Читать книгу England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon Savage - Страница 11
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ОглавлениеIm November 1971 übernahmen McLaren, Westwood und Patrick Casey Nummer 430. Auf Fotos in dieser Zeit trägt McLaren orthodoxe Ted-Kleidung: ein taubenblaues Jackett mit schwarzem Samtbesatz, eine goldene Weste und eine Slim-Jim-Krawatte, schwarzes Hemd, schwarze Röhrenhosen, schwarze Schuhe mit Kreppgummisohlen, schwarz-blau gestreifte Nylonsocken. Passend zu ihren gebleichten kurzgeschorenen Haaren trug Vivienne einen grellen kanarienfarbenen Mohair-Pullover, schwarze Stretchhosen und Stiefeletten mit hohen Absätzen.
McLaren, stets ein Chamäleon, probierte viele Posen aus, die zu seiner neuen Situation passten. Auf einigen Fotos spielt er den stolzen jüdischen Kaufmann – führt das rosa Futter seines blauen Tuchjacketts und besonders extravagante Cowboy-Stiefel vor. Auf anderen ist er der Kultbegeisterte, umklammert die LP »Buddy Holly Story« oder steht vor einem Schrein für die Rock’n’Roll-Helden der Gegenwart und Vergangenheit. Er hat bereits das Gebaren der wütenden, proletarischen Nervensäge entwickelt, das sein berüchtigter späterer Schützling verkörperte. »Der sieht genauso aus wie ich!« platzt John Lydon heraus, als er 1988 die Bilder sieht.
Es waren kaum Renovierungsarbeiten nötig. Die Wellblechfassade der Paradise Garage wurde schwarz gesprüht und die Worte »Let It Rock« mit rosafarbenem fluoreszierenden Papier hervorgehoben und wie Musiknoten gestaltet. An auffälliger Stelle hing ein Reklamezettel für Screaming Lord Sutch, ein früher Schutzpatron. Als einer der ersten britischen Rock’n’Roll-Sänger war Sutch, bevor er im Wahlkampf aktiv wurde, ein außergewöhnlicher, spektakulärer Showkünstler, völlig unbekümmert, was seinen Mangel an jeglichem herkömmlichen musikalischen Talent betraf.
Der hintere Bereich im Laden wurde schwarz gestrichen. Die von Vivienne angefertigten Hosen und Jacken von einem Schneider aus dem East-End namens Sid Green hingen auf einem antiken Ständer: eine Mischung aus gebrauchten Stücken und Imitationen. Die vordere Hälfte des Ladens war der Bereich zum Rumhängen. Dieser wurde von einer Odeon-Tapete beherrscht und einem merkwürdigen Trompe-L’oeil-Fenster, unter dem eine mit rosa Taft verkleidete original 50er-Jahre-Vitrine stand, in der Plastik-Ohrringe, Pomade und Anhänger ausgestellt waren. Obendrauf stand ein Bild von Sutch, sein Haar wie durch einen Elektroschock wild zerzaust. Von der Wand grinste Billy Fury aus einem grellen Glasrahmen. Zwischen den Einrichtungsgegenständen – »genau wie ein Wohnzimmer in Brixton in den 50er Jahren« – lagen Stapel von Zeitschriften, und man konnte sich setzen und lesen: Mad-Kopien wie Sick, Kinomagazine wie Photoplay oder die aufdringlichen Spick, Span und Carnival. McLarens Vorstellung (die Vivienne nicht ganz teilte) war, aus dem Laden mehr als nur eine Verkaufsstelle zu machen. »An guten Tagen«, stand im ersten Artikel über Let It Rock, »kauft Malcolm, wie er sagt, manchmal Kuchen und Cola, die er seinen Kunden schenkt. Da er glaubt, dass ›Kapitalismus stinkt‹, hat er Zweifel, ob er überhaupt einen Laden führen sollte.«
McLaren und Westwood befanden sich rasch in einer widersprüchlichen, aber angenehmen Situation: Noch immer auf der Suche nach einer revolutionären Metapher oder Subkultur, fanden sie sich plötzlich in der Mode wieder. Nach zwei Monaten erschienen ausführliche Artikel über den Laden im Evening Standard, im Daily Mirror und im Rolling Stone. »Es gab keinen Zweifel«, schrieb Bevis Hiller in Austerity Binge, »dass 1972 ein Revival der fünfziger Jahre ansteht.«
Rock’n’Roll war auf den britischen Inseln gelandet wie ein Raumschiff vom Mars. Die afro-amerikanische Musik oder Subkultur hatte niemanden auf die Brutalität und die reine, sexuelle Explosivkraft der Platten vorbereiten können, die zwischen 1954 und 1959 importiert wurden. Diese Platten veränderten alles, so dass niemand in der Lage war, eine Sprache zu ihrer Erklärung zu finden, außer mit den Songzeilen selbst: »A Wop Bop a Loo Bop«, »Be Bop a Lula«. Aus diesen außerirdischen Gesängen erwuchs die Leidenschaft, mit der die Briten bis heute Pop verherrlichen.
