Читать книгу Der Vertrag - Der Mord an Olof Palme - John W. Grow - Страница 6
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ОглавлениеLennart Waldenström hasste New York.
Er hasste das Gedränge und die Gewalt, die er zum Glück nicht persönlich erleben musste. Niemals würde er auch nur davon träumen, allein durch den bedrohlichen Straßendschungel zu spazieren, wo das Heulen der Polizeisirenen ständig präsent war. Er war dankbar, dass er sich in einer schallisolierten Limousine befand, die das dröhnende Inferno der 5th Avenue ausschloss, deren Mittelspur Manhattan in zwei Teile teilte.
Trotz seiner Abneigung gegen die Stadt hatte er mit den Jahren recht viel Zeit in ihr verbracht. Der Hauptgrund dafür war sein amerikanischer Freund Jack Pallon, in dessen Auto die beiden gerade auf dem Weg zum Kennedy Airport waren.
Lennart und Jack kannten sich bereits seit Kindertagen. Ihre Väter hatten bereits Ende der Zwanziger Geschäfte miteinander gemacht. Das Band zwischen den Familien war sehr stark. Sechs Jahrzehnte lang hatten sie miteinander verkehrt und die beiden Söhne, die ziemlich gleich alt waren, hatten viel gemeinsam. Die Sommer hatten sie oft miteinander verbracht, sowohl in Schweden als auch in den USA. Lennart hatte den zwei Jahre älteren und – wie es immer hieß – begabteren Jack immer bewundert.
Sie waren immer füreinander da gewesen, als wären sie Brüder. Geld kann dicker als Blut sein, dachte Lennart.
Wie Jack hatte Lennart eine umfangreiche Ausbildung genossen, vor allem als Banker. Nach seinem Bachelor in Jura und ein paar Jahren an einer amerikanischen Universität hatte er einen Job in einer von Pallons Banken in New York bekommen. Seine Laufbahn schien festzustehen, doch dann überwarf er sich mit seinem Vater. Es ging um eine Geldanlage, von der ihm sein Vater abriet, die Lennart aber auf Jacks Rat hin trotzdem durchführte. Aus einer unbedeutenden Meinungsverschiedenheit wurde eine ernste Vertrauenskrise zwischen Vater und Sohn. Lennart wurde zu einer von Waldenströms Firmen verwiesen, die mit der Erzsuche in Afrika befasst war.
Sein Vater Ernst Waldenström ließ stattdessen sein Wohlwollen über Lennarts Schwester Emelie scheinen, die er ins Hauptbüro setzte. Sie sollte so weit geschult werden, dass sie eines Tages den gesamten Konzern übernehmen können würde. Sie fing in der Bankfiliale der Familie in Hong Kong an, die damals die wichtigste war.
Doch zwischenzeitlich zeigte es sich, dass auch Emelie die Erwartungen nicht erfüllte. Schon nach einer Woche in Hong Kong verliebte sie sich Hals über Kopf in einen chinesischen Kaufmann mit europäischen Bräuchen und Gewohnheiten. Zu allem Übel war dieser Mann der Sohn eines von Ernst Waldenströms erbittertsten Feinden.
Ernst versuchte mit allen Mitteln, seine Tochter zum Nachhausekommen zu bewegen. Er reiste mehrfach nach Hong Kong, um sie zu überreden, aber sie weigerte sich, zur Vernunft zu kommen. Er drohte ihr damit, sie zu enterben. Auch das half nicht. Schließlich zwang ihn sein Stolz dazu, seine Tochter für immer zu verstoßen.
Er holte seinen Sohn Lennart nach Hause, der mittlerweile mehr als zehn Jahre in Afrika verbracht hatte. Während dieser Zeit hatte Lennart eine Familie gegründet und mit seiner Frau Anna-Lisa sieben Kinder bekommen, die bei seiner Rückkehr nach Schweden alle unter zehn Jahre alt waren.
