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ОглавлениеKAPITEL 3
DAS HEIMATDORF GURTWEIL
3.1. Die geographische Lage
Geographisch gesehen liegt das Dorf Gurtweil40 ganz im Süden von Deutschland, nahe an der Grenze zur Schweiz, an den Ausläufern des Schwarzwaldes zum Rhein hin. Im Westen und Südwesten trennen bewaldete Hügel das Dorf von Waldshut. Tiengen, das ebenso wie Waldshut ein größeres Städtchen ist, liegt im Osten. Gegen Norden steigt das Gelände stark an.
Die „Schlücht", ein meist ruhig dahin fließendes, doch zuweilen auch alles mitreißendes Flüsschen aus dem Schwarzwald, hat sich im Lauf der Jahrtausende eine tiefe „Schlucht" durch das harte Gestein gegraben und brachte mit seinen Überschwemmungen in früheren Zeiten so manche Gefahr für das Dorf Gurtweil und seine Bewohner. Nach etwa 3 Kilometer ergießt sie sich, mit der weiter ostwärts aus dem Schwarzwald kommenden „Wutach" in den Rhein. Aus der Schweiz schließlich fließt vom Süden her die „Aare" bei Waldshut in den Rhein, der nach dem Ausfluss aus dem Bodensee und dem Rheinfall von Schaffhausen bis nach Basel als „Hochrhein" bezeichnet wird.
Landschaftlich liegt Gurtweil an der Grenze zwischen dem östlich gelegenen Klettgau, der heute noch deutsches und schweizerisches Gebiet umfasst, und dem nordwestlich gelegenen Albgau, dem früheren Alpengau.41
3.2. Zur Geschichte des Dorfes
Funde aus der Steinzeit deuten auf eine frühe Besiedelung hin. Aus der Römerzeit wurden Fundamente mehrerer Häuser wie auch einer Badeanlage mit fünf Räumen entdeckt. Bruchstücke von Leistenziegeln mit Stempeln der römischen XI. und XXI. Legion deuten auf deren Lager hin.42
Im 3. Jahrhundert nach Christus schoben sich die Alemannen vom Stamm der Sueben (Schwaben) in harten Kämpfen an den Hochrhein und ins Bodenseegebiet vor. Im 6. Jahrhundert übernahmen die Franken die Herrschaft, welche nach 713 unter dem Hausmeier Pippin fränkische Kolonien an den wichtigsten Stellen anlegten. Diese Orte tragen meist die Bezeichnung „heim" oder „wihl", „weil", so auch „Gurtweil". „Curtvilla" ist zusammengesetzt aus: Curtis und Villa. Curtis ist ein großes Hofgut nach merowingisch-fränkischer Bezeichnung. Villa oder Villare ist ein kleiner Weiler. Gurtweil ist also eine fränkische Hofsiedlung, die wohl im 6. Jahrhundert entstanden ist. Urkundlich genannt wird Gurtweil („Gurtwila in Alpegowe") allerdings erstmals 873 im Kartular des Klosters Rheinau.
Um 900 fiel Gurtweil als Schenkung des Grafen Ulrich an das Kloster St. Gallen. Im 11. Jahrhundert gelangte Gurtweil in die Hände weltlicher Herren. Die Ritterschaft von Gurtweil wechselte mehrfach ihren Besitzer. 1646 erwarb das Kloster St. Blasien durch Kauf die Herrschaft des Ritters Martin von Heidegg und errichtete in Gurtweil eine Obervogtei und ab 1697 eine Propstei. Der Abtei St. Blasien verdankt Gurtweil denn auch sein „Schloss" (Propstei), das schließlich bei der Säkularisation 1807 an das Großherzogtum Baden überging.
Nach dem Verkauf an Privatpersonen konnte die junge Kongregation der Schwestern vom Kostbaren Blut 1857 das Kloster erwerben, wurde aber schon 1873 wegen des „Kulturkampfes" vertrieben. Im Jahre 1897 wurde das Schloss durch Franziskanerinnen von Gengenbach als Erziehungsheim für Mädchen neu eröffnet. 1972 erstand eine Heimschule für Behinderte, und seit 1980 dienen die Baulichkeiten dem Caritasverband der Erzdiözese Freiburg als Wohnheim und Werkstätte für Behinderte.43
3.3. Die Pfarrkirche
Die Anfänge des Christentums am Hochrhein gehen bis in die Römerzeit zurück. Mit der thebäischen Legion kam auch die hl. Verena, die um das Jahr 350 im nahen Zurzach in der Schweiz gestorben war und dort verehrt wird. Nicht sehr weit entfernt ist Säckingen, wo der hl. Fridolin (gestorben um 540) als Glaubensbote aus Irland wirkte. Bereits um 560 wurde Konstanz Bistum und blieb es bis 1821, als dann bei der Neuordnung das Gebiet zur neuerrichteten Erzdiözese Freiburg im Breisgau kam. Prägend war für lange Zeit der Einfluss der Mönche von der Insel Reichenau und St. Gallen.
