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II
Andy

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Wenige Augenblicke später fliegt unsere Kutsche wieder auf den engen Wegen weit über das Land dahin, gezogen von drei trabenden Schimmeln, die es mehr denn je eilig zu haben scheinen, die legendäre Stadt zu erreichen.

Der smaragdgrüne Drache trägt den Hauptmann neben dem Planwagen her – immer ein Auge frei für die Gefangenen. Und auch unsere Pferde, der Drache Clip und die Einhörner werden nun heftig angetrieben, das restliche Stück des Weges in kürzester Zeit zurückzulegen.

Piper sitzt neben mir und notiert etwas in das Buch, das ich ihr gab. Ich lehne mich bei ihr an und genieße ihre Nähe. Gleichzeitig versuche ich, alles um mich herum im Auge zu behalten.

Die Kutsche verlässt die Bergkette, und die Karawane begleitet uns in einem unermüdlichen und nie enden wollenden Trab.

„Am Abend erreichen wir die Stadt“, sagt mir der Hauptmann, als er bemerkt, dass ich ihn beobachte. Ich gebe die Nachricht sofort ins Innere des Wagens weiter.

Wiesen und Wälder fliegen an mir vorüber, während ich die Dämmerung und mit ihr die hoch aufragenden Mauern von Dracgstadt erwarte.

Clip protestiert mit einem vogelartigen Schrei, und Robins Anspannung kehrt sofort zurück. Ich sehe seinen Zügen an, dass er mit den Zähnen knirscht. Der Blick, den er mir zuwirft, ist kühl, aber ich lasse ihm die Zeit, die er braucht. Für den Moment bin ich stolz darauf, dass er überhaupt über seinen Schatten springen und nachgeben konnte.

Piper klappt das Buch zu und legt den Arm um mich. Wir sehen nach draußen, auf Luna und die Soldaten, während sich die Sonne immer mehr zum Horizont neigt. Es ist dieselbe wie in unserer Welt, und in ihrem Abendlicht ziehen wir einen langen Schatten hinter uns her.

Wir durchqueren eine Senke von gelbem, trockenem Gras, das mich an die Steppe daheim erinnert, die Prärie von Texas. Und mit ihr kehrt der Gedanke an die Ranch und meine Pferde, an meinen Vater, meine Cousine und Tante und an meine einsame Mutter zurück, die noch immer um ihre Tochter trauert. Alles was wir tun können, ist, ihr nicht noch mehr zu nehmen. Ich muss besser auf Robin aufpassen.

Der Blick, mit dem er jetzt nach draußen sieht, ist weicher geworden, fast melancholisch. Wahrscheinlich denkt auch er an zu Hause. Er zeigt es niemandem, doch wenn ich ihn anschaue, fühle ich es. Es ist das Blut, das uns beide verbindet. Und ich kann verstehen, was er denkt.

Um uns herum sehe ich viele Drachen vorbeiziehen. Solche, die auf Feldern arbeiten, vor einfache Pflüge oder Eggen gespannt. Drachen, die ihre Besitzer auf dem Rücken tragen und hoch über den Wiesen ihre Bahnen ziehen. Kontrollflüge, denke ich automatisch.

Einige Drachen stehen aber auch ruhig in Ställen, aus denen sie herausschauen und uns nachblicken. Wir passieren viele kleine Orte, Dörfer, aber auch einzeln verstreute Bauernhöfe – alle von Armut gezeichnet, die Einfachheit selbst. Gegerbt von Wetter, Krankheit und Entbehrung. Vom Krieg.

Unsere Reise ist von immer wiederkehrenden Bildern geprägt. Familien mit vielen kleinen Kindern. Junge, misstrauische Mütter, die uns furchtsam hinterher sehen. Hart arbeitende Väter, selbst erfahren von der kalten Grausamkeit der Schlacht. Manchmal gar keine Väter. Und niemals ältere Söhne, keine jungen Männer.

In meinem Kopf spielen sich Schicksale ab, die vielleicht auch mich und Robin erwartet hätten, wären wir hier geboren worden. Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Es wird dunkel und kühl auf unserer Reise. Mich überläuft ein Schauer, wenn ich in die Augen dieser Menschen blicke. Sie strahlen so viel Kälte aus, dass man friert. Kälte und Leere. Und Härte, die man sie lehrte.

Sie alle sehen uns nach, als würden sie uns bedauern. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl, was uns erwartet.