1948 wollten 60 Prozent der Engländer unter 30 auswandern. Mitte der 50er Jahre transportierte der Rock’n’Roll, verschlüsselt in einer geheimnisvollen Sprache, das Versprechen einer neuen Welt: eine Welt, in der kein Militärdienst absolviert werden und man keine Geschichten über den Krieg anhören musste, Sex frei konsumierbar war, man sich herumtreiben und ein wildes Leben führen konnte. Vor allem aber wollten Teenager so viel wie möglich, so bald wie möglich, und diese Intensität des ersten Mals – verkörpert im Rock’n’Roll – ist das Kennzeichen des Teenager-Traums.
»Die Amerikaner hatten Rock’n’Roll direkt vor der Nase und sie sahen das als selbstverständlich an«, sagt Ted Carroll, ein massiger Dubliner mit schütterem Haar, der als einer der ersten in England die Pop-Geschichte verkaufte, »wohingegen es für uns hier sehr schwierig war, diese Musik zu hören – 1957, 1958 wurde bei der BBC überhaupt kein Rock’n’Roll gespielt. Man musste Luxembourg oder den amerikanischen Militärsender (American Forces Network) einstellen, um Rock’n’Roll zu hören. Es war beinahe so, als gäbe es eine Verschwörung, um einen davon fernzuhalten, und das trug zu seinem Mystizismus bei.«
Die Wirkung von Rock’n’Roll beim ersten Hören war so stark, dass viele Briten von der Idee besessen waren, den damit verbundenen Ausbruch immer wieder erneut zu erleben oder wenigstens zu simulieren. Da sie keine einheimische Tradition hatten, mussten die Gläubigen ihre Religion aus vorgefundenen Formen fertigen, aus Kultobjekten wie dem »brothel creeper«-Kreppsohlenschuh oder Stars wie Little Richard oder Buddy Holly.
»Hier ist er nie gestorben«, sagt Ted Carroll. »Als der britische Beat-Boom verweichlicht wurde, hat das eine Menge Leute abgeschreckt, und sie haben sich während der 60er Jahre einfach weiter an den Rock’n’Roll gehalten.« Als die große Welle der Jugendkultur den Bach runterging, blieben den Teds Rituale: Bestimmte Objekte – eine Single auf dem schwarz/silbernen London-Label, oder ein samtbesetztes Jackett – erhielten überdimensionale Bedeutung. Konsum war die Art und Weise, wie sich die Briten der Jugendkultur näherten, die sich ursprünglich außerhalb ihres Horizonts abgespielt hatte. Und mit dieser Vergötterung des Gegenstands wurde der Laden zum Tempel.
