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Von Grado nach Triest

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Von Grado ostwärts überqueren wir bald auf einer Brücke einen Meeresarm, den man nicht mit dem Fluss Isonzo verwechseln darf – der kommt erst später. Die Landschaft ist hier wenig spektakulär, war aber Schauplatz für unheimliche, geradezu unfassbare Geschichten, die viel vom Leid und wenig vom Glück der Bewohner erzählen. Auf welchem der europäischen Schlachtfelder wurde so oft und erbittert gekämpft wie hier? Römer gegen Illyrer, Hunnen, Goten und Langobarden gegen Aquileia, Patriarchen von Aquileia gegen Grafen von Görz, Venezianer und später Italiener gegen Österreicher, Deutsche gegen Partisanen, mit Millionen von Opfern, an welche lautstarke Patrioten- und Heldendenkmäler neben leisen Gedenkstätten erinnern. Jeder dieser brutalen Kämpfe – einer zu viel!

Kurz vor Monfalcone stoßen wir auf die lange Brücke über den Isonzo, den „Schicksalsfluss“, der mitten durch die ehemaligen Schlachtfelder aus dem Norden, wo er slowenisch Soča heißt, herunter fließt, hier sanft seiner Mündung ins Meer entgegen, durch ein Naturschutzgebiet mit über 300 Vogelarten, zahlreichen Wildarten und sogar Wildpferden aus der Camargue.

Monfalcone ist heute ein Industriestädtchen mit knapp 30.000 Einwohnern und wird in Reiseführern nur am Rande erwähnt. Die Geschichte weiß aber Wichtiges zu vermelden: Hier standen einander im Jahr 489 der germanische Söldnerführer Odoaker, nachdem er 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt und sich selbst zum Herrscher über Rom erklärt hatte, und der dem oströmischen Kaiser in Konstantinopel ergebene Ostgotenkönig Theoderich gegenüber. Sie schlugen eine dieser blutigen Schlachten, die sich bis ins 20. Jahrhundert so oft wiederholen sollten. Theoderich soll an einer strategisch wichtigen Stelle einen Turm, den „Falkenturm“ errichtet haben. Vom Falken, italienisch falcone, leiten sich daher der Name Monfalcone und seine deutsche Version Falkenstein ab.

Monfalcone war auch einmal für seine Schwefeltherme berühmt. Schon in der Antike stand an ihrer Stelle ein Tempel, in welchem die Geheilten Dankopfer darbrachten. Plinius nennt das Wasser „aqua dei et vitae“, das Wasser Gottes und des Lebens. Erst im 15. Jahrhundert wurde die Quelle wiederentdeckt und 1840 wurde ein Badehaus errichtet, dessen Betrieb später die Fürsten Thurn und Taxis vom nahe gelegenen Schloss Duino übernahmen.

Die römische Schwefeltherme (2009 in Renovierung)

1908 gründeten die Brüder Cosulich hier in der nördlichsten Bucht des ganzen Mittelmeers, eine Schiffswerft und belieferten die Austro-Americana-Frachtschiffgesellschaft, ein Unternehmen der Spediteurfamilie Schenker. Heute gehört die Werft zum Fincantieri-Konzern, der große Kreuzfahrtschiffe baut, zum Beispiel für die englische Princess Line oder für die Luxusreederei Silversea Cruises. Man kann die Aufbauten, wenn sie schon ausreichend gewachsen sind, vom Strand von Grado aus in der Ferne sehen und mancher Badegast glaubt, ein Kreuzfahrtschiff habe gerade angelegt und wundert sich vielleicht, wieso gerade dort.

Von Monfalcone landeinwärts, Richtung Görz, liegen makabre Schauplätze des Ersten Weltkriegs. Es war Monfalcone, von wo aus italienische Truppen im Sommer 1916 gegen Görz, dem durch Kanonenbeschuss bereits halb zerstörten „österreichischen Nizza“, vorrückten und es in der sechsten der insgesamt zwölf Isonzoschlachten eroberten. Allein diese eine Schlacht kostete fast 100.000 Soldaten das Leben.

