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6.

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Der Uhrmacher kam aus einem Hinterzimmer in den Laden, als die Türglocke klingelte. Er sah aus wie die Parodie eines alten Uhrmachers, mit Brillengläsern wie Flaschenböden, die seine Augen doppelt so groß aussehen ließen. Er hatte einen leichten Buckel vom ständigen Beugen über kleine Zahnräder. Mit seinen karierten Filzpantoffeln schlurfte er zum Tresen und lächelte Hellberg freundlich an, der sich nervös im Laden umsah. Der Laden war winzig und wirkte fast klaustrophobisch. Die Wände, die mit unzähligen tickenden antiken Uhren vollhingen, waren in Zigarrenduft getränkt.

„Guten Tag. Vielleicht können Sie mir helfen“, begann Hellberg. „Ich suche eine Uhr … eine besondere Uhr … das Modell heißt ‚Clockwork tide‘.“

„‘Clockwork tide‘? Ist das eine englische Uhr?“, fragte der Uhrmacher, ohne weiter zu reagieren. „Sind Sie sicher, dass die Uhr so hieß?“

Hellberg war verunsichert. War er am falschen Ort? Kurzzeitig bekam er Panik. Die Angst vor allen möglichen Konsequenzen durchzog ihn.

„Vielleicht haben Sie eine Empfehlung?“, hörte er den Uhrmacher fragen.

Er sammelte sich. Wovor hatte er Angst? Er hatte nichts Verdächtiges getan. Er war in einen Laden gegangen und hatte nach einer Uhr gefragt, von der er zufällig gehört hatte. Er räusperte sich und schluckte.

„Ja“, sagte er. „Ein Freund, der Tiefseetaucher ist, hat sie empfohlen.“

Der Uhrmacher nickte schweigend.

„Ja, dann kann ich Ihnen vielleicht helfen, aber das kann so eine Woche dauern … ehe ich die Lieferung bestätigen kann … und ich habe Kosten dabei …“

„Ja, natürlich … wie viel?“

Der Mann zögerte einen Augenblick, rechnete im Kopf und sagte dann schnell:

„Fünftausend Dollar.“

Ohne auf die Höhe der Summe zu reagieren, zog Hellberg eilig seine Brieftasche hervor und zählte die Scheine auf den Tresen.

„Bitte schön.“

„Und wie erreicht man Sie?“ Der Mann nahm das Geld und steckte es in seine Hosentasche.

„Ich möchte den …“ Hellberg hielt inne und suchte das richtige Wort. Lieferant? „Ich würde den Lieferanten gern persönlich treffen. Muss das hier in Zürich sein?“

Der Uhrmacher schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, natürlich nicht. Wo hätten Sie das Treffen gern?“

„Mallorca? Wäre Mallorca gut? Ich kann den Flug dorthin bezahlen.“

Der Mann sah ihn forschend an.

„Das ist nicht nötig“, sagte er.

„Ich habe eine Telefonnummer“, fuhr Hellberg enthusiastisch fort und holte einen Zettel mit einer Telefonnummer hervor, die er den Uhrmacher abschreiben ließ.

Ray Lambert hatte gerade geduscht, sich rasiert und einen Kamm durch die schwarzen Haare gezogen, die er inzwischen ohne Scheitel nach hinten kämmte. Er stand in dem dicken, gelben Frotteebademantel da und betrachtete sein Aussehen im Spiegel. Er hatte Falten am Hals und um die Augen bekommen. Die olivfarbene Haut hatte er von seinem Vater geerbt. Auch die braunen Augen, aber die große Nase kam von seiner irischen Mutter.

Er wusste, dass er trotz seines Alters gut aussah. Er hatte einen gewissen Ankratz bei den Frauen. Dennoch spielten Frauen eine untergeordnete Rolle in seinem Leben. Zufällige Verbindungen hatte er reichlich gehabt – oft mit Prostituierten. Aber seine Arbeit machte es schwierig, sich in einer festen Beziehung zu binden.

Vielleicht ging es ihm allein auch einfach besser. Jetzt hatte er jedenfalls die Grenze im Leben überschritten, wo er sich noch an einen anderen Menschen hätte anpassen können. Er hatte sein Leben aufs Alleinsein ausgerichtet und konnte sich nicht vorstellen, seine Umkreise stören zu lassen.

Als junger Kadett in Quebec war er einmal verheiratet gewesen. Eine kurze, stürmische Ehe, die anderthalb Jahre andauerte und eine Tochter hervorbrachte. Susan hatte ihn verlassen und war mit dem Kind nach Queens zurückgekehrt. Seitdem hatte er weder sie noch seine Tochter wiedergesehen, aber er wusste, dass Susan kurz nach der Scheidung einen Mann geheiratet hatte, der Aluminiumfassaden verkaufte. Der Mann hatte die Tochter adoptiert.

Sie gehörten zu einem anderen Leben.

Dem Leben von einem anderen Menschen.

Er dachte selten daran. Aber jetzt vor dem Spiegel, als er sein eigenes Altern betrachtete, glitten seine Gedanken zu seiner Tochter, die inzwischen fünfundzwanzig sein musste. Vielleicht hatte sie eigene Kinder. Vielleicht war er Großvater, wurde ihm klar. Er lachte auf und dachte, dass er das herausfinden sollte. Vielleicht sollte er ein Testament machen und ihre Zukunft sichern? Sentimentalität war ein Fremdwort für ihn und das ungewohnte Gefühl ließ ihn zusammenzucken. Zuerst müsste ich etwas zu vererben haben, dachte er zynisch.

Er hatte nie für die Zukunft vorgeplant, sondern immer im Jetzt gelebt. Das Schicksal hatte ihn von Ort zu Ort und zu verschiedenen Geschehnissen geführt. Aber in den letzten Jahren hatte er immer öfter darüber nachgedacht, sich zurückzuziehen.

