Читать книгу Allein mit Shirley - Jonathan Coe - Страница 13
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ОглавлениеZunächst deutete nichts auf einen Erfolg meiner Strategie hin, doch dann, nach zwei Wochen, bekam ich Anrufe von beiden Verlagen und konnte zwei Termine am selben Tag ausmachen: Nachmittags würde ich Peacock Press aufsuchen, und vormittags würde ich bei dem angeseheneren Verlag sein, dem es einst gefallen hatte, mich als einen seiner vielversprechendsten Nachwuchsautoren zu betrachten. (Das war allerdings Jahre her.) Es war ein kleines, aber renommiertes Unternehmen, das den größten Teil des Jahrhunderts in einem georgianischen Reihenhaus in Camden residiert hatte, kürzlich jedoch von einem amerikanischen Konzern geschluckt worden und in die sechste Etage eines Bürohochhauses nahe Victoria Station umgezogen war. Etwa die Hälfte der Belegschaft hatte diesen Wechsel überstanden, darunter auch der Belletristiklektor, ein vierund-vierzigjähriger Oxfordabsolvent namens Patrick Mills. Wir waren um halb zwölf verabredet, kurz vor der Mittagspause.
Der Weg dorthin war eigentlich sehr einfach. Zunächst mußte ich zur U-Bahn-Station gehen, das heißt durch den Park, über die Albert Bridge, an den festungsartigen Häusern der Superreichen am Cheyne Walk vorbei und die Royal Hospital Road hinunter zum Sloane Square. Ich blieb nur einmal stehen, um mir zwei Schokoriegel zu kaufen (ein »Mars« und ein »Twix«. wenn ich mich recht erinnere). Es war wieder ein drückend heißer Morgen, und es gab kein Entkommen vor den schwarzen Smogwolken, die aus den Auspuffrohren von Autos, Lastwagen und Bussen quollen, schwer in der Luft hingen und mich fast zwangen, die Luft anzuhalten, wenn ich an einer verkehrsreichen Kreuzung die Straße überquerte. Als ich die U-Bahn-Station erreicht hatte und mit der Rolltreppe hinunterfuhr, sah ich, daß der Bahnsteig völlig überfüllt war. Es hatte wohl eine Betriebsstörung gegeben – jedenfalls war anscheinend seit einer Viertelstunde kein Zug gekommen. Obwohl der Bahnsteig am Sloane Square nicht sehr tief unter der Erde liegt, gab mir die stetige Abwärtsbewegung der Rolltreppe das Gefühl, als sei ich Orpheus, der in die Unterwelt hinabsteigt und sich dort Massen von bleichen, traurig wirkenden Menschen gegenübersieht. Das Sonnenlicht, das mich eben noch gewärmt hatte, war nur noch eine blasse Erinnerung.
... perque leves populos simulacraque functa sepulchro ...
Vier Minuten später fuhr ein Zug der District Line ein, dessen Wagen allesamt zum Bersten mit schwitzenden, verkrümmten, zusammengequetschten Menschen gefüllt waren. Ich machte nicht einmal den Versuch einzusteigen, aber in dem Durcheinander von sich einander vorbeidrängenden Leuten gelang es mir, mich zum vorderen Ende des Bahnsteigs zu schieben, wo ich auf den nächsten Zug wartete. Er kam nach einigen Minuten, diesmal ein Zug der Circle Line, der genauso voll war wie der vorige. Als die Türen aufgingen und einige Passagiere mit roten Gesichtern sich an den Wartenden vorbei hinausgeschoben hatten, zwängte ich mich hinein und nahm einen ersten Atemzug der übelriechenden, abgestandenen Luft im Wagen – man wußte sofort, daß sie schon hundertmal oder öfter in den Lungen eines jeden Passagiers gewesen war. Noch mehr Leute drängten herein, und ich wurde von einem jungen, schlaksigen Büroangestellten – er trug einen Anzug und hatte ein teigiges Gesicht – gegen das Glas gedrückt, das uns von den sitzenden Passagieren trennte. Normalerweise hätte ich lieber mit dem Gesicht zu dieser Trennscheibe gestanden, doch befand sich dort ein großer Schweiß- oder Fettfleck, den der Hinterkopf eines Passagiers hinterlassen hatte, und darum hatte ich keine andere Wahl, als mich umzudrehen und diesem Firmenanwalt oder Swap-Geschäftsmann oder was immer er war ins Gesicht zu sehen. Wir wurden noch näher aneinander gedrückt, als die Türen sich, beim dritten oder vierten Versuch, geschlossen hatten, denn die Leute, die halb im Wagen und halb draußen gestanden hatten, mußten sich hineinzwängen, und von da an berührten seine bleichen, pickligen Wangen fast die meinen, und wir bliesen uns unseren heißen Atem ins Gesicht. Der Zug setzte sich in Bewegung, und die Hälfte der Stehenden verlor das Gleichgewicht, darunter auch ein Bauarbeiter, der obenherum nur eine hellblaue Weste trug und gegen meine rechte Schulter gedrückt wurde. Er entschuldigte sich bei mir, weil er mich angerempelt hatte, und streckte den Arm nach oben, um sich an einer der Halteschlaufen festzuhalten. Meine Nase steckte fast in seiner feuchten, stechend riechenden Achselhöhle. So unauffällig wie möglich hielt ich mir die Nase zu und atmete durch den Mund. Ich tröstete mich mit dem Gedanken: Macht nichts, ich fahre ja nur bis Victoria – bloß eine Station. In ein paar Minuten ist alles überstanden.