Lennart wurde im Hauptbüro der Bank im Zentrum von Stockholm eingesetzt und bekam die Verantwortung für die Währungsabteilung. Als Lennart klar wurde, dass dies seine große Chance auf Wiedergutmachung in den Augen seines Vaters war, beschloss er, alle Demütigungen runterzuschlucken. Er entschied sich, mit allen Mitteln das Misstrauen zu besiegen und zu beweisen, dass er durchaus zu etwas nütze war.
Es dauerte jedoch zehn Jahre, bis Ernst Waldenström seinen Sohn endlich in sein Direktorenbüro bestellte und ihm offenbarte, dass er ihm die Leitung übertragen wolle.
Der eigentliche Grund dafür war, dass Ernst von seinem Arzt die Diagnose Lungenkrebs bekommen hatte und dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb – auch mit Behandlung hatte er nur noch ein knappes Jahr zu leben. Dies erwähnte er jedoch mit keinem Wort seinem Sohn gegenüber.
Schon zwei Monate später starb Ernst – doch nicht am Krebs, sondern an einem Herzinfarkt im Flugzeug von Stockholm nach London.
Lennart war vierundvierzig Jahre alt, als er die Verantwortung für das Imperium übernahm, in dem Schwedens größtes Privatvermögen lag.
Ernst Waldenström war nicht der Einzige im Konzern, der an der Kompetenz des schweigsamen und manchmal unberechenbaren Nachkommen gezweifelt hatte. Die Nachricht über die Machtverschiebung wurde mit großem Unwillen aufgenommen.
Doch das Misstrauen wendete sich bald: Schon sehr bald gelang es Lennart Waldenström, einen großen Firmenkauf in der Weißwarenbranche durchzuführen, was ihm viel Respekt einbrachte. Der Kauf erwies sich als sehr geglückt und fast unanständig ertragreich – und in einer Welt, in der Geld das einzige Maß war, veränderte sich die Einstellung der anderen über Nacht.
In den darauffolgenden Jahren machte Lennart eine Reihe weiterer glücklicher Geschäfte und wurde in kurzer Zeit zu einer von Schwedens einflussreichsten Persönlichkeiten.
Auch seine Achtung vor sich selbst wuchs und er spürte die Verpflichtung seiner Position. Er war nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich, sondern für alle, die von ihm abhängig waren – vielleicht sogar fürs ganze Land. Gleichzeitig legte er sich eine hübsch bescheidene Art zu und pflegte sorgfältig seine Anonymität. Mit seinem Vater als großem Vorbild entzog er sich aller unnötiger Öffentlichkeit.
Er wurde ein Mann, der lieber ohne viel Aufhebens im Stillen arbeitete.
Die seiner Klasse entsprechende Erziehung hatte ihm die Ehrfurcht vor demjenigen vermittelt, dessen Vermögen und Macht er nun geerbt hatte. Nun ehrte und achtete er die Erinnerung an seinen Vater. Dass er ihn seit seiner Kindheit gehasst hatte, gab er nicht einmal sich selbst gegenüber zu. Ebenso wenig erkannte er, dass er seinem Vater mit den Jahren immer ähnlicher wurde.
Jack Pallon war ein kleiner, untersetzter Mann. Er näherte sich der Sechzig, sah aber aus, als hätte er diesen Meilenstein bereits passiert. Die Abwesenheit von Haarwuchs – sogar die Augenbrauen waren nackt – unterstrich den Eindruck, dass er sehr viel älter als Lennart Waldenström war.
Er trug eine viel zu große, runde Brille mit unvorteilhaft breitem, schwarzen Rahmen. Die Gläser vergrößerten die kleinen, hellblauen Augen und verliehen ihnen einen intensiven und fast unerträglichen Blick.
Die sollte er austauschen, dachte Lennart, aber das war kein Thema, in das er sich hineinhängte. Die beiden Männer kannten sich in- und auswendig. Es gab nicht viel in Jacks Leben, worüber Lennart nicht Bescheid wusste.
Jack Pallon war der Chef von einer der größten Firmen der Welt. Auch wenn sie inzwischen vielleicht mehrere tausend Tochterfirmen in unterschiedlichen Branchen hatte – er wusste nicht genau, wie viele – lag der Schwerpunkt im Obst. Obst aus der ganzen Welt, vor allem aus Südamerika und dem Mittleren Osten.