Ich schaue nach Piper. Sie ist an meiner Schulter eingeschlafen, ruhiger diesmal. Ich küsse sie auf die Augenlider. Sie ist ein wahrhaftiger Engel, mehr als mir irgendetwas sonst bedeutet. Ich werde alles tun, um sie zu schützen. Um keinen Preis werde ich sie verlieren. Eher würde ich mein Leben für sie geben, auch wenn ich es nicht ertragen könnte, sie allein in dieser Welt zurückzulassen, schutzlos allen dunklen Abgründen ausgeliefert, all den Schrecken und finsteren Mächten. Eine unheimliche Ahnung sagt mir, dass wir noch längst nicht alles gesehen haben.

Draußen setzt langsam die Dämmerung ein, wir müssen bald da sein. Die Soldaten lassen ihre Drachen beschleunigen. Auch die Pferde vor unserer Kutsche scheinen die Nähe der Stadt zu spüren und sich nach ihrem Stall zu sehnen.

Die letzte Stunde unserer Reise verläuft schweigsam. Unsere Begleiter trotten ernst neben dem Wagen her und ich starre hinaus in die Ferne des Landes. Eine aufkommende Brise verrät mir, dass wir uns dem Meer nähern: Ein seichter, salziger Wind. Und tatsächlich taucht nach wenigen Meilen die See vor uns auf. Dann sehe ich auch den Strand; feiner weißer Sand, der sich eng an die Pflasterstraße herandrängt. Links und rechts von uns liegen felsendurchsetzte Dünen, auf der einen Seite im Meer verschwindend, auf der anderen an eine steile Felswand aus Sandstein grenzend. Unendlich hoch ragt sie neben uns auf, wie die kompromisslosen Mauern, die Dracgstadt umschließen – undurchdringlich, unüberwindbar und für niemanden zu passieren, wenn die Stadt es nicht will.

Auch die Natur in dieser Gegend scheint wenig erschlossen, lediglich das Stück des felsigen Strandes hat sie den Menschen abgetreten, um darauf die Hauptstadt ihres Landes zu errichten. Danach folgt die Wildnis. Die Menschen hier sind in ihren Mauern eingesperrt. Und wir vielleicht auch bald.

Majestätisch und mächtig thront sie vor uns, die kalte Festung des Königs. Kalt wie das Land, wachsam, drohend. Beim Anblick der bewehrten Türme stellen sich mir die Nackenhaare auf.

Im Zentrum von Dracgstadt ragt die Burg des Herrschers auf. Aus grob gehauenem Sandstein erbaut, scheint sie das älteste Stück der Hauptstadt zu sein. In ihren Herzen thront der Bergfried. Hinter den Schießscharten vermute ich Soldaten, genau wie auf den Ecktürmen des Walls – dort kann ich sie sogar gut erkennen. Es gibt keine Kuppeln, sondern nur eine flache Landefläche, die mit dunkelgrün oder blau schimmernden Drachen besetzt ist. Dazu wiederum Soldaten, mit Armbrüsten, Katapulten und Fahnen, die die Abstammung des Königsgeschlechts zeigen. An den Masten weht ein blutroter Drache, in einem Wappen, das zur Hälfte violett, zur Hälfte smaragdgrün gefärbt ist. Der Farbton des Wappentiers entspricht wohl der Moral der Soldaten, denke ich zynisch, doch dann werde ich mir der nahenden Tore bewusst. Aufgebracht, aber vorsichtig, wecke ich Piper, indem ich leise mit ihr rede und sie streichele. Eine Sekunde lässt sie mich ihren verschlafenen Blick genießen, dann schreckt sie hoch und reißt die Augen auf.

„Bin ich eingeschlafen?“ Verwirrt sieht sie sich im Wagen um. Die anderen sind noch da, und es geht ihnen gut. Das scheint sie zu beruhigen.

„Wir sind fast da“, sage ich und ziehe den Vorhang noch ein Stück weiter zurück. „Jetzt fahren wir fast schon einen ganzen Tag …“

„Ein ganzer Tag, der uns fehlt und den Vampiren mehr Vorsprung gibt.“

„Daran können wir nichts mehr ändern. Alles, was uns bleibt, ist der Versuch, sie einzuholen. Aber mit jeder Nacht, die sie uns voraushaben, wird das unwahrscheinlicher …“

„Wir kennen ja nicht einmal den genauen Weg“, murmelt Piper.

Nun drängen sich auch die anderen wieder dicht um den Eingang der Kutsche. Die Silhouette der mysteriösen Stadt – jetzt nur noch in geringer Ferne – beeindruckt uns alle. Sie ist zumindest von außen so trostlos, wie das Land es verspricht, und wir sind gespannt, wie sie aus der Nähe aussieht. Ich hoffe das Beste, aber erwarte das Schlimmste.

