Читать книгу Die Adria entlang von Görz bis Bar - Josef Mugler - Страница 10
Brijuni
ОглавлениеBrijuni ist der kroatische Name von Brioni, unter welchem der Archipel aus 14 Inseln und vielen kleinen Klippen immer noch besser bekannt ist. Die größte Insel ist fünf Kilometer lang und bis zu drei Kilometer breit, hieß Brioni Grande oder Maggiore und heißt heute Veliki Brijuni. Die höchste Erhebung von Brioni Grande, der Monte Guardia, ist knapp unter oder über 50 m hoch, je nachdem ob man die Gebäudehöhe der (ehemaligen) Festung Tegetthoff einbezieht oder nicht.
Seit 1983 ist der Archipel Nationalpark. Das ist Segen und Fluch zugleich: Auf Brioni Grande wandert der Gast unter „paradiesisch“ zutraulichen Wildtieren durch eine gepflegte Parklandschaft. Vorsicht ist allenfalls vor herumfliegenden Golfbällen geboten. Für Investoren, auf welche die abgewohnten Hotelbauten warten, bedeutet der Nationalparkstatus empfindliche Beschränkungen. Viele wollten hier schon investieren: zum Beispiel der einst aus Istrien vor den Kommunisten geflüchtete Umberto Angeloni, der mit seiner Männermodemarke „Brioni“ ein Vermögen machte. Auch Prinz Ernst August von Hannover wollte den ganzen Archipel für sich und seine Caroline von Monaco allein haben.
Irgendwann, jedes Jahr ist vom nächsten Jahr die Rede, wird es so weit sein: Eine Luxushotellandschaft wird kommen, muss kommen, heißt es. Brioni war einmal eine Tourismusdestination von höchster Qualität, seit es aus dem Pest- und Malariaschlaf früherer Jahrhunderte erweckt worden war. Der Prinz, der es wachgeküsst hat, hieß Paul Kupelwieser. Er war das vorletzte von zehn Kindern des berühmten Malers Leopold Kupelwieser. Und der wiederum stammte aus einer Kleinindustriellenfamilie, die im niederösterreichischen Piesting zu Hause war, rund 50 km südlich von Wien am gleichnamigen Flüsschen, das für den Antrieb der Hämmer benutzt wurde.
Paul Kupelwieser wurde 1843 geboren, studierte Berg- und Hütteningenieurwesen und wurde Generaldirektor der Witkowitzer Eisenwerke (nahe Mährisch Ostrau), einer Waffenschmiede der alten Monarchie. Er lieferte unter anderem Panzerplatten und Kanonen für die Marine im wichtigsten Kriegshafen der Monarchie, Pola, und lernte wohl bei einem seiner Besuche Brioni kennen. Er stieg aus seiner Managerposition aus und kaufte 1893 zwölf der Brionischen Inseln, um – wie er sagte – seinen Kindern etwas Bodenständiges und Bleibendes zu hinterlassen.
Diese Entscheidung erregte überall Kopfschütteln. Brioni war eine malariaverseuchte Wildnis. Aber Kupelwieser schaffte das Unglaubliche: Er rodete und kultivierte mit Hilfe fähiger und fleißiger Helfer, darunter auch Kompanien von Strafgefangenen, die er sich auslieh, die Hauptinsel Brioni Grande und gewann den späteren Nobelpreisträger Robert Koch für die Bekämpfung der Malaria, was tatsächlich relativ rasch gelang. Ab 1901 war Brioni praktisch malariafrei. Dadurch konnte Kupelwieser Brioni als Seebad entwickeln und in ganz Europa, vor allem aber in der österreichisch-ungarischen Monarchie als Kur- und Urlaubsort von höchster Qualität vermarkten.
Hotelanlagen auf Brioni einst (um 1913; Quelle: Otto Lenz: Spaziergänge auf Brioni, Wien 1926, S. 87) ... und jetzt (2005)
Einer der Brüder Pauls, Karl, war Jurist, bekannter Förderer der Wissenschaften und verheiratet mit Bertha Wittgenstein aus der reichen Industriellenfamilie, die auch Ludwig, den Philosophen, und Paul, den nach einer Kriegsverletzung einarmigen Klaviervirtuosen hervorbrachte. Die Verbindungen zu höchsten Industriellenkreisen brachten zahlungskräftige Gäste auf die Insel. Auf den Tanzfesten waren die Marineoffiziere aus dem nahen Pola in ihren mehr betörenden als martialischen Galauniformen gern gesehen. Brioni lockte die Hocharistokratie, aber auch Persönlichkeiten an, die in der Monarchie reich geworden waren oder, zum Beispiel als Künstler, etwas galten. Thomas Mann und Richard Strauss waren hier oder auch Max Reinhardt, Arthur Schnitzler und Gustav Klimt, um nur einige wenige zu nennen.