In der zwölften und letzten dieser irrsinnigen Schlachtenfolge gelang mit Unterstützung deutscher Truppen und dem Einsatz von Giftgas die Rückeroberung. Die Opferbilanz der Isonzofront 1915-1917 umfasst mehr als eine Million Tote und ungezählte Vermisste und Verwundete. Als es 1918 zu Ende ging, standen die Österreicher und Deutschen weit drinnen in Venezien am Fluss Piave. In den späten Oktobertagen 1918 gewannen die Italiener eine letzte Schlacht gegen die ausgelaugten, fast schon kampfunfähigen Truppen der Mittelmächte nahe jenem Städtchen, das sich seither in Würdigung dieses Sieges Vittorio Veneto nennen darf. Das Küstenland samt Triest und halb Istrien mit seiner slowenischen und kroatischen Bevölkerungsmehrheit wurde wenige Monate später in Saint Germain Italien angegliedert.

Im September 1919, als manche meinten, der Eroberungsdrang sei nun endlich gestillt und die Landgewinne die hunderttausenden Opfer auf beiden Seiten vielleicht gar nicht wert gewesen, zog der Dichter Gabriele d’Annunzio mit einer Handvoll freiwilliger Legionäre, vom Flugfeld Ronchi gegen Osten und besetzte Fiume (Rijeka) für Italien. Dort führte er ein paar Monate das vor, was sich Benito Mussolini wenige Jahre später zum Vorbild nahm und von Rom aus über ganz Italien ausbreitete: eine faschistische Diktatur. In Erinnerung an den Handstreich d‘Annunzios heißt der Ort, der heute auch den Flughafen von Triest auf seinem Terrain hat, Ronchi dei Legionari. Mussolini ließ später, 1938, nebenan in Redipuglia eine monumentale Denkmalanlage für diese und andere Heldentaten bauen.

Das alles liegt hier eng beisammen, von Monfalcone nur wenige Kilometer landeinwärts, ebenso wie der See von Doberdò, ein sogenanntes intermittierendes Gewässer, das von unterirdischen Karstflüssen gespeist wird und seinen Wasserstand je nach Niederschlagsmengen um mehrere Meter ändert. Bei Sprengungen im Ersten Weltkrieg dürfte jedoch der Felsboden durch die Erschütterungen Risse bekommen haben und seither ist diese „Hydraulik“ gestört.

Östlich, an der Küste entlang, bald nach dem Stadtrand von Monfalcone, findet man, ein wenig im Auwald versteckt, ein anderes Naturphänomen: die „Quelle“ des Flusses Timavo, der von Škocjan in Slowenien 35 Kilometer unterirdisch durch das Karstgebiet fließt, hier ans Tageslicht stößt und wenig später ins Meer mündet. Nach dem römischen Dichter Vergil sollen hier die Argonauten des Jason und später die Gefährten des Aeneas nach ihrer Flucht aus Troja gelandet sein. Die Römer erbauten hier Häfen und Anlegestellen. Einem alten Chorbuch zufolge sollen in einer kleinen Kapelle Reliquien des Heiligen Johannes des Täufers und des Apostels Johannes des Evangelisten sowie einiger Märtyrer aufbewahrt worden sein. Über diese Kapelle gibt es schon Hinweise aus dem Jahr 113 n. Chr. In der Völkerwanderungszeit wurde die inzwischen zu einer Kirche ausgebaute Kapelle zerstört, aber im 12. Jahrhundert wieder errichtet. Die heute hier anzutreffende gotische Kirche, San Giovanni Battista oder San Giovanni del Timavo oder San Giovanni di Duino oder San Giovanni in Tuba genannt, wurde im Ersten Weltkrieg zerstört und danach abermals neu aufgebaut. Nur der Glockenturm soll noch aus dem 17. Jahrhundert stammen.


San Giovanni al Timavo (2009)

In der Antike soll der neben der Kirche zutage tretende Timavus neun Arme gehabt haben und zuerst in einen See, den Lacus Timavi, geflossen sein, von dem aus dann ein Abfluss ins Meer führte. Später versumpfte das Gelände, die Malaria breitete sich aus und alles geriet über viele Jahrhunderte in Vergessenheit.

Östlich der Quelle des Timavo wird von der Staatstraße aus ein Denkmal für eine Episode der zehnten Isonzoschlacht sichtbar: Zwei heulende Wölfe, die „Lupi di Toscana“, erinnern daran, dass hier die Angreifer, darunter die Brigade Toscana, in der übrigens der Schriftsteller Gabriele d’Annunzio Verbindungsoffizier war, nach Überschreiten des Timavo zurückgeschlagen wurden. Ursprünglich stand hier noch ein dritter Wolf, der sterbend den Adler der Donaumonarchie in seinen Klauen hielt.