Doch der Zug wurde schon wieder langsamer, und als er schließlich in der Dunkelheit des Tunnels zum Stehen gekommen war, hatte er nach meiner Schätzung erst dreoder vierhundert Meter zurückgelegt. Sofort wurde die Atmosphäre im Wagen gespannt. Wir blieben nur ein oder zwei Minuten stehen, doch kam uns das vor wie eine Ewigkeit, und als der Zug dann im Schrittempo vorwärtskroch, stand auf allen Gesichtern Erleichterung. Sie hielt jedoch nicht lange vor, denn schon nach wenigen Sekunden bremste er wieder ab und blieb ruckend und mit schrecklicher Endgültigkeit stehen. Mit einemmal herrschte Totenstille, unterbrochen nur vom Zischen eines Kopfhörers weiter hinten im Wagen, das lauter wurde, als sein Besitzer ihn abnahm, um etwaige Durchsagen hören zu können. Im Handumdrehen war es unerträglich warm und stickig geworden; ich fühlte, wie die Schokoriegel in meiner Tasche schmolzen. Wir sahen einander besorgt an – einige hoben verzweifelt die Augenbrauen, andere seufzten oder fluchten leise –, und wer eine Zeitung oder irgendwelche Geschäftsunterlagen zur Hand hatte, fächelte sich damit Luft zu.
Ich versuchte, die Situation von der positiven Seite zu sehen. Sollte ich ohnmächtig werden – was keineswegs ausgeschlossen war –, dann würde ich nicht fallen und mich verletzen können, weil es einfach keinen Platz zum Fallen gab. Ebenso bestand keine große Gefahr, an Unterkühlung zu sterben. Zwar mochte der Reiz, der von der Achselhöhle meines Nachbarn ausging, nach ein oder zwei Stunden nachlassen – andererseits war es aber auch möglich, daß er, wie es bei gewissen Käsesorten der Fall ist, bei näherer Bekanntschaft ungeahnte Dimensionen offenbaren würde. Ich sah mich unter den anderen Passagieren um und versuchte zu erraten, wer zuerst zusammenbrechen würde. Es gab einige aussichtsreiche Kandidaten: einen ziemlich gebrechlichen, zittrigen alten Mann, der sich an eine Stange klammerte, eine etwas mollige Frau, die aus irgendeinem Grund einen dicken Wollpullover trug und bereits rot angelaufen war, und einen großen, asthmatischen Mann mit einem Ohrring und einer Rolex, der sich regelmäßig einen Inhalierapparat ans Gesicht hielt. Ich verlagerte mein Gewicht, schloß die Augen und zählte ganz langsam bis hundert. Während ich das tat, bemerkte ich, daß der Geräuschpegel im Wagen deutlich anstieg: Die Leute begannen sich zu unterhalten, und die Frau in dem Wollpullover stöhnte leise und sagte: »Ogottogott-ogottogott«, als mit einemmal das Licht ausging und wir in völliger Dunkelheit standen. Einige Meter von mir entfernt stieß eine Frau einen leisen Schrei aus, und von überallher hörte man neue Rufe und Verwünschungen. Es war unheimlich, sich nicht nur nicht rühren zu können, sondern obendrein nichts zu sehen, auch wenn ich zumindest dadurch entschädigt wurde, daß ich nicht mehr die Pickel dieses Bürohengstes anstarren mußte. Dennoch spürte ich jetzt ringsum Angst, wo zuvor nur Unbehagen und Langeweile geherrscht hatten. Es lag Verzweiflung in der Luft, und um nicht davon angesteckt zu werden, beschloß ich, mich so weit wie möglich in die privaten Regionen meiner Gedanken zurückzuziehen. Ich fing damit an, daß ich mir einredete, es könne weit schlimmer sein. Leider gab es überraschend wenige Szenarien, die weit schlimmer waren: Es hätte etwa obendrein noch eine Ratte im Wagen herumlaufen können, oder ein Straßenmusiker hätte seine Gitarre hervorholen und uns ein paar aufmunternde Strophen von »Imagine« vorspielen können. Nein, ich würde mich schon etwas mehr anstrengen müssen. Ich begann eine erotische Phantasie zu entwerfen, die auf der Annahme basierte, daß der Körper, der sich an mich preßte, nicht dem pickligen Börsenmaklergehilfen, sondern Kathleen Turner gehörte, die eine dünne, fast durchsichtige Seidenbluse und einen unglaublich kurzen, unglaublich engen Minirock trug. Ich stellte mir ihre festen Brüste und Pobacken vor, das unwillkürliche, noch verhohlene Verlangen in ihren Augen, ihren Bauch, der sich an meinen schmiegte – und bemerkte an diesem Punkt zu meinem Entsetzen, daß ich eine Erektion bekam. Mein ganzer Körper verkrampfte sich in Panik, und ich versuchte, Abstand zu dem Büroangestellten zu gewinnen, dessen Unterleib auf derselben Höhe wie meiner war. Doch es war zwecklos; im Gegenteil, wenn ich mich nicht sehr irrte, bekam nun er eine Erektion, was entweder bedeutete, daß er denselben Trick versuchte wie ich, oder aber, daß ich die falschen Signale aussandte und mich in Kürze in ernsten Schwierigkeiten befinden würde.