Jack selbst besaß einen großen Teil dieser riesigen multinationalen Firmen. Wie Lennart hatte er das meiste von seinem Vater übernommen. Sein Vater, William H. Pallon – oder Bill, wie dieser im Sinne der Bescheidenheit vorzog – war hingegen ein Selfmade-Man gewesen. Bill hatte mit den klassischen leeren Händen angefangen, hart geschuftet und sein Imperium von Grund auf aufgebaut.
Der Mythos um Bill Pallons Weg zum Reichtum war sehr nützlich. Der amerikanische Traum war noch immer lebendig und verschaffte ihnen in fast allen Belangen Sicherheit und Autorität. Dies wurde fleißig ausgenutzt und der Traum wurde als Schutzschild gegen jegliche Kritik an der Firma hergenommen. Von dieser Kritik hatte es über die Jahre reichlich gegeben, insbesondere, was die Besitztümer der Firma in Südamerika anging. Aber gegen den Mythos stand jede Kritik als unamerikanisch da.
Jack war der Jüngste von mehreren Geschwistern. Außer ihm gab es noch drei Schwestern. Aber Jack war der einzige Sohn und erbte somit selbstverständlich die Leitung des Familienunternehmens. Der alte Bill Pallon hatte schon früh die Weichen für Jacks Übernahme des Vermögens gestellt.
Die erste und wichtigste Voraussetzung war natürlich eine fundierte Ausbildung. Eine Ausbildung, die der Vater gründlich geplant und vorgegeben hatte. Jack war willens und interessiert. Noch dazu war er begabt genug für sowohl Studium als auch Geschäfte, stieß also auf keinen Widerstand.
Die zweite Voraussetzung war, dass Jack ein guter Christ blieb. In Bill Pallons Fall hieß das, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen und die Baptistengemeinde in New York zu unterstützen, zu der die Familie schon immer gehört hatte.
Die dritte Voraussetzung war, dass er eine Frau mit dem gleichen Glauben aus derselben Gemeinde heiratete und dass sein Vater ihr zustimmen würde.
All das hatte Jack erfüllt.
Einige Monate, nachdem Jack geheiratet hatte, starb sein Vater an einer Gehirnblutung. Kurz nach der Beerdigung verließ Jack seine Frau. Sie bekam reichlich Unterhalt und war damit zufrieden. Auch für sie war die Ehe ein bloßes Geschäft gewesen.
Jack heiratete bald erneut. Diesmal eine Schauspielerin aus Kalifornien, mit der er rasch hintereinander drei Kinder bekam. Aber nach sieben Jahren relativen Glücks kam seine Frau bei einem Autounfall um und ließ Jack allein mit drei minderjähren Kindern zurück.
Ein Jahr später traf Jack eine achtzehn Jahre alte katholische Balletttänzerin, die sich in seine weltgewandte, vermögende Art verliebte und sich verführen ließ. Die hübsche junge Frau schmeichelte seinem Ego und er heiratete sie trotz des Altersunterschieds – er war doppelt so alt wie sie. Doch das Leben in der New Yorker Society langweilte die junge Frau. Schon nach einem halben Jahr hatte sie die Rolle der Stiefmutter von den drei kleinen Kindern satt, die sie nie so recht geliebt hatte, und auch den Mann, der ständig auf Geschäftsreise war. Als Jack eines Abends von einer zweitägigen Reise nach Guatemala zurückkehrte, war sie weg. Sie hatte ihn für einen jüngeren Filmproduzenten verlassen, der sie nach Europa mitgenommen hatte. Sie verließ Jack ohne Anspruch auf Unterhalt.
Die folgenden siebzehn Jahre lebte Jack allein. Gouvernanten ersetzten die Mutter der Kinder.
In Jack Pallon war etwas zerbrochen. Er hatte die junge, hübsche Tänzerin wirklich angebetet. Desillusioniert schloss er sich in sich ein. Immer häufiger ging er in die Kirche. An einem eiskalten Dezembersonntag traf er eine Frau, die sein Leben verändern würde.
