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Von Görz nach Grado

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Heute ist die Autobahn, die sich bei Palmanova in die beiden Äste Richtung Venedig und Triest gabelt, die Hauptverkehrsader in das friulanische Küstengebiet. Doch nicht hier, sondern über Görz (Gorizia, Gorica, Gurize) führten früher „alle“ Wege. Görz liegt an jener Stelle des Isonzo-Tals, wo dieser Fluss die Talengen der Julischen Alpen verlässt und zwischen sanften Hügeln der Mündungsebene südlich von Monfalcone zustrebt.

Noch am Beginn des 20. Jahrhunderts, also schon nahe dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie, baute man unter dem Projektnamen „Neue Alpenbahnen“ eine Bahntrasse, welche die Küste und insbesondere den Hafen Triest mit Kärnten, Salzburg und vor allem Deutschland verbinden sollte. In den Südalpen waren hierfür zwei lange Tunnel erforderlich: der rund sieben Kilometer lange Karawankentunnel, der ungefähr parallel zum heutigen Autobahntunnel zwischen dem Kärntner Rosental und Jesenice (Aßling) verläuft, und der Koblatunnel, der die Wasserscheide zwischen Save (Sava) und Isonzo (Soča) unterfährt. Der „Wocheinerbahn“ genannte Abschnitt führte von Jesenice nach Görz und der Abschnitt „Karstbahn“ weiter von Görz nach Triest, umfuhr allerdings Triest im Osten, um dann von Süden her im neu errichteten Staatsbahnhof beim ebenfalls neu errichteten Franz-Josephs-Hafen zu enden. Dieser Staatsbahnhof von Triest ist heute Eisenbahnmuseum.

Nach Görz führte allerdings bereits ein anderer, nicht weniger als ein halbes Jahrhundert älterer Schienenstrang: Die Südbahn erreichte schon im Jahr 1857 Triest. Das war damals noch gar nicht das Hauptziel, sondern nur eine Abzweigung von der eigentlich geplanten Hauptstrecke, welche die seit dem Wiener Kongress „österreichischen“ Städte Venedig und Mailand mit Wien verbinden sollte. Vor Görz, bei Aurisina wurde mittels einer fast 180-grädigen Schleife auf einem langen Viadukt, das auch heute noch befahren wird, allerdings zuerst der Anschluss „hinunter“ nach Triest gebaut, bevor die Trasse bis Görz verlängert wurde.

Die Bahnbauten waren technisch aufwändig, weil nicht nur Gebirge durchquert werden mussten, sondern auch die Berghänge im Halbrund um Triest die Überwindung erheblicher Steigungen, vergleichbar der Semmeringbahn, erforderte. Politische, militärische und ökonomische Gründe sprachen jedoch dafür. Oberitalien beziehungsweise, was nach 1866 davon für Österreich übrig blieb, sollte dem Reich verbunden bleiben und notfalls durch rasche Verlagerung loyaler Truppen verteidigt werden können. Ökonomisch sollten die Schienenverkehrswege den Umschlagplatz Triest stärken, was allerdings nur in Ansätzen gelang, weil sich die norddeutschen Häfen, insbesondere Hamburg, für Handel und Industrie (mit ihren Hauptstandorten in Böhmen) effizienter und verlässlicher erwiesen als Triest und weil Ungarn nach dem Ausgleich von 1867 begann, Rijeka als seinen eigenen Hafen auszubauen. Neben der Stichbahn nach Triest entstanden überdies bald nach dem Anschluss Triests an das Bahnnetz auch Stichbahnen von Pivka (St. Peter im Karst) nach Fiume/Rijeka (1873) und von Divača nach Pula (1876) mit einer weiteren Abzweigung nach Rovinj.