Wie McLaren und Westwood hatte auch Carroll eine Lücke in der kommerziellen Infrastruktur entdeckt. »Als ich 1970 nach Amerika fuhr«, erzählt er, »entdeckte ich Oldies-Shops, die sich auf 50er und 60er Jahre-Platten spezialisiert hatten, und viele dieser Platten wurden noch gepresst. Viele der Majors hatten tatsächlich eine Menge Hits in den Katalogen gelassen. Es war außerdem die Zeit der Trödelläden, wo man für ungefähr zehn Schilling eine Langspielplatte und für einen Schilling eine Single bekommen konnte. 1972 hatte ich einen Bestand zusammengetragen und begann, Platten aus Amerika einzuführen. Ich suchte nach einem Standort für den Einzelverkauf. Weil ich mir die laufenden Ladenkosten nicht leisten konnte, suchte und fand ich die ideale Lösung auf einem Wochenmarkt.«
Rock On in der Goldborne Road 93 zog rasch eine eingeschworene Anhängerschaft an. Dort hinzugehen, war an sich schon ein religiöser Akt. Die Golborne Road lag am falschen Ende der Portobello Road, zehn Jahre vor der urbanen Erneuerung; Rock On befand sich ganz am Ende einer langen, tiefen Ladenfläche, abgeschirmt von mehreren obskuren Trödelständen und einem stinkenden Café. Drinnen konnte man nicht nur kaufen, sondern auch eine Ausbildung absolvieren, indem man die Platten anhörte, die man unmöglich irgendwo anders hätte finden können: Doo Wop Singles, Deep Southern Rockabilly, New Orleans. Wie Charlie Gillett, dessen Honky Tonk Radioprogramm im März 1972 gestartet wurde, hatte Carroll nicht nur Dienstleistung, sondern auch Geschmack zu bieten. »Statt in einen Secondhandladen zu gehen und tausende von Singles durchzuwühlen, um vielleicht zwei oder drei zu finden, mochten viele Leute die Idee, alles gesammelt und in Sparten sortiert vorgesetzt zu bekommen.«
Carrolls und McLarens Wege kreuzten sich zwangsläufig, da Carroll dem Laden in der Nummer 430 Platten zur Verfügung stellte. Wegen der dominierenden Stellung zog Let It Rock echte Arbeiterklasse-Teds an, die fanatisch ihren Lebensstil verfolgten, und ein paar blasierte Chelsea-Typen und verdrossene Teenager. Es gab einige Katastrophen, aber der Laden brachte Geld. Ermutigt beschlossen McLaren und Westwood zu expandieren: Im August 1972 stand ein großes Rock’n’Roll-Festival im Wembley Stadion bevor, und Malcolm ließ Hunderte von T-Shirts nach eigenem Entwurf drucken – Little Richard mit dem Slogan »Vive le Rock«.
Zu diesem Festival kamen 50.000 Leute, um Chuck Berry, Bill Haley, Screaming Lord Sutch und Billy Fury zu hören. Gekleidet in eine Leopardenfellmütze und einen Drape Suit mietete McLaren dort einen Stand, aber der Verkauf entsprach nicht seinen Erwartungen:
»Das einzige, was sich bei solchen Veranstaltungen verkauft, sind Hotdogs«, sagt Ted Carroll, der von McLaren 20 Pfund bekam, um auf den Stand aufzupassen. »Er hatte gerade so seine Kosten gedeckt und stand mit 500 oder mehr T-Shirts da.«
Abgesehen von der persönlichen Enttäuschung für McLaren, verschärften die Ereignisse auf dem Festival die Widersprüche des Rock’n’Roll-Revivals. Während einige, die sich von der ursprünglichen Energie des Rock’n’Roll angezogen fühlten, an der libertären Kultur der 60er teilgenommen hatten, bewahrten andere einen unerschütterlichen Konservatismus. Als ein stark geschminkter Little Richard eine Bemerkungen über Black Power machte und begann, sich auf äußerst tuntenhafte Weise auszuziehen, buhten ihn die Teds aus. Den einzigen neuen Acts auf dem Programm, Gary Glitter und MC5, wurde kaum der Luxus gestattet, eine eigene Haltung an den Tag zu legen.
Aufgrund dieser Konstellation stand McLaren den Post-Hippies MC5 näher als dem verbissenen Traditionalismus der Teds. In Wembley machte sich die Wirklichkeit hinter der revolutionären Metapher bemerkbar. Weit davon entfernt, die proletarische Vorhut zu sein, offenbarten sich ihm seine Kunden im Gespräch als langweilig und engstirnig. Das Rock’n’Roll-Revival war eine nützliche Auseinandersetzung gewesen, um den Schutt der Hippiekultur beiseite zu räumen, aber sowohl Malcolm als auch Vivienne mussten einsehen, dass der Rock’n’Roll-Kult noch verknöcherter war als die dekadente King’s Road-Kultur, die sie stören wollten.
