Читать книгу Der Vertrag - Der Mord an Olof Palme - John W. Grow - Страница 9
5.
ОглавлениеDer große Elchbulle kam hinten am Waldrand aus dem Nebel. Ein kurzes Zögern am Zaun, dann schritt er majestätisch direkt vor ihm über die Wiese.
Roger Nyman hielt den Atem an. Er saß auf dem Axtblock vor der Scheune. Wenn er sich nicht bewegte, bestand die Möglichkeit, dass er mit dem Holzstapel hinter seinem Rücken verschmelzen würde und der Elch ihn nicht entdeckte. Es war fast windstill, aber Roger spürte einen schwachen Hauch von Norden. Der Wind kam ihm entgegen, der Elch konnte seine Witterung nicht aufnehmen.
So nah war er einem lebenden Elch noch nie gewesen. Er griff nach dem Gewehrkolben. Typisch, dachte er. Fünf Elchjagden hintereinander, ohne überhaupt einen Elch zu sehen. Es waren immer die anderen im Jagdteam, die die zugeteilten Tiere schossen. Und nun saß er allein hier, zur falschen Zeit und mit dem falschen Gewehr und durfte nicht schießen. Das Gesetz ließ keine Elchjagd im Februar zu – und wenn doch, was sollte er dann mit einer für die Hasenjagd gedachten Schrotflinte ausrichten? Das wäre nur ein Schreckschuss.
Der Elch bewegte sich grazil zum großen Apfelbaum, der etwa zehn Meter von Roger entfernt stand. Es knirschte unter den Hufen. Roger nahm an, dass der Elch Rinde essen oder gefrorenes Fallobst aus dem Schnee holen wollte.
Roger spürte ein Kratzen im Hals und musste sich räuspern. Er schluckte und kämpfte gegen den Hustenreflex an. Hielt die Luft an. Der Elch würde ihn sowieso jede Sekunde entdecken, aber er wollte das Erlebnis so lange wie möglich in die Länge ziehen.
Weit weg auf der anderen Seite des Sees hörte man ein Motorfahrzeug. Der Elch richtete sich auf und drehte Roger den Kopf zu. Sie starrten einander an. Die Augen des Tieres waren groß und braun. Der Bulle witterte in seine Richtung. Er saß wie erstarrt da und wagte nicht einmal zu blinzeln. Doch dann musste er doch Luft holen und im selben Moment kam der Husten. Der Elch war innerhalb von Sekunden weg.
Roger hustete und sah dem Tier keuchend nach. Er fluchte leise vor sich hin und spuckte in den Schnee. Das war jedenfalls etwas, wovon er zu Hause erzählen würde. Schade nur, dass er die Kamera nicht dabeigehabt hatte. Wenn er schnell gewesen wäre, hätte er vielleicht ein Foto vom Elchhinterteil machen können, ehe es zwischen den Bäumen verschwand. Jetzt würde ihm niemand glauben. Ja, klar, würden sie grinsen. Jagdgeschichten.
Roger legte das Gewehr weg und holte die Thermoskanne hervor. Er füllte den Becher mit dampfendem Kaffee und kramte das Butterbrotpäckchen aus dem Rucksack. Mettwurst und Käse, stellte er fest, als er die Plastikfolie abgewickelt hatte und sah, was Gun ihm mitgegeben hatte. Es sollte kaltes Schweinefleisch auf dem Brot liegen, dachte er, das passte am besten zur Jagd an einem kalten Wintertag. Er erinnerte sich an Skiausflüge, die er mit seinem Vater und seinem Bruder unternommen hatte. Die Mutter hatte die Thermoskannen mit heißer Schokolade gefüllt und dicke Brotscheiben mit Fleisch belegt. Essen für richtige Kerle.
Über dem See hatte der Himmel einen grünlichen Ton bekommen. Es war nach eins.
Er saß schon seit anderthalb Stunden auf seiner Unterlage und ihm wurde langsam kalt. Einmal hatte er an dieser Stelle gesessen und das Glück gehabt, einen Rehbock zu schießen. Er war in der Dämmerung durch den Gemüsegarten getippelt und hatte das Grundstück unterhalb der Hütte durchquert. Er hatte das Gewehr parat gehabt und sie hatten ihre Gefriertruhe auffüllen können.