Unterhalb dieser Gedenkstätte führt eine Art Lehrpfad zu den Resten jener Stellungen, die in der Nähe am Fuß des Monte Ermada, den südlichsten Abschnitt der ehemaligen Isonzofront markieren. Richtung Duino liegt eine der vielen Karsthöhlen. Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. wurde hier der Gott Mitras verehrt. Eine Steintafel, die Mitras darstellt, wie er einen Stier tötet, erinnert daran.

Unmittelbar an der Küste liegt ein altes Fischerdorf, das Villaggio del Pescatore, bzw. das, was nach dem Niedergang des Fischfangs davon übriggeblieben ist. Anstatt Fischen werden heute hier Segeltouristen „gefangen“: Eine riesige Marina bringt in der Saison wieder Leben in das sonst ausgestorben wirkende Villaggio. Gelegentlich tauchen auch im östlich angrenzenden Steinbruch ein paar Touristen auf, um sich dort über bemerkenswerte Saurierfunde belehren zu lassen.

Für Wanderer mag die Information interessant sein, dass der Alpe-Adria-Trail, ein Weitwanderweg, der am Großglockner beginnt, hier erstmals die Meeresküste erreicht und dann oberhalb des Ufers durch die Karstwälder um Triest herum bis Muggia führt. Der Wanderweg führt vom Villaggio del Pescatore direkt auf das Schloss von Duino zu. Es ist seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Fürsten Thurn und Taxis (Torre e Tasso). 1911/12 war hier Rainer Maria Rilke Gast der Fürstin Marie von Thurn und Taxis, geborene Hohenlohe. Die Duineser Elegien entstanden großteils hier, bevor sie in München fertig wurden: „…Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören…“ Diese Verse entstanden am Vorabend des großen Völkermordes auf einer Terrasse des Schlosses Duino, von der aus die Aussicht über Küste und Meer atemberaubend ist. Auch Dante soll hier gewesen sein, einer der Felsen trägt noch heute seinen Namen. Und nicht zu vergessen: die „Dama bianca“, die sich vom Felsen der alten aus dem 11. Jahrhundert stammenden Burg ins Meer gestürzt haben und bei dieser Gelegenheit versteinert worden sein soll.


Das Schloss Duino im Herbstnebel (2015)

Ein etwa halbstündiger Abschnitt des Alpe-Adria-Trails ist der Sentiero Rilke, der Rilke-Weg von Duino nach Sistiana, einem der vornehmen Badeorte, allerdings nicht heute, sondern damals in österreichischer Zeit. Vom ehemaligen „Prinz Alexander von Thurn und Taxis’schen Seebad Sistiana“ ist nur eine Ruine übrig. Ein kleines Stück weiter Richtung Triest wurde allerdings eine Art Disneyland aus den felsigen Hängen geschlagen, ein Jachthafen mit Hotel, Kongresszentrum, Restaurants, Boutiquen und vielen luxuriösen Wohneinheiten: der Portopiccolo: ein künstliches „Fischerdorf“, das mediterranen Lebensstil suggerieren soll.

Landeinwärts liegt Aurisina mit seinen Steinbrüchen, aus welchen schon das Baumaterial für das römische Aquileia kam, später auch für die Wiener Ringstraße, heute für die ganze Welt. Bevor die Südbahn nach Triest „hinunter“ weitergebaut wurde, war hier Endstation. An der Küste, ungefähr dort, wo sich die Bahntrasse Richtung Triest und Monfalcone verzweigt, steht weithin sichtbar ein Turm, der Torre Piezometrica, ein Wasserturm, der im Jahr 1929 als Station einer Wasserleitung vom Timavo nach Triest gebaut wurde.

Eines der Dörfer im Karst trägt den Namen Prosecco. Und der hat tatsächlich mit dem heute so beliebten Schaumwein aus dem Veneto zu tun: Von hier gelangte die sogenannte Glera-Traube in das Weingebiet von Valdobbiadene. Aber damit der Prosecco aus Prosecco auch Prosecco heißen darf, hat man das offizielle Anbaugebiet des Prosecco vom Veneto über das Friaul bis hierher erweitert, mit dem Vorteil, dass für die inzwischen gut eingeführte Marke mehr Angebot vorhanden ist. Mit dem Tocajer ging das nicht so einfach: Durch die Heirat einer Görzerin mit einem Grafen Batthiany gelangte die Traube nach Ungarn und heute darf sich nur der ungarische Tokajer so nennen, außer er wird im Collio selbst verkauft. Hier hat man ihn inzwischen in Friulano umgetauft, um etwaigen Querelen zu entgehen.