Ellen Farray hatte sich aus Versehen in die Kirchenbank von Familie Pallon gesetzt. Sie war neu in der Gemeinde und wusste nicht, dass die prominenteren Gemeindemitglieder eigene, reservierte Plätze hatten. Als ihr ihr Fehler auffiel, war es zu spät. Der Gemeindepastor, Theodore Fuller, hatte bereits mit der Predigt begonnen.
Vorsichtig lehnte sich Ellen zu Jack, der gedankenverloren dasaß, und bat ihn mit leiser Stimme um Entschuldigung für ihren Fehler. Jack sah verwundert auf. Er hatte die fremde Frau nicht bemerkt, die beschämt neben ihn gesunken war.
Jack Pallon erzählte Lennart, dass er sich sofort in sie verliebte.
„Ich war gerade fünfzig geworden und sie war auch kein junges Täubchen mehr, aber ich fühlte mich wie ein junger College-Boy! Kannst du dir das vorstellen? Als alter Kerl! Ich hörte nicht ein verdammtes Wort von Pastor Fullers Predigt. Ich dachte einzig daran, wie ich sie kriegen konnte!“
Ellen saß so nah an ihm dran, dass er ihre Körperwärme spürte. Die betörenden Duftwolken von ihrem Parfüm machten ihn schwindlig.
In der Woche darauf war Jack wie berauscht. Er konnte die Frau nicht aus dem Kopf bekommen. Seine Mitarbeiter glaubten, dass er eine Grippe ausbrütete und legten ihm nahe, frei zu nehmen und sich zu Hause hinzulegen.
Am folgenden Sonntag ging Jack wie gewöhnlich zur Messe. Zu seiner großen Freude sah er Ellen dort. Sie erkannte ihn sofort wieder und nickte ihm freundlich zu, als er auf dem Weg zu seiner Bank im vorderen Teil der Kirche an ihr vorbeiging.
Auch diesmal konnte er sich nicht auf Pastor Fullers Betrachtungen konzentrieren. Ellen saß im allgemeinen Teil der Kirche. Ständig drehte er den Kopf und sah zu ihrem Platz. Wann immer sie seinen Blick traf, lächelte sie.
Meine Güte, ist sie hübsch, dachte er, und entdeckte zu seiner Verwunderung zum ersten Mal in seinem Leben, dass auch mittelalte Menschen schön sein können.
Jack hatte Glück. Er hatte hinterher noch etwas vor der Kirche rumgehangen und mit Ralph Miller gesprochen, obwohl es schneite und es kalt auf der Straße war. Ralph hatte das neue Budget für die Gemeindehausrenovierung besprechen wollen und Jack hatte interessiert zugehört. Ellen war nach dem Gottesdienst ebenfalls dageblieben, um sich Pastor Fuller und seiner Frau vorzustellen.
Als Jack sich von Ralph verabschiedete und sein Auto aufschloss, kam Ellen aus der Kirche. Er sah sie auf der glatten Treppe ausrutschen und hinfallen.
Jack reagierte blitzschnell und rannte zu ihr, um ihr aufzuhelfen. Sie konnte kaum auf ihren Fuß auftreten und er bot ihr sofort an, sie zu fahren. Er erfuhr, dass Ellen unverheiratet war und als Lehrerin arbeitete. Eine Woche später lud er sie in ein kleines italienisches Restaurant ein.
Es zeigte sich, dass Ellen sehr gläubig war. Ihr Mangel an Respekt für seine Position faszinierte ihn. Es war ihr komplett egal, dass er steinreich war. Sie interessierte sich vielmehr für ihn als Person – und für seine Kinder. Jack verfiel ihr haltlos.
Drei Monate später machte er ihr einen Antrag und sie sagte ja.
Jacks Religiosität war echt. Für ihn war das Treffen mit Ellen ein Zeichen des Herrn. Er spürte ein inneres Glühen, das er noch nie zuvor gekannt hatte. Sein neuer Zustand beeinflusste alles, was er tat, auch die Arbeit. Nicht so sehr, dass er seine oft ziemlich brüsken Geschäftsmethoden änderte, aber es schien, dass jetzt alles eine neue, fast heilige Bedeutung bekam. Er hatte eine christliche Pflicht.