Genau in diesem Augenblick ging zum Glück das Licht wieder an, und ein gedämpftes Murmeln der Erleichterung breitete sich im Wagen aus. Auch die Lautsprecher knackten, und wir hörten das lakonische Knurren des U-Bahn-Fahrers, der uns, ohne sich für die Verzögerung zu entschuldigen, erklärte, es seien »technische Schwierigkeiten« aufgetreten, die so schnell wie möglich beseitigt würden. Es war keine wirklich befriedigende Erklärung, aber immerhin fühlten wir uns nicht mehr so allein und unrettbar verloren, und solange niemand auf die Idee kam, unsere Moral durch ein gemeinsames Lied oder Gebet zu stärken, konnte ich wohl noch ein paar Minuten durchhalten. Der Mann mit dem Inhalator dagegen sah ziemlich schlecht aus. »Tut mir leid«, sagte er, und sein Atem ging immer flacher und hektischer, »ich glaube, ich halte das nicht mehr lange aus.« Der Mann neben ihm gab beruhigende Laute von sich, aber ich spürte den stummen Zorn der anderen Passagiere angesichts der Aussicht, sich in Kürze um jemanden kümmern zu müssen, der in Ohnmacht gesunken war oder einen Anfall hatte. Zugleich spürte ich etwas ganz anderes: einen starken, ekelerregenden, fleischigen Geruch, der sich jetzt gegen die konkurrierenden Düfte von Schweiß und Körperausdünstung durchsetzte. Seine Quelle offenbarte sich, als der dünne Mann neben mir mit Mühe sein Aktenköfferchen öffnete und eine Tüte mit dem Logo einer wohlbekannten Fast-Food-Kette hervorzog. Ich sah ihn entgeistert an und dachte: Das kann er nicht ... das wird er nicht ... Aber ja: mit einer gegrunzten Entschuldigung – »Wird ja sonst kalt« – klappte er den Mund auf, schob sich den feuchten, lauwarmen Cheeseburger hinein und begann gierig zu kauen. Jede Bewegung seiner Kiefer machte ein Geräusch, als würden zwei nasse Fische aneinandergeschlagen, und aus seinen Mundwinkeln triefte Mayonnaise. Es gab keine Möglichkeit, den Blick abzuwenden oder mir die Ohren zuzuhalten – ich konnte jedes Fetzchen Salat, jedes Stückchen Knorpel sehen, das zwischen seinen Zähnen zermahlen wurde, ich konnte hören, wie die gummiartige Mischung aus Käse und aufgeweichtem Brot an seinem Gaumen kleben blieb und mit der Zunge gelöst werden mußte. Dann wurde alles etwas verschwommen und dunkel, und der Boden gab unter mir nach. Ich hörte jemanden rufen: »Achtung, er fällt!«, und das letzte, was ich dachte, war: Armer Kerl ... Kein Wunder – bei seinem Asthma ... Und dann nichts mehr, keine Erinnerung an irgend etwas – nur Leere und Schwärze für ich weiß nicht wie lange.
»Du siehst ein bißchen mitgenommen aus«, sagte Patrick, als wir uns gesetzt hatten.
»Ach, ich bin schon lange nicht mehr draußen gewesen – ich hab ganz vergessen, wie das ist.«
Der Zug war zwei oder drei Minuten, nachdem ich in Ohnmacht gefallen war, wieder weitergefahren, und der Bürohengst, der Asthmatiker und die Frau im Wollpullover hatten mich in einen Erste-Hilfe-Raum in der Victoria Station gebracht, wo ich dank etwas Ruhe und einer Tasse starkem Tee wieder zu Kräften gekommen war. Als ich Patricks Büro betrat, war es fast Mittag.