Innerhalb der Religion, die Pop darstellt, waren die Teds die Fundamentalisten. Viele der Kunden von 430 waren Apologeten genau jener Gesellschaft, die McLaren und Westwood verabscheuten. Sie waren keine Randfiguren, sondern gemäßigt und extravagante Beispiele eines tief verankerten englischen Konservatismus. Von ihrem Aufzug einmal abgesehen erwiesen sich die Teds als normale Angehörige der Arbeiterklasse: Durch Gruppenzwang zu einer gewaltsamen Abneigung gegenüber allen getrieben, die anders waren. Im Gegensatz dazu lag McLaren und Westwood an der Idee von Minderheiten. Die Teds waren so englisch wie Fleischpastete und Rassismus: McLaren und Westwood ernährten sich vegetarisch und boykottierten südafrikanische Orangen.
»Malcolm war sehr enttäuscht«, sagt Ted Carroll, »aber durch den Umgang mit ihnen kam er auf Ideen. Weil es in Zusammenhang mit dem Teddy Boy-Ding viel Presse über den Laden gab, entwickelte er selber Vorstellungen darüber, wie die Presse und die Gesellschaft so etwas betrachten sollten. Er war ein heller Junge: Er lernte schnell. Zu jener Zeit erwähnte ich beiläufig, dass ich Thin Lizzy managte, und er fand das sehr spannend. Es war kein großes Ding für mich, weil die Band damals noch keinen Hit hatte, aber er wollte alles wissen.«
Jede Veränderung in 430 war ein allmählicher, ungeplanter Prozess. Im Spätsommer 1972 erhielt Let It Rock den Auftrag, die Ausstattungen für Ray Connollys »That’ll be the Day« bereitzustellen, dem ersten größeren britischen Film, der auf die 50er Jahre zurückblickte. David Essex und Ringo Starr trugen öffentlich Drapes und Leopardenfelljacken von Let It Rock. Als der Film in die Kinos kam, konkurrierte er mit anderen nostalgischen Rock’n’Roll-Stücken wie »Let the Good Times Roll«, der Bühnenversion von Grease, und dem Einflussreichen Film »American Graffiti«.
Langsam entwickelte sich die Kleidung weg von dem starren Ted-Konzept. Im Herbst schlich sich ein starkes Biker-Element ein. Seit den späten 50er Jahren war die schwarze Lederjacke des Motorradfahrers zum Erkennungszeichen für den jugendlichen Straftäter geworden: angsteinflößend, aber faszinierend. Biker – oder »ton-up boys« – waren in den späten 50er Jahren in Großbritannien Kult geworden: Sie waren die ersten, die nicht nur eine neue Mobilität feierten, sondern auch den Reiz reiner, zerstörerischer Geschwindigkeit, die mit dem Tod von James Dean Eingang in die Jugendkultur gefunden hatte. Bei Rennen rund um die North Circular Road bekämpfte man nicht nur den anderen Fahrer, sondern sich selbst. Wie es sich für existentialistische Gladiatoren gehörte, war ihre Kleidung sehr aufregend, teilweise sogar fetischistisch. Wie in dem Film »The Leather Boys« von 1964 deutlich wurde, diente sie auch als Maske für sexuelle Ambiguität.
Seit 1972 wurde der gepflegte Look der frühen Biker mit dem verwahrlosten Stil der Hell’s Angels gekreuzt. Biker, die jetzt Rocker hießen, wurden zum Inbegriff des schlechten Stils, seit sie sich mit den Mods in allen möglichen Seebadeorten offene Schlachten geliefert hatten. Dieser verfemte Stil wirkte auf McLaren und Westwood mit ihrer feinen Wahrnehmung subkultureller Veränderungen sehr attraktiv. Mehr als bei den Teds besaßen diese Klamotten selbst ein dramatisches Potential, das sich steigern ließ. Die Biker-Ausstattung verbindet Sexualität mit Gewalt und Tod zu einem Urbild des 20. Jahrhunderts.
