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„Du hast ihn getötet, du Schwein!“

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So manch einer würde ihn wohl als geisterhaftes Wesen bezeichnen, welches auf unserer Erde wandelt, um Rache zu nehmen, andere würden vielleicht sagen, er sei eine Art dämonischer Vollstrecker. Jedoch ist er mit absolut nichts von Beidem zu vergleichen. Wenn man ihn beschreiben sollte, würden viele wohl als Erstes mit seiner imposanten Erscheinung anfangen. Er ist fast zwei Meter groß, hat lange, pechschwarze Haare und kleidet sich komplett in schwarzem Leder.

Eine schwarze Hose, hohe, schwarze Stiefel, einen schwarzen Mantel, welcher fast bis zum Boden reicht und auf dem in großen, blutroten Buchstaben das Wort „Justice“ steht. Allerdings keine Kleidung wie die, welche man bei seinem Schneider ersteht, oder im Kaufhaus an der Ecke, sondern modrige, halb zerfetzte Lumpen, welche von seinem Körper hängen, als hätte er sie seit 2000 Jahren nicht gewechselt. Viele berichten von einem Mann in voller Lederkluft, welcher aussah, als würde er gerade mitten aus einer Explosion kommen. Einige mögen diese Gestalt wirklich schon gesichtet haben, doch niemals hat wohl jemand zuvor sein Gesicht gesehen.

Nicht, weil er nur von hinten oder aus der Ferne gesehen wurde, sondern weil sein Antlitz unter einem schwarzen Rauch verborgen ist. Es sieht fast so aus, als würden sich lebendige Schatten davor platzieren, um sein Gesicht zu verstecken. Das erste Mal tauchte er in Überlieferungen alter, indianischer Stämme auf. Vier reiche Gutsbesitzer wollten damals ihre Gebiete ausbauen und vertrieben ein paar indianische Einwohner von deren Land. Einen Tag später fand man alle vier als Leichen vor dem städtischen Saloon. Drei von ihnen fanden den Tod durch jeweils eine silberne Klinge ohne Griff, welche tief in ihren Kehlen steckte. Der Vierte war in mehreren Teilen vor dem Saloon verstreut. Sein Kopf wurde auf einem Stab aufgespießt, die Arme und Beine klebten in Form eines Kreuzes darunter. Der Rumpf wurde in Stücke geschnitten und auf der Straße verteilt, wo schon die Hunde sich gierig darüber hermachten und mit unzähligen Horden von Maden um das beste Stück rangen.

Mit dem Blut der Opfer war immer wieder das Wort: "Justice" an die Wand des Saloons geschrieben worden. Danach zogen sich immer wieder Augenzeugenberichte quer durch die Geschichte, bei der einige einen Mann komplett in Schwarz gesehen haben wollen, wenn irgendwo ein Tatort auftauchte, an dem die Leichen zerstückelt waren und an der Wand das Wort in Blut geschrieben stand. Die Geschehnisse des Festivals gingen vor über einem Jahr durch sämtliche Pressen des Landes, jedoch nahm sie kaum einer für bare Münze. Flammen aus einem Fernsehgerät und dämonische Musiker.

Was für ein Humbug. Auch zwei Freunde, welche davon aus der Zeitung bei einem Bierchen im Garten lasen, amüsierten sich damals über die Leichtgläubigkeit der Menschen und die Wirkung von Drogen auf die breite Masse. Es lag lange zurück und bis zu diesem Abend hatten die beiden nicht mehr daran gedacht, doch ab diesem besonderen Tag sollten sie ihre damaligen Meinungen zu Dämonen und deren übersinnlichen Angriffen noch einmal grundlegend überdenken. "Hey, Jonny! Herzlichen Glückwunsch! So, das förmliche haben wir damit erledigt. Wo bleiben die Getränke?" Das waren die Worte von Mike Greek, seines Zeichens Skorpion, treibender Unruhestifter, Plappermaul und bester Freund von Jonny Paxon. Mike war ein wahrer Hitzkopf, stürmte immer schnell nach vorne, ohne darüber nachzudenken und gerade diese Eigenschaft brachte beide immer wieder in Schwierigkeiten, da er meistens einfach sagte, was er dachte. Manchmal sagte er allerdings auch viel, ohne vorher nachzudenken. "Sag mal, Jonny, wie tief musstest du unserem Chef eigentlich in den Allerwertesten kriechen, um diesen Job zu kriegen? Ist da vielleicht auch noch Platz für mich?" Jonny streckte ihm seinen Hintern entgegen und erwiderte: "Du kannst mit meinem Allerwertesten anfangen, immerhin bin ich jetzt dein Vorgesetzter."