Aber jetzt war weder für Rehe noch für Elche Jagdzeit und er hatte keine große Hoffnung, einen Hasen zu schießen. Eigentlich war er deswegen auch gar nicht hergekommen. Er wollte allein sein und nachdenken. Stalltorp war dafür der beste Ort. Er entspannte sich immer, sobald er die kleine rote Kaserne am See erreichte. Sommers wie winters, mit Familie oder ohne. Es war ein Ort der Kontemplation. Er kaute sein Wurstbrot, trank den Kaffee und genoss die Stille und die Einsamkeit.
Er musste zu einer neuen Situation auf der Arbeit Stellung beziehen. Seit mehr als zehn Jahren arbeitete als Ermittler. Er war es unglaublich leid, jeden Abend im Auto vor den Mietkasernen zu sitzen und darauf zu warten, dass vielleicht ein Verdächtiger aus einer Tür kommen würde. Oder stundenlang einem mutmaßlichen Handlanger zu folgen, um herauszufinden, ob er Hasch verkaufte und wenn ja, wem. Er war es leid, lange, ausführliche Berichte über jedes unwichtige Detail zu schreiben, das er erlebt hatte. Roger hatte das starke Bedürfnis, etwas anderes zu tun. Außerdem brauchte er ein besseres Einkommen.
Mit zwei Kindern und einer Frau ohne Arbeit waren ihre Ersparnisse am Boden. Das Haus verschluckte jeden Öre – und nicht einmal das reichte: Vor einigen Monaten musste er Geld von seinen alten Eltern leihen, damit es weitergehen konnte. Das Gehalt als Polizist war nicht hoch und es gab keinerlei Möglichkeiten für Extraeinkünfte.
Die Wirtschaftspolizei hatte intern eine Stelle ausgeschrieben, auf die er sich beworben hatte. Es war eine Art Beförderung mit höherem Gehalt, und nach dem Bewerbungsgespräch begriff er, dass er die Stelle bekommen würde. Aber jetzt hatte er Zweifel.
Einige Tage zuvor hatte Roger der Beisetzung eines Kollegen auf dem Waldfriedhof in Enskede beigewohnt. Als sich die Begräbnisgäste vor der Kapelle von der trauernden Familie verabschiedeten, war plötzlich ein Mann an seiner Seite aufgetaucht.
„Das ist vielleicht nicht der beste Moment, aber da wir uns jetzt ohnehin sehen, habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht kurz mit Ihnen reden könnte?“, hatte der Mann mit leiser Stimme zu Roger gesagt. Der Mann, der einen eleganten dunklen Mantel mit Lederabsätzen am Kragen trug, hatte sich nicht vorgestellt, aber Roger kam er vage bekannt vor. Es bestand kein Zweifel daran, dass er ein Polizeibefehlshaber war. Sein ganzes Äußeres strahlte das aus.
Sie waren abseits an den Gräbern entlanggegangen. Roger hatte sich gefragt, was der Mann wohl von ihm wollte. Als sie ein Gräberfeld weiter weg waren, hatte der Mann diskret eine Hand ausgestreckt:
„Bernhard Lange. Wir haben uns glaube ich schon mal getroffen. Schade um Arvidsson. Ein guter Polizist! Haben Sie zusammengearbeitet?“
„Ja.“
„Die Besten gehen immer zuerst“, hatte Bernhard feierlich angehoben, war dann aber sofort davon abgekommen und wieder verstummt, zu sehr fiel ihm selbst auf, dass er nur Klischees bemühte. Er kannte den Toten nicht einmal persönlich und er hatte auch nicht zu seinen Untergebenen gehört.
Er strich sich über die dünnen, nach hinten gekämmten Haare und räusperte sich bemüht.
