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Vorwort zur englischen Neuausgabe

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Die Gegenüberstellung ist einfach, aber komplex genug, um etwas zu verdeutlichen: Der stolze Kriegsgewinner Winston Churchill, der in seinem Armeemantel so massig wie die Klippen von Dover wirkt, wurde mit einer von der Stirn bis in den Nacken reichenden Irokesenfrisur, bestehend aus feinstem englischen Rasen vom Parliament Square, gekrönt. Das ist kein geschmackvoller Haarschnitt, sondern Punk: ein blaßgrüner Farbtupfer auf dem Kanonenmetall der Skulptur. Die von unbekannten Künstlern während der anti-kapitalistischen Proteste am 1. Mai 2000 in der Londoner Innenstadt umgestaltete Skulptur wurde zum Pressebild des Tages. Für die einen ein Symbol der Gewalt und Denkmalschändung, für die anderen ein Beispiel kreativen Protestes, die Verfremdung einer nationalen Ikone.

Die Mai-Unruhen lösten bei 4000 teilnehmenden Demonstranten und 5500 Polizeikräften eine hitzige Debatte aus, in der der verpunkte Churchill für alle Parteien ein beliebtes Argument darstellte. Im Guardian behauptete ein Leserbriefschreiber sogar, dass Churchill Hitler schon nach zwei, statt erst nach sechs Jahren einen Arschtritt verpasst hätte, wenn er tatsächlich einen Irokesen-Haarschnitt getragen hätte. Emma Soames schrieb einen sehr emotionalen Artikel über die »Fotos meines Großvaters, die ihn so verunstaltet und entwürdigt zeigten, dass ich meinen Augen kaum traute.« Sogar auf den Leserbriefseiten des New Musical Express wurde ausführlich über Leben und Wirken des Mannes diskutiert. Und der Mirror fiel in den Chor mit der schlichten Frage ein: »Wo wären diese Rowdies heute, hätten die Nazis gewonnen?«

Für die Kinder der 50er und 60er Jahre ist Churchill der ultimative Groß-/Vater. Seine Beisetzung im Januar 1965 war ein nationales Ereignis von der Größenordnung der Beerdigung Prinzessin Dianas. Churchill galt sechzig Jahre lang als nationaler Held, unantastbarer noch als die Königliche Familie. Er hat Tausende, vielleicht Millionen ergebener Bewunderer, denn, wie Michael Korda in Harpers vom Mai 2000 schrieb, »von ihm kann mit Fug und Recht – vielleicht mehr als von jeder anderen Person des zwanzigsten Jahrhunderts – behauptet werden, dass er die westliche Welt gerettet hat ... Ohne ihn würden wir wahrscheinlich in einer von Hitlers Erben und Ideen beherrschten Welt leben. Dank ihm tun wir es nicht.«

Vielen Demonstranten galt Churchill als die Verkörperung der herrschenden Klasse. Die Schändung der Statue mag dazu geführt haben, dass das internationale, und mehr noch das globale Anliegen der Demonstration in den Hintergrund rückte, aber sie diente auch dazu, das Gespenst des Punk als Dämon der Bourgeoisie, als Vorbote der anarchistischen Apokalypse wieder aufleben zu lassen.

Ein viertel Jahrhundert ist seit Punk vergangen und England träumt noch immer. Der New-Labour-Konsens ist brüchig, angsterfüllt und wird von imaginären wie realen Dämonen bedrängt. Es ist durchaus fair, die Regierung mit dem Land selbst in Verbindung zu bringen, nicht nur wegen des überwältigenden Wahlsiegs im Mai 1997, sondern auch, weil die nationale Identität seither explizit ein Projekt von New Labour ist: die »Rückeroberung der Flagge« für das moderne Großbritannien, die es dem unheilvollen thatcheristischen Nationalismus zu entreißen galt. Man muss nur das Auftauchen des Union Jack in der Polit-und Pop-Ikonographie betrachten, um zu sehen, dass die nationale Identität in den 90er Jahren ein heißes Thema war. Sie schmückte 1992 Neil Kinnocks Parteiplattform, Noel Gallaghers Gitarre und den Bettbezug von Liam und Patsy auf dem »London Swings Again«-Cover der Märzausgabe 1997 von Vanity Fair.