Mike machte einen förmlichen Knicks. Er war ein breit gebauter Bursche, gerade mal 1,68 Meter hoch, mit dunklen Haaren und dem leichten Ansatz einer Glatze. Sie störte ihn sehr, immerhin hatte er gerade mal die 30 überschritten. Bei der Geste sah er ein bisschen aus wie Schweinchen Dick, wenn er gerade dringend auf die Toilette muss. "Möchte euer Ehren, eure göttliche Eminenz, der König von Bescheidenheit vielleicht einen Drink von einem unterwürfigem, kleinen Diener entgegennehmen?" Dann ging er, ohne die Antwort abzuwarten direkt zur Bar, um ein paar Gläser Bourbon zu bestellen.

Jonny beschloss, sich eine Zigarette zu gönnen, bemerkte dann, das er sie im Wagen vergessen hatte und ging nach draußen, um diese zu holen. Als er an seinem Auto stand und die Tür aufschließen wollte, hörte er plötzlich ein paar Stimmen aus Richtung eines alten Schuppens. Mit einem Mal wurde die laue Abendluft zerrissen durch einen lauten Aufschrei. "Du hast ihn getötet, du Schwein!" Jonny erschrak, doch nicht nur, aufgrund des gerade gehörtem, er spürte eine Präsenz, etwas so starkes, das er überall am Körper eine Gänsehaut bekam. Er wollte sich dagegen wehren, doch was immer es war, es zog ihn in Richtung des Schreis. Hinter einem nahe gelegenen Schuppen entdeckte er mehrere Männer. Einer lag am Boden, in seinem Bauch steckte ein großes Messer. Vier weitere Männer standen in einem Kreis um einen anderen herum. Dieser umzingelte Mann wirkte auf eine verblüffende Weise surreal. Ganz in Schwarz gekleidet, überragte er die anderen um mindestens einen Kopf.

Jonny konnte ihn von der Seite aus sehen und es sah aus, als habe er vorm Gesicht irgendein wehendes, schwarzes Tuch. Die anderen waren normal gekleidet, jedoch sah man bei Zweien, das sie Schusswaffen am Gürtel trugen. Die anderen beiden hatten keine erkennbaren Waffen. Dann passierte es und Jonny schwor, das es innerhalb von Sekundenbruchteilen geschehen sein muss. Der in Schwarz gekleidete Mann zog urplötzlich zwei kleine, metallene Gegenstände unter dem Mantel hervor, streckte mit Wucht die Arme nach rechts und links aus und stach die Objekte den beiden unbewaffneten Widersachern direkt in die Stirn, woraufhin diese wie nasse Säcke zu Boden sanken.

Jonny lief im Gesicht weiß an und anscheinend waren auch die anderen Männer wie versteinert. Doch dann zog einer seine Waffe und schoss auf den Mann in Schwarz. Dieser stand in dem Moment zwischen den beiden übrigen und hätte Jonny auch nur eine Sekunde geblinzelt, hätte er wahrscheinlich alles verpasst, denn innerhalb dieser einen Sekunde lagen beide Angreifer tot am Boden. In dem Moment, in dem der Abzug betätigt wurde, warf sich der Mann in Schwarz mit dem Oberkörper komplett nach hinten. Er bewegte sich so schnell, dass man es kaum sehen konnte. Die Kugel streifte seine Nasenspitze und schlug dann mitten im Gesicht des anderen Mannes ein. Während dieser zusammensackte, beugte sich der schwarze Mann noch weiter nach hinten und griff sich über Kopf die Pistole, welche noch in dem Gürtel des getroffenen steckte, richtete sich blitzschnell auf und schoss dem Anderen sechs Kugeln mitten in die Stirn, woraufhin auch dieser eine liegende Position bevorzugte.

Er war vor Schreck total erstarrt, wer wäre das wohl nicht. Er hatte Angst, wollte zu seinem Wagen zurückzugehen. Doch er konnte sich nicht umdrehen, irgend etwas hinderte ihn daran. Sein Blick war immer noch starr auf diese Gestalt gerichtet, während sein Gehirn versuchte, das eben gesehene zu verarbeiten, doch nichts von dem, was er dachte, hätte auch nur im entferntesten einen Sinn ergeben. Plötzlich schien sich die Gestalt langsam in Luft aufzulösen. Es sah aus, als würde er von einem riesigen Schatten verschlungen werden und im nächsten Moment war er einfach im Nichts verschwunden. Nur die Leichen lagen noch auf dem Boden. Jonny zweifelte an seinem Verstand. Hatte er das wirklich gerade beobachtet? War das wirklich gerade so geschehen? Er zweifelte gerade an seinen Augen, da bekam er urplötzlich höllische Kopfschmerzen und hörte eine düstere, donnernde Stimme in seinem Kopf, als würde die Person direkt neben ihm stehen und durch ein Megafon sprechen.

