Читать книгу Spanisch für Neugierige - José Antonio Salinas - Страница 11
Оглавление–3–
Wann ist die spanische Sprache entstanden?
Die Suche nach den Anfängen der spanischen Sprache führt uns zurück ins Mittelalter und hin zu den Ursprüngen des kastilischen Dialekts. Das Kastilische trat natürlich nicht von einem Tag auf den anderen in Erscheinung. Es mussten vielmehr Jahrhunderte langsamer Transformation vergehen, in denen sich das gesprochene Latein (auch Vulgärlatein genannt) zunehmend vom geschriebenen Latein entfernte, bis es schließlich an den Punkt gelangte, an dem die Unterschiede so groß geworden waren, dass sich dieses Vulgärlatein in den kastilischen Dialekt verwandelt hatte. Das gesprochene Kastilisch begann also zu entstehen, als es Merkmale erworben hatte, die sich von der Aussprache, der Syntax und dem Wortschatz des ursprünglich gesprochenen Lateins unterschieden. Das geschriebene Kastilisch wiederum entstand, als schließlich auch eine abweichende Orthografie verwendet wurde, um die unterschiedliche Aussprache widerzuspiegeln.
Für die Bestimmung der Geburt eines neuen Dialekts oder einer neuen Sprache ist es wichtig belegen zu können, dass sich auch die Sprecherinnen selbst dieses neuen Dialekts oder der neuen Sprache bewusst waren. Für einige Philolog*innen wie Ramón Menéndez Pidal stellt etwa die Tatsache, dass Mönche im 10. Jahrhundert Erläuterungen oder Kommentare in romanischem Dialekt an den Rand lateinischer religiöser Texte schrieben, einen solchen Beleg dar. Aus ihrer Sicht lässt sich daraus ableiten, dass die Mönche sich über die grundlegenden Unterschiede zwischen ihren Erläuterungen und der lateinischen Vorlage im Klaren waren. Für andere Wissenschaftler*innen wie Roger Wright existierte ein solches Bewusstsein zu dieser Zeit noch nicht. Erst als die Ideen der karolingischen Bildungsreform im 11. Jahrhundert auch in Kastilien Verbreitung fanden, sei es möglich gewesen, zwischen Latein und den neuen romanischen Dialekten klar zu unterscheiden.
Eines der Ziele der karolingischen Bildungsreform, die Karl der Große bereits Ende des 8. Jahrhunderts im Fränkischen Reich umzusetzen begonnen hatte, bestand darin, das klassische und bildungssprachliche Latein zu stärken, es von unerwünschten Einflüssen des gesprochenen Latein zu bereinigen und zur Standard-Schriftsprache zu machen. Das führte dazu, dass sich das Schriftlatein immer mehr von den entstehenden romanischen Dialekten entfernte und diese allmählich ihre eigenen Merkmale in Aussprache, Syntax und Wortschatz ausbildeten.
Letztendlich können wir die Frage, ob die Menschen im 10. Jahrhundert bereits ein Bewusstsein dafür hatten, dass das, was sie sprachen, kein Latein mehr war, nicht mit Sicherheit beantworten. Was man aber sagen kann, ist, dass die Ideen der karolingischen Bildungsreform ein Jahrhundert später dazu beitrugen, das Kastilische sowohl im kirchlichen Bereich wie auch in der bürgerlichen Gesellschaft zu festigen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich um einen neuen Dialekt handelte, der sich vom Lateinischen deutlich unterschied.
Obwohl die ersten kastilischen Wörter auf Texte aus dem 9. Jahrhundert zurückgehen, wurde das Kastilische in lateinischen Schriften erst im 12. Jahrhundert als erkennbare Sprachvarietät erwähnt. Im 13. Jahrhundert begann man dann unter Alfons X. den Begriff Kastilisch regelmäßig zu verwenden. Oft wurden die aus dem Lateinischen hervorgegangenen Dialekte jedoch weiterhin einfach als vulgar, Römisch oder Romanisch bezeichnet, und ihre Varianten waren beispielsweise als kastilisches Romanisch oder aragonesisches Romanisch bekannt.
In seinen Anfängen galt das Kastilische nicht als besonders prestigeträchtig: Es handelte sich vielmehr um den Dialekt, der von Bauern und Hirten gesprochen wurde, also um die Sprache der einfachen und ungebildeten Bevölkerung. Der Dialekt zeichnete sich durch seine sprachliche Instabilität aus - nicht nur auf schriftlicher Ebene, sondern sehr viel mehr noch im mündlichen Ausdruck. Beispiele für diese Flexibilität sind etwa zeitgleich existierende Formen von Wörtern mit der gleichen Bedeutung wie mulier und muller für Frau (im heutigen Spanisch mujer), celo und cilo für Himmel (heute cielo), Castella und Castiella für Kastilien (heute Castilla) oder puode und puede für die Verbform kann (heute puede). Erst im 13. Jahrhundert verschwand diese Instabilität weitestgehend, und das Kastilische festigte sich als Sprache. Dazu trugen besonders die beide Könige Ferdinand III. (auch bekannt als Ferdinand der Heilige) und sein Sohn Alfons X. (genannt Alfons der Weise) bei.