Etwa eine Woche später wurde Lennart mitten in der Nacht von einem Anruf von Jack geweckt, der nicht an den Zeitunterschied gedacht hatte. Es gab diverse Dinge, die er besprechen wollte, und zwar so schnell wie möglich. Ob Lennart vielleicht nach New York kommen könnte? Ja, das konnte er.
Die beiden Männer hatten sich zwei Tage lang intensiv bei Jack zu Hause unterhalten. Lennart hatte zum ersten Mal Jacks neue Frau Ellen getroffen. Sie war tief gläubig und vor dem Essen wurde gebetet. Sie war die vierte Ehefrau und hatte Jack verändert, wie Lennart auffiel. Jack hatte eine neue Einstellung zur Welt. Am ersten Tag war alles noch recht formell gewesen und sie hatten sich über ein paar Vorstandsberichte von einer von Jacks Firmen unterhalten. Jack wollte Lennart in einem weiteren Vorstand haben, aber Lennart hatte dankend abgelehnt. Stattdessen hatte er selbst ein paar schnittige Ideen vorgeschlagen, die er in die Welt entlassen wollte.
Am zweiten Tag ging es um Jacks Grübeleien. Lennart war klar, dass sie der Hauptgrund waren, warum Jack ihn hatte treffen wollen. Geduldig hatte er seinem alten Freund zugehört, als er sich ausließ über seine Zukunftsangst, die Ausbreitung des Bösen und darüber, wie die Leader der Welt die Gefahren ignorierten, weil sie diplomatisch und politisch handeln mussten.
Im Großen und Ganzen teilte Lennart die Ängste seines Freundes, aber er stimmte ihm nicht zu, dass die Hauptursache im fehlenden Glauben an Gott lag. Ebenso wenig sah er sich als Werkzeug in Gottes Hand.
Lennart Waldenström war die neue Religiosität von Jack fremd. Er erkannte seinen Freund aus Kindertagen kaum wieder. Zwar war Jack immer konservativ gewesen, aber damals, während des Kalten Krieges, hatten sie gemeinsam über die paranoiden Übertreibungen der McCarthy-Ära lachen können. Jetzt hatte sich Jacks Konservatismus zu einem in der Öffentlichkeit fast lästigen Kommunistenhass ausgewachsen.
Lennart hatte ein Ticket für einen SAS Jumbo Richtung Stockholm-Arlanda gebucht und Jack wollte mit seiner privaten Boeing 747 auf Geschäftsreise nach Panama. Mit ihnen im Auto saß ein Mann, dessen Aufgabe Lennart nicht ganz klar war. Als er sich als Mr Norris vorstellte, hatte er geglaubt, dass er ein Geschäftsführer in einer von Jacks vielen Firmen war, aber dann hatte er herausgehört, dass er offenbar für die Regierung arbeitete. Dieser fast zwei Meter große Mann, der immer so aussah, als würde er lächeln, würde mit Jack nach Panama reisen. Er saß neben dem Fahrer und beteiligte sich nicht an der Unterhaltung auf der Rückbank.
„Dieser Kommunist schubst uns schon seit Vietnam nur herum!“, sagte Jack. Sein Gesicht hatte eine leicht pinke Färbung angenommen und die von der Brille vergrößerten Augen fixierten Lennart. „Ich mache mir seinetwegen Sorgen. Es heißt, dass er die nächste Wahl verlieren wird. Dann will man ihn in die UN holen. Viele wollen ihn dort haben. Das ist nicht gut. Viele machen sich Sorgen, ja, haben regelrecht Angst, Lenny.“
„Ich weiß“, sagte Lennart. „Zu Hause hält man auch nicht viel von ihm. Alle wollen ihn loswerden. Vielleicht verschwindet er mit der nächsten Wahl und dann bekommen wir sicher eine firmenfreundlichere Regierung, aber – und das ist das Hauptproblem – sie wird schwächer sein. Die Kurse werden fallen. Und am Tag drauf findet er sich sicher in der internationalen Arena wieder, wie du auch meinst.“
„Das wäre eine Katastrophe. Ich hoffe, du verstehst, wie ernst wir das nehmen – unsere Interessen in Südamerika werden darunter leiden. Und unsere Geschäfte, Lenny. Die Geschäftsbeziehungen zwischen den USA und Schweden werden leiden. Sprich mit deinen Leuten. Was sagen die? Ihr sollt wissen, dass wir hinter euch stehen. Wir stehen euch so lange wie möglich zur Seite. Wir … du musst versuchen, eine Lösung zu finden!“
Jack verstummte und trommelte mit den Fingern auf der Autotür herum.