Der Hamburger Carl Hagenbeck richtete ab 1910 einen Zoo für Wildtiere aus aller Welt ein, die von den Gästen bestaunt wurden. Marcel Prawy erzählte noch bei seinen letzten Auftritten in der Wiener Staatsoper von seiner ersten Kindheitserinnerung: den Kunststücken des Affenmädchens Missy auf Brioni. Das arme Affenkind verweigerte die Nahrung und starb, nachdem sein Wärter 1914 zum Kriegsdienst eingezogen worden war. Für Hagenbeck war Brioni mehr als bloß eine Filiale seines Hamburger Zoos, nämlich zugleich auch Akklimatisierungsstation, man könnte auch sagen, eine Art „Logistikzentrum“ für Wildtiere aus tropischen Regionen, die er auf dem europäischen Markt anbot. Leider oder Gott sei Dank, je nach Standpunkt, wurde das Projekt nach Hagenbecks Tod im Jahr 1913 nicht weitergeführt.
Der 1.600 Jahre alte Ölbaum auf Brioni (2009)
Die besonders milden Temperaturen, im Winter im Durchschnitt knapp über 6 Grad, ließen die Auslastung der Unterkünfte während des ganzen Jahres zu. März und April waren die Monate der Hochsaison. Die Gäste genossen auf den nach Süden ausgerichteten und gegen Norden geschützten Terrassen die Wintersonne. 1913 eröffnete man das erste Hotelhallenbad angeblich von ganz Europa. Das Gebäude ist noch heute vorhanden, aber leider nur als halb zerstörte Abstellhalle für allerlei Gerümpel. Kupelwieser baute eine Wasserleitung vom Festland zur Insel. Er ließ drei Aussichtswarten aus „gutem Witkowitzer Eisen“ aufstellen, von welchen zwei heute noch stehen.
Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand war für Kupelwieser Chance und Gefahr zugleich: Er kam von 1910 bis 1912 samt seinem Hofstaat jeweils für einige Wochen im Frühjahr. Dem Erzherzog gefiel es so gut auf Brioni und das Klima erwies sich für sein Asthmaleiden als so günstig, dass er Kupelwieser wiederholt drängte, bedrängte, sogar zu erpressen versuchte, ihm das Ganze zu verkaufen. In einer New Yorker Zeitung wurde im März 1910 sogar schon der vollzogene Verkauf der Inselgruppe an den Staat lanciert. Schließlich begnügte sich der Thronfolger – angeblich nachdem ihm sein Beichtvater ins Gewissen geredet hatte – damit, einen entlegenen Teil der Insel für ein neues Märchenschloss am Meer zu übernehmen. Dazu kam es aber nicht mehr: Am 28. Juni 1914 starben Franz Ferdinand und seine Frau Sophie durch die Schüsse des serbisch-bosnischen Attentäters Gavrilo Princip in Sarajevo.
Brioni liegt nördlich der Einfahrt in den ehemaligen Haupthafen der Kriegsmarine und war deshalb nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn ab Ende Mai 1915 unmittelbar gefährdet. Da die österreichische Küste Istriens von den Italienern nie erobert wurde, gelang es Kupelwieser, das landwirtschaftliche Gut auch ohne Tourismus während des Kriegs am Leben zu erhalten. Anfang 1919 erkrankte er und starb schließlich am 20. März in Wien, wo er auch – statt wie vorgesehen in seinem Mausoleum auf Brioni – auf dem Zentralfriedhof begraben liegt.