„Ja … naja, wir haben uns über die konkreten Aufgaben bei Ihrem neuen Job unterhalten“, war er mit einem ganz anderen Ton fortgefahren. „Und wir haben ein paar interessante Ideen. Können wir uns nächste Woche treffen, zum Beispiel am Montag? Um zehn?“
„Ja … klar, aber da habe ich Dienst.“
„Ich weiß, aber darum habe ich mich gekümmert, Sie haben grünes Licht!“
Roger hatte sich gewundert, aber Bernhard hatte bei dem Gedanken daran breit gegrinst, ein unpassendes, fast herzliches Lächeln.
„Dann sehen wir uns am Montag in der Cafeteria.“
Er hatte Roger auf die Schulter geklopft und war dann mit energischen Schritten zum Auto gegangen, das auf dem Weg zur Kapelle mit laufendem Motor gewartet hatte. Er fuhr nicht selbst – ein Privatchauffeur öffnete ihm die Tür.
„Kennst du Bernhard?“ Ein älterer Kollege, der in Uniform zur Beerdigung gekommen war, sah neugierig dem Auto hinterher, als es zwischen den Gräbern verschwand.
„Nein, aber ich wechsle in die Wirtschaftsabteilung, weißt du? Eine neue Seite aufschlagen, eine Veränderung …“
„Aber Bernhard ist doch kein Wirtschaftler, der ist doch Geheimdienst, verdammt noch mal. Er ist bei der Sicherheitspolizei!“, hatte der Kollege beeindruckt gesagt. „Fängst du da an?“
Das war es, was Roger bedrückte.
Vielleicht gab es gar keinen Job bei der Wirtschaftsabteilung. Vielleicht versuchte die Sicherheit so nur, an Leute ranzukommen, die interessant waren. Er wusste schon lange, dass man sich dort nicht bewerben konnte, sondern angeworben wurde. Und er war sich überhaupt nicht sicher, dass er bei denen arbeiten wollte. Er sah sich selbst nicht als Geheimagent, oder was man da nun genau war. Durch die Heimlichtuerei um die Abteilung entstanden Mythen. Aber das Geld war verlockend. Er hatte sich schlussendlich dazu entschieden, der Sache eine Chance zu geben.
Er steckte sein Essen wieder ein und machte sich fertig, um die dreißig Kilometer nach Stockholm zurückzufahren. Hasen würde es heute keinen geben. Aber er hatte einen Elch gesehen.
Es würden mehrere Monate seit dem Abendessen in der Villa in Djursholm vergehen, ehe Lennart Waldenström die Sache wirklich anging.
Viele Nächte lag er wach und dachte darüber nach, wie er mit der Information umgehen sollte, die er von Mr Norris in New York bekommen hatte. Er konnte schlecht selbst zum Uhrmacher in der Bahnhofstrasse 14 in Zürich tapsen, das war ihm klar. Norris hatte das deutlich betont: Sehen Sie zu, dass zwischen dem Kontaktmann und Ihnen so viel Abstand wie möglich liegt, am besten über mehrere Ecken.
Am besten sollte der Mittelsmann nicht wissen, worum es ging. Jedenfalls nicht, wer eliminiert werden sollte. Diese Information war allein dem Ausführenden vorbehalten.
Es müsste ein Brief sein, dachte er. Ein Brief, der nicht zurückverfolgt werden konnte, weder über die Schrift, noch über das Papier.
Eines Nachmittags war er in ein Antiquitätengeschäft gegangen. Es war ein reiner Impuls. Im Schaufenster stand eine alte, staubige Schreibmaschine, eine Halda aus den Fünfzigern. Er hatte sie für ein paar Hundert Kronen gekauft. Nun lag sie seit mehreren Wochen im Kofferraum seines Mercedes‘. Sie lag noch immer darin, als er mit Anna-Lisa in ihr Haus nach Öland fuhr, um dort Ostern zu feiern. Als sie die Reisetaschen einlud, hatte sie gefragt, was in dem Paket mit dem braunen Papier war, und er hatte geantwortet, dass es eine alte Schreibmaschine aus dem Büro war. Die Taschen hatten trotzdem genug Platz in dem großen Kofferraum und das Paket blieb dort liegen.