Die Balearen im Mittelmeer schienen ihm perfekt dafür. Auf diesen Touristeninseln gab es niemanden, der Fragen stellte. Alles war voller verschiedener Nationalitäten und alles war vollkommen anonym. Wenn man dann auch noch südländisch aussah, verschmolz man noch leichter mit der Menge.

Er hatte nicht vorgehabt, sich für immer in der Wohnung zur Ruhe zu setzen, die er auf Ibiza gekauft hatte, aber das mediterrane Klima gefiel ihm. Hier konnte er das ganze Jahr über Golf spielen. Sein Interesse am Golfsport wuchs beständig und er verbrachte immer mehr Zeit auf dem Golfplatz. Dort fand sein Sozialleben auf der Insel statt. Er hatte einige Leute im Golfklub kennengelernt, mit denen er gut klar kam. Sie kannten ihn als den Engländer Ray Lambert, ehemaliger Kolonialwarenhändler, der sich mit einer angenehmen Rente und vielleicht etwas geerbtem Geld ans Mittelmeer zurückgezogen hatte. Sie wussten, dass er ab und zu auf Reisen war, vielleicht in beratender Funktion, sie fragten nicht nach und es interessierte sie auch nicht. Bei den gemeinsamen Mittagessen ging es nur um Golf und lokale Gerüchte. Das passte ihm ausgezeichnet.

Ab und zu hatte er Touristinnen in den Bars in der Stadt getroffen. Mit einigen war er ins Bett gegangen, aber nur für eine Nacht. Aber er achtete darauf, sich nicht mit Ortsansässigen sexuell einzulassen.

Ray sah auf die Uhr und zog sich schnell an. Als er die Wohnungstür abschloss, sah er sich vorsichtig um und steckte dann routinemäßig ein Streichholz in die obere Ecke zwischen Tür und Türrahmen. Wenn jemand hineingehen würde, während er weg war, würde er es merken.

Er ging die vier Treppen hinunter und traf unten auf Señora Ramirez, die ältere Dame, die seine Wohnung putzte. Sie verbeugte sich tief und fragte, ob sie nicht mal wieder sauber machen müsste. Das fragte sie immer, auch wenn sie am vorherigen Tag gerade da gewesen war. Er schüttelte den Kopf und klopfte ihr freundlich auf die Schulter. Sie verbeugte sich erneut und Ray trat auf die Straße.

Es war erst acht Uhr morgens, aber die Sonne stand bereits hoch am Himmel und D’alt Vila badete in ihrem Licht. Er blieb vor der Tür stehen und zündete sich eine Marlboro Lights an, während er über den Hafen blickte, in dem Tausende kleine Boote in engen, langen Reihen aneinander lagen. Er nahm einen tiefen Zug. Es fiel ihm schwer, sich an die neue Zigarettenmarke zu gewöhnen, aber er hielt durch und versuchte systematisch, ein paar Zigaretten weniger zu rauchen. Es glückte ihm bisher nicht besonders gut und er war irritiert über seinen schwachen Willen. Es würde anders sein, wenn er endlich einen neuen Auftrag bekäme. Motivation, dachte er.

Ray parkte seinen Fiat in einer Seitenstraße.

Ehe er ausstieg, drehte er den Rückspiegel zu sich und klebte sich sorgfältig einen Schnurrbart auf die Oberlippe. Mit einer Spange im Mund veränderte er die Form seiner Wangen und bekam so das Aussehen, das mit den Papieren von Roberto Calderas übereinstimmte. Den Namen verwendete er für seine postlagernde Adresse. Alle vierzehn Tage ging er zum Hauptpostamt in der Ciutat de Eivissa und sah nach, ob er Post bekommen hatte.

Der Umschlag war weiß. Ray nahm ihn entgegen. Hätte er eine andere Farbe gehabt, hätte er es nicht getan. Er hätte gesagt, dass der nicht für ihn war, dass es sich um ein Missverständnis handelte und wäre sofort wieder gegangen. Er hatte ganz genau geplant, welchen Weg er gehen würde, falls das passierte. Er hatte alles einkalkuliert und wusste, wie er eventuelle Verfolger abschütteln könnte. Aber dieser Umschlag war weiß und alles war in Ordnung.

Der Brief war von Schiller, dem Uhrmacher in Zürich, Rays Unterhändler. Er war von jemandem kontaktiert worden. Der Umschlag enthielt eine Telefonnummer und ein Datum, sonst nichts.

Die Telefonnummer beunruhigte ihn. Sie war spanisch und gehörte jemandem auf Mallorca. Wenn er dort einen Auftrag ausführen sollte, würde er dankend ablehnen. Es war viel zu nah an Ibiza, um sich sicher anzufühlen. Er hatte beschlossen, niemals einen Auftrag auf Ibiza oder überhaupt auf den Balearen anzunehmen. Das Risiko, dass einen jemand erkannte, war zu groß.

Aber vielleicht wohnte nur der Auftraggeber dort? Oder war zufällig hier? Auf den Inseln gab es reichlich Leute aus ganz Europa, die dort Häuser und Wohnungen hatten, genau wie er selbst.

Es klingelte fünfmal, ehe jemand antwortete.

„Ekberg.“

„Sie haben mich via Zürich gesucht“, sagte Ray auf Englisch.

Einen Moment lang war es still im Hörer.

„Clockwork tide?“, fragte Tomas Ekberg.

„Ja, wir haben wohl einen gemeinsamen Freund, der Tiefseetaucher ist.“

„Ich muss Ihnen persönlich etwas überbringen“, sagte Tomas Ekberg gepresst.

Der Vertrag - Der Mord an Olof Palme

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