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8: Meine Mondlandung

Als ich elf war, absolvierte ich das vorgeschriebene Elf-Plus-Examen, das darüber entschied, ob ich auf ein Gymnasium oder eine Mittelschule gehen würde. Traditionell war das Gymnasium angesagt. Mein Vater ließ mich in einem Anfall pädagogischer Einsicht eine spezielle Prüfung für Birminghams bestes Gymnasium, die King Edwards Grammar School, ablegen (dort hatten sie J. R. R. Tolkien unterrichtet). Aber ich fiel durch, nachdem ich mich zwischen den Tests beim Herumtollen auf dem Sportplatz völlig mit Matsch beschmiert hatte. Mein Dad bekam einen solchen Wutanfall, dass ich mich in der zweiten Runde nicht mehr davon erholte und mit den Aufgaben nichts anfangen konnte.

Ich mochte nicht der fleißigste Schüler gewesen sein, doch ich bestand das reguläre Elf-Plus-Examen und verließ die beschränkte katholische Welt von Our Lady of the Wayside in Richtung der grüneren Gefilde der County High School in Redditch. Die Schule war eine sechzigminütige Busreise von unserem Haus in Hollywood entfernt. Ich gewöhnte mich dort nie recht ein. Auch dort war das System sehr konkurrenzbetont, und die Klassen waren größer. Es war mir unmöglich, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ich gebraucht oder mir gewünscht hätte. Nach ein paar mit fragwürdigem Erfolg absolvierten Jahren („Schlechteste zweite Klasse aller Zeiten: 2F3“; „Schlechteste dritte Klasse in der Geschichte der Schule: 3F2“) begann ich blauzumachen.

Zuerst schwänzte ich Sport, dann auch den Unterricht im Anschluss daran. Mit der Zeit fiel es mir immer schwerer, Interesse für das schulische Angebot aufzubringen. Ich war kein Star auf dem Sportplatz, schaffte die Arbeit nicht, ich war nicht im Orchester, und in der Klasse hatte ich keinen Anschluss. Meistens beschäftigte ich mich obsessiv mit Julie McCoy, mit der ich jeden Abend mindestens eine Stunde telefonierte. Die Tatsache, dass sie einen Freund hatte, hielt mich nicht davon ab, aber sie sorgte dafür, dass nicht mehr daraus wurde.

Die Schule gab mich schließlich auf. Ich hielt mich für sehr clever, dass ich damit durchkam, aber die Lehrer dachten wohl einfach: „Warum sollen wir uns mit ihm abmühen, wenn wir all die anderen Kinder haben, die das wollen, was wir ihnen anbieten?“

Meine Eltern hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Sie kümmerten sich noch weniger um meine Schulausbildung als ich. Wenn die Schule ihnen einen Brief schrieb, um mich zu verpfeifen, konnte ich das förmlich riechen, und er kam nie an. Ich wurde ein versierter Fälscher. Ich konnte die Unterschriften meiner beiden Eltern perfekt imitieren, und es war leicht, ein „E“ auf dem Zeugnis in ein „B+“ zu verwandeln, was eigenartig war, wenn man den dazugehörigen Kommentar berücksichtigte: „Er hatte ein sehr schwaches Jahr, seine Leistungen sind weiterhin enttäuschend, B+.“

Während die Bedeutung der Schule abnahm, wurde die Musik zu einem immer größeren Einfluss in meinem Leben.

Als ich zwölf war, übernahm mein fünf Jahre älterer Cousin Eddie, der im Viertel der Zeitungsjunge war, von meinem Vater die Rolle als wichtigstes männliches Vorbild. Ich war, ganz so wie es in all den Büchern über die Erziehung von Jungen steht, auf Zielkurs. Er hatte drei Schwestern, was ein zusätzlicher Grund dafür gewesen sein mag, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihm nach Hause zu radeln.

Eddie besaß außerdem eine expandierende Plattensammlung. Keine gewöhnliche Plattensammlung, sondern eine Sammlung von Alben. So ziemlich jeden Künstler, der sein Geld wert war, habe ich zuerst in der Gesellschaft meines Cousins Eddie gehört: David Bowie, Rod ­Stewart, Elton John, Cat Stevens, James Taylor, Melanie … okay, nicht alle waren so bedeutend, aber wie er seine Musik liebte! Und er hatte die entsprechenden Poster an der Wand. Eddie verschrieb sich restlos dem Rock-Mythos.

Vierzig Jahre später ist er immer noch ein wahrhaft Gläubiger. Vierzig Jahre später rufe ich ihn immer noch an, wenn ich wissen will, was in der britischen Musikszene los ist.

Ich half ihm beim Austragen der Zeitungen und wurde vorzeitig in die Welt männlicher Teenager eingeführt, in die Welt der Mädchen und des Aftershaves, der Rennräder und Klamotten: Rundkragen, Schlaghosen, eng anliegende Fairisle-Pullover und Plateauschuhe.

Das war 1972.

Wenn ich mit Eddie und seinen Freunden zusammen war, fühlte ich mich groß. Ich wurde ohne Einschränkung akzeptiert, wie von Mum und Dad, aber das hier war viel cooler.

Ich erinnere mich, wie er mir Bowies Album Hunky Dory vorspielte, mein erster Kontakt mit diesem kulturellen Giganten der Siebziger.

„Wart’s ab, Kleiner“, sagte Eddie. „Bowie wird richtig groß werden. Wir haben Tickets für seinen Gig in der Town Hall nächste Woche, zehnte Reihe. Nicht wahr, Stan?“

Eds Kumpel Stan nickte eifrig. „Jawohl, haben wir, Ed.“

„Das wird richtig gut, Kleiner, hör dir das hier mal an.“

Der Tonarm des Plattenspielers senkte sich noch einmal. Das Album lief wieder. „Still don’t know what I was waiting for …“

Anders als Ed, der auf Singer-Songwriter stand, sagten mir Bands mehr zu. Ich mochte das Zusammenspiel der Musiker, zwischen Gitarrist und Sänger: Rod und Woody, Mick und Keith, David und Mick, großartige Allianzen, die mich weit mehr ansprachen als die einsame Troubadour-Pose. Zwei Typen oder mehr, vielleicht vier oder fünf, das war eine Gang. Es war Kult, und es war sexy.

Roxy Music war die Band, die meine besondere Aufmerksamkeit auf sich zog, weil alle darin Stars waren, ungewöhnlich aussahen und musikalischen Charakter hatten. Ihr Debüt in Top of the Pops im August 1972 veränderte alles für mich.

Es ist schwer zu sagen, was innovativer war, der Sound oder die Optik.

Beginnen wir mit dem Sound: Sci-Fi-Trash und Vaudeville, treibende Backbeats und schmachtender Gesang im Stil von Sinatra. Und das Aussehen: Lipgloss, Pelz und ein kalbslederne Handschuhe tragender Keyboarder, der im Grunde nicht spielte, sondern stattdessen fleißig Knöpfe betätigte.

Ich klebte förmlich am Fernseher.

Das war meine Mondlandung.

Ich träumte nie davon, ein Frontmann zu sein, aber ich fing an, mich irgendwo in einer Truppe zu sehen, vielleicht ein Stück links vom Scheinwerferlicht.


Gefährlich gute Grooves

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