Читать книгу Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny - Страница 15
ОглавлениеKapitel 13
Während Catrin Alexander ihre Hausbaupläne offenbarte, bescheinigte eine B-Probe ihrem Ehemann Björn, dass Gott ihm nicht verziehen hatte. Dennoch fühlte er sich beim Verlassen der Praxis des Hausarztes gefasst. Es war, als habe er sich mit seinem Schicksal schon vorauseilend abgefunden. Das Merkblatt, das der Arzt ihm in die Hand gedrückt hatte, steckte gefaltet in seiner Hosentasche. Björn betrat eine Apotheke.
»Guck, dass sie dir was für Schwangere geben! Für den Fall der Fälle«, hatte Catrin am Telefon gebeten. Sie brauchte etwas für ihre Erkältung. Es war doch eine Erkältung, oder? Herr, lass es nur eine Erkältung sein, richtete Björn ein Stoßgebet an Gott.
»Ist in Ordnung«, hatte er geantwortet. Wie schnell man sich mit dem Lügen anfreunden konnte, dachte er.
Ab dem Tag, an dem er Catrin kennengelernt hatte, wurde alles gut. Er schmunzelte bitter. Zuvor, während des Scheidungskrieges seiner Eltern, hatte er am Boden gelegen. Sie verlangten von ihm die Entscheidung, bei wem er bis zum Abschluss seiner Ausbildung zum Elektroinstallateur leben wollte. Zu seiner im neuen Liebesglück schwelgenden Mutter und ihren einundzwanzigjährigen Lover zog es ihn nicht. Aber die Vorstellung, die Wohnung mit seinem promiskuitiven Vater zu teilen, der seine neuaufgezwungene Freiheit in vollen Zügen auslebte, war kaum einladender. Doch ein eigenes Dach konnte Björn sich von dem bescheidenen Ausbildungsgehalt nicht leisten. Also zog er zu seinem Vater und den wöchentlich getauschten Frauen am Frühstückstisch. Manchmal beschlich ihn leise Bewunderung: Wo gabelte sein Alter nur alle diese Weiber auf?
»Es ist so viel besser, wieder solo zu sein«, behauptete sein Vater überschwänglich. Björn glaubte ihm nicht. Die Vielweiberei seines Erzeugers kam ihm wie ein Pflaster vor. Ein Pflaster auf der Herzwunde, die seine Mutter gerissen hatte, als sie ihn für diesen Jüngling verlassen hatte.
An einem Sonntagmorgen trieb ihn das Stöhnen seines Vaters und seiner Neuen fluchtartig aus der Wohnung. Ziellos irrte er durch die verschlafene Stadt und geriet in einen Menschenstrom, der ihn geradewegs in eine Freikirche spülte. Dort fiel er Catrin auf. In seiner schmuddeligen Jeans, mit seinem gelben T-Shirt und dem ungewaschenen dunkelblonden Haar wirkte Björn auf Catrin wie das perfekte verlorene Schaf, auf das sie all ihre christliche Nächstenliebe projizieren konnte. Er war ihr willkommener Loser, ideal zum Aufpäppeln. Auch Björn verliebte sich augenblicklich. Er ließ sich für sie in die Zuspruchsgemeinde taufen. Nie hatte er an der Existenz Gottes gezweifelt, aber er hatte Religion bis dahin nur wenig Interesse geschenkt. Das änderte Catrin. Wie vieles. Sie drängte ihn, seine Ausbildung abzuschließen, der Gängelei seines Chefs zum Trotz. Mit ihrem Zuspruch ertrug er die Eskapaden seines Vaters und die wechselnden weiblichen Gesichter. Nur für Catrin hielt Björn das Leben in Sodom und Gomorrha, wie er die Wohnung seines Alten nannte, durch. Sie redete ihm zu, unterstützte und forderte ihn. Und mit der Zeit gab er seinen eigenen Willen auf und trat ihn an sie ab.
Björn verließ die Apotheke mit einem Tütchen. Wie lange war es wohl noch hin, bis er sich regelmäßig mit Medikamenten versorgen musste, die ihn am Leben hielten?