Bis zum Jahre 1612 war Gurtweil noch keine eigene Pfarrei und gehörte zum „Kirchspiel" Thiengen, wo einst der hl. Bernhard von Clairvaux am 8./9. Dezember 1146 den Kreuzzug gepredigt hatte. Eine dem hl. Nikolaus geweihte Kapelle stand vermutlich in der Nähe der Schlüchtbrücke. Am 11. November 1608 wurde die neuerbaute Kirche zu Ehren des hl. Bischofs Konrad, Patron der Diözese Konstanz und zugleich Namenspatron des Stifters Konrad von Heidegg, geweiht.
Als die Kirche erneut zu klein wurde und sich als baufällig erwies, entschloss sich das Benediktinerkloster St. Blasien unter Abt Franz II. (1727-1747) und dem Probst P. Stanislaus Wülberz zu einem Neubau an der gleichen Stelle. 1740 begann man mit dem Abtragen der alten Kirche und dem Bau des jetzigen Gotteshauses, das am 6.9.1747 die Weihe erhielt. Damals wurde auch das Kirchenpatrozinium geändert: Die hl. Apostel Judas Thaddäus und Simon, dargestellt auf dem Altarbild des Hauptaltares, werden die neuen Patrone der Kirche, während der hl. Konrad als Ortspatron beibehalten wurde. Der Taufstein aus der früheren Kirche von 1609 wurde in der neu erbauten Kirche aufgestellt. Die prächtige Stuckdekoration im Stil des Rokoko zeigt in der Mitte der Decke die Aufnahme Mariens in den Himmel. Mit einem Relief des P. Franziskus Maria vom Kreuze Jordan, Gründer der Ordensgemeinschaft der Salvatorianer, wird das Andenken an einen großen Sohn der Gemeinde in Ehren gehalten.44
3.4. Die Einwohnerschaft von Gurtweil
Als im Jahre 1766 Fürstabt Martin Gerbert vom Benediktinerkloster St. Blasien im Herrschaftsgebiet des Klosters die Feuerversicherung einführte, wurde auch für Gurtweil ein Häuserverzeichnis angelegt. Demnach besaß die Gemeinde mit 373 Einwohnern 36 Wohnhäuser (ohne Propsteigebäude und Amtshaus). Nach dieser Aufstellung waren im Dorf nur 12 Häuser mit 2 Stockwerken und 4 Steinbauten. Die anderen waren Holzbauten und hatten wahrscheinlich meist Strohdächer.45
Die einzige Zählung während der Lebenszeit von P. Jordan stammt aus dem Jahre 1860, als Johann Baptist als Zwölfjähriger zur Schule ging. Damals gab es 460 Einwohner, von denen 97 % der katholischen Kirche angehörten. An Eheschliessungen verzeichnen die Kirchenbücher jährlich 2-7, nur im Jahre 1868 waren es 11. Die geburtenreichsten Jahrgänge zählen etwas über 20 Geburten. Die Kindersterblichkeit war in früheren Jahren recht hoch.
Überwiegend beschäftigt waren die Einwohner des Dorfes Gurtweil zur Zeit Jordans mit der Landwirtschaft. Dazu gehörte neben der Haltung der Tiere auch der Anbau von Getreide und Wein (Weinanbau von ca. 10 Hektar). Von der Stellung her waren die Mehrzahl der Bewohner Tagelöhner und Dienstboten (Tuner). Unter die Handwerker gehören die Küfer, Schmiede, Uhrmacher und Schuhmacher. Mit Wasserradantrieb betrieben wurden eine Mahl- und Sägemühle. Eine Klopfsäge oder Stampfe stand am Mühlkanal gegenüber dem Geburtshaus von P. Jordan. Anton Jordan (1821-1897) soll der letzte Säger gewesen sein.
Seit 1572 gab es für Gurtweil eine eigene Dorfordnung, die bestimmte Ämter und Aufgaben vorsah wie einen Vogt (Bürgermeister), Ratsschreiber, Geschworene (Gemeindeordner), Märker und Zoller (zuständig für die Grenzziehung und den Brückenzoll), Umgelter (Steuereinnehmer), Trottmeister (Verwaltung der Weinpresse), Jäger und Forstbeamte, Nachtwächter und Gemeindehirt. Das Weide- und Wasserrecht war genau festgelegt.46 Erhalten sind noch sog. Leselisten, d.h. Aufzeichnungen, nach denen arme, wenig begüterte Personen in den Wäldern Brennmaterial holen konnten.
