Читать книгу Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte - Josef Imbach - Страница 8

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Papst und Kaiseroder Eine Fälscherwerkstatt ampäpstlichen Hof

Im Jahr 366 steht in Rom wieder einmal eine Bischofswahl an. Zwei Männer, Damasus und Ursinus, streiten sich um den Posten. Eine Minderheit setzt sich für den Diakon Ursinus ein und lässt ihn in der Basilika Santa Maria in Trastevere weihen. Die Mehrheit stellt sich hinter den populären Diakon Damasus. Um seinen Anspruch auf den Bischofsstuhl von Rom durchzusetzen, heuert Damasus einen Schlägertrupp an, der unter den Anhängern des Ursinus ein drei Tage währendes Massaker anrichtet. Am 1. Oktober besetzt Damasus mit seiner Meute die Lateranbasilika und lässt sich dort zum Bischof von Rom weihen. Anschließend veranlasst er den Stadtpräfekten, Ursinus zu verbannen. Es ist dies das erste Mal, dass ein Nachfolger des Petrus die weltliche Obrigkeit für seine persönlichen Interessen in Anspruch nimmt. Die Unruhen indessen halten bis zum 26. Oktober an. An diesem Tag stürmen die Leute des Damasus die Basilika Santa Maria in Trastevere, wo die Anhänger des Ursinus Zuflucht gefunden haben. Bilanz dieser gewaltsamen Auseinandersetzung: 127 Tote und der Verlust der Glaubwürdigkeit.

Diese Dinge gehen sogar dem freigeistigen Historiker Ammianus Marcellinus ein bisschen zu weit: »Sie brannten in unmenschlicher Gier darauf, sich des Bischofssitzes zu bemächtigen und bekämpften sich aufs Erbittertste. Ihre Anhänger lieferten sich regelrechte Straßenschlachten mit Toten und Verwundeten.« Irgendwie versteht der Chronist zwar, dass, wer in der Reichshauptstadt Bischof werden will, ein gewisses Durchsetzungsvermögen benötigt, um dieses Ziel zu erreichen. Aber dann kommt’s knüppeldick: »Haben sie es erreicht, dann gehen sie einer sicheren Zukunft entgegen. Sie werden reich durch die Spenden adeliger Matronen.«

Tatsächlich versteht sich Damasus meisterhaft darauf, wohlhabende Damen und vermögende Witwen in kleinen feinen Zirkeln um sich zu scharen, die ihm, dem geselligen und gern gesehenen Gastgeber da ein Erbe überschreiben, dort eine Spende zukommen lassen und hier ein Geschenk übergeben, in der Hoffnung, dass vom Glanz dieses anerkannten Gesellschaftslöwen ein kleiner Lichtstrahl auch auf sie abfalle. Damasus’ späterer Sekretär Hieronymus, der unter anderem als Bibelübersetzer große Bedeutung erlangen wird, scheint in dieser Beziehung ebenfalls nicht ganz ungeschickt gewesen zu sein.

Ammianus Marcellinus weiß ferner zu berichten, dass auch andere höhergestellte Kleriker den Witwen jeden Alters gern zur Seite stehen, insbesondere dann, wenn es gilt ein Testament aufzusetzen. Dass es sich dabei keineswegs um üble Nachrede handelt, geht aus einem Erlass des Kaisers Valentinianus aus dem Jahr 370 hervor, der dem Klerus den Zutritt zu den Häusern der Witwen strikt untersagte. Aber nicht nur Erbschleicherei, sondern auch der prunkvolle Lebensstil des römischen Bischofs und seiner Umgebung sind vielen ein Dorn im Auge. Ammianus Marcellinus wundert sich, dass diese Leute jetzt » nur noch im Wagen sitzend in der Öffentlichkeit erscheinen, sie tragen prächtige Kleider und halten üppige Mahlzeiten ab, sodass ihre Gastereien sogar eine königliche Tafel übertreffen.« Nicht nur Machtgier und Skrupellosigkeit, sondern auch Luxus und Völlerei also wirft der Chronist den christlichen Würdenträgern in der Hauptstadt vor. Und hält ihnen gleichzeitig das Beispiel der »kleinen Provinzbischöfe« vor Augen, »die sich durch ihre äußerste Bescheidenheit in Speise und Trank der ewigen Gottheit und ihren wahren Verehrern als reine und tugendhafte Männer empfehlen«. Dass Damasus es trotz seiner zweifelhaften Lebensweise schafft, ins kirchliche Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen zu werden (im liturgischen Heiligenkalender hat er seinen festen Platz am 11. Dezember), erstaunt nicht weiter. Tatsächlich gelten die ersten 35 Vorsteher der römischen Gemeinde, angefangen von Petrus bis Julius I. († 352), allesamt als heilig. Unterbrochen wird die Reihe erst von Damasus’ Vorgänger, dem etwas wankelmütigen Liberius († 366). Es war eben nicht die Lebensführung, sondern das höchste Amt, welches den Nimbus gewissermaßen ex nihilo, also ganz von selbst zum Leuchten brachte.