Westlich von Triest wurde später, 1894, für den aufkommenden Tourismus eine weitere Stichbahn von Monfalcone nach Cervignano gebaut, die 1910 über Aquileia bis Belvedere, dem Hafen für die Touristenfähren nach Grado, verlängert wurde. Auch von Görz aus wurde neben den Durchzugsstrecken eine Stichbahn in das Wippachtal bis Ajdovščina (Haidenschaft) geführt. Da sich Südbahn und Neue Alpenbahn in Görz fast tangential berührten – die Südbahn führt an der südlichen Stadtgrenze, die Alpenbahn an der nördlichen vorbei - entstand hier ein bedeutender Bahnknoten für die Wege an die nördlichste Küste der Adria.

Görz war über rund vierhundert Jahre das Tor Österreichs in die Küstenregion westlich von Triest. Um 1500 erbten es die Habsburger von den Grafen von Görz, die sich wiederum im Mittelalter vom Patriarchat von Aquileia losgelöst und ab 1117 über ein großes Gebiet geherrscht hatten, das sich von Tirol bis Kroatien erstreckte. Aus dieser Zeit stammt auch die Burg, die auf einem Hügel über der Stadt thront und daher einen herrlichen Ausblick über Stadt und Land bietet. Die Anlage betritt man durch die Porta Leopoldina, die 1660 aus Anlass des Besuchs des damals erst 20-jährigen Kaisers Leopold I. errichtet wurde. Sie trägt heute einen venezianischen Löwen, den italienische Nationalisten 1919 hier angebracht haben.


Die Burg von Görz (2015)

Um 1900 war Görz wegen seiner milden Temperaturen als Winterkurort sehr beliebt. Prächtige Palais, Villen, Hotels und Kaffeehäuser säumten die Plätze und den Corso Francesco Giuseppe, der die Bahnhöfe der Alpenbahn und der Südbahn verband. Auf dem Hauptplatz, der einmal Piazza Grande hieß und heute Piazza della Vittoria heißt, stehen die Sankt Ignazius-Kirche und der Neptunbrunnen. Dieser wurde von Nicolò Pacassi entworfen, ebenso wie auch das Palais Attems-Petzenstein, das heute als Museum dient. Der gebürtige Görzer Pacassi war Mitte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit Maria-Theresias, Leiter des Hofbauamtes in Wien und unter anderem an der Ausgestaltung von Schloss Schönbrunn, der Wiener Hofburg und der Prager Burg beteiligt.

1910 hatten etwa die Hälfte der rund 30.000 Einwohner Italienisch, rund ein Drittel Slowenisch und noch knapp über 10% Deutsch als Muttersprache. Heute leben hier im italienischen Teil rund 35.000 Einwohner und im slowenischen Nova Gorica weitere rund 15.000.

Im Ersten Weltkrieg waren Görz und Umgebung Schauplatz der grausamen zwölf Isonzo-Schlachten. Die Gedenkstätten in Oslávia, Redipuglia, auf dem Monte Calvario und dem Monte San Michele, um nur die wichtigsten zu nennen, erinnern an das unvorstellbare Leid, das der italienische Angriff und die österreichische Verteidigung nach der Kriegserklärung des italienischen Königs an den österreichischen Kaiser am 23. Mai 1915 verursachten.

Die Stadt Görz wurde wechselweise mehrmals erobert und stark zerstört. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Görz italienisch, nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt. Auf jugoslawischem Territorium entstand der neue Stadtteil Nova Gorica. Auf der Burg wehte über Jahrzehnte eine übergroße, weit in das jugoslawische Gebiet hinein sichtbare Tricolore und auf jugoslawischer Seite prangte dafür auf einem von der Stadt aus gut sichtbaren Berghang der Name „TITO“.

Die Grenze verlief unter anderem mitten über den Vorplatz des Bahnhofs der Transalpina. Die Grenzbarrieren wurden 2004 entfernt und durch ein Denkmal ersetzt. Erst seit dem Schengen-Abkommen 2007 ist ein Grenzübertritt im Stadtbereich wieder ungehindert möglich. In den letzten Jahrzehnten wurde viel renoviert und wieder aufgebaut und die Stadt profitiert von den landschaftlichen Vorzügen des Collio. Doch das Flair des multiethnischen und mondänen „österreichischen Nizza“ ist wohl für immer verloren.