Lennart und Anna-Lisa Waldenström begingen Ostern in ihrem Ferienhaus, das groß, weiß und sehr gut in Schuss war. Ein schönes altes Haus, das seinerzeit von einem Grossisten aus Malmö gebaut worden war. Er war irgendwann Anfang der Zwanziger insolvent gewesen und die Bank hatte das Grundstück übernommen. Lennarts Vater hatte das Haus in Beschlag genommen und nun war es durchtränkt von Waldenström’scher Familientradition. Zwar war Lennart selbst nicht oft im Jahr dort, aber seine Frau Anna-Lisa lebte dort den ganzen Sommer über. Außerdem nutzten die Kinder und Enkelkinder das Haus häufig.
Aber an diesem Ostern waren sie allein. Lennart fühlte sich müde und verbraucht, er wollte niemanden treffen. Seine Frau und er gingen spazieren und saßen am Abend am Feuer. Zum ersten Mal seit Jahren konnten sie miteinander reden, ohne vom Telefon unterbrochen zu werden.
Am Karfreitag ging Anna-Lisa früh mit einem Buch ins Bett und Lennart blieb allein im Wohnzimmer sitzen. Als er am Abend zuvor in einer Schublade nach einem Kartenspiel gesucht hatte, fand er zufällig ein ungeöffnetes Paket Briefpapier und Umschläge, die er vor etwa zwanzig Jahren in London gekauft hatte. Sofort war ihm klar, dass er damit das Material hatte, das er brauchte – das man nicht zurückverfolgen konnte. In der Küche fand er eine Packung Gummihandschuhe aus dünnem Plastik. Er wollte schließlich auch keine Fingerabdrücke hinterlassen. Er schenkte sich einen Cognac ein, bevor er zum Auto ging und die Schreibmaschine holte.
Mitten in der Nacht setzte er sich ins Arbeitszimmer, um einen Brief an den Unbekannten zu schreiben, der das unmögliche Problem von ihm und seinesgleichen lösen sollte. Eine Tat, die nicht nur Schweden beeinflussen sollte, sondern vielleicht die ganze Welt. Eine Erlösertat.
Er dachte an seinen Freund Jack Pallon, der vor einer Woche angerufen und gefragt hatte, wie es mit ihrer Übereinkunft war. Übereinkunft, schnaubte Lennart, es gab überhaupt keine Übereinkunft. Er weigerte sich zuzugeben, dass das, was er jetzt tat, auf Jacks Konto ging. Es war ganz und gar sein eigener Beschluss und seine eigene Verantwortung. Aber das sagte er nicht zu Jack.
Jack hatte gefragt, ob er und Anna-Lisa nicht nach New York kommen und Ostern mit ihm und Ellen feiern wollten. Lennart hatte freundlich abgelehnt und es auf die Arbeit geschoben. Er konnte sich nur schwerlich vorstellen, die heiligsten religiösen Feiertage von allen in dem gottesfürchtigen Haus am Central Park zu verbringen. Mit einem Schaudern erinnerte er sich an die Tischgebete, als er das letzte Mal dort gewesen war. Wie würde das erst am Karfreitag aussehen? Jack hatte sich wirklich verändert. Er war nicht mehr wie in alten Zeiten.
Das Farbband der alten Halda war schlecht. Er musste oft denselben Buchstaben mehrfach anschlagen, damit es lesbar wurde. Er hatte den Text in seinem Kopf während zahlreicher schlafloser Nächte zurechtgeknetet und wusste jetzt ganz genau, was er schreiben wollte. Er schrieb auf Englisch. Es fiel ihm leicht, da er im Ausland gelebt und Englisch viele Jahre lang als Alltagssprache gehabt hatte.
Als er fertig war, las er den Text zweimal durch, faltete das Papier sorgfältig zusammen und steckte es in einen grauen Umschlag aus derselben Packung. Den Umschlag versteckte er im Lederfutter seines Dokumentenkoffers. Mit einem kleinen Tropfen Kleber befestigte er den Stoff, den er vom Innenleben gelöst hatte. Er war stolz auf seine umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen.