»An einem Tag wie heute ist es ein bißchen stickig in der U-Bahn, nehme ich an.« Er nickte mitfühlend. »Du könntest wahrscheinlich einen Drink vertragen.«
»Gute Idee, jetzt, wo du es sagst.«
»Ich auch. Leider ist mein Budget für solche Sachen inzwischen zu knapp. Aber wenn du möchtest, hole ich dir gern ein Glas Wasser.«
Patrick sah noch deprimierter aus, als ich ihn von meinem letzten Besuch in Erinnerung hatte, und seine neue Umgebung paßte dazu. Es war ein winziges, in einem unpersönlichen Gelbton gestrichenes Büro mit einem getönten Fenster, durch das man einen Parkplatz und eine Brandmauer sah. Ich hatte erwartet, daß sein Zimmer mit Werbeplakaten für die Neuerscheinungen des Verlags geschmückt sein würde, doch die Wände waren völlig kahl, bis auf den großen, auf Hochglanzpapier gedruckten Kalender eines Konkurrenzverlags, der in der Mitte der Wand hinter Patrick hing, genau über seinem Kopf. Sein Gesicht war schon immer lang und traurig gewesen, doch seine Augen hatten noch nie so schläfrig geblickt, und auch der melancholische, resignierte Zug um den Mund war mir neu. Dennoch schien er sich zu freuen, mich zu sehen, und nachdem er zwei Plastikbecher mit Wasser geholt und auf den Schreibtisch gestellt hatte, brachte er den Anflug eines Lächelns zustande.
»Tja, Michael«, sagte er und setzte sich in seinen Schreibtischsessel, »wenn ich sagen würde, daß man in den letzten Jahren ziemlich wenig von dir gesehen hat, wäre das eine schamlose Untertreibung.«
»Ich habe gearbeitet«, log ich. »Wie du siehst.«
Wir sahen das Manuskript an, das zwischen uns auf dem Schreibtisch lag. »Hast du’s gelesen?« fragte ich.
»Ja, hab ich«, sagte Patrick. »Und wie.« Er verstummte.
»Und?«
»Jetzt sag mal, Michael: Kannst du dich erinnern, wann wir uns das letztemal gesehen haben?«
Zufällig konnte ich. Doch bevor ich antworten konnte, fuhr er fort: »Ich werd’s dir sagen: am 14. April 1982.«
»Vor acht Jahren«, erwiderte ich. »Muß man sich mal vorstellen.«
»Vor acht Jahren, fünf Monaten und sieben Tagen. Eine lange Zeit, wie man so sagt.«
»Das stimmt.«
»Wir hatten gerade deinen zweiten Roman herausgebracht. Du hast hervorragende Kritiken gekriegt.«
»Hab ich das?«
»Zeitschriftenfeatures, Zeitungsinterviews ...«
»Aber keine hohen Verkaufszahlen.«
»Ach, die wären schon noch gekommen. Die wären schon noch gekommen, Michael, wenn du nur ...«
»... dabeigeblieben wärst.«
»Genau, wenn du dabeigeblieben wärst.« Er nahm einen großen Schluck Wasser. »Kurz darauf hast du mir einen Brief geschrieben. Ich nehme an, du weißt nicht mehr, was in dem Brief stand.«
Ich wußte es nur zu gut. Doch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Darin stand, daß du in nächster Zeit keine Romane mehr schreiben würdest, weil du einen Vertrag für ein wichtiges Sachbuch hättest, für einen anderen Verlag. Einen Konkurrenzverlag. Wenn ich mich recht erinnere, hast du den Namen dieses Verlages übrigens nie erwähnt.«
Ich nickte und wartete ab, worauf er hinauswollte.
»Ich hab dir danach zweoder dreimal geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen.«
», du weißt doch, wie das ist, wenn man ... sich in eine Sache vergraben hat.«
»Ich hätte dir Druck machen können. Ich hätte dir auf die Zehen treten oder die Faust im Nacken spielen können. Aber ich hab’s nicht getan. Ich hab beschlossen, mich zurückzuhalten und abzuwarten, was sich entwickelt. Das ist ein wichtiger Bestandteil meines Jobs: daß man bereit ist, sich im Hintergrund zu halten und abzuwarten, was sich entwickelt. Es gibt Zeiten, da weiß man einfach instinktiv, daß man das tun muß. Besonders wenn man es mit einem Schriftsteller zu tun hat, an dem man ein persönliches Interesse hat. Dem man sich verbunden fühlt.«
Er schwieg und warf mir einen Blick zu, der wohl bedeutungsvoll sein sollte. Da ich nicht wußte, wie er gemeint war, ignorierte ich ihn und rutschte auf meinem Stuhl herum.
»Damals fühlte ich mich dir sehr verbunden, Michael. Ich habe dich entdeckt. Ich hab dich aus dem Haufen der abgelehnten Manuskripte herausgezogen. Ich glaube – und bitte korrigiere mich, wenn ich mir das einbilde –, damals hättest du allen Grund gehabt, mich nicht nur als Lektor, sondern auch als Freund zu betrachten.«
Ich hatte keinen Anlaß, ihn in diesem Punkt zu korrigieren, konnte mich aber nicht entscheiden, ob ich nicken oder den Kopf schütteln sollte, und tat daher keins von beiden.