Westlich von Görz überschritt man in Cormòns im Ortsteil Brazzano von 1866 bis 1915 (bzw. 1919) die Grenze zu Italien. Alljährlich wird hier und im benachbarten Giassico um den 18. August, dem Geburtstag des Kaisers Franz Joseph, auch heute noch ein Volksfest unter Beteiligung von Traditionsgruppen aus Österreich und anderen Teilen der alten Monarchie gefeiert. Und auf dem Hauptplatz blickt eine Bronzestatue des Kaisers Maximilian I., dem Cormòns sein Stadtrecht verdankt, auf das muntere, zwischen Nostalgie, Traditionspflege und Skurrilität schwankende Treiben herab.

Das Maximilian-Denkmal in Cormòns (2008)

Neben Görz war Cormòns in der Monarchiezeit der wichtigste Marktplatz für den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte aus dem Collio. Besonders berühmt waren die Kirschen. Sie wurden vorwiegend von jüdischen Händlern aus Wien aufgekauft. Zur Erntezeit wurde deshalb in Cormòns sogar eine provisorische Synagoge aufgestellt. Nach dem Anschluss des Collio an Italien ging diese Tradition verloren, denn es gab andernorts genug Angebot an Obst und Gemüse für den italienischen Markt.

Heute sind Görz und Cormòns Ausflugsziele, aber keine Meilensteine für die Annäherung an die friulanische Küste vom Norden her. Die Hauptroute führt heute über die Autobahn durch das Kanaltal und westlich an Udine vorbei. Rund zwanzig Kilometer südlich von Udine und etwa ebenso viele Kilometer westlich von Görz trifft man auf das Städtchen Palmanova.

Palmanova hat heute nicht viel mehr als 6000 Einwohner, ist aber historisch und städtebaulich interessant: Es hat die Struktur einer achteckigen Festung, deren imposanter Mauerring fast vollkommen erhalten ist. Diese Festung wurde 1593 als Bollwerk Venedigs gegen die immer stärker gegen das christliche Abendland heranrückenden Türken (Osmanen) gebaut. Als Gründungsdatum für Palmanova wurde der 7. Oktober gewählt, der 22. Jahrestag des Sieges in der Schlacht von Lepanto und Jahrestag des heiligen Justinus, der auch zum Stadtpatron erklärt wurde.

Wie kam es dazu? – 1526 besiegten die Türken die ungarischen Truppen in der Schlacht bei Mohács in Südungarn. Der zwanzigjährige ungarische König Ludwig II., der mit einer Habsburgerin verheiratet war, fiel in dieser Schlacht und dadurch erbte auf Grund eines früher geschlossenen Vertrags sein Schwager, der Habsburger Erzherzog und spätere Kaiser Ferdinand I. Ungarn, Kroatien, Slawonien und Böhmen. Die Türken eroberten allerdings rasch fast ganz Ungarn und Kroatien, belagerten 1529 erstmals Wien und standen über 150 Jahre lang als ständige Bedrohung kaum 100 km östlich von Wien.

Die Venezianer befürchteten, dass die Türken eines Tages aus Kroatien über Istrien bis in ihr Festlandterritorium, die Terraferma, vordringen und ebenso wie Wien auch Venedig bedrohen könnten. Davor sollte Palmanova bewahren. Im Hintergrund spielte aber auch der Gedanke mit, dass diese Festung, wenn die Bedrohung durch die Türken erst einmal vorbei sein würde, auch österreichischen Ausbreitungsgelüsten Einhalt gebieten könnte.