Andere Familien suchten ihr Glück in der Fremde. So kamen im 18. Jahrhundert einige Familien aus Gurtweil in den Banat in Südosteuropa, um sich dort eine sichere Existenz aufzubauen. Östlich von Arad, bei Gutenbrunn, soll um 1736 ein Ort „Gurtwil“ gegründet worden sein. Doch sei die Niederlassung durch Krieg und Pest wieder eingegangen. Lediglich ein Flurname zu Gutenbrunn trägt noch den Namen Gurtweil.47 Im 19. Jahrhundert wanderten Familien und Einzelpersonen vor allem nach Nordamerika aus, so auch Verwandte des Johann Baptist Jordan.
3.5. Das Geburtshaus von P. Jordan
Der Großvater von Johann Baptist Jordan, Franz Jordan, hatte im Jahre 1842 in finanzieller Not sein geräumiges Wohnhaus Nr. 21 mit Scheuer und Stallung verkauft und dafür das kleinere „Wohnhaus mit Scheune und Stallung bei der Säge Nr. 20“ erworben.
Bei der Übergabe an den „ledigen großjährigen Sohn Lorenz Jordan“ im Jahre 1848 wurde auch für die ledigen Geschwister des Lorenz Jordan geregelt „das ungehinderte Aufenthaltsrecht in dem gedachten Haus und zur Schlafstätte die Kammer ob der Wohnstube, schreibe ob der Stubenkammer für die Mädchen, für den Sohn Anton aber die an solche anstoßende Kammer … auf eine unentgeldliche Weise und auf die Dauer ihres ledigen Standes“ zu gewähren. Die Eltern des Lorenz Jordan behielten sich „zur ausschließlichen unbeschränkten Wohnung und Schlafstätte die untere linke Stubenkammer“48 vor.
Im Kaufvertrag vom 26.9.1878, in welchem Martin Jordan von seiner Mutter, „Wittwe Lorenz Jordan Nothburga, geb. Peter“ die Liegenschaften übernahm, heißt es: „Ein einstöckiges Wohnhaus Nr. 45a. mit Scheuer und Stallung, nebst einem Nebengebäude Holzremieße von Stein gebaut und mit Ziegel gedeckt nebst Hausplatz neben Fridolin Strittmatter und Anton Keller.“49 Noch vor seiner Heirat am 21.7.1879 hatte Martin Jordan es gewagt, das „strohgedeckte“ Holzhäuschen zu erneuern. „Sehr bald nach seiner Heirat baute Martin das Häuschen zweistöckig aus. Eine Außentreppe führte zur oberen Wohnung, so dass diese vollständig von der unteren getrennt war.“50 In der Darlehenszusage der Bank Leu vom 15.4.1881 wurde das Haus beschrieben als „zweistöckiges Wohnhaus mit Scheuer und Stallung unter einem Dach, nebst einem besonders stehenden Nebengebäude, Wagen- und Holzremieße, von Stein gebaut und mit Ziegeln gedeckt.“51
Am 16.3.1894 verkaufte Martin das Haus an die Witwe Maria Josepha Griesser, geb. Hilpert. Bereits ein Jahr später erwarb es am 28.4.1895 Leo Müller (1868-1954), dessen Tochter Frau Rosa Menden bis zu ihrem Tod im Haus lebte.
In ihren Erinnerungen „aus der Jugendzeit des seligen Paters Johannes Baptist Jordan, von Gurtweil“ vom 27.12.1924 hält die Witwe Regina Schlosser-Vonderach fest: „Seine Eltern waren äußerst arme Bauersleute und lebten in einem kleinen, armseligen Strohhäuschen.“52
Ihre Tochter Frida Schlosser erzählte am 3.1.1926: „Das Geburtshaus ist unten oberhalb der Mühle; es ist ein ärmliches Häuschen. Drei Häuschen sind ineinander und nebeneinander gebaut. Über der Straße war die alte Klopfsäge.“53 Edwein kommentiert: „Drei Häuschen“ will heißen „einstöckiges Wohnhaus mit Scheune und Stall“54, wie es im Kaufbuch Gurtweil jeweils beschrieben ist.
