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Moab

Als ich weitere Rennen an verschiedenen Orten im ganzen Land gewann, begann ich davon zu träumen, auch auf internationaler Ebene zu starten. Eine Möglichkeit war, sich für die Junioren-WM zu qualifizieren. Dies wurde mein Fokus und mein Ziel für die Saison 1989.

Um sich zu qualifizieren, musste man sich in einer Reihe von Qualifikationsrennen im ganzen Land bewähren. Das erste davon fand irgendwann um Ostern herum in Moab in Utah statt. Es war ein Rennen, das die besten Fahrer aus allen Ecken der USA anlockte, die alle darauf aus waren, einen Platz im Team für die Junioren-WM zu ergattern.

Moab liegt in einer ausgedörrten Hochwüste in einem ausgestorbenen, fast menschenleeren Teil von Ost-Utah. Es gibt ein paar kitschige 50er-Jahre-Motels und -Diners, stilecht mit zeitgemäß flackerndem Neonlicht, um Touristen anzulocken. Es ist außerdem ein überaus schönes Fleckchen Erde, geprägt von den riesigen roten Sandsteinbögen im nahe gelegenen Nationalpark und einem endlosen blauen Himmel. Die Erhabenheit und Schönheit dieser Sandsteinbögen lockt Menschen aus aller Welt nach Moab.

Den Auftakt des Qualifikationsrennens dort bildete eine für den Westen typische, sehr früh am Morgen startende Etappe durch den Arches National Park. Die Etappe war hart und hügelig und meistens entschied sich schon hier, wer die über ein Wochenende ausgetragene Rundfahrt als Gesamtsieger beenden würde.

Ich wusste, wie es im Juniorenbereich gemeinhin ablief. Alle rollten zunächst eher abwartend dahin, bis dann ein paar Schlüsselmomente oder Anstiege im Rennen kamen, wo einige wenige kurze Antritte darüber entschieden, wer den Sieg davontrug. Als unser Start an diesem kalten frühen Morgen nahte, ging ich davon aus, dass es diesmal nicht anders wäre. Wir würden gemächlich hinaus zu den Hügeln rollen, an den steilsten Stellen gäbe es ein paar Attacken und dann würde sich eine Spitzengruppe bilden, die auf den letzten Kilometern den Sieger unter sich ausmachen würde.

Diesmal aber kam es anders. Schon kurz nachdem der Start freigegeben wurde, zog sich das gesamte Feld in die Länge und fing bereits an, in einzelne Gruppen zu zerfallen. Auf einem brettflachen Abschnitt der Straße rund hundert Kilometer vor dem Ziel legte jemand ein Tempo vor, wie man es im Juniorenbereich noch nie gesehen hatte.

Wir flogen nur so dahin. Es war, als hätte jemand eine Handgranate ins Feld geworfen, um eine normalerweise sanftmütige Gruppe wohlerzogener Radfahrer aufzumischen. Kids, denen man zugetraut hatte, um den Sieg mitzufahren, wurden abgehängt, noch bevor wir den ersten Anstieg erreichten. Es war, als würde ein Motorrad das Peloton anführen.

Ich arbeitete mich durch das in Auflösung begriffene Feld langsam nach vorn, verwundert über den Zustand der abgekämpften, halbtoten Fahrer, die ich auf dem Weg an die Spitze passierte. Irgendwann schloss ich zu Bobby Julich auf, der mit Mühe und Not das Hinterrad vor ihm hielt.

»Wer… IST … das … da … vorne …??«, keuchte ich.

Bobby, außer Atem und kaum hörbar, sagte nur ein Wort.

»Lance.«

Als wir den ersten Anstieg des Tages erreichten, schaffte ich es endlich an die Spitze, um dieses Biest, besagten Lance, mit eigenen Augen zu sehen. Er scherte sich offenbar herzlich wenig um die taktischen Nuancen des Radrennsports und versuchte einfach auf eigene Faust, jeden anderen im Rennen durch schiere rohe Gewalt zu eliminieren.

Seine Schultern waren viel breiter und kräftiger als die aller anderen Kids und sein Gesicht war eine Maske gequälter Entschlossenheit. Er war nicht hier, um das Rennen zu gewinnen; er war hier, um seinen Willen durchzusetzen. Er war hier, um zu vernichten, zu plündern und zu dominieren.