Der Union Jack ist das Symbol der Einheit zwischen England, Schottland, Wales und Nord-Irland. Aber es ist alles andere als eine gleichberechtigte Partnerschaft. England, besonders der Südosten, beherrscht die Ökonomie, das Klassensystem und die internationale Wahrnehmung der Inseln. Britpop, in dem der Union Jack immer wieder auftaucht, ist ein typischer Fall, denn er spiegelt nicht die multikulturelle Realität Großbritanniens wieder, sondern brachte fast nur weiße Rockgruppen aus dem Südosten hervor. Dennoch ist die bedingungslose englische Überlegenheit mit der erfolgreichen Installierung verfassungsmäßiger Versammlungen in Schottland und Wales und der zunehmenden Zentralisierung Europas wie nie zuvor grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Diese Situation zwingt England, einige seiner liebsten Bräuche und Gepflogenheiten neu zu überdenken. Hugo Young behauptet zu Recht (im Guardian, März 2000), dass »Großbritannien nicht überleben kann, wenn England weiterhin als zentralisierter und herrschender Staat im Staat fungiert. «Ressentiments werden diesen Staat auseinanderreißen. Mit der Inselmentalität werden engere Verbindungen zu Europa sabotiert und sowohl die Wünsche eines großen Teils der britischen Jugend als auch die Tatsache ignoriert, dass die »besonderen Beziehungen« Großbritanniens zu den zunehmend isolationistischen Vereinigten Staaten nicht mehr als selbst verständlich betrachtet werden können.

Im Juni 2000 kam das alte England in der Weltpresse wieder zum Vorschein, als eine starke nationalistische Abordnung in Brüssel und Charleroi während der Fußball-Europameisterschaft Amok lief. Seit dem ekstatischen Sommer 1990, gekennzeichnet von der halbwegs erträglichen offiziellen England-Hymne »World in Motion« von New Order, war Fußball Teil des neuen Großbritanniens, aber jetzt kollidierte die Begeisterung der Mittelklasse und der Medien mit der Realität der Hooligans. Innerhalb der Jungskultur und ihrer vermarktbaren Vorlieben für Sexismus, Alkohol und Machismo, war es möglich, diese schlecht gelaunten Schlägereien als logische Folge der ganzen maroden Vorstellung zu betrachten. Am aufschlußreichsten war ein Sonderbericht für BBC Panorama: Den »Fans« galt die Tatsache, dass Großbritannien den Krieg gewonnen hatte, als Rechtfertigung ihres Benehmens. »Wenn England nicht gewesen wäre, wärt ihr jetzt Krauts«, brüllten sie in Amsterdam.

Dennoch war es genau jener Mythos Churchills, den Punk dreißig Jahre nach dem V-E-Day, dem Victory in Europe, mit voller Wucht angriff: England hatte den Krieg nicht gewonnen, sondern verloren. Das Empire als Ruhekissen existierte nicht mehr, nur noch die Träume vergangener Glorie und das Thronjubiläum mit rot-weiß-blauem Festschmuck. Und so ragt Winston Churchill bedrohlich wie ein Punk aus der King’s Road Anfang der 80er Jahre auf. Einer von der Sorte, die einem ein paar Pfund dafür berechnen, dass man sie fotografieren darf, um sich seine ganz persönliche Punk-Postkarte anzufertigen. 1976 sahen Punks nicht so aus, aber das interessiert heute niemanden mehr: Das ist fünfundzwanzig Jahre her – also mindestens fünf Popgenerationen – und der unmittelbare Bezug ist verschwunden. Die Teenies von heute waren nicht mal geboren, als Mrs Thatcher gewählt wurde. Wir sind mittlerweile so weit von den Sex Pistols entfernt wie die Pistols damals von Johnny Ray. Punk existiert noch als vergangener Popstil, aus dem man sich bedienen kann, so wie er auch in de Medien noch als nebensächliche Absonderlichkeit fortbesteht. Punk gibt der englischen Elite immer noch Futter, die ihrerseits aber ihre lang andauernde Vorherrschaft über den britischen Pop mit der Dance Explosion Ende der 80er Jahre eingebüßt hat. Punk hatte Wert darauf gelegt, in einer hyper-intensiven Gegenwart zu leben, aber nun ist er Geschichte – lediglich ein weiterer englischer Traum.