Auch auf dem Meer drohte von den Türken Gefahr: Papst Pius V. gelang es, die sonst meist gegenläufigen Interessen des habsburgischen Spanien sowie Venedigs und Genuas zu überbrücken und diese christlichen Mächte zur Ausstattung einer gemeinsamen Kriegsflotte zu bewegen. Die so entstandene „Heilige Liga“ besiegte am 7. Oktober 1571 unter dem Kommando des 26-jährigen Don Juan d‘Austria, einem unehelichen Sohn des habsburgischen Kaisers Karl V., bei Lepanto im Golf von Patras die zahlenmäßig überlegene türkische Flotte. Der Tag von Lepanto sollte daher die Botschaft der siegreichen Verteidigung Venedigs auch zu Lande – mit Hilfe von Palmanova – ausstrahlen.

Dass Palmanova für Venedig auch gegen die österreichischen Habsburger nützlich sein könnte, ergab sich nicht nur aus der Abtrünnigkeit Triests, sondern auch aus der toleranten Haltung der Habsburger gegenüber den seeräuberischen Uskoken, die aus Bosnien vor den Osmanen geflüchtet waren und vornehmlich vom habsburgischen (ungarisch-kroatischen) Senj aus die reich beladenen venezianischen Frachtschiffe und gelegentlich auch türkische Schiffe angriffen. Das wollten die Venezianer nicht ewig so hinnehmen und griffen 1615 von Palmanova aus die habsburgische Festung Gradisca am Isonzo an. Natürlich könnte dabei auch die Hoffnung mitgespielt haben, mit diesem Streich auch wieder Triest und dessen Salzproduktion unter venezianische Kontrolle bringen zu können.

Gradisca, links der Palazzo Torriani (2008)

Vor der habsburgischen Zeit, Ende des 15. Jahrhunderts, war Gradisca von den Venezianern selbst als Festung gegen die Türken ausgebaut worden. Am Festungsbau soll sogar Leonardo da Vinci mitgewirkt haben. Nun widerstand Gradisca als habsburgisches Bollwerk dem Ansturm der Venezianer. Allerdings musste sich der Erzherzog von Österreich, der dann als Ferdinand II. auch Kaiser wurde, zwei Jahre später im Frieden von Madrid verpflichten, die Uskoken aus Senj abzusiedeln. Venedig hatte damit wohl noch einmal seine Souveränität in der Adria gewahrt, gleichzeitig aber seine Hoffnungen auf die Wiedergewinnung von Triest endgültig begraben und noch dazu den türkischen Schiffen das Vordringen in der Adria erleichtert.

Während Palmanova auf venezianischem bzw. ab 1866 auf italienischem Territorium lag, gehörte das knappe zehn Kilometer weiter südlich davon auf dem Weg nach Grado gelegene Cervignano zum österreichischen Küstenland. Zwischen Cervignano und dem Ufer der Lagune von Grado passiert man noch das heute unscheinbare Dorf Aquileia. Die Straße führt hier brutal über das Forum einer der ehemals größten römischen Städte mit rund 100.000 Einwohnern zur Zeit des Kaisers Augustus. Es lohnt sich, die römischen Ausgrabungen und die Basilika aus dem 11. Jahrhundert zu besichtigen, die seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.


Römische Hafenanlage vor dem Campanile von Aquileia (1968)

Aquileia wurde von und für Veteranen des römischen Imperiums 181 v. Chr. gegründet. Manche meinen, der Name leite sich von „aquila“ (Adler) ab, wahrscheinlicher ist die Herkunft des Namens von einem nahe gelegenen Flüsschen namens Aquilis. Aquileia war militärstrategisch für Kriegszüge gegen die Illyrer wichtig, entwickelte sich aber auch als einer der südlichen Endpunkte der Bernsteinstraße zu einem bedeutenden Handelszentrum. Vom Flusshafen, der durch das heute nicht mehr schiffbare Flüsschen Natissa (oder Natisone) mit dem Meer verbunden war, sind noch gut erhaltene Relikte zu sehen. Bis zur Mündung in das offene Meer entstand eine Hafenanlage, die als Treppe (gradus) bezeichnet wurde, was sich im Namen des Städtchens Grado wiederfindet. Doch sonst ist in Relation zur ehemaligen Größe nur noch wenig an Überresten aus der römischen Zeit vorhanden. Wahrscheinlich schlummert noch Einiges unentdeckt unter der Erde.