»Michael«, sagte er und beugte sich vor, »tu mir einen Gefallen.«
»Bitte.«
»Erlaube mir, nur für einen Moment nicht als Lektor, sondern als Freund zu sprechen.«
Ich zuckte die Schultern. »Nur zu.«
»Also dann: Als dein Freund und nicht als dein Lektor - ich hoffe, du kriegst das jetzt nicht in den falschen Hals - muß ich dir, im Sinne einer konstruktiven Kritik und aus persönlichem Interesse, sagen: Du siehst beschissen aus.«
Ich starrte ihn an.
»Michael, du siehst zwanzig Jahre älter aus.«
Ich suchte nach Worten. »Was ...? Soll das heißen, ich sehe alt aus?«
»Die Sache ist: Du hast immer so jung ausgesehen. Damals hast du zehn Jahre jünger gewirkt, als du warst, und jetzt wirkst du zehn Jahre älter, als du bist.«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach und überlegte, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, daß ich, da inzwischen acht Jahre vergangen waren, in diesem Fall um rund dreißig Jahre gealtert sein müßte. Statt dessen saß ich da und klappte den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Was ist passiert?« fragte Patrick. »Was war los?«
»Also ... ich weiß auch nicht. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Patrick stand auf, aber ich sprach weiter. »Alles in allem waren die Achtziger keine besonders gute Zeit für mich. Wahrscheinlich für die meisten Leute nicht.« Er öffnete einen Schrank und schien auf die Innenseite der Tür zu starren. »Mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben, und das hat mich ziemlich getroffen, und dann ... Na ja, du weißt wahrscheinlich – seit Verity und ich uns getrennt haben, hab ich nicht viel ...«
»Sehe ich älter aus?« fragte Patrick plötzlich. Ich merkte, daß er in einen Spiegel sah.
»Was? Nein, eigentlich nicht.«
»Ich fühle mich aber so.« Er ließ sich übertrieben kraftlos in seinen Sessel fallen. »Es kommt mir plötzlich so vor, als wäre es furchtbar lange her, daß du als hoffnungsvoller junger Mann in mein Büro gekommen bist.«
»Tja, wie ich schon sagte: Seitdem ist viel passiert. Zuerst ist mein Vater gestorben, das war ein schwerer Schlag für mich, und dann ...«
»Ich hasse diese Arbeit. Ich hasse das, was daraus geworden ist.«
»Tut mir leid, das zu hören.« Ich wartete darauf, daß er das weiter ausführte, aber er hüllte sich in dumpfes Schweigen. »Jedenfalls, seit Verity und ich uns getrennt haben, hab ich bei Frauen nicht viel ...«
»Ich meine, es ist einfach nicht mehr dasselbe wie früher. Die ganze Branche ist nicht mehr wiederzuerkennen. Wir kriegen unsere Anweisungen aus Amerika, und wenn ich in der Lektoratskonferenz etwas sage, hört keiner zu. Keiner interessiert sich mehr für Romane, für wirklich gute Romane, und die einzigen ... Werte, die noch was gelten, sind die, die in den Bilanzen auftauchen.« Er schenkte sich noch einen Becher ein und stürzte ihn hinunter als wäre es guter Whisky. »Ich hab was für dich ... einen guten Lacher. Du wirst dich biegen vor Lachen, bestimmt. Ich hab letztens ein Manuskript gelesen – rate mal, von wem.«
»Sag schon.«
»Von einer Freundin von dir. Von einer, die du gut kennst.«
»Keine Ahnung.«
»Hilary Winshaw.«
Schon wieder wußte ich nicht, was ich sagen sollte.
»Ja, ja, die wollen jetzt mitspielen. Es reicht nicht mehr, stinkreich zu sein, einen der einflußreichsten Posten im Fernsehgeschäft an Land zu ziehen und sich jede Woche von zwei Millionen Lesern dafür bezahlen zu lassen, daß man sich über Trockenfäule in den Fußleisten ereifert. Nein, diese Leute wollen Unsterblichkeit! Sie wollen ihre Namen im Katalog der British Library lesen, sie wollen ihre sechs Belegexemplare, sie wollen ihr hübsch gebundenes Buch ins Wohnzimmerregal stellen, zwischen den Shakespeare und den Tolstoi. Und sie werden es kriegen! Sie werden es kriegen, weil Leute wie ich nur zu gut wissen, daß wir, selbst wenn wir glauben, einen neuen Dostojewski gefunden zu haben, davon nicht halb so viele Exemplare verkaufen werden wie von irgendeiner Scheiße, die irgendein Idiot geschrieben hat, der den Wetterbericht im verdammten Fernsehen vorliest.«
Die letzten Worte hatte er fast geschrien. Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.