Es dämmerte bereits, als er mit der Schreibmaschine unterm Arm zum Bootshaus ging. Am Tag zuvor hatte er seinen Besitz inspiziert und festgestellt, dass der Bauer, der sich um Grundstück und Haus kümmerte, das Ruderboot bereits zu Wasser gelassen hatte. Er schloss die Tür zum Bootshaus auf und setzte sich in das kleine, wacklige Boot. In der rosa Dämmerung ruderte er auf das spiegelglatte Wasser hinaus. Als er ein paar hundert Meter vom Land entfernt war, hob er die Schreibmaschine hoch und warf sie über Bord.
Am Montag nach Ostern war Erik Hellberg den ganzen Tag in nicht enden wollenden Bankmeetings. Er musste die Mittagspause ausfallen lassen und bemerkte, dass er trotzdem Überstunden machen musste. Er stand einer mit dem Waldenströmkonzern verbundenen Bankfiliale in Zürich vor und diese Tage nach Ostern schienen die hektischsten des Jahres zu werden.
Als er bei seiner Sekretärin reinsah und sie bat, ihm ein paar belegte Brote zu kaufen, die er im Büro essen konnte, gab sie ihm ein Fax, das gerade aus Stockholm gekommen war. Es war von Lennart Waldenström persönlich. Er wollte ihn in zwei Tagen in London treffen. Hellberg stöhnte. Er wusste, dass er am Mittwoch mindestens zwei weitere Meetings in Zürich hatte. Die Nachricht kam zu kurzfristig, aber als loyaler und gut bezahlter Mitarbeiter wusste er, dass Waldenströms Wunsch ihm Befehl war und ließ daher eine Bestätigung zurückfaxen. Seiner Sekretärin sagte er sofort Bescheid, seine Treffen so geschmeidig wie möglich umzubuchen.
Am Mittwoch fand sich Hellberg um Punkt drei an der Adresse in London Mayfair ein, 13 Bruton Street. Er war noch nicht einmal die Treppe zum Eingang hochgegangen, als ein Auto hupte. Er drehte sich um und sah Lennart Waldenström, der ihm vom Rücksitz eines Taxis zuwinkte.
Erik Hellberg sollte sich ins Auto setzen und es fuhr los. Er war sehr verdutzt, aber Waldenström tat nichts, um ihm den Grund des merkwürdigen Zusammentreffens zu verraten, so lange sie im Auto saßen. Das Londoner Taxi fuhr sie zum Regent’s Park. Sie stiegen an der Chester Road aus und gingen in dem Park spazieren. Es war kalt und feucht und der feine Nieselregen veranlasste sie, die Regenschirme mitzunehmen.
Sie gingen unter den Bäumen in dem fast menschenleeren Park entlang. Waldenström sagte, dass er sich ein privates Gespräch mit Hellberg wünschte. Es ging um etwas, das man nicht am Telefon besprechen konnte und er wollte aus unterschiedlichen Gründen nicht nach Zürich reisen. London passte ihm gut, da er dort noch weitere Verpflichtungen hatte. Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass er Hellberg vielleicht Umstände bereitet hatte.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
Es tropfte von den hohen Bäumen, die gerade ausschlugen. Der leise Frühlingsregen trommelte auf das gespannte Tuch der Regenschirme.
„Niemand darf wissen, dass wir uns getroffen haben“, sagte Waldenström plötzlich. „Darum wollte ich nicht, dass wir uns im Büro oder im Hotel treffen. Ich meine, sogar Restaurants sind ziemlich öffentlich. Man trifft dort dauernd Bekannte, nicht wahr?“
Erik Hellberg nickte. Er wurde immer verwirrter.
„Ich möchte, dass Sie mir einen persönlichen Gefallen tun, Erik“, fuhr Waldenström fort. „Einen sehr speziellen Gefallen, den ich nicht irgendwem anvertrauen würde. Aber es könnte gefährlich sein, das sollten Sie wissen, ehe Sie zusagen.“
Hellberg spürte ein starkes Unbehagen. Es war ihm vollkommen klar, dass er nicht wirklich eine Wahl hatte. Was würde passieren, wenn er sich weigerte? Er wagte nicht, an die Konsequenzen zu denken. Er konnte es sich nicht leisten, sich aufzulehnen, trotz seines ganzen Lebens in der Bankwelt. Vor ein paar Jahren hatte er seine Ersparnisse durch eine fatale Fehlinvestition verloren. Und er war überzeugt, dass Waldenström davon wusste.