Ferdinand III. war nicht nur König von Kastilien, sondern auch König von León - und er war es auch, der diese beiden Königreiche vereinte. König Ferdinand III. hat damals eine für das Kastilische weitreichende Entscheidung getroffen: Er machte es zur offiziellen Sprache der Gesetze und öffentlichen Bekanntmachungen. Damit nahm Kastilisch den Platz ein, den zuvor das Latein innehatte. Man vermutet, dass Ferdinand III. sich für das Kastilische - und damit gegen die leonesische Sprache, die in León gesprochen wurde - entschied, weil Kastilien sowohl ökonomisch als auch demografisch wichtiger und flächenmäßig größer war als León.
Da das Kastilische damals noch als ziemlich derb galt und noch nicht wirklich gefestigt war, machte es sich der König zur Aufgabe, seine Orthografie festzuhalten. Sein Sohn Alfons X. führte diese Arbeit schließlich fort. Alfons der Weise förderte zudem die Übersetzung zahlreicher in arabischer, hebräischer und lateinischer Sprache verfasster Werke ins Kastilische. Diese wertvolle Arbeit wurde durch die Escuela de Traductores de Toledo (Übersetzerschule von Toledo) vollbracht - wobei der Name nicht besonders zutreffend ist, da es sich dabei weder um eine richtige Schule handelte noch die Übersetzertätigkeiten nur in Toledo stattfanden. Auch wenn es nicht Alfons der Weise war, der die Schule gründete, sondern vielmehr der Erzbischof Raimund von Toledo, bringt man sie in der Regel mit dem König in Verbindung, da dieser die Arbeit der Ubersetzerschule unterstützte und sie in ihrem Tun ermutigte. Während seiner Herrschaft wurden zum allerersten Mal zahlreiche Werke aus den Bereichen der Astronomie, Mathematik, Physik, Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie und anderer Wissensgebiete ins Kastilische (und nicht etwa ins Lateinische) übersetzt.
Dieses gesammelte Korpus von Texten und Werken, das im Laufe der Jahre immer weiter anwuchs, führte - gepaart mit den literarischen Werken, die auf Kastilisch entstanden - dazu, dass das Kastilische immer prestigeträchtiger wurde und im 13. Jahrhundert den Sprachstatus zugebilligt bekam. Es sollten jedoch noch mehr als 200 Jahre vergehen, bis 1492 schließlich das erste Buch erschien, das sich dem Studium der Regeln der spanischen Sprache widmete. Damit war das erste Grammatikbuch einer romanischen Sprache überhaupt geboren! Das Werk ist bekannt als Gramática castellana, der ursprüngliche Titel war jedoch Grammatica Antonii Nebrissensis und sein Autor Antonio de Nebrija. Und genau zu diesem Zeitpunkt wurde nun zum ersten Mal das, was bisher nur als Kastilisch (castellano) bekannt war, auch als Spanisch (español) bezeichnet.
Doch woher kommt der Begriff español eigentlich? Er stammt nicht etwa aus dem kastilischen Dialekt, sondern vielmehr aus dem Okzitanischen, das die Bezeichnung espaignol prägte. Das Okzitanische wiederum, das noch heute in der historischen Region Okzitanien in Südfrankreich gesprochen wird, lieh sich das Wort von der lateinischen Einwohnerbezeichnung Hispaniolus, was soviel heißt wie „aus Hispania“ (Spanien). Eine Zeitlang wurde sowohl die Bezeichnung español als auch españón verwendet, bis sich schließlich der Begriff español durchsetzte. Er wurde Ende des 11. Jahrhunderts zum ersten Mal im Süden Frankreichs verwendet und fand dann seinen Weg über Aragonien und Navarra bis nach Katalonien, La Rioja und Kastilien. Es waren also die Südfranzosen, die ihren Nachbarn den Namen gaben, und die französischen Einwanderer, die diese Einwohner- und Sprachbezeichnung auf spanischem Gebiet einführten. Und so scheint die Bemerkung des spanischen Linguisten Francisco Moreno Fernandez, es seien meist die anderen, die die Notwendigkeit verspürten, ihre Nachbarvölker und deren Sprachen in einer bestimmten Weise zu benennen, durchaus zutreffend zu sein.
Kurz gesagt, was als „barbarischer“ und nicht prestigeträchtiger Dialekt begann, der von als ungebildet geltenden Menschen gesprochen wurde und laut dem Linguisten Manuel Seco zu Beginn noch „das Gelächter des Hofadels von León erregte“, entwickelte sich bis zum 13. Jahrhundert zu einer eigenen Sprache. Diese Sprache breitete sich in den folgenden Jahrhunderten auf der ganzen Welt aus und ist heute - gemessen an der Zahl der Muttersprachler*innen - die am zweithäufigsten gesprochene Sprache weltweit!