McLaren und Westwood versahen zunächst Lederjacken auf dem Rücken mit Nieten. Dann beschäftigten sie sich mit Kleidungstechnologie und fanden eine Methode, um Glitzer auf Stoff zu drucken. Wenn man einen bestimmten Kleber benutzte, konnte man Slogans auf T-Shirts brennen: Sie nahmen das Logo vom Schlagzeug von Gene Vincents Blue Caps und übertrugen es auf enge, ärmellose T-Shirts. T-Shirts funkelten in blauem Glitzer, Namen wie Elvis, Eddie und Chuck Berry wurden hervorgehoben. »Dann hatten wir die Idee, Nieten auf T-Shirts zu befestigen«, sagt McLaren. »Wir wurden einfallsreicher und begannen, Namen bestimmter Marken von 50er Jahre-Motorrädern mit Nieten zu schreiben, Namen, die wie ›Triumph‹ und ›Dominator‹ auch sexuelle Konnotationen hatten.«
»Wir bekamen es mit einem Haufen Rocker zu tun: Einige davon waren wirklich gut darin, selbst Sachen für Kunden herzustellen. Ein Junge, den wir anstellten war brillant: er malte einen Slogan, der lautete: ›Too Fast to live, too Young to Die‹. Ein außergewöhnlicher Satz. Er sagte, es sei ein Slogan, den amerikanische Gangs nach dem Tod von James Dean als Hymne aufgegriffen hatten. Im Frühjahr 1973 entschieden wir uns, den Namen des Laden zu ändern. Für die Fassade ließen wir eine schwarze Reklametafel anfertigen, auf der ein weißer Totenschädel und die Worte ›Too fast to live‹ und ›Too young to die‹ aufgemalt waren.«
McLaren und Westwood gingen weiter rückwärts in die Zukunft. So weit sie bei den Musikern, die in den Laden kamen – Jimmy Page, Marianne Faithfull, den Kinks – sehen konnten, gab es wenig wirklich originär Neues in der Popkultur, das in derselben nostalgischen Mine schürfte wie sie. Wenn es Vorboten eines neuen Zeitalters gab, oder sogar Musiker, die auf die ursprüngliche Intensität zurückgriffen, dann haben weder McLaren noch die Kultur im weiteren Sinne dies bemerkt. Als Iggy Pop und James Williamson mitten während der Aufnahmen von »Raw Power« 430 besuchten, verachtete McLaren sie als schmuddelige Hippies.
Die Kleidung ging bis in die 40er Jahre zurück und landete allmählich bei der Zoot-Suit-Mode, die das Paar für die Wurzel des Rock’n’Roll-Stils hielt. »Die Oberfläche des Teddy Boys steckte voller Rassismus, deshalb sind wir bis zu den schwarzen Wurzeln zurückgegangen. Wir schneiderten großzügig geschnittene Hosen, gepolsterte Schultern und zweireihige Jacketts, aber wir taten es mit Gespür. Es war beinahe authentischer als authentisch«, erklärt Vivienne.
In den frühen 40er Jahren war der Zoot Suit als Markenzeichen einer Minderheit zu Berühmtheit gelangt.
Kleidung aus Too Fast To Live,Too Young, To Die, in »Mahlers«, 1974 (mit freundlicher Genehmigung des Cinema Bookshops)
Er gehörte zu den wunderbar übertriebenen Insignien von Schwarzen und ganz besonders der rasch wachsenden Anzahl von mexikanischen Einwanderern, die es wegen der expandierenden Kriegswirtschaft nach Südkalifornien verschlug. Wie Stuart Cosgrove in Zoot Suits and Style Warfare erklärt, bezeichnet der Zoot Suit die widersprüchlichen Erfahrungen der Einwanderer: ein Stil der Unterklasse, der bis zur Absurdität getrieben wurde.
Zooters waren eine Erweiterung von Rhett Butlers Western-Anzug: an den Schultern, in der Taille, besonders unten am Saum. Dasselbe galt für die Hosen, die sich wie ein Segel an den Knien aufbauschten und unten am Aufschlag auf fast nichts verengten. Diese Anzüge gab es meist in wilden Eiskremfarben wie Gelb und Limonengrün und wurden ergänzt durch Accessoires wie lange Ketten, spitze Schuhe und langes »entkraustes« Haar.