»Und wie ist ihr Buch?« fragte ich, nachdem ich ihm ein bißchen Zeit gegeben hatte, sich zu beruhigen.
»Ach, der übliche Mist. Viele Medienleute, die rücksichtslos und dynamisch sind. Alle vierzig Seiten eine Sexszene. Billige Tricks, ein mechanischer Plot, schlechte Dialoge - hätte von einem Computer geschrieben werden können. Ist wahrscheinlich von einem Computer geschrieben. Eitel, hohl, materialistisch, aufgeblasen. Jeder zivilisierte Mensch kriegt beim Lesen Pickel.« Er starrte trübsinnig ins Leere. »Und was das Schlimmste ist: Sie haben mein Gebot nicht akzeptiert. Irgend jemand hat mich um zehntausend überboten. Schweine. Ich weiß genau, daß das der Knaller im Frühjahrsprogramm wird.«
Das Schweigen, das darauf folgte, war nicht leicht zu durchbrechen. Patrick starrte an mir vorbei. Seine Augen waren hervorgequollen wie die eines Frosches, und er schien völlig vergessen zu haben, daß ich da war.
»Paß auf«, sagte ich und sah betont auf meine Uhr, »ich muß gleich gehen – ich hab noch einen anderen Termin. Wenn du mir ein paar Ratschläge zu meinem Manuskript geben könntest ...«
Patrick wandte seinen Blick langsam in meine Richtung und kehrte in die Gegenwart zurück. Ein wehmütiges, verträumtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ich hatte den Eindruck, daß er mich gar nicht gehört hatte.
»Aber vielleicht spielt das alles gar keine Rolle«, sagte er. »Vielleicht gibt es viel wichtigere Dinge als diese kleinen Probleme, mit denen ich mich herumschlagen muß. Vielleicht haben wir bald Krieg.«
»Krieg?«
»Ja, es sieht doch ganz so aus, oder nicht?« England und Frankreich schicken immer mehr Truppen nach Saudi-Arabien. Nächsten Sonntag schmeißen wir all diese Leute von der irakischen Botschaft raus. Und jetzt melden sich auch noch die Ayatollahs und rufen zum Heiligen Krieg gegen die USA auf.« Ein Schauer überlief ihn. »Für mich sieht das alles gar nicht gut aus, das kann ich dir sagen.«
»Du meinst, wenn sie anfangen zu schießen, wird Israel hineingezogen, und im Handumdrehen ist die Lage im Nahen Osten schlimmer als je zuvor. Und wenn die Vereinten Nationen unter dem Druck in die Knie gehen, haben wir wieder eine Situation wie im kalten Krieg und müßten uns auf einen begrenzten Atomkrieg gefaßt machen.«
Patricks Blick verriet, wie sehr er mich für meine Naivität bemitleidete. »Nein, das hab ich nicht gemeint«, sagte er. »Die Sache ist: Wenn wir nicht innerhalb von drei oder vier Monaten eine Biographie über Saddam Hussein auf dem Markt haben, sind wir angeschmiert.« Er sah mich mit plötzlicher Verzweiflung an. »Vielleicht könntest du eine für uns schreiben. Was meinst du? Sechs Wochen recherchieren, sechs Wochen schreiben. Zwanzigtausend Vorschuß, vorausgesetzt, wir verkaufen das Ding ins Ausland und das Fernsehen macht eine Serie daraus.«
»Ich glaube, ich höre nicht recht, Patrick.« Ich stand auf, ging ein paarmal auf und ab und sah ihn an. »Ich kann nicht glauben, daß das derselbe Mann ist, mit dem ich vor acht Jahren all diese Diskussionen gehabt habe. Der von der Zeitlosigkeit großer Literatur geredet hat, von der Notwendigkeit, über den Horizont des Alltäglichen hinauszusehen. Ich meine, was hat diese Branche aus dir gemacht?«
