Читать книгу Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny - Страница 12

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Kapitel 10

Die Schiebetür des Hospitals glitt zur Seite. Christian sog frische Sommerluft durch die Nase.

»Ich bin immer froh, wenn ich aus Krankenhäusern bin«, sagte er zu Alex, der neben ihm ging und Louis in der Babyschale trug. Er lächelte. Sanft strich er Christian über den Rücken. Seine erste Berührung seit Tagen. Das erste Lächeln. Christian schluckte.

»Jetzt haben wir es hinter uns«, sagte Alexander und küsste Christian auf den Mund. »Ich liebe euch zwei!«

Die Augen des Geküssten glitzerten. Bedenken wollte er im Augenblick nicht anmelden. Jetzt haben wir es hinter uns – der Satz entsprach nur der halben Wahrheit. Louis war aus dem Krankenhaus entlassen, ja, aber ob der Atemstillstand zu Folgeschäden führte, blieb offen. Das würde sich, wenn überhaupt, erst in ein paar Jahren zeigen. Christian erwiderte den Kuss. Die Berührungen hatten ihm in den letzten Tagen gefehlt. Alexander hatte sich jeder Nähe verweigert.

»Du hättest ihn nicht alleine lassen dürfen!«, warf er Christian immer wieder vor und wollte nichts davon wissen, dass er ihn nach oben zum Kuchenbuffet zitiert hatte. Aber die Krise war überstanden. Louis durfte nach Hause, und nur darauf kam es an.

Plötzlich erstarb Christians Lächeln. Er tippte auf Alexanders Schulter. »Schau mal, wer da kommt.« Er deutete mit dem Kinn auf Oliver, der den beiden eiligen Schrittes entgegen kam.

»Was will der hier? Sichergehen, dass er Louis auch umgebracht hat?«

»Nimm mal«, gab Alexander zurück und drückte ihm die Babyschale in die Hand.

»Wo willst du hin?«

»Ich frag ihn.«

»Alex!«, zischte Christian hinter ihm her. Doch sein Mann beachtete ihn nicht. Chris trat von einem Bein auf das nächste, blickte zu Louis hinunter, nahm ihm den Schnuller vom Bauch, den der Kleine immer ausspukte, nachdem er eingeschlafen war. Eine Brise wehte Alexanders Lachen zu ihm herüber. Was gab es zu lachen? Neugierig ging er auf die beiden zu.

»Woher die allgemeine Heiterkeit?«, fragte er spitz.

»Guten Tag, Herr Thalberg!«, grüßte Oliver. In seinem dunklen Sakko und dem weißen Hemd glich er einem Anwalt, der sich im Krankenhaus nach Mandanten umschaute.

»Christian«, spukte Christian seinen Namen aus. »Leute, die Rauchbomben auf meiner Party legen, dürfen mich gerne beim Vornamen nennen.«

»Chris«, mahnte Alexander. Betreten lächelte er Oliver zu und erklärte Christian: »Herr Wagner hat mir eben erzählt, dass er hier arbeitet.«

»Arbeitet?« Christian schaute die beiden Männer verächtlich an. »In diesem Aufzug? Was bist du? Leichenbestatter? Ich muss dich enttäuschen: Louis lebt!« Das Lächeln um Olivers Mund trieb ihm die Wut hoch. Christians giftige Beleidigungen schienen an Olivers schimmernden Sakko abzuperlen. Der Maxi Cosi wurde Christian schwer im Arm; er stellte ihn sanft ab und kehrte mit dem Blick zurück in Olivers Augen. Dieser schüttelte den Kopf.

»Ich bin Krankenpfleger. Ich hatte einen Notartermin, deshalb der Anzug.«

»Und das glaubst du?«, fragte Christian Alexander. Er rammte seine Fäuste in die Hosentaschen.

»Hör auf, Chris! Du kannst ihn nicht ohne Beweise beschuldigen!«

Wie unangenehm Alexander die Situation war, bemerkte er an dessen hilflosen Blick. Aber das war ihm gleichgültig. Oliver, wie hieß er noch mit vollständigem Namen? Ja, Oliver Wagner hatte etwas mit der Geschichte zu tun. Er wusste es. Er fühlte es. Und auf sein Bauchgefühl konnte er sich verlassen, immer schon.

»Soll er beweisen, dass er unschuldig ist«, fauchte Christian, im vollen Bewusstsein, dass er damit die Beweisführungspflicht unzulässig verdrehte.

Oliver verschaffte sich Luft, indem er seine Krawatte lockerte. Er beteuerte: »Ich war rein zufällig vor Ort und wurde von Herrn Thalberg beauftragt, Fotos zu machen.«

»Ich hab keine Fotos gesehen«, erwiderte Christian.

Oliver lächelte müde. »Das wirst du in nächster Zeit auch nicht können. Die Polizei hat meinen Computer und alle Speicherkarten mitgenommen, als sie meine Wohnung durchsucht haben«, log Oliver.

»Ohne Grund werden sie deine Wohnung nicht durchsucht haben, oder?« Christian blickte ihn scharf an. Oliver hielt dem Blick stand. Es war Christian, der seine Augen zuerst senken musste.

»Können wir gehen?«, fragte er Alexander. »Louis wird bald aufwachen und hungrig sein.«

Alexander nickte. »Entschuldigung«, hörte Christian ihn zu Oliver flüstern. Er verkniff sich ein Kommentar. Der Mann im Anzug senkte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

»Es tut mir leid, was euch passiert ist«, sagte er und ging.

»Es tut mir leid, was euch passiert ist«, äffte Christian ihn nach, als er außer Hörweite war.

»Das war eine miese Aktion, eben.« Alexander nahm Louis' Trage und eilte zum Parkplatz.

»Oh, Entschuldigung, dass ich gerne wissen will, wer uns ausräuchern wollte wie gemeine Wühlmäuse! Dir scheint es ja egal zu sein!«

Alexander blieb stehen und wandte sich um. »Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich an der Wahrheit interessiert bin oder nur blind jemanden beschuldige!« Christian duckte sich vor der Wut, die auf ihn zurollte. Ihm war klar, dass er jetzt besser schwieg. Sie erreichten das Auto. Alexander drückte auf den Schlüssel. Die Schlösser des Peugeots klackten auf. Alexander stöhnte bei dem Versuch, die Babyschale im Auto zu befestigen. »Tunten und Technik«, fluchte er vor sich hin. Dann klappte es.

Sie fuhren schweigend ein paar Minuten. Schlechtes Gewissen und Scham krochen Christian den Hals hinauf.

»Ich meine, wer sonst kommt in Frage ...«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Alexander.

»Ich weiß es nicht.« Alexander klang gleichgültig. Nein, fand Christian, vielleicht traf das Wort es nicht ganz. Eher war da etwas Abwartendes in seiner Stimme, abwartende Gelassenheit. Er wünschte sich, ebenso reagieren zu können. Ein Ruhepol zu sein, trotz aller Widrigkeiten. Er legte den Kopf auf Alexanders Schulter.

»Es tut mir Leid«, seufzte er müde.

»Schon gut.« Christian erschrak vor der Gleichgültigkeit, die in der Antwort mitschwang. Erschöpft schloss er die Augen.

Die Kinder der Schiffbrüchigen

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