"Wer das Gesetz des alten Blutes missachtet, dem

wird die Bestrafung des Schattenwächters zuteil.

Wir sehen uns wieder.“

Dann verstummte die Stimme und die Kopfschmerzen ließen nach. Er war immer noch starr vor Schreck. "...des alten Blutes... Bestrafung... Schattenwächter..." Diese Worte wiederholten sich immer wieder in seinen Gedanken. „...werden uns wiedersehen...“ Er stand wohl eine ganze Weile so da, er konnte nicht sagen, wie lange genau und starrte einfach nur auf die Leichen. "J, wir haben dich schon überall gesucht." Es war die Stimme von Mike. Jonny versuchte ihm irgendwie zu erzählen, was er gerade erlebt hatte, doch sein Freund gab ihm klar zu verstehen, das er von dem ganzen wirren Gestammel absolut gar nichts verstand.

Also zog er ihn einfach in Richtung der Leichen. Als dieser die Leichen sah, wurde er kreidebleich und musste sich auf der Stelle übergeben. Jonny beschloss, die Polizei zu rufen, welche etwas später auch dort eintraf. Er hielt es für klüger, ihnen zu erzählen, dass er die Leichen so gefunden habe. Hätte er ihnen die Wahrheit gesagt, wäre er wahrscheinlich erst einmal in einer Einrichtung für psychisch gestörte Mitbürger untergebracht worden. Nachdem beide auf der Polizeiwache ihre Aussagen gemacht hatten, fuhren sie mit einem Taxi zu Jonny´s Wohnung.

Dort setzten sie sich und er begann, alles zu erzählen, was er hinter dem Schuppen beobachte hatte. Jedoch beschlich ihn das Gefühl, das Mike ihm nicht ein Wort glaubte. "Unglaublich, was so ein paar Gläser Bourbon ausmachen können. Vielleicht sollten wir auf Wein umsteigen, damit wir weiße Weiber sehen, statt schwarzer Kerle." Mit diesen Worten stand Mike auf und zog sich seinen Mantel an. "Ich werde jetzt nach Hause fahren und versuchen, diese Bilder aus dem Kopf zu kriegen. Wir sehen uns Morgen auf der Arbeit. Und du schläfst jetzt erst einmal deinen Rausch aus." Jonny brachte ihn noch zur Tür und setzte sich dann an seinem Computer. An schlafen war nicht zu denken. Er versuchte etwas über diese mysteriöse Gestalt im Internet zu finden. Nach zwei Stunden erfolgloser Suche landete er auf einer Seite über Okkultismus und alte Götter. Unter einem Link zum Thema Schattenritualen wurde er fündig. Dort ging es um einen sogenannten Schattenwächter. So ein Schattenwächter war nach alten Überlieferungen indianischer Stämme ein Dämon, welcher gerufen wurde, um Feinde des Volkes heimzusuchen und hinzurichten.

Um ihn zu rufen, musste man, laut der Überlieferung, ein uraltes Ritual namens "Fluch des Blutes" durchführen, in dem Stammesrelikte und diverse Opfergaben eine Rolle spielten. Jonny suchte nach einem Hinweis, der ihm helfen sollte, sich gegen diese Gestalt zu wehren, falls das erlebte tatsächlich alles real war. Doch das einzige, was er unter dem Begriff "Aufhebung des Fluches" fand, ergab nicht den geringsten Sinn.

Aus dem Fluss des Blutes entsteigt der Nachfahre des Henkers.

Aus dem Fluss des Lebens entsteigt der Rächer der Seelen.“

Er schrieb es sich auf, auch wenn die Bedeutung sich ihm genauso wenig erschloss, wie die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens oder warum sich so viele Menschen dafür interessierten, das ein Huhn über die Straße geht. Jonny entschied sich, erst einmal eine Nacht über das ganze zu schlafen und ging in Richtung seines Schlafzimmers. Was dann geschah, hat einen bleibenden Eindruck auf seiner Seele hinterlassen. Er war auf dem Weg in sein Schlafzimmer und lief er an seinem Spiegel vorbei. Es war ein großer, ovaler Spiegel aus dem Haus seiner Mutter, mit einem silbernen Rand und kleinen Metallfiguren drumherum. Er sah sein Spiegelbild, diesen großen, schlanken Kerl in den Dreißigern, mit seinen mittellangen blonden Haaren und den blauen Augen, dem er jeden Morgen vor diesem Spiegel die Haare kämmte und fing unweigerlich an zu grinsen. Immer und überall lachte er über Leute, welche von Geistern sprachen und was es sonst noch so gab.