Sein Sohn Karl hatte sich schon in „guten Zeiten“ selbst mehrfach als Unternehmer versucht, allerdings wenig glücklich. 1919 wurde Brioni italienisch und Karl versuchte sich, nun als Carlo, mit den neuen Machthabern zu arrangieren und Brioni für eine internationale Klientel neu zu positionieren, was anfangs auch gelang. Die Verschuldung des Unternehmens nahm jedoch immer größere Ausmaße an. Allein die Weingärten, die sein Vater mühsam auf gerodetem Boden hochgezogen hatte, waren nun wertlos. Italien hatte genug Wein und zu Österreich gab es hohe Zollbarrieren. Man kann heute noch erahnen, wo die Weinreben einmal standen – jetzt fliegen hier die Golfbälle herum. Carlo versuchte es auch mit einem Spielkasino, einer Pferdezucht und Poloturnieren, die ihm wieder noble Gäste brachten. Doch es nützte alles nichts. Im Herbst 1929 löste der Zusammenbruch der New Yorker Börse („Schwarzer Freitag“) eine Weltwirtschaftskrise aus, welche auch Brioni traf. 1930 beendete Carlo Kupelwieser selbst sein Leben. Nach weiteren Fehlversuchen mit externen Geschäftsführern wurde die Kupelwiesersche Brioni Aktiengesellschaft Anfang 1936 zahlungsunfähig und in italienisches Staatseigentum übergeführt.
Brioni im "Vollausbau" (um 1925, Quelle: Otto Lenz: Spaziergänge auf Brioni, Wien 1926, Cover-Bild)
Nach dem Sturz Mussolinis und dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten im September 1943 wurde Brioni von deutschen Truppen besetzt und geplündert und in den letzten Kriegstagen im April 1945 wurden die Hotel- und Wirtschaftsgebäude von alliierten Bombern stark beschädigt. Dann landeten die Truppen Titos auf Brioni. Dieser erkor eine der Inseln, Vanga, später zu seinem zweiten Wohn- und Regierungssitz, ließ einige Hotels wieder instandsetzen und Villen für Staatsgäste bauen. Tito soll bis zu seinem Tod im Jahr 1980 mehrmals fast die Hälfte des Jahres hier verbracht haben. Mit Nehru und Nasser begründete er auf Brioni 1956 die Allianz der blockfreien Staaten. Wie zu Kupelwiesers Zeiten wurde Brioni wieder zum Anlaufpunkt für Staatsoberhäupter, Künstler und andere Berühmtheiten. Besucher brachten exotische Tiere als Geschenke mit, die in dem von Tito wiederbegründeten Zoo gehalten wurden. Von den beiden Elefanten, die Indira Gandhi mitbrachte, lebt einer noch.
An die österreichische Zeit erinnert heute noch viel: Auf dem Gipfel der höchsten Erhebung, dem rund fünfzig Meter hohen Monte Guardia, steht die Festung Tegetthoff, benannt nach dem Sieger von Lissa, der am 19. Juli 1866 seine Flotte im Kanal von Fažana Aufstellung nehmen und Richtung Lissa auslaufen ließ.
Über das Leben auf Brioni kann man in der von der Gutsverwaltung von 1910 bis 1914 herausgegebenen Inselzeitung nachlesen, die penibel über alle Ereignisse und Gäste berichtete. Aus dem Schriftverkehr zwischen Paul und Karl Kupelwieser, der von dem Unternehmen seines Bruders nicht viel hielt, kann man die finanzielle Waghalsigkeit des Unternehmens erahnen. Karl ermahnte Paul, nicht nur zu investieren, sondern auch auf ausreichende Erträge zu achten. Paul brauchte immer wieder Kapitalspritzen.
Man findet viel auf Brioni, wenn man Zeit hat: Brioni war schon zur Römerzeit besiedelt. Es gibt Ausgrabungen römischer Villen, einer byzantinischen Siedlung (Kastrum), frühchristlicher Kirchen, venezianischer Steinbrüche und Gutshöfe. Wenn man weiß, wo, findet man auch Hinweise auf noch frühere Bewohner: Saurier haben ihre Fußspuren hinterlassen.
Das byzantinische Kastrum (2005)
Oder man findet noch die Eisenblöcke für jene Ketten, mit welchen die österreichische Marine im Ersten Weltkrieg die Zufahrtswege in den Hafen von Pola sperrte. Und Taucher können auf dem Meeresgrund westlich von Brioni das Wrack der „Baron Gautsch“ finden, eines Lloyd-Schiffes, das Zivilisten aus Dalmatien in den sicheren Norden bringen sollte, aber am 13. August 1914 durch Schlamperei und Verkettung unglücklicher Umstände in ein Seeminenfeld geriet, das zum Schutz der Hafeneinfahrt von Pula ausgelegt worden war. Wer nicht nur mit dem täglichen Touristenstrom für ein paar durchorganisierte Stunden auf die Insel übersetzt, sondern sich in einem der Hotels einmietet, kann das Terrain durchwandern und auf eigene Faust nach Kultur- und Naturschätzen suchen.