In einem weiteren Brief von Frau Frida Schlosser vom 9.1.1927 heißt es: „Über H. H. Pater Jordans Geburtshaus habe ich sicheren Bescheid erhalten können und zwar von einer älteren Frauensperson, die früher eine Nachbarin von H. H. P. Jordan war. Diese sagte mir, dass das Haus nicht so war, wie es jetzt ist, sondern es war da nur eine armselige Wohnung zu ebener Erde, mit einem Strohdach bis fast auf den Boden, u. keine Mauern, u. kein Kamin oder Schornstein, nur ein schwarzes, verräuchertes Holzhaus sei’s gewesen. H. H. P. J. und seine beiden Brüder hatten eine äußerst armselige Dachkammer ohne wirkliches Fenster und die untere kleine arme Wohnung mussten sie noch teilen mit 2 ledigen Schwestern von seinem Vater.“55
Das Jordanhäuschen wechselte öfters seine Hausnummer, da immer wieder die Häuser neu durchnummeriert wurden, entsprechend dem Anwachsen des Dorfes. 1844 trug es die Nr. 20, vor 1869 die Nr. 50, 1869 die Nr. 45, um 1900 die Nr. 57. Heute ist das Geburtshaus von P. Jordan als Haus Nr. 4 der Franz-JordanStraße gekennzeichnet.56
Fotos im Buch von P. Pankratius Pfeiffer „P. Jordan und seine Gründungen“57 zeigen Aufnahmen von Gurtweil und das Geburtshaus von P. Jordan vor der Renovierung. P. Markward Probst SDS (1901-1978) hat später unter anderem Bilder von Gurtweil, der Kirche, dem Geburtshaus, Wohnstube und Geburtszimmer von P. Jordan gemalt, die zum Teil in der Schrift des Gurtweilers Pfarrer Leo Beringer, P. Franziskus Maria vom Kreuze Jordan, erschienen 1950, veröffentlicht sind.58
40 Ortschaftsverwaltung Gurtweil (Hg.), Dorfchronik Gurtweil. Gurtweil. Zur Geschichte des Dorfes im Wandel der Zeit. Gurtweil 2003; Kiebele Anton, Das Dorf Gurtweil als Geburtsort des Gründers, in: Forum SDS 1989/2, S. 247-255; Sutter Konrad u. Lilly, Gurtweil (Schnell, Kunstführer Nr. 1564). München 1985; Beringer Leo, Geschichte des Dorfes Gurtweil. Gurtweil 1960; Die Chronik des Kreises Waldshut. Das Haus und Heimatbuch des Kreises Waldshut. Waldshut/Baden 1957.
41 Edwein in DSS XIII-I, S. 5-6 und DSS XIII-II, S. 27.
42 Beringer, Geschichte des Dorfes Gurtweil, S. 15-21.
43 Beringer, Geschichte des Dorfes Gurtweil, S. 22-63; Kiebele, Das Dorf Gurtweil, S. 247-253.
44 Beringer, Geschichte des Dorfes Gurtweil, S. 151-182; Kiebele, Das Dorf Gurtweil, S. 250-251.
45 Beringer, Geschichte des Dorfes Gurtweil, S. 243-245 (Anhang).
46 Kiebele, Das Dorf Gurtweil. S. 249-250.
47 Beringer, Geschichte des Dorfes Gurtweil, S. 142-143.
48 Übergabevertrag vom „28. May 1848 zu Thiengen“ im Archiv des Amtsgerichtes Waldshut sowie „Vermögensübergabe“ im GAG, Kaufbuch Bd. 3, Nr. 97, S. 299 sowie „Auszug aus der Vermögensübergabe“, Amtsrevisorat Waldshut; zitiert nach Edwein in DSS XIII,II, S. 19-20, 29.
49 Auszug aus dem Kaufvertrag. Archiv der Gemeinde Gurtweil. Grundbuch Band 7, S. 133-140, Nr. 28. Kopie: AGS.0100.01/F49.35 (= DSS XII, Nr. 28).
50 Edwein in DSS XIII-I, S. 19.
51 Pfandbuch Bd. 7, Nr. 7, 15.4.1881; Edwein in DSS XIII-II, S. 43-44
52 Regina Schlosser-Vonderach, 27.12.1924. AGS.0100.01/J23A.
53 Frida Schlosser, 3.1.1926. AGS.0100.01/G18.1.169.
54 zitiert nach Edwein in DSS XIII-I, S. 39.
55 Frida Schlosser, 9.1.1927. AGS.0100.01/J51.
56 Edwein in DSS XIII-II, S. 48.
57 Pfeiffer, P. Jordan, S. 7-12.
58 Beringer Leo, P. Franziskus Maria vom Kreuze Jordan. 1950. Bilder S. 7, 13, 19, 24, 29 u. 33.