Und jetzt macht er sich verrückt wegen einer Erscheinung, die er gehabt hat, nachdem er ein paar Drinks hatte, aus einem verrauchten Schuppen kam, euphorisch war aufgrund der Beförderung und ihm eventuell jemand Drogen ins Glas gejubelt hat. Er fing gerade an, laut darüber zu lachen, da verstummte er augenblicklich, denn er konnte schwören, dass er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen hatte, welche er absolut nicht einordnen konnte. Nur aus diesem Grund sah er genauer hin und erschrak dann fast zu Tode.

Nicht nur, das sein eigenes Spiegelbild vollkommen verzerrt war und von einem roten Schein umgeben wurde, die kleinen Metallfiguren bewegten sich und er hatte das Gefühl, sie würden versuchen, mit ihren Mündern nach ihm zu schnappen. Im nächsten Moment blieb ihm sein Herz fast stehen, denn urplötzlich schoss eine knochige Hand aus dem Spiegel, packte ihn und zog ihn dann direkt in den Spiegel hinein, dessen Oberfläche nachgab, wie das Wasser eines Sees, wenn man hineinsprang. Er riss die Augen vor Angst weit auf und sah plötzlich den ominösen, schwarzen Mann direkt vor sich. Seine Augen glühten feurig rot, der Rest des Gesichtes wurde von dunklen Schatten verdeckt, welche hin und her huschten, doch niemals auch nur ein klitzekleines Stück freigaben. Um ihn herum schwirrten merkwürdige, schattenhafte Wesen, sie klagten und jammerten. Dann hörte Jonny wieder diese Stimme, genauso, wie er sie schon vor der Hütte beim Crossover gehört hatte. Er wusste nicht, ob der schwarze Mann seinen Mund nutzte, oder nur in seinen Gedanken sprach, denn er konnte durch die Schatten den Mund ja nicht sehen. Er war sich allerdings auch nicht sicher, ob er ihn überhaupt sehen wollte.

Eher hatte er das Gefühl, das ihm vielleicht das Essen der letzten Tage wieder hochkommen würde. „Das ist ein Traum“, sagte er immer wieder zu sich selbst, doch überzeugt war er davon nicht. Der Gestank von Tod und Seuche rann in seine Nase, das rote Leuchten der Augen brannte in den seinigen und die Stimme kam einem Presslufthammer gleich. Die Stimme war gewaltig, wie auch schon beim ersten Mal und sein Kopf schmerzte so stark, das er dachte, er würde ihm gleich einfach auseinander brechen. „Nehme mein Mal an. Schenke mir dein Licht!“

Daraufhin zersprang die Gestalt in tausend kleine Stücke, ganz so, als würde ein Spiegel zerbersten. Aus Angst, das sie sein Gesicht durchbohren würden, verdeckte Jonny es mit seinen Händen und schloss die Augen. Als er sie kurz darauf wieder aufmachte, stand er in seinem Flur und schaute auf sein ganz normales Spiegelbild. Alles sah aus wie immer, auch die kleinen Figuren sahen aus wie immer. Er berührte den Spiegel, um zu sehen, ob er real war. Und das war er. Gerade fragte Jonny sich, ob er sich vielleicht freiwillig in eine Anstalt begeben sollte, da er dachte, er sei schlichtweg verrückt geworden, da fühlte er im gleichen Moment einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Er griff sich an den Thorax und dachte, er würde einen Herzinfarkt erleiden. Doch es war etwas anderes. Nachdem der Schmerz etwas nachgelassen hatte, öffnete er sein Hemd und erschrak abermals fast zu Tode. Auf seiner Brust befand sich eine ca. 30 Zentimeter große Tätowierung in Form eines Pentagramms. An jeder der Ecken befanden sich Symbole. Unten rechts ein Speer mit einem Blitz, unten links ein Dreieck, oben links eine Wolke, umgeben von einer Kette, oben rechts eine Art Sichel und an der Spitze des Pentagramms ein Totenkopf, umgeben von zwei Einhörnern. Jonny sah mit Entsetzen lange Zeit einfach nur auf diese Tätowierung. Er hatte Angst. Er hatte panische Angst.

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