Lennart lehnte sich gedankenverloren in den geräumigen Rücksitz der Limousine zurück und zündete sich einen Zigarillo an. Durchs Fenster sah er, dass sie das Zentrum hinter sich gelassen hatten und sich auf dem Highway befanden.
„Ich habe keine Ahnung, wie ausgerechnet ich eine Lösung finden soll“, sagte Lennart schließlich.
„Ich wünschte, du hättest so viel Gottvertrauen wie ich. Dann könntest du deinen Kummer in Gottes Hände legen.“
Jack lehnte sich vor und klopfte ihm leicht auf den Arm. Er lächelte mild. Die blauen Augen hinter den absurd vergrößernden Gläsern sahen ihn treu an. In dem Moment konnte Lennart nicht sagen, ob Jack nur so tat oder ob es ihm ernst war.
„Du stehst mir näher als meine Schwester, Lenny“, sagte Jack feierlich. „Wir beide haben so viel zusammen erlebt. Wir müssen auf unsere Freundschaft achtgeben.“
Lennart Waldenström verabschiedete sich am Eingang. Pallon würde mit dem Auto zum Privatterminal weiterfahren.
„Ich hoffe, du bist mit meinen Vorstandsleuten zufrieden“, sagte Lennart.
„Davon bin ich überzeugt“, sagte Jack. „Grüße an Anna-Lisa! Ach, und Lenny – das, worüber wir gesprochen haben … ruf mich an und erzähl mir, wie es läuft. Lass mich wissen, was für eine Lösung du findest.“
„Klar“, antwortete Lennart. Er war sich überhaupt nicht darüber im Klaren, welche Lösung von ihm erwartet wurde, aber er würde wie versprochen mit seinen Freunden sprechen. Er beugte sich zu dem dunkelblauen Samsonite-Koffer herunter, den der Chauffeur ihm vor die Füße gestellt hatte, aber Bertram Norris kam ihm zuvor:
„Lassen Sie mich den Koffer nehmen“, sagte er und hob ihn hilfsbereit hoch. Seine ebenmäßigen, weißen Zähne formten ein verbindliches Lächeln.
„Danke, aber das ist nicht nötig, Sie müssen doch weiter!“, protestierte Lennart.
„So eilig ist es nicht. Lass dir von Bert helfen. Ich warte im Auto“, sagte Jack und scheuchte sie mit der Hand weg. Er blieb stehen und sah zu, wie die beiden Männer in der Abflughalle verschwanden, ehe er sich wieder ins Auto setzte.
Lennart ist ein kluger Mann, dachte er zufrieden, wenn er Zeit zum Nachdenken hat, findet er sicher eine Lösung.
Waldenström nahm die Brieftasche mit den Tickets aus der Innentasche und sah sich nach dem Check-In um, sobald er die automatischen Türen passiert hatte.
„Es ist der Tresen da hinten“, sagte Norris und zeigte auf ein SAS-Schild fünfundzwanzig Meter weiter, ohne dass Lennart ihn gefragt hatte.
„Danke“, lachte Lennart. „Ich hatte ihn nicht gesehen.“
Er fühlte sich von Norris‘ aufgedrängter Hilfsbereitschaft leicht bedrängt und fragte sie, wie schnell er ihn loswerden konnte, ohne unhöflich zu sein.
„Ich glaube, jetzt komme ich alleine klar“, setzte er an.