Die Wirkung war absichtlich fremd. Wie der englische Edwardian später, signalisierten die Pachucos – »junge Burschen, die in Banden zusammenleben« (Octavio Paz) – ihre Revolte durch ihre Kleidung: Sich aufzudonnern wie ein irrer Eisbecher war nicht die Art Benehmen, das man von ethnischen Gruppen in Amerika während des Krieges erwartete. Ihre Revolte war instinktiv und existentiell: »Obwohl seine Haltung einen hartnäckigen und fast fanatischen Lebenswillen bekundet«, schrieb Octavio Paz in Das Labyrinth der Einsamkeit, »äußert sich dieser Wille nicht konkret, sondern in dem widersprüchlichen Entschluß, [...] nicht wie die übrige menschliche Umwelt zu sein.«
Diese geschneiderte Aggressivität provozierte gewalttätige Feindseligkeit. Im Juni 1943 waren Tausende in Rassenunruhen verwickelt, die in Los Angeles begannen und sich über das ganze Land ausbreiteten. Diese wurden nach der Aufmachung benannt, die der Stein des Anstoßes war: die Zoot Suit Riots. Schneiderei selbst wurde zum Gegenstand moralischer Entrüstung. In Kalifornien wurden Regelungen für die »Anfertigung von Anzügen« erlassen. Aber Mitte der 40er Jahre war der Stil wieder in den schwarzen Jazz-Look übergegangen, aus dem er entstanden war, und in dieser Form kam er mit den GIs und den Hollywoodfilmen nach Großbritannien.
Eine Abwandlung des Zoot wurde rasch von Kleinkriminellen als Reklame für ihr Gewerbe aufgegriffen. Hätte man das eigene Wissen um den Zauber, der von Amerika ausging und die Verachtung für Rationierungen besser demonstrieren können? Diese amerikanische Form setzte sich bei den Schiebern und Schlägern durch und wurde von den ersten Edwardians aufgegriffen, die die verstörende Grellheit mochten und sich außerdem von den Westernanzügen angezogen fühlten, die Alan Ladd in ihren Lieblingsfilmen trug.
Die erfolgreichen Kostüme für »That’ll be the Day« von Let it Rock führten zu einem weiteren Auftrag, diesmal für Ken Russells pompösen Film »Mahler«. Als McLaren und Westwood gebeten wurden, sich etwas für die Traumsequenz auszudenken, in der der jüdische Komponist seiner arischen Anima entgegentritt, arbeiteten sie an »einer riesigen deutschen, katholischen Kreatur mit Nazihelm«, erinnert sich McLaren. »Wir benutzten ein ›Dominator‹-Reifen-T-Shirt. Der Rock war sehr kurz, aus Leder und hatte einen Reißverschuß vorne, der bis ganz nach unten durchging. Auf jeder Seite brachten wir ein riesiges Jesuskreuz aus Messingnieten an. Das war genau vorne im Schritt. Auf der Rückseite war ein großes Hakenkreuz auch aus Messingnieten.«
Trotz dieses kleinen succès d’estime war McLaren ruhelos. Der Dämon der Langeweile hatte ihn in der Gewalt. Der Laden bewegte sich in keine aufregende Richtung. Seine Beziehung zu Vivienne war geprägt von den üblichen Streits und Trennungen. Stünde ein »Schleudersitz« zur Verfügung, dann würde McLaren auf den Knopf drücken, aus keinem bestimmten Grund, außer um zu sehen, was passieren würde. Im August 1973 kam die Chance. Gemeinsam mit mehreren anderen King’s Road-Läden wurde Let It Rock gebeten, Entwürfe in der National Boutique Show im New Yorker McAlpin Hotel zu zeigen. Als Let It Rock versuchten Vivienne Westwood, Gerry Goldstein und McLaren ihr Glück in Amerika, dem Land ihrer Träume.
Eine Seite aus dem Hauptbuch der Nummer 430, März 1974 (© Malcolm McLaren)