Aquileia gelang es in den ersten Jahrhunderten n. Chr. immer wieder, aus dem Norden eindringende germanische Stämme (darunter Markomannen und Westgoten unter Alarich) abzuwehren, bis schließlich die Hunnen unter ihrem König Attila im Jahr 452 die Stadt eroberten und erstmals verwüsteten. Danach fanden sich Ostgoten (489) unter Theoderich (dem Dietrich von Bern aus den deutschen Heldensagen) und – mit endgültiger Zerstörung – die Langobarden (568) ein. Von den Überlebenden fanden viele auf der Laguneninsel Grado Zuflucht.

Das Christentum fasste hier einer Legende nach durch eine Mission des Evangelisten Markus im Auftrag von Simon Petrus Fuß. Die Patriarchen von Aquileia standen in der Rangordnung unmittelbar hinter dem Papst in Rom. 83 Bischöfe im Patriarchenrang hatten hier oder – in unsicheren Zeiten – in Grado ihren Sitz, bis das Patriarchat 1751 aufgelöst wurde.

Die gut erhaltene Basilika wurde vom Patriarchen Poppo (Popone), der aus Niedersachsen stammte, im 11. Jahrhundert über den Resten einer aus dem 4. Jahrhundert stammenden Kirche erbaut, angeblich nach dem Vorbild der Michaelskirche in Hildesheim. 1348 wurde die Basilika nach einem Erdbeben teilweise gotisch erneuert. 1421 fiel Aquileia an Venedig und zu Beginn des 16. Jahrhunderts an die Habsburger.

Während der Aufbruchszeit des Tourismus in Grado um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert entschloss man sich auch zu einer gründlichen Renovierung der Basilika. 1909 wurde hier der kostbare römische Mosaikfußboden freigelegt.

Kaiser Franz Joseph spendete einen erheblichen Betrag aus seiner Privatschatulle für die Orgel. Für die Fundstücke aus der Antike wurde ein archäologisches Museum gegründet, das 1882 von einem Bruder des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig, eröffnet wurde.

Mosaikböden in der Basilika von Aquileia (2008)

Wieder wenige Kilometer nach Aquileia in Richtung Süden taucht die Lagune auf, die Grado, das auf einem Lido liegt, vom Festland trennt. Grado ist im Gegensatz zu anderen Badeorten an der oberen Adria auch ein historisch bedeutsamer Ort. Das 9000-Einwohner-Städtchen hebt sich von diesen durch sein Flair, seine Traditionen, ja sogar seine Sprache wohltuend ab.

Man erreicht Grado von Norden her ohne Boot erst seit 1937 über einen rund fünf Kilometer langen Straßendamm, der die Lagune durchschneidet. Zwar gab es einen Damm aus Schüttmaterial aus der Lagune schon im 19. Jahrhundert, dieser war aber durch Hochwässer häufig unbrauchbar. Vor dessen Befestigung für den Auto- und neuerdings auch Radfahrverkehr musste man von der Bahnendstation in Belvedere, wo schon der heilige Markus das friulanische Festland betreten haben soll, auf Fährboote umsteigen. Erst 2008 wurden die Gleise dieser alten Bahnlinie aus dem Boden gerissen. Von Triest her konnte man direkt nach Grado anreisen: Ab 1912 verkehrten in der Hochsaison nicht weniger als drei Dampferverbindungen täglich. Auch heute gibt es im Sommer wieder einen bescheidenen Linienverkehr für Touristen auf dieser Strecke.