Etwas oberhalb von Prosecco stößt man auf ein weiteres Geheimnis des Karst: die wahrscheinlich größte begehbare Höhle der Welt: die Grotta Gigante. Der Wein, der darüber und in der Umgebung der einst slowenisch besiedelten Dörfer Prepotto, Sgonico und Monrupino wächst, ist ein säuerlicher, aber charaktervoller Roter: der Terrano, der zur Sorte Refosco zählt. Wer ihn samt deftigen Speisen verkosten möchte, suche eine geöffnete Osmizza auf, eines jener Ausschanklokale, die nach der slowenischen Zahl osem (acht) benannt sind. Denn für acht Tage im Jahr genehmigte Kaiser Josef II. seinerzeit, 1874 – übrigens ebenso wie für die Weinhauer in und um Wien – den Ausschank der hauseigenen Weine.

Das Meer vor der steil abfallenden Küste war einst auch ein Dorado für den Fischfang. Gefangen wurden je nach Jahreszeit die blauen (Sardinen, Makrelen) und die roten Fische (Tunfisch). Wenn zwischen August und Oktober die Tunfischschwärme auftauchten und mit lautem „abauta“ (Alarm) „begrüßt“ wurden, eilten alle Bewohner der Fischerdörfer, soweit sie laufen konnten, über steile Pfade hinunter ans Ufer und halfen beim Einholen der prall gefüllten Netze. Das ging bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Dann war es vorbei. Die Tunfische wurden nun von Fangflotten draußen auf dem Meer abgefangen, bevor sie in Küstennähe kamen. Heute blickt man von den Klippen hinunter auf ausgedehnte Zuchtfarmen: Der Fischfang mutierte vom Abenteuer zur industriellen Produktion.

Was geschah mit den Fischen? Sie kamen zum Beispiel auf den Fischmarkt von Triest. Von dort konnten sie mit der „neuen“ (ab 1857) Bahnverbindung „rasch“ nach Wien transportiert werden, wo zumindest eine Familie aus dem Küstenland ein eigenes Fischgeschäft betrieb. Oder sie wurden vor Ort verarbeitet, zum Beispiel von einem Wiener in Duino, der dort 1867 die erste Sardinenfabrik an der Adria gründete.

Wenn man von den Klippen der Fischerdörfer hinunter blickt, taucht an einem Ufervorsprung ein Märchenschloss auf: Miramar. Der Name war ursprünglich spanisch und wurde erst später zu Miramare italianisiert. Erzherzog Ferdinand Maximilian, jüngerer Bruder des Kaisers Franz Joseph, ließ es ab 1856 erbauen und einen Park anlegen, für den Felsen gesprengt und Erde aus Kärnten und Steiermark herangekarrt werden mussten. Die exotischen Pflanzen dafür brachte der Erzherzog zum Teil selbst von seiner Weltreise auf der Fregatte Novara mit.


Das Schloss Miramar (2009)

Das Schloss war noch nicht fertig, als Ferdinand Maximilian 1863 den Beteuerungen einer mexikanischen Delegation glaubte, dass sich das mexikanische Volk ihn, ausgerechnet ihn, als Kaiser wünsche. 1867 war das Abenteuer zu Ende: Tod durch Erschießung im mexikanischen Querétaro. Gerüchte besagen, dass ihn sein Gegenspieler und Freimaurerbruder, der von den USA unterstützte Republikaner Benito Juarez, unter falschem Namen – offizielle Flucht war nicht standesgemäß – entkommen ließ. Offiziell – und ziemlich sicher – brachte die Novara unter dem Kommando des nach der erfolgreichen Seeschlacht von Lissa (1866) zum Vizeadmiral ernannten Wilhelm von Tegetthoff den Leichnam von Mexiko nach Triest zurück.

Über Jahrzehnte sah Kaiser Maximilian von seinem majestätischen steinernen Denkmal im Park von Miramar auf ein Blumenbeet herab, welches jeden Tag in der Form des aktuellen Datums ausgepflanzt wurde. Das Standbild war 1874 zuerst auf der Piazza Giuseppina gegenüber dem Molo Giuseppina, schräg gegenüber der Fischmarkthalle in Triest aufgestellt worden. Nach der Übernahme Triests durch Italien war es aber offenbar unerträglich, dass ein Habsburger auf Volk und Hafen herabblickte. Nach seinem jahrzehntelangen „Exil“ im Park von Miramar wurde das Monument 2008 wieder auf seinen ursprünglichen Standort zurückgebracht, der nun den Namen Piazza Venezia führt.

Die Adria entlang von Görz bis Bar

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