Punk war eine internationale Außenseiter-Ästhetik: dunkel, entfremdet, fremd, voll schwarzen Humors. Er breitete sich 1975 von den Vereinigten Staaten über Großbritannien und Frankreich nach Europa, Japan und Australien aus. Wer sich damals in Großbritannien aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit, Sexualität, seiner Wahrnehmungsweise, seines Geschlechts oder seiner persönlichen Präferenzen ausgestoßen fühlte, wer sich nutzlos oder unwert vorkam, für den waren die Sex Pistols ein Hass/Liebe-Generator von – wie Paul Morley schrieb – »infernalischer Macht, die die Chance zum Handeln, sogar zur Hingabe – an etwas, das größer war als man selbst – und damit möglicher Transzendenz bot«. Indem man zum Alptraum wurde, konnte man den eigenen Träumen begegnen.

Punk hat die herrschenden Jungsmodalitäten nicht reproduziert. Es waren gerade abweichende Sex- und Genderstrategien, die seine ursprüngliche Wirkung ausmachten. Plötzlich musste man nicht mehr alleine sein. Man hatte viel Spaß dabei, es sich schlecht gehen zu lassen. Man war erfüllt vom Gift. Man versank darin und lebte nach Iggys Anweisung in »Death Trip«: »Sick boy, sick boy, learning to be cruel.« Man griff die Väter an, die Generation des Zweiten Weltkriegs: Alles, was sie nicht ausdrücken konnten, hielt man ihnen stolz vor: Ihre unerbittliche Selbstbeherrschung hatte sich zu einem leeren Starren und einer gewaltsamen Geste verfestigt. »Gimme World War Three we can live again.« Das war harter Stoff. England bekam gesagt, was es nicht hören wollte. Punk verlangte ein Engagement, auf das sich viele Popfans nicht einlassen wollten, und tatsächlich drückte sich die Gefährlichkeit dieser dunklen Ästhetik bald in Todesopfern, Drogenabhängigkeit und Zynismus aus, eine schwarze Wolke, die viele verfolgte.

Es gab eine schreckliche, bewusste Flucht kopfüber in die Zerstörung: »You can always tell«, sangen die San Francisco’s Sleepers,

»when you are going to hell.« Diese emotionale Verstörtheit ist eine kulturelle Besonderheit von Punk und bis heute Thema für alle Beteiligten. Punk war aber auch in der Welt und zwar fest entschlossen, seit John Lydon in »Anarchy in the UK« Akronyme aneinanderreihte. Die Sex Pistols hatten die größte Macht, als sie noch nicht festgelegt oder definiert waren. »God Save the Queen« war ein stolzes »fuck you«, das England scheinbar aus einem Nirgendwo, tatsächlich aber von der Haupttribüne aus zugerufen wurde. Was sie lostraten, besaß so viel Sprengkraft, dass die Polarisierung des politischen Klimas sehr bald nach einer Definition verlangte. Punk hatte sich auf die Politik gestürzt, und die Politik reagierte und meldete Ansprüche an, und zwar unabhängig davon, ob sie sich auf die äußerste Rechte berief, auf die Linke (Rock Against Racism), auf Anarchie (Crass) oder auf offenere Formen der Autonomie, die Wert auf kulturelle und soziale Unabhängigkeit legte. Jetzt, wo Popmusik in allen Medien präsent ist, vergisst man leicht, dass Punk 1976 und 1977 missbilligt und sogar verboten wurde, woran zunächst die Musikindustrie Anteil hatte, dann die Printmedien und die Politiker und schließlich die Öffentlichkeit insgesamt. Als Folge entstand ein alternatives Vertriebs- und Produktionsnetzwerk, das aus der Not eine Tugend machte: Es war einfach und billig, also los. Das Ideal der Zugänglichkeit, das seither durch das Internet erweitert wurde, ist ein Vermächtnis von Punk.