Grado bot in unruhigen Zeiten Schutz vor Eroberern, in ruhigen Zeiten Erholung an seinem langen, flachen Sandstrand: Das war schon zur Blütezeit Aquileias und danach im Sturm der Hunnen, Goten, Langobarden und Awaren so. 568 floh der Patriarch von Aquileia vor den Langobarden mit dem Kirchenschatz nach Grado. Die spärlichen Reste einer Kirche auf der Piazza Marin weisen bis ins 4. Jahrhundert zurück, also in die Zeit, bevor Aquileia von den Hunnen und Langobarden zerstört wurde. Später, im 6. Jahrhundert, entstand an derselben Stelle eine dreischiffige Basilika, von der allerdings ebenfalls nur Grundmauerreste erhalten, aber seit wenigen Jahren vorbildlich freigelegt sind.

606 kam es zu einer Spaltung in der Diözese von Aquileia und zur Einrichtung eines eigenen Patriarchats in Grado, das unter byzantinischen Einfluss geraten war. Im 12. Jahrhundert wurde das römisch-katholische Patriarchat von Grado nach Venedig verlegt, wo es bis 1451 aufrecht blieb und dann durch ein eigenständiges venezianisches ersetzt wurde. Grado war also - zumindest kirchengeschichtlich – die „Mutter“ Venedigs. Unter der Ägide des Patriarchen von Grado wurde schließlich 697 auch der erste Doge von Venedig gewählt.

Die Basilika des Gradeser Patriarchats, Santa Eufemia, ist gut erhalten und auch heute Zentrum des Städtchens. Sie wurde ebenfalls im 6. Jahrhundert über einem Vorgängerbau aus dem 4. bis 5. Jahrhundert errichtet. Den Glockenturm krönt eine Statue des Erzengels Michael, der „Anzolo“ (angelo), der sich mit dem Wind dreht und den erfahrenen Gradesern sagt, wie das Wetter werden wird.


Der Anzolo zeigt das Wetter an (2010)

Das Baptisterium stammt aus dem 5. Jahrhundert. Fast nebenan steht eine weitere Kirche: Santa Maria delle Grazie aus dem 5. bis 6. Jahrhundert. Mitten in der Lagune ragt der Turm der Wallfahrtskirche Santa Maria di Barbana auf, die 582 gegründet wurde, aber mit pseudobyzantinischem Inneren aus 1925 aufwartet.

Als Seebad war Grado schon in römischer Zeit beliebt. Nach den Jahren des Patriarchats und bevor gegen Ende des 19. Jahrhunderts der moderne Tourismus einsetzte, war Grado vor allem Fischerdorf, ziemlich abgeschieden vom Rest der Welt, ohne Brunnen, mit Trinkwasser aus Tümpeln, aus welchen die Malaria kroch, mit einem eigenen Dialekt, den manche sogar für eine eigenständige Sprache halten. Die Abgeschiedenheit und Selbstständigkeit verhinderten, dass die alten Traditionen vom modernen Tourismusgetriebe verschüttet wurden. Das alte Fischerlied von der „Madonnina del Mare“ lebt beispielweise fort und ist ein unvergessliches Erlebnis, wenn es der Männerchor nach den Heiligen Messen in der Basilika anstimmt und alle mitsingen.

Auch die Tradition der Lagunenfischerei lebt fort und verzeichnet sogar wieder einen Aufschwung. Es gibt angeblich noch rund 200 Fischer mit rund 100 Booten. Die Casoni, die Fischerhütten in der Lagune, sind allerdings seit wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnt, allenfalls Ziel für Ausflugsfahrten von Touristen. Die Einführung von „Schonzeiten“ bewirkte, dass sich der Fisch- und „Meeresfrüchte“-Bestand nach der Beinahe-Ausrottung wieder erholte. Die Zucht in Aquakulturen verbreitet sich ebenfalls. Die Mitglieder vieler Fischerfamilien arbeiten heute auch in den Tourismusbetrieben – wenn gerade Saison ist. In der Hochsaison sind in den winkeligen Gassen Lokale aller Kategorien zu finden, gut besucht von Touristen, die überlegen, ob sie teuren Fisch oder billige Calamari oder gar Pasta oder Pizza bestellen sollen. Ortskundige wählen „Boreto“, den speziellen Gradeser Fisch-Eintopf, eine Variation des besser bekannten „Brodetto“.