„Sie können sich auf mich verlassen, Lennart“, sagte er. Wenn sie allein waren, ließ sein Chef es immer zu, dass man ihn beim Vornamen nannte.
Waldenström blieb stehen und versuchte einen Zigarillo anzuzünden. Er hatte Schwierigkeiten, gleichzeitig den Regenschirm zu halten. Hellberg streckte eine helfende Hand aus und hielt den Stock, während Lennart den Zigarillo anzündete.
„Danke“, sagte er und blies einen blauen Kringel in die Luft. „Haben Sie darüber nachgedacht, sich zurückzuziehen?“
Erik Hellberg spürte den Boden unter sich schwanken. Er lächelte unsicher.
„Erst in ein paar Jahren. Es ist ja auch eine Frage der ökonomischen Voraussetzungen.“
„Genau. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mitmachen, Erik. Das kann sich sehr für Sie lohnen. Sie werden dafür reich entlohnt.“
Lennart Waldenström bot Hellberg eine große Landfläche in Argentinien sowie eine Geldsumme an, die er niemals auf normale Weise selbst erwirtschaften konnte. Die Voraussetzung war, dass Erik den Konzern verließ und nach Argentinien auswanderte.
Hellberg schwindelte. Der Vorschlag klang unglaublich verlockend. Das einzige Problem war, dass seine Frau immer öfter darüber sprach, wieder nach Schweden zurückzuziehen. Sie hatte eine Schwester in Vetlanda. Ansonsten hatten sie keine Angehörigen mehr. Ihre eigene Tochter hatte vor mehr als zehn Jahren einen tödlichen Autounfall auf einer deutschen Autobahn gehabt. Ihre eigenen Eltern waren tot.
Die zwei Männer gelangten an den London Zoo. Dort drehten sie um und gingen wieder durch den Park zurück. Da hatte Hellberg bereits eine Lösung für das Problemchen gefunden, wie er seine Frau würde überreden können, nach Argentinien zu ziehen. Er hatte Waldenströms Vorschlag angenommen und dieser legte ihm nun den Auftrag dar.
Waldenström erzählte vom Uhrmacher in der Bahnhofstrasse 14 in Zürich und von dem Kontakt, der über ihn entstehen sollte. Er übergab Hellberg einen Umschlag. Der Umschlag enthielt zwei weitere: einen mit Geld für Hellbergs Ausgaben im Zusammenhang mit dem Auftrag und einen, den er dem Kontakt persönlich geben sollte. Hellberg sollte herausfinden, wie viel Geld er wollte und wie die Bezahlung vonstattengehen sollte. Wenn irgendetwas schief ging, sollte der Brief unverzüglich zerstört werden.
Waldenström insistierte, dass er größte Vorsicht walten lassen sollte, vielleicht wäre es gut, ein wenig Verwirrung zu stiften, dann wäre es schwieriger, die Spuren zu einem von ihnen zurückzuverfolgen, sollte es zum Schlimmsten kommen. Was das Schlimmste war, traute sich Hellberg nicht auszumalen, aber so, wie Waldenström sich ausdrückte, ging es darum, einer wichtigen, hohen Person in Schweden das Leben zu nehmen – und dass er den Kontakt mit dem Mörder aufnehmen sollte.
„Es darf keinerlei Verbindung zu mir geben. Sie sind dafür verantwortlich!“, sagte Waldenström und sah ihm in die Augen. „Ich werde jede Kenntnis leugnen.“
Hellberg nickte.
„Woher weiß ich, dass es der richtige Mann ist?“
„Er reagiert auf die Losung: ‚Let’s talk about roses‘ – lass uns über Rosen sprechen“, sagte Waldenström mit einem nach innen gekehrten Lächeln.
Hellberg hatte Angst, aber er hatte keine Wahl. In der nächsten Zeit würde er oft Trost in dem Gedanken an eine wirtschaftlich unabhängige Zukunft in Lateinamerika suchen.