Aber Norris unterbrach ihn mit leiser, verbindlicher Stimme:
„Mr Waldenström, kann ich ein paar private Worte mit Ihnen wechseln?“
Lennart, der sich gerade seinen Koffer hatte schnappen wollen, den Norris abgestellt hatte, hielt verwundert inne. „Ja, natürlich?“
„Es betrifft Ihr Problem …“
„Mein Problem?“
„Ja, das, worüber Sie und Mr Pallon im Auto gesprochen haben. Ich kann Ihnen einen Uhrmacher in Zürich empfehlen.“
Waldenström verstand nicht, was Norris andeuten wollte, aber das unbehagliche Gefühl in ihm drin wuchs. Er sah ihn abwartend an.
„Wie bitte?“
Norris warf einen unauffälligen Blick durch die Halle und beugte sich ein Stückchen näher an ihn heran. Lennart roch sein teures Rasierwasser, das er zu ausgiebig benutzte.
„Der Uhrmacher kann Ihnen helfen … in Kontakt mit Spezialisten zu kommen. Eine spezielle Art von Handwerkern.“
„Ich verstehe Sie nicht“, sagte Lennart. „Wofür sollte ich Spezialisten benötigen?“
„Um unmögliche Probleme endgültig zu lösen!“, fuhr Norris geduldig fort.
Er betonte das Wort „unmöglich“ und sah in Lennarts gespannte Augen.
„Sie meinen …?“ Lennart ließ die Frage in der Luft hängen. Was er dachte, konnte er unmöglich aussprechen. Es war zu erschreckend. Unruhig sah er sich um.
„Ja! Nichts ist unmöglich!“, sagte Norris und grinste so breit wie ein Schuljunge. „Sehen Sie mal!“
Er zog eine Visitenkarte hervor und gab sie Lennart. Auf der maschinengeschriebenen Karte stand „14 Bahnhofstrasse, Zürich“. Lennart drehte sie um. Keine Telefonnummer, kein Name. Er sah Norris fragend an.
„Werden Sie sich an die Adresse erinnern?“, fragte er.
„Bahnhofstrasse 14, ja klar, ich kenne Zürich ganz gut.“
Norris nahm den Zettel und steckte ihn sich wieder in die Brusttasche.
„Gut. Über der Tür steht ‚Uhr und Optik‘. Der Uhrmacher ist um die sechzig, oben Glatze, weiße Haare an der Seite, man kann sich nicht irren. Arbeitet allein im Laden. Bestellen Sie eine Uhr namens ‚Clockwork tide‘.“
„‘Clockwork tide‘?“
Norris nickte.
„Ja. Sagen Sie, dass ein Tiefseetaucher ihn empfohlen hat.“
„Tiefseetaucher?“, sagte Lennart und kam sich blöd vor, weil er jedes Wort des Amerikaners wiederholte.
Norris nickte erneut, aber vermutlich sah Lennart skeptisch aus, denn Norris wurde plötzlich ernst und sagte mit gewissem Nachdruck:
„Geben Sie dort keine Details preis. Hinterlassen Sie einen versiegelten Brief. Der Uhrmacher sorgt dafür, dass der Spezialist ihn bekommt. Mit dem treffen Sie dann Ihre Abmachung. Und noch etwas: Gehen Sie nicht selbst hin. Bitten Sie jemand anderen darum. Je weniger die Person mit Ihnen zu tun hat, desto besser.“
„Verstehe“, sagte Lennart unsicher. „Danke für die Erklärung.“
„Keine Ursache!“, sagte Norris abrupt und streckte die Hand aus. „Und jetzt vergessen wir dieses Gespräch!“
Sein Händeschütteln war hart, amerikanisch und maskulin, und es fühlte sich so an, als wollte er jeden einzelnen Knochen in der Gegenhand brechen.
Homophob, dachte Lennart. Ein Land voller heimlicher Schwuler. Er mochte Mr. Norris nicht und fragte sich, wie Jack es mit ihm aushielt.
„Grüßen Sie Schweden!“, sagte Norris mit einem wolfsgleichen Grinsen, als sich die Flügeltüren hinter Lennart schlossen.