Die Pflasterstraße begleitet uns weiter, bis in die Hauptstadt hinein. Und auch der feine Sand folgt ihr; in den Ritzen zwischen den runden Steinen wird er vom Wind hin und her geweht und kommt auf ihr und neben ihr in kleinen Dünen zum Liegen. Es sieht aus, als würde die Natur versuchen, die Stadt zurückzuerobern.

Wir passieren das erste Tor. Links und rechts davon stehen Wachposten mit Drachen, die Clip und den Pferden missmutig entgegenschnauben. Und auch auf dem Tor thront ein Drache aus Obsidian, der uns mit seiner steinernen Klaue droht.

Danach folgen ein breiter Wassergraben und darüber eine befestigte Holzbrücke, die an zwei starken Ketten in wenigen Augenblicken hochgezogen werden kann. Dann wieder ein Tor in einer Mauer. Danach noch ein Graben. Und wieder ein Tor. Die halbe Stadt ist von drei Wällen mit unzähligen Wachtürmen und zwei Gräben umgeben. Die andere Hälfte grenzt an die Felswand. Ich sehe nach oben, um herauszufinden, wie weit es dort hinaufgeht. Gleichzeitig erwäge ich mögliche Fluchtoptionen. Doch die Felsen scheinen bis in den Himmel zu ragen. Dort hoch kommt man wirklich nur mit Drachen. Mit den Mitteln, die die Völker hier haben müssen, erscheint mir die Stadt uneinnehmbar. Wir müssen einen anderen Weg finden, um hier rauszukommen.

Die Seeseite von Dracgstadt formt ein weites Hafenbecken; gleich daneben dehnt sich ein Markt aus, wo die Waren verladen werden. Das Salzwasser lässt man durch rostige Eisentore in der Mauer ein, durch welche auch die Schiffe in den Hafen kommen und ihn nach abgeschlossenem Handel wieder verlassen. Selbst das Hafenbecken ist also ummauert …

Piper zeigt auf einen gewaltigen Leuchtturm, der sich draußen vor der Küste aus dem Meer erhebt. Er ist wie alle Häuser der Stadt aus den runden Steinen aufeinandergeschichtet, die das Meer bearbeitet hat. Auf der Dachplattform entfacht ein Drachenreiter ein Leuchtfeuer, indem er sein kräftiges Reittier mit den Schwingen Luft in die Glut fächeln lässt. Meine Lippen bleiben offen vor Erstaunen.

Unsere Straße führt auf den bunten Marktplatz, direkt vorbei am Hafen. Ich beobachte das Treiben zwischen den stoffbespannten halboffenen Zelten. Geschäftige Figuren, die mein Auge an ein Mittelalterfest erinnern, eilen zwischen den Ladentischen umher – die einen Körbe und Säcke tragend, andere Reittiere wie Esel, Pferde und vor allem voll beladene Drachen für den Transport führend. Auf den Tischen liegen dicke Stoffrollen, exotische Tierfelle und große Haufen Schafs- oder Schweinswolle. In einer anderen Ecke befinden sich Heuballen und Säcke mit Getreide, ebenso verschiedene weitere Lebensmittel. Es gibt Körbe gefüllt mit Gemüse, Nüssen und Obst. Stapel von Kürbissen, Gurken, Birnen oder Walnüssen. Ebenso Eier von Vögeln und solche, die wahrscheinlich von Drachen stammen, sanft gepolstert auf kleinen Kissen.

Überall an den Ständen verteilt bieten die Händler auch Tiere zum Verkauf an: Aufgeregt flattern Hühner in engen Käfigen, eine blinde Frau will sich mit einem alten Esel ein Essen verdienen. Schlacht- und Mastvieh, von Ziegen und Ferkeln bis hin zu Hochlandrindern und sogar Lamas und Meerschweinchen kann ich erkennen. Wahrscheinlich Importe aus fernen Ländern.

An einem Stand kann man Zauberutensilien erwerben: Besen und knorrige Stäbe, Hühnerkrallen, getrocknete Eidechsen, Fledermausflügel und Kröten in Gläsern, glitzernde Pulver und staubige Bücher, alles angeboten von der Hexe deines Vertrauens – original mit nur drei Zähnen. Die Situation kommt mir grotesk vor, aber als würde die Alte meinen Blick spüren, wandern ihre zusammengekniffenen Augen zu der Kutsche und zu mir. Ihr fast zahnloser Mund formt ein hämisches Grinsen, und ein bedächtiges Nicken folgt dem Wagen, während wir uns entfernen. Was für ein herzliches Willkommen..

Die Krieger des Horns - Nebelmond

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