Obwohl Punk seit Anfang 1978 für die Musikindustrie lukrativ wurde, bewahrte er sich im Kern einen wütenden Abscheu vor Konsum, der Funktion von Popkultur und der Rolle, die Punk selbst dabei spielte. Wie John Lydon am Tag seines letzten Konzerts als Sex Pistol sagte: »Ich will einfach alles kaputt machen. Ich mag Rockmusik nicht, und ich weiß nicht, warum ich überhaupt noch mitmache.« In »Der Mann, der vom Himmel fiel« von Nic Roeg, ein Film, der 1976 erschien und großen Einfluss auf Punk hatte, fällt David Bowie in der Rolle des Newton vom Glauben ab. Er vergisst, warum er auf die Erde kam, und gibt sich allerhand Vergnügungen hin. In einer der denkwürdigsten Szenen des Films räkelt er sich völlig betrunken auf einem Stuhl und versinkt in einem Meer undefinierbaren Rauschens, das aus Dutzenden von Fernsehapparaten dringt. Im England von 1976 war dies auf jeden Fall futuristisch, aufregend und erschreckend zugleich. Diese Reaktion entsprach der im Punk, wo man gleichzeitig von den Medien fasziniert war und sie verdammte. Als Punk der Medienindustrie angepasst wurde, führte dieser Widerspruch zu den vorhersehbaren Ergebnissen. Und jetzt, da wir alle Newtons sind, ist es nicht sterbenslangweilig geworden?

Aber so wie die Hippiebewegung auf ökologische Belange und ein anderes Verständnis von Autonomie verwies, genauso blieben die Punkideale virulent, weil sie nach wie vor nicht eingelöst wurden. Der Widerspruch, an dem Punk zu Grunde ging, bestand in dem Versuch, Konsum und Medien von innen heraus zu kritisieren und verändern zu wollen, ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war. In den 90er Jahren scheiterte Nirvana, die in den Vereinigten Staaten den Sex Pistols am nächsten kamen, an genau jenem Widerspruch, diesmal innerhalb einer globalen Pop/Medien-Ökonomie von beispielloser Unbarmherzigkeit und mit entsprechend schwerwiegenden Folgen. Das zentrale Problem bleibt bestehen, zumindest für jene, die die Grundlagen der Gesellschaft hinterfragen: Wie vermeidet man, dass man Teil dessen wird, wogegen man protestiert?

Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft der Mai-Unruhen, die wie die Demonstrationen am 30. November gegen die World Trade Organization aus einer radikalen Kritik am globalen Kapitalismus entstanden ist, deren Wurzeln auch auf Punk zurückgehen, auf Anarchie, Anti-Konsumismus und Demokratisierung von Zugangs- und Teilnahmemöglichkeiten.

Trotz der Verschwörungstheorien in der Boulevardpresse gab es während der Mai-Unruhen keine Führer. Gewalt und Vandalismus tobten sich aus, aber in den Demonstrationen verschaffte sich durch das neue Styling Winston Churchills und durch das Pflanzen von Cannabis-Samen auf dem Parliament Square auch spielerische Subversion Ausdruck. Das Fehlen einer umfassenden, festgelegten Ideologie wurde heftig kritisiert, aber ebenso wie Punk am Einflussreichsten war, als er noch nicht definiert war, ist dies keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die einfache Verfremdung des Denkmals durch Punk und den Radikalismus ist eine jener Momentaufnahmen, die eine grundlegende Kluft in der Wahrnehmung der Gesellschaft offenbaren, die Kluft zwischen 1940 und 2000, zwischen jenen, die die Aktion für eine Schändung, und jenen, die sie für eine perfekte Metapher Englands halten, ein Land, das sich weigert, die Gegenwart zu präsentieren, und sogar die Existenz der Gegenwart in Zweifel zieht. Die Vitalität des Punk hält an, und sein Virus wirkt – fünfundzwanzig Jahre nach seinem Höhepunkt – nicht als Musik, als Kultur oder als Band weiter, sondern als allgemeines Symbol für jugendliche Unzufriedenheit, Rebellion und Störung der öffentlichen Ordnung. Wenn nichts in Frage gestellt wird, wird schließlich auch nichts verändert.

England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]

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