Читать книгу Die Krieger des Horns - Nebelmond - Josefine Gottwald - Страница 9

V
Gillian

Оглавление

Die Vampire gleichen den Menschen in nichts. Ich war dumm zu glauben, Joice würde Liebe fühlen – Liebe für mich! Doch die brauche ich nun nicht mehr. Ich bin mächtiger als alle Gefühle, die ein Mensch empfinden kann. Ich bin Wisdom, ein gefallener Engel. Vom Himmelsrand abgerutscht, hinunter in die Dunkelheit gestürzt und auf dem schmutzigen Boden hart aufgekommen.

Aber ich bin die Reinkarnation des Lebens selbst. Ich blühe vor Blut und Fleisch und Kraft. Ich werde nie wieder meinen Gefühlen verfallen. Mit aller Macht werde ich dagegen kämpfen, das habe ich nun begriffen. Doch seinen Plan verstehe ich noch immer nicht.

Er will nach Lamia reisen, sich durch den Dschungel schlagen und sich der Königin zu Füßen werfen. Aber wofür? Wohl kaum für eine Hand voll Lob und stolzer Worte! Ist sie es, die er will, ihr Blut vielleicht? Aber glaubt er denn, dass er das bekommen kann? Im Grunde ist es mir gleich, worauf er es abgesehen hat. Es gibt nichts, was diese Vampirin ihm bieten kann, was ich ihm nicht schon geboten habe. Ja irgendwann … vielleicht irgendwann … dann werde ich die Königin sein und über unsere eigene Nachkommenschaft herrschen.

Oh, wie ich sie hasse, diese Dämonin, die aus dem Paradies davonlief! Wie sie floh vor ihrem eigenen Stolz und der Schande, die sie selbst heraufbeschworen hatte. Auch mir ist es zuwider, mich unter einem anderen Wesen zu beugen, doch wegzulaufen ist erbärmlich. Sich im Wald zwischen Blättern und Steinen zu verstecken, auf dem Boden zu kriechen und sich im Schlamm zu vergraben – wie lächerlich ist das! Ich werde kämpfen.

Das ist es, weshalb ich ihn nicht verstehe. Er geht aufrecht durch die Jahrhunderte, als schriebe er die Geschichte. Er unterdrückt jedes lebende Wesen allein mit der Macht seiner Gedanken – auch mich hat er in seinen Bann gezogen. Und doch hat er eine einzelne Schwäche: Seine Gier nach mehr. Und die wird eines Tages sein Untergang sein. Wenn ich es zulasse, und das werde ich niemals. Ich muss ihm folgen und verhindern, dass er in sein eigenes Verderben läuft. Ihn vor dieser Königin beschützen, die Opfer von ihrem eigenen Volk verlangt. Ja, eines Tages … Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Lilith. Die Nächtliche. Schrecken der Nacht und Tod in der Dunkelheit, wie sie genannt wird von ihren Anhängern und den sterblichen Menschen. Aber wir sind klüger. Ich werde es nicht so weit kommen lassen, dass sie auch über uns regiert. Eher würde ich sterben und der Unendlichkeit entsagen. Eher werde ich diese Königin vom Thron stoßen und an ihrer statt regieren. Das wird nicht leicht werden, doch ich habe schon anderes geschafft. Der Weg nach oben ist niemals leicht, aber ich kann alles erreichen, wenn ich es will. Ich bin ein Vampir.

Vom Portal aus gingen wir Richtung Süden. Joice überschritt die Schwelle am frühen Abend; es war gerade dunkel geworden. Ich schlug denselben Weg ein, den er genommen hatte, zusammen mit einer kleinen Meute Werwölfe und fünf oder sechs Vampiren, die mir gehorchen sollten. Der Hüter der Schwelle ließ uns mit dem Einhorn passieren. Einen halben Tag später, am frühen Morgen, kletterten wir triefend aus dem Tümpel heraus. Mir blieb nicht viel Zeit, ein Versteck für den Tag zu suchen, und so hielt ich mich zuerst nach Westen. Auf diese Weise konnte ich wenigstens noch eine halbe Stunde der Sonne davonlaufen.

Auf dem erstbesten Gutshof, der einsam in der Landschaft lag, kamen wir für den Tag unter. In der Hoffnung, Joice in der nächsten Nacht wieder aufzuspüren, kroch ich in der Scheune zwischen die Strohballen und legte mich nieder. Und da liege ich noch jetzt. Die primitiven Blutsauger habe ich nicht mehr gesehen, ich weiß nur, dass die Werwölfe sich um das Einhorn kümmern.

Mein Hund Swift liegt knurrend und mit glühenden Augen an meiner Seite. Ich fahre ihm grob über das feuchte Fell, um ihn zu beruhigen. Mit seinen blinden, leuchtenden Augen schaut er mich an. Er muss so etwas wie ein Zombie geworden sein, als die Wölfe ihn töteten, ein untoter Hund, doch kein Werwolf. Sein Fell ist zottig und verfilzt, sein Blick weiß und grausam und seine Schnauze triefend vor Geifer und stinkend von seinem fauligen Atem. Seine gelben Zähne sind messerscharf, und sein Fang packt schneller zu, als