Casoni in der Lagune von Marano (1987)

Nach Jahrhunderten der Stille tauchte Grado während der napoleonischen Kriege wieder in der Geschichte auf. Franzosen und Engländer lieferten sich vor der Küste Gefechte und beim Beschuss des Städtchens gingen wertvolle historische Dokumente verloren. Nach der Teilung des Friaul 1866 verblieb Grado als westlichstes adriatisches Küstenstädtchen bei Österreich. Der Florentiner Arzt Dr. Giuseppe Barellai wurde 1873 von Görzer Ärzten nach Grado eingeladen und er spielte in der Folge bei der Entdeckung der Heilwirkungen der Luft, des Sandes und des Meerwassers eine wichtige Rolle. Von da an ging es steil bergauf: 1883 entstand in Grado eine Kuranstalt und 1892 wurde es durch ein Dekret Kaiser Franz Josephs offiziell Kurort.

Aber für größere Touristenströme fehlte noch etwas: Trinkwasser. Gegen Ende des Jahrhunderts setzte jemand seine Idee durch, auf dem Lido nach Wasser zu bohren, aber ohne sofortigen Erfolg – zum Gespött der Skeptiker. „…Da entschloss man sich zu einem letzten verzweifelten Versuch und mitten in der Nacht – vom 3. zum 4. April im Jahre des Heils 1900 – schoss plötzlich mit Brausen und Gepolter, Schlamm, Sand und Schotter schleudernd, ein mächtiger Wasserstrahl aus der ungeheuren Tiefe von 217 m.“ (Aus einem Reiseführer von 1907).

Ein Jugendstil-Plakat mit dem Titel „Seebad Grado – Österreichisches Küstenland“ des Wiener Sezessionsmalers Josef Maria Auchentaller trug 1906 wesentlich zur Wahrnehmung von Grado als mondänes Seebad der Monarchie bei. Damals gab es erst einige wenige Unterkünfte, darunter die heute wieder renovierten Ville Bianchi oder das Hotel der Brüder Fonzari. Schräg gegenüber, direkt am Ufer, errichtete Auchentallers Frau Emma auf den Ruinen eines napoleonischen Forts ihre Pension „Fortino“. Das Gebäude täuschte vom Meer her die Silhouette eines Schiffes vor. Daher wählte Egyd Gstättner für seinen biografischen Roman, in dem er erzählt, warum Josef Maria Auchentaller nicht so berühmt wie Gustav Klimt wurde, den Titel „Das Geisterschiff“. An der betreffenden Stelle steht heute eine Wohnanlage, die nur entfernt an das „Geisterschiff“ erinnern kann, weil die Engländer ihre Radaranlage, die sie im Zweiten Weltkrieg hier installiert hatten, vor ihrem Abzug sprengten.

Schon rund dreißig Jahre vorher mussten die Auchentallers und mit ihnen die Österreicher von Grado miterleben, wie ihr Badeparadies verloren ging. Im Mai 1915 landete auf der kleinen Laguneninsel Porto Buso die italienische Kriegsmarine. Zwei Jahre später wurde Grado „rückerobert“ und im November 1917 statteten Kaiser Karl und Kaiserin Zita Grado noch einen Besuch ab. Im Friedensvertrag von Saint Germain wurde Grado 1919 – ebenso wie das gesamte östliche Friaul und Triest – Italien zugesprochen. Die Jahrhunderte währende Hegemonie der Habsburger war zu Ende.

Die Adria entlang von Görz bis Bar

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