An der Art, wie sein Gesicht sich veränderte, erkannte ich, daß er mir endlich zuhörte, und ich beschloß, meine Chance zu nützen. »Du hast an die Literatur geglaubt, Patrick. So fest, wie ich es nie bei einem anderen erlebt hatte. Ich habe auf diesem Stuhl gesessen und dir zugehört, und es war wie ... wie eine Offenbarung. Du hast mich mit den ewigen Wahrheiten bekanntgemacht. Mit den Werten, die Generationen und Jahrhunderte überdauern und die chiffriert in den großen Kunstwerken aller Kulturen enthalten sind.« Sehr lange konnte ich diese salbungsvolle Predigt nicht durchhalten, das war mir klar. »Du hast mich gelehrt, modische, kurzlebige Wahrheiten links liegenzulassen, Wahrheiten, die heute anerkannt und morgen vergessen sind. Du hast mir gezeigt, daß es Wahrheiten gibt, die höher stehen als das. Literatur, Patrick.« Ich pochte auf das Manuskript, das noch immer auf dem Tisch lag. »Literatur – das ist es, was zählt. Das ist es, woran du und ich geglaubt haben, und das ist es, zu dem ich jetzt zurückgekehrt bin. Ich dachte, du würdest das besser verstehen als jeder andere.«
Er schwieg, und als er zu sprechen begann, zitterte seine Stimme. »Du hast recht, Michael. Es tut mir leid, wirklich. Du bist zu mir gekommen, um meine Meinung zu hören über etwas, das du geschrieben hast, über etwas, das dir sehr am Herzen liegt – und ich rede nur von meinen eigenen Problemen.« Er lud mich mit einer Handbewegung ein, mich wieder zu setzen. »Komm, setz dich. Reden wir über dein Buch.«
Ich wollte meinen Vorteil nicht aufgeben, also hob ich mißbilligend die Hand und sagte: »Vielleicht ist es kein sehr guter Zeitpunkt. Ich hab noch einen anderen Termin, und du brauchst wahrscheinlich noch ein bißchen Zeit, um dir ein Urteil zu bilden. Wir sollten lieber ein andermal ...«
»Ich hab mir bereits ein Urteil über dein Buch gebildet, Michael.«
Sofort setzte ich mich. »Tatsächlich?«
»Aber ja. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich keinen Termin mit dir ausgemacht.«
Einige Sekunden war es still. Dann sagte ich: »Und?«
Patrick lehnte sich zurück und lächelte verschmitzt. »Ich finde, du solltest mir erst ein bißchen davon erzählen. Von den Hintergründen. Warum du ein Buch über die Winshaws geschrieben hast. Warum du ein Buch über sie geschrieben hast, das wie eine Biographie anfängt und sich dann in einen Roman verwandelt. Wie bist du nur auf diese Idee gekommen?«
Ich beantwortete seine Fragen genau, wahrheitsgetreu und ausführlich. Danach war es einige Sekunden still. Dann sagte ich: »Und?«
»Tja ... ich brauche dir ja wohl nicht zu sagen, daß es mit diesem Buch ernste Probleme geben wird, Michael. Es erfüllt eindeutig den Tatbestand der Verleumdung.«
»Kein Problem«, sagte ich. »Ich werde alles verändern: Namen, Orte, Zeiten – alles. Das ist ja nur ein Anfang, nur eine Basis. Ich kann die Spuren verwischen und alles bis zur Unkenntlichkeit verändern. Das hier ist bloß das Gerüst.«
»Hmmm.« Patrick legte nachdenklich die Zeigefinger an den Mund. »Und was bleibt dann übrig? Ein Buch, das rotzfrech ist, das einen Skandal provozieren soll und offensichtlich in bösartiger Absicht und in einem verbitterten Ton geschrieben ist. Und das – wenn ich das sagen darf – stellenweise ein bißchen seicht ist.«
Ich seufzte erleichtert. »Also werdet ihr es bringen?«
»Ich glaube schon. Vorausgesetzt, du nimmst die nötigen Veränderungen vor und schreibst natürlich einen Schluß.«
»Klar. Ich arbeite im Augenblick daran und werde ... bald was haben. Sehr bald.« In meiner Begeisterung empfand ich tiefe Zuneigung zu Patrick. »Eigentlich war ich mir sicher, daß dieses Buch genau das ist, was der Markt im Augenblick verlangt, aber ich kann dir nicht sagen, wie wichtig es für mich war, das aus deinem Mund zu hören. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil es so anders ist als meine anderen Bücher ...«
»Ach, so anders ist es gar nicht«, sagte er und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Findest du?«
»Zum Beispiel gibt es deutliche stilistische Parallelen zwischen diesem und deinem letzten Buch. Ich erkenne deinen Stil sofort. Es hat in vielerlei Hinsicht dieselben Stärken und ...«
»Und was?« fragte ich, als er den Satz nicht zu Ende sprach.