Bekanntlich ist Rom nicht an einem Tag erbaut worden. Das gilt auch für das Rom der Päpste. Allmählich nur vermochte sich die ehemals verfolgte Minderheit der Christen in der Hauptstadt des römischen Kaiserreiches zu etablieren. In dem Maße als die Neugläubigen dort Fuß fassten, verstanden es die Päpste, die Hauptstadt schrittweise zu einem Machtzentrum auszubauen, indem sie ihre anfänglich rein geistliche Autorität zusehends weltlich vermummten.

Diese politische Entwicklung wird später mit der berühmten Verheißung religiös verbrämt, die Jesus dem Matthäusevangelium zufolge an Petrus gerichtet hatte: »Du bist Petrus [d.h. der Fels], und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen« (16,18). Allerdings hat der Verfasser des Matthäusevangeliums dabei den persönlichen Glauben des Petrus im Blick und nicht einen Sonderstatus im juristischen Sinn, der sich auch auf die Nachfolger des Apostels erstreckt (wie manche Interpreten später entgegen jeder historischen und exegetischen Evidenz behaupten werden). Erst in nachkonstantinischer Zeit, also um die Mitte des 4. Jahrhunderts, beginnt sich die Vorrangstellung des Bischofs von Rom in der gesamten Kirche durchzusetzen. Vorher waren es die römischen Kaiser (die sich zunächst als Schutzherren der neuen Glaubensgemeinschaft ausgaben), welche sich als Herren über die Kirche gebärdeten (das Konzil von Nikaia wird vom Kaiser einberufen und tagt im Jahr 325 unter seinem Vorsitz!). Nachdem durch die Verlegung des kaiserlichen Hofes nach Konstantinopel in Rom ein Machtvakuum entstanden ist, verlangt die neue Konstellation nach einem Gegenspieler. Naturgemäß fällt diese Rolle dem geistlichen Oberhaupt der Christen zu, das inzwischen eine nicht unbedeutende gesellschaftliche Position erlangt hat. Ein erstes Zeichen dafür bildet ein 343 erlassenes Dekret der Kirchenversammlung von Sardica (heute Sofia), welches abgesetzten Bischöfen die Appellationsmöglichkeit beim Bischof von Rom ermöglicht. Wenig später verfällt Damasus I. (366–384) auf den Gedanken, die an Petrus ergangene Verheißung auch auf die späteren Vorsteher der Christengemeinde auszuweiten. Von Damasus stammt auch die Idee, die Bezeichnung Apostolischer Stuhl für den römischen Bischofssitz zu reservieren. Bis dahin nämlich schmückten auch andere Bischöfe, deren Gemeinden angeblich von einem Apostel gegründet worden waren, ihren Amtssitz mit diesem Titel.

Im Römischen Reich ist die Kirche inzwischen in fünf Großräume aufgegliedert, an deren Spitze ein Patriarch steht. Der einzige und alleinige Patriarch im Westreich ist der Bischof von Rom, während das Ostreich unter vier Patriarchen aufgeteilt ist, die in Alexandreia, Jerusalem, Antiocheia und Konstantinopel residieren.

Siricius, der 384 zum Bischof von Rom gewählt wird, verfolgt die Linie seines Vorgängers Damasus konsequent weiter. Kaum im Amt, kramt er aus Schränken und Schubladen die alten Dokumente seiner Vorgänger hervor und stößt dabei auf einen Erlass, mit dem Kaiser Gratianus (367–383), ein erklärter Förderer des Christentums, allen römischen Bischöfen die oberste Gerichtsbarkeit und Entscheidungsgewalt über die Kirchen im westlichen Reich zugestanden hat. Der Fund bleibt nicht ohne Folgen. Kleriker aus der Provinz, die mit irgendwelchen Anfragen an ihn gelangen, werden fortan nicht mehr wie bisher üblich mit Ermahnungen oder Ratschlägen überhäuft, sondern mit amtlichen Verordnungen eingedeckt. Dabei weist Siricius ausdrücklich darauf hin, dass seine Entscheidungen ebenso verbindlich sind, wie die Verordnungen von Synoden. Logische Folge: Liturgische, theologische oder disziplinarische Bestimmungen, die für eine einzelne Kirchenprovinz gefällt werden, sind jetzt für alle anderen gleichfalls bindend.

