waren Töne von anderen Planeten.

Ich presste mein Ohr an den Lautsprecher und drehte, langsam wie ein Safeknacker, am Regler, in der Hoffnung, den Sender besser reinzukriegen. Es gab alle Arten von Musik; etwas Pop, häufiger aber erhebende Sinfonien und eine spröde, rhythmische Musik, bei der es sich, wie ich später erfuhr, um Jazz handelte. Fremde Sprachen schwappten in den Raum, Wetterberichte, Hochwasser und glühende Hitzewellen.

Es war, als würde das ganze Universum durch einen Trichter in das vordere Zimmer unseres Hauses gefüllt. Das war aufregend, und es ging so vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ein Zimmer, das gerade mal neun Quadratmeter maß, war zu einem Raum von unendlicher Größe geworden, wie die TARDIS bei Dr. Who. Dieser Raum würde nicht mehr nur sonntags und an Weihnachten benutzt werden. Ich musste in der Nähe dieses Apparats bleiben.

Sonntagabende endeten unweigerlich mit Dads Aufforderung: „Mach dich fertig, Junge, morgen ist Schule. Ab ins Bad.“

„Alles klar, Dad, mach ich“, antwortete ich dann. Doch anstatt gleich für die obligatorische Körperpflege nach oben zu gehen, schlüpfte ich in die Stube und schaltete im Dunkeln das Radio ein. Das Licht, das es abstrahlte war zu schwach, um mich zu verraten. „Wo ist jetzt dieses Radio Luxemburg auf der Skala?“, fragte ich mich, als die Röhren warmliefen.


Gefährlich gute Grooves

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