»Bitte?«
»Du wolltest etwas sagen. Dieselben Stärken und ...?«
»Ach, das ist unwichtig. Wirklich.«
»Dieselben Schwächen, das wolltest du sagen, habe ich recht? Dieselben Stärken und Schwächen.«
»Wenn du es unbedingt wissen willst: Ja.«
»Und was meinst du damit?«
»Ach, lassen wir das – wir wollen uns jetzt nicht damit belasten.«
»Komm schon, Patrick, sag’s mir.«
»Also ...« Er stand auf und ging zum Fenster. Der Parkplatz und die Brandmauer schienen ihn nicht zu inspirieren. »Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an das, worüber wir bei unserer letzten Begegnung gesprochen haben. Bei unserer letzten Unterhaltung vor all den Jahren.«
Ich konnte mich ganz deutlich erinnern. »Nein, so aus dem Stegreif nicht.«
»Wir haben über deine Arbeit gesprochen. Wir haben viel über dein letztes Buch und deine zukünftigen Bücher und das Buch, an dem du damals gearbeitet hast, gesprochen, und ich habe eine kleine kritische Bemerkung gemacht, über die du dich damals ein bißchen aufgeregt hast. Erinnerst du dich daran?«
Ich hatte es fast wortwörtlich im Ohr. »Nein, es fällt mir im Augenblick nicht ein.«
»Ich habe damals angedeutet ... Also, kurz gesagt, ich habe angedeutet, daß deinen Büchern eine gewisse Leidenschaft fehlt. Weißt du das nicht mehr?«
»Klingt nicht vertraut, nein.«
»An dieser Einschätzung hast du keinen Anstoß genommen. Aber dann habe ich die Vermutung geäußert – und das war wahrscheinlich wirklich etwas anmaßend –, die Erklärung dafür sei vielleicht in der Tatsache zu suchen, daß diese Leidenschaft auch in deinem – wie soll ich sagen? – in deinem Leben fehlt. Mir fällt kein besseres Wort dafür ein.« Er sah mich forschend an – forschend genug, um sagen zu können: »Du erinnerst dich, nicht?«
Ich starrte ihn an, bis mein Ärger die Oberhand gewann. »Ich weiß nicht, wie du so etwas sagen kannst«, platzte ich heraus. »Dieses Buch ist voller Leidenschaft. Voller Wut jedenfalls. Wenn es etwas vermittelt, dann meinen Haß auf diese Leute – wie böse sie sind, wie sehr sie alles kaputtgemacht haben mit ihren Interessengruppen und ihrem Einfluß und ihren Privilegien und ihrem Zugang zu den Zentren der Macht, wie sie uns alle in die Ecke gedrängt und fast das ganze Land unter sich aufgeteilt haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es war, Patrick. Ich war jahrelang von dieser Familie umgeben. Tagein, tagaus hatte ich nur die Winshaws als Gesellschaft. Warum, glaubst du, ist dieses Buch so geworden wie es ist? Weil das Schreiben, der Versuch, die Wahrheit über sie aufzuschreiben, das einzige war, was mich davon abgehalten hat, sie umzubringen. Was irgendeiner übrigens bald mal erledigen sollte.«
»Na gut, dann laß es mich anders ...«
»Ich muß sagen, ich verstehe nicht, wie du behaupten kannst, daß in diesem Buch die Leidenschaft fehlt.«
»Vielleicht ist Leidenschaft das falsche Wort.« Er zögerte, allerdings nur einen Augenblick. »Es war auch nicht das Wort, das ich in unserer Unterhaltung gebraucht habe. Um es ganz unverblümt zu sagen, Michael: Ich habe dich darauf hingewiesen, daß in deinen Büchern Sex fehlt – Sex war das Wort, das ich gebraucht habe, jetzt fallt es mir wieder ein –, und dann habe ich darüber spekuliert, ob das vielleicht – wohlgemerkt: vielleicht – bedeutet, daß gleichermaßen und parallel dazu ... Sex ... in deinem ... Leben ... fehlen könnte ... Laß es mich anders ausdrücken: Im Augenblick gibt es in deiner Arbeit keine sexuelle Dimension, Michael, und ich frage mich, ob der Grund dafür vielleicht ist, daß es keine sexuelle Dimension in ... in deinem Leben gibt. Im Augenblick.«
»Ich verstehe.« Ich stand auf. »Patrick, ich bin enttäuscht. Ich hätte nicht gedacht, daß du einer von den Lektoren bist, die Autoren empfehlen, Sex in ihre Bücher zu packen, damit sie sich besser verkaufen.«
»Nein, das habe ich nicht gemeint. Ganz und gar nicht. Ich will sagen, es gibt einen äußerst wichtigen Aspekt deines Charakters, der hier einfach nicht zum Ausdruck kommt. Du weichst ihm aus. Du schleichst um ihn herum. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, du hast Angst davor.«
»Das höre ich mir nicht länger an«, sagte ich und ging zur Tür.
»Michael?«
Ich drehte mich um.
»Ich gebe heute einen Vertrag für dich in die Post.«
»Danke«, sagte ich und wollte schon hinausgehen, als irgend etwas mich innehalten und sagen ließ: »Du hast einen Nerv getroffen, als du gesagt hast, daß in meinem Leben ein ... Element fehlt.«
»Ich weiß.«
»Außerdem sind gute Sexszenen sehr schwer.«
»Ich weiß.«
»Trotzdem: Danke.« Noch ein Nachgedanke. »Wir müssen mal wieder Mittag essen gehen, wie in alten Zeiten.«
»Für Essen mit Autoren zahlt die Firma mir keine Spesen mehr«, sagte Patrick. »Aber wenn du was Billiges weißt, können wir uns die Rechnung teilen.«
Als ich ging, schenkte er sich noch einen Becher Wasser ein.