Ich ließ mich rasch ein paar Plätze zurückfallen und beschloss, abzuwarten und zu schauen, ob dieses übernatürliche Biest sich weiter seinen Weg zum Sieg prügeln würde oder ob sich sein Zorn und sein Hass irgendwann legten und er wieder runterkommen würde. Bobby, ein erwiesenermaßen ausgebuffter und intelligenter Rennfahrer, dachte sich das Gleiche.

Kid Lance scherte sich keinen Deut um die wenigen verbliebenen Gegner, die sich an sein Hinterrad klammerten. Er malträtierte weiter ungelenk die Pedale, als wäre der Leibhaftige in ihn gefahren. Seine Schultern schaukelten vor und zurück, während er eine Übersetzung wälzte, die viel zu groß war für den Anstieg, den wir hinauffuhren. Es schien ihn nicht zu interessieren, dass wir an seinem Hinterrad Kräfte sparten. Es ging nicht ums Gewinnen, es ging darum, uns zu demoralisieren und die letzten Tropfen an Kampfgeist aus der Konkurrenz herauszupressen und zu vernichten.

Auf dem zweiten Teil der Schleife erreichten wir den steilsten Anstieg der Strecke. Der Hügel befand sich rund 15 Kilometer vor dem Ziel und war normalerweise die entscheidende Stelle im Rennen. Würden alle anderen Lance einfach den Sieg überlassen? Auf jeden Fall hatte er uns allen mächtig Angst gemacht.

Blitzartig sah ich Bobby an die Spitze schnellen. Es war eine tollkühne Attacke, die den Zorn nur noch weiter schürte. Lance setzte nach.

Dann war ich an der Reihe. Ich zog das Tempo an, ohne mich umzuschauen, nicht zuletzt aus purer Angst. Ich fuhr einfach weiter, als wäre ein Löwe hinter mir her.

Bobby fuhr mit ein oder zwei weiteren Top-Junioren zu mir auf.

»Wir haben ihn abgehängt«, brüllte er. »Auf geht’s!!«

Und auf ging es. Wir wussten, dass Lance wie ein verwundetes Tier kämpfen würde, um wieder zu unserer Gruppe aufzuschließen und uns eine Lektion zu erteilen. Also fuhren wir wie entfesselt, um den Konsequenzen unseres Aufbegehrens zu entgehen. Wir hatten das Alphatier verwundet und allein zurückgelassen. Auf der letzten Abfahrt, als es wieder nach Moab hineinging, setzte ein bitterkalter Schneeregen ein, aber ich glaube, keiner von uns bemerkte es, denn wir sprinteten alle um unser Leben. Wir riskierten alles in den glatten, nassen Kurven.

Unsere kleine Gruppe funktionierte tadellos, bis wir die letzten anderthalb Kilometer erreichten. Dann sprinteten wir um den Sieg, wobei Bobby sich wie erwartet gegen mich und Chann McRae, einen anderen Newcomer, durchsetzte.

Beim Ausfahren nach dem Rennen plauderte ich mit Bobby.

»Wo kam DAS denn her??«, fragte ich ihn.

Bobby erzählte mir mehr. Der Name des Jungen war Armstrong, Lance Armstrong, und er stammte aus Texas.

Er kam ursprünglich vom Triathlon, war aber zum Straßenradsport gewechselt und fuhr die Konkurrenz schlichtweg in Grund und Boden. Angeblich war er dick befreundet mit dem anderen Neuling aus Texas, unserem Mitstreiter Chann McRae. Sie trainierten mehr als alle anderen, sie wussten, wie man anderen wehtat, und ihnen stand ohne Frage eine große Karriere im Radsport bevor.

Als wir auf dem Podium standen, sah ich Lance in der Menge aus Fahrern und Eltern stehen und zu uns hochschauen.

Er war an diesem Tag Vierter geworden. Er blickte finster, voller Verachtung und Wut, zum Podium hinauf.

Ich wandte mich an Bobby. »Naja, Lance ist sicherlich stark«, sagte ich, »aber, mein lieber Mann, ist der blöd.«

Chann, der neben mir auf dem Podium stand, hatte mich gehört.

»Aaaaalter, das sage ich Lance und dann reißt er dir deinen dürren kleinen Arsch auf, du Wichser«, knurrte er gedehnt in seinem texanischen Singsang.

One-Way Ticket

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