»Die Blutwerte können sich über Nacht ändern. Deshalb müssen wir sie quartalsmäßig überprüfen«, klärte ihn der Arzt auf. »Und reden Sie mit Ihrer Frau«, sagte er.
Reden? Mit Catrin? Björn lächelte bitter. Für Erklärungen gab sie ihm keine Gelegenheit. Und was gab es schon zu erklären? Er hatte gesündigt. Björn senkte den Kopf und dachte nach. Kaum dass sie ein Jahr miteinander gingen, hatten Catrin und er geheiratet. Bald darauf kündigte Rebecca sich an. »Die Hochzeitsnacht«, erklärte Björn später stolz einem Kollegen, »hat voll ins Schwarze getroffen.«
Aber das war nur die halbe Wahrheit. In der besagten Nacht waren sie nach der langen Feier für Zärtlichkeiten und Zeugungsversuche zu müde gewesen. Rebecca war am Morgen nach der Hochzeit gezeugt worden.
»Und ihr hattet vorher wirklich nie Sex?«, fragte sein Kollege ihn ungläubig. Ja, sie hatten gewartet. »True Love waits«, hieß es in der Kirchengemeinde. Björn drängte es nach der Verlobung (drei Monate, nachdem sie ein Paar wurden), miteinander zu schlafen. Ein Ehegelöbnis stellte das Hochzeitsversprechen ja dar, und warum nicht kosten, was ihm versprochen war? Doch Catrin nahm es mit ihrer Unberührtheit ernst und so geschah, streng geschlechtlich gesehen, bis zum Morgen nach der Hochzeit nichts. Für Björn brach ein Quartal der Lust an. Beinahe jede freie Minute »erkannten« sie sich: im Bett, während des Kochens auf dem Küchentisch, auf der Couch oder auf Autofahrten, die an einsamen Waldparkplätzen endeten. Catrin bereitete ihm das fleischliche Paradies auf Erden und strafte jeden Atheisten Lügen, der glaubte, Christen seien Langweiler im Bett.
Und dann war auf einmal Schluss. Kaum sah man Catrins erste Wölbung am Bauch, fing sie an ihn zu vertrösten. Sie bemühte sich nicht einmal, Kopfschmerzen vorzuschützen, sondern sagte gerade heraus, dass sie keine Lust auf Sex hatte. »Vermutlich die Hormonumstellung«, tröstete sie ihn. Als Rebecca auf der Welt war und ihre Umgebung auf Trapp hielt, war Catrin zu gestresst, zu müde und nach einer Handvoll ehelicher Pflichterfüllung wieder zu schwanger, um sich Björns Gelüsten hinzugeben: erst mit Ruth, dann mit Maria.
»Vermisst du nicht die Zeit, als wir´s wie die Karnickel getrieben haben?«, fragte er sie einmal, als sie sich liebten und er sich befriedigt von ihr rollte. Catrin gab sich pikiert.
»Zeiten ändern sich. Aber jede hat ihren Reiz.«
Björn wandte sich ab. »Ja, Zeiten ändern sich«, flüsterte er. Sex war für ihn jetzt mit Ekel besetzt, dreckig, feucht, gefährlich. Er hatte keinen Bedarf mehr, mit Catrin oder einer anderen Frau Körperflüssigkeiten auszutauschen. Björn wurde schwindlig. Er musste sich auf den Gehweg setzen, sonst zog es ihm die Beine fort. Sein abrupter Halt zwang eine Passantin zum Ausweichen. Sie fluchte und hastete weiter. »Entschuldigung«, rief er ihr nach. Das Wort hallte in seinem Körper nach. Schuld! Ja, die hatte er auf sich geladen, und er konnte sie nicht schultern. Sie erdrückte ihn, nahm ihm die Luft. Er sah nicht, wo er die Kraft für die Zukunft hernehmen sollte. Doch er musste. Er schuldete es seinen Töchtern und seiner Frau. Schuld, Schuld, Schuld. Er band sich den Schnürsenkel, folgte mit den Augen dem Stamm einer Kastanie in den Wipfel hinauf. Sich an einem Ast aufknöpfen, ja, das war ein tröstlicher Gedanke.