Siricius ist es auch, der sich als erster Nachfolger Petri mit dem Titel Papa (Papst, vom griechischen pappas) schmückt, mit dem die Mitglieder der östlichen Kirchenprovinzen ihre Bischöfe anreden. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts gilt der Papsttitel als Monopol des »Apostolischen Stuhls«.

Hatte die Bezeichnung Papa unter Siricius noch etwas Ehrerbietig-Väterliches an sich, so ändert sich das mit Innozenz I., welcher im Jahr 401 als direkter Nachfolger seines Vaters Anastasius I. (399–401) zum Bischof von Rom gewählt wird. Die 36 von ihm erhaltenen Briefe sind allesamt in einem Ton gehalten, der keinerlei Zweifel lässt, wer in der gesamten Westkirche das Sagen hat. Glaubenslehre, Kirchendisziplin und Liturgie haben sich fortan an der römischen Kirche, will sagen an den diesbezüglichen päpstlichen Vorstellungen zu orientieren. Wichtige Streitfragen werden vom römischen Bischof entschieden. Damit ist die Marschrichtung vorgegeben, in der sich die künftigen Päpste beim Ausbau ihrer Jurisdiktionsgewalt fortbewegen werden. Begreiflich daher, dass manche Kirchenhistoriker und -historikerinnen Innozenz I. als den ersten eigentlichen Papst bezeichnen.

Wie seine Vorgänger ist auch Leo I. (der Große; 440–461) ein Anhänger der Petrusdoktrin. Von einer – und sei es bloß relativen – Autonomie der übrigen Bischöfe will er nichts wissen. Der römische Bischof steht über allen, er ist vicarius Petri, der Stellvertreter des Petrus – so der Titel, den Leo I. für sich beansprucht. Die neue Bezeichnung geht auf das römische Erbrecht zurück, welches den Erben als vicarius bezeichnet, der zusammen mit den materiellen Gütern auch den juristischen Status (d. h. alle Rechte und Pflichten) des Erblassers übernimmt. Entsprechend diesem juristischen Modell hinterlässt der ›Erblasser Petrus‹ alle seine Rechte, Pflichten und Privilegien seinem einzigen und rechtmäßigen Erben, nämlich dem Bischof von Rom. Allerdings erbt der Papst nur das Amt und nicht etwa die persönlichen Vorzüge oder Verdienste des Petrus. Die Person, auf welche das Erbe übergeht, ist zweitrangig. Moralische Defizite fallen so wenig ins Gewicht wie menschliche Qualitäten. Das Amt ist entpersonalisiert. Der Form nach ist es zu vergleichen mit der Monarchie der römischen Kaiser. Ein qualitativer Unterschied ergibt sich jedoch aus der Sache. Während das kaiserliche Imperium historisch gewachsen ist, ist das päpstliche Imperium von Jesus gestiftet. Offen bleibt, ob Leo sich darüber Rechenschaft gab, dass er mit dieser Argumentation vom juristischen in den theologischen Bereich hinüberwechselte. Fest steht nur, dass diese neue Sicht faktisch das hierarchische Prinzip impliziert. Der aus dem Griechischen stammende Begriff Hierarchie bedeutet nicht nur heilige Herrschaft (wie manche meinen), sondern auch heiliger Anfang, heiliger Ursprung oder heilige Ordnung. Aber so unheilig die Methoden sein mögen, mittels derer diese Herrschaft ausgeübt wird, geheiligt ist sie nach Leo I. dennoch, und zwar aufgrund ihres göttlichen Ursprungs. Was die praktischen Konsequenzen aus diesen Prämissen betrifft, kann sich Leo auf die Kirchengeschichte des theologischen Wendehalses Eusebius von Caesarea (um 265–339) berufen: »Wer Petrus [d. h. dem jeweiligen Papst] den Vorrang abzustreiten wagt, kann dessen Würde in keiner Weise mindern, sondern stürzt sich, vom Geiste des Hochmutes gebläht, selbst in die Hölle.« Um ihre Macht abzusichern, werden spätere Päpste dieser Aussage Nachdruck verleihen, indem sie Andersdenkende mit der Strafe der Exkommunikation belegen.

Die östlichen Kirchen nehmen den neu entstehenden römischen Zentralismus und die damit verbundenen Ansprüche anfänglich nicht allzu ernst. In Konstantinopel, dem ›Zweiten Rom‹, gilt neben dem Kaiser nicht etwa der Papst als höchste Autorität, sondern das vom Kaiser (!) einberufene Ökumenische Konzil, dem sich auch der Bischof von Rom zu fügen hat. Den Papst betrachtet man im Osten lediglich als Patriarchen des Westens; tatsächlich stellt ihn das Konzil von Chalkedon (451) auf eine Ebene mit dem Patriarchen von Konstantinopel. Das ändert nichts daran, dass die Päpste ihre Position zunächst festigen und sogar ausbauen können. Äußerlich kommt diese Stärkung auch im päpstlichen Hofzeremoniell zum Ausdruck, in welches jetzt vermehrt vormals dem Kaiser vorbehaltene Elemente integriert werden. Bei liturgischen Feiern schreiten dem Papst Kerzen- und Weihrauchträger voran; begrüßt wird er mit der Prokynese, dem bislang dem weltlichen Herrscher reservierten Kniefall, und wie der Kaiser unterzeichnet der Papst seine Erlasse nun mit roter Tinte. Schließlich übernimmt der römische Bischof auch den ursprünglich dem heidnischen Oberpriester vorbehaltenen Titel eines Pontifex maximus (›oberster Brückenbauer‹).

Schon zu Zeiten Leos I. war Rom längst keine Weltmacht mehr. Nach dem Tod Kaiser Theodosios’ I., der 394 das gesamte Reich unter seiner Herrschaft vereinigte, wurde dieses unter seinen beiden Söhnen aufgeteilt. Honorius regierte über den Westen, Arcadius hingegen über die östlichen Gebiete. Die zunehmende Bedrohung durch die Germanenstämme, einander in rascher Folge ablösende Herrscher im Westen und Rivalitäten zwischen den beiden Reichsteilen beschleunigten Roms Niedergang.

Die Lage verbesserte sich nur kurzfristig, als Iustinianos I. (der Große) im Jahr 527 als letzter römischer Kaiser in Konstantinopel den Thron bestieg. Gleich nach seinem Amtsantritt begann er mit der Wiederherstellung des Römischen Reiches, dessen westlicher Teil während des 5. Jahrhunderts an die Barbaren gefallen war. Gemäß seiner Losung »ein Kaiser, ein Reich, eine Kirche« wurde Rom eng in den Osten eingebunden. Der Kaiser behielt sich das Recht vor, die Papstwahl zu bestätigen.

Im 7./8. Jahrhundert dann, als die Muslime Konstantinopel bedrohten und die Kaiser zur Sicherung der Grenzen wieder einmal Geld brauchten, verfielen sie auf den Gedanken, auch für die kirchlichen Besitztümer Steuern einzufordern. Papst Gregor III. (731–741) reagierte empört; die Lage zwischen Konstantinopel und Rom spitzte sich zu. Als der Papst Kaiser Leon III. die Unterstützung in seinem Kampf gegen die Bilderverehrung versagte, konfiszierte dieser alle päpstlichen Ländereien in Süditalien und Sizilien. Damit war der Papst fast ohne Einkommen. Gleichzeitig war Mittelitalien wieder einmal von den Langobarden bedroht, die sich nach der Völkerwanderung im Norden der Halbinsel niedergelassen hatten.

In dieser schwierigen Situation richtete sich die Hoffnung der Päpste auf Pippin III. (den Jüngeren). Der war nach dem Verzicht seines Bruders Karlmann, des Hausmeiers von Austrien (die Gebiete um Aachen, Tournai, Köln, Fulda und Metz), seit 747 alleiniger Hausmeier und faktisch Regent im ganzen Frankenreich. 751 setzte er Childerich III., den letzten merowingischen Herrscher, ab und ließ sich in Soissons zum König ausrufen. Ende 753 fasste Papst Stephan II. den Entschluss, Pippin um Hilfe zu bitten. Als erster Nachfolger Petri überquerte er die Alpen. Pippin empfing ihn am 6. Januar 754 in der champagnischen Pfalz Ponthion. Der König demonstrierte bei dieser ersten Begegnung keine Macht, sondern zeigte Stil. Er fiel vor dem Papst auf die Knie und führte das Pferd des Besuchers ein Stück weit am Zügel. Dieser ›Stratordienst‹ hatte vermutlich im (byzantinischen?) Kaiserzeremoniell seinen Ursprung. Schon am folgenden Tag jedoch bot sich den Höflingen ein völlig anderes, realistischeres Bild. Der Papst erschien im Bußgewand vor dem König und bat ihn, die Stadt Rom von den Langobarden zu befreien. Die Entscheidung fiel am 14. April 754. Pippin verpflichtete sich, und das sollte auch für seine Söhne gelten, die römische Kirche und die Vorrechte des heiligen Petrus in der Gestalt des Papstes zu schützen. Außerdem versprach er, diese Gebiete in Mittelitalien dem Papst wieder zuzuführen. Dieses Versprechen wurde 754 und 756 in zwei Feldzügen eingelöst. Die eroberten Gebiete machte Pippin dem »heiligen Petrus« (beziehungsweise seinen legitimen Erben) zum Geschenk. Diese sogenannte Pippinische Schenkung bildete die Grundlage für den späteren Kirchenstaat, der bis 1870 Bestand haben sollte.

Dass Pippin keineswegs aus purer Kirchentreue oder aus reiner Glaubensüberzeugung handelte, zeigt der weitere Verlauf der Ereignisse. Am 28. Juli 754 salbte Papst Stephan II. Pippin in Saint-Denis zum König. Außerdem verlieh er ihm und seinen Söhnen den Ehrentitel Patricius Romanorum, (militärischer) Schutzherr der Römer. Bis dahin war diese Ehrenbezeichnung, welche die Schutzgewalt über Rom implizierte, den kaiserlich-byzantinischen Statthaltern in Italien vorbehalten. Für die Byzantiner bedeutete die Neuvergabe des Titels, dass sie in Italien nichts mehr verloren und dort auch nichts mehr zu suchen hatten.

Zwar war Pippin schon einmal, nach seiner Machtergreifung im Jahr 751, mit dem heiligen Öl gesalbt worden, vermutlich durch Erzbischof Bonifatius. Die neuerliche Salbung durch den ›Stellvertreter Gottes auf Erden‹ bildete nicht nur einen Ersatz für das fehlende königliche Geblüt, sondern diente gleichzeitig der Legitimation. Andererseits konnte der Papst mit diesem Weiheakt demonstrieren, wer einzig befugt war, die Königswürde zu verleihen. Im Grunde waren beide, König und Papst, aufeinander angewiesen. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen.

Durch die Pippinische Schenkung entstand für den Papst eine völlig neue Situation – er war jetzt nicht mehr bloß das geistliche Oberhaupt der Christenheit, sondern gleichzeitig auch politischer Machthaber mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Wie der König benötigte er seinerseits eine Legitimation für seine weltliche Herrschaft.

Heute nehmen die meisten Geschichtsforschenden an, dass das damit verbundene Problem von einem findigen Kopf aus der Umgebung Papst Pauls I. (757–767), dem Bruder und Nachfolger Stephans II., einer Lösung zugeführt wurde. Einem vom päpstlichen Hof gestreuten Gerücht zufolge nämlich hatte irgendein Kopist oder Skribent oder sonst ein Federspitzer in einer Schublade oder hinter einem Wandschrank einen alten Schriftsatz entdeckt, der sich als Abschrift eines noch älteren Dokuments erwies, das, man staune, angeblich aus der Kanzlei Kaiser Konstantins des Großen stammte. Das Dokument schien zu bestätigen – es gibt da nicht etwa verschiedene Lesarten oder Rezensionen, wie die Fachleute das später nennen werden –, dass Kaiser Konstantin seinem Zeitgenossen Papst Silvester I. und dessen Nachfolgern nicht nur die mittelitalienischen Ländereien, sondern auch seine Kaiserkrone geschenkt hatte. Nicht dass die Päpste dieses Dokument nun sämtlichen Sendboten anderer Fürstenhöfe vorgezeigt hätten (so plump verhält sich selbst der unbedarfteste Fälscher nicht), noch wurde der fragliche Wisch in einem offiziellen Text erwähnt. Vielmehr verwahrten die Päpste das Pergament sorgfältig in der Schublade; die Rede davon verbreitete sich ganz von selbst. Mit dem Herzeigen konnte man ruhig zuwarten, bis die Papstanhänger vom Wahrheitsgehalt überzeugt waren; die Gegner ließen sich dann leichter widerlegen. Und wer später immer noch an der Echtheit des ominösen Schriebs zweifelte, war für die Folgen solchen Unglaubens selber verantwortlich (wie ein gewisser Johannes Drändorf, der 1425 in Heidelberg als Ketzer verbrannt wurde, weil er die sogenannte Konstantinische Schenkung als Fälschung bezeichnet hatte).

Zu Zeiten eines Damasus’ I. war die Inbesitznahme des Apostolischen Stuhls, soziologisch betrachtet, eine reine Macht- und Prestigefrage. Seit der Pippinischen Schenkung aber waren die Päpste Herren über ein Territorium; fortan ging es nicht mehr bloß um die geistliche Leitung und um den Zusammenhalt einer Glaubensgemeinschaft, sondern auch um territoriale Ansprüche. Diese neue Konstellation bot vor allem für die Mitglieder der römischen Aristokratie verlockende Aussichten. Denn wer in der Hauptstadt etwas galt, beteiligte sich seit jeher am Poker um die besten Positionen. Vor allem die Adelsdynastien waren jetzt daran interessiert, ein Mitglied ihres Familienclans auf den Stuhl Petri zu katapultieren.

Wie es dabei zuging, zeigt ein Vorfall, der sich am 25. April 799 ereignete, als Papst Leo III. während einer Prozession angegriffen und gefangen gesetzt wurde. Die Angreifer rekrutierten sich aus der Familie seines Vorgängers Hadrian, die unter diesem einträgliche Ämter innegehabt hatte. Leo indessen gelang die Flucht. Mithilfe von fränkischen Großen kam er nach Paderborn, wo sich zu diesem Zeitpunkt Karl der Große aufhielt. In der Folge ließ Karl auch Leos Gegner kommen, um sie anzuhören. Da die Sache nicht geklärt werden konnte, wurde Leo nach Rom zurückgeschickt, damit alles vor Ort geklärt werde. Als die weiteren Untersuchungen ebenfalls ergebnislos verliefen, entschloss sich Karl, im Jahr 800 nach Rom zu ziehen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit krönte der Papst den Frankenherrscher am 25. Dezember zum Kaiser und machte ihn damit gleichzeitig zu seinem Verbündeten.

Über das Prozedere informiert uns der Chronist:

Als der König am heiligen Weihnachtstage bei der Messe sich vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Leo die Krone aufs Haupt, und das Volk rief aus: Dem erhabenen Karl, dem von Gott [!] gekrönten großen und friedbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! Und nach diesen Lobrufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus [d. h. der Erhabene] genannt.

Aufgrund einer Notiz von Karls Hofchronisten Einhard neigen die Geschichtsforschenden heute zu der Annahme, dass Karl der Große überrascht war, dass ihm der Papst die Kaiserkrone aufsetzte. Das würde bedeuten, dass Leo durch den Krönungsakt unterstreichen wollte, dass die geistliche Autorität über jeder weltlichen Macht steht, und dass alle irdische Herrschaft der Legitimation durch den obersten Sachwalter Gottes auf Erden bedarf. Ob der Papst diese Botschaft vermitteln wollte, muss offenbleiben. Fest steht hingegen, dass Leo III. als erster Papst das Recht der Kaiserkrönung für sich in Anspruch nahm.

Sein Beispiel machte Schule. 813, ein Jahr vor seinem Tod, krönte Karl der Große seinen Sohn Ludwig I. zum Mitkaiser. Dieser übernahm nach dem Tod des Vaters die Nachfolge. 816 reiste Papst Stephan IV. nach Reims, um Ludwig seinerseits zum Kaiser zu krönen. Da die Frankenkaiser über keinerlei geschichtliche Legitimation verfügten (Pippin III. war ursprünglich nur Hausmeier unter dem letzten merowingischen König Childerich III.), waren sie durch die päpstliche Krönung wenigstens theologisch legitimiert. Ludwigs Sohn Lothar wiederum wurde 823 von Papst Paschalis I. in Rom gekrönt. Die folgenden Kaiserkrönungen fanden in der Peterskirche statt – aber erst nachdem die fränkischen Könige den Papst jeweils demütig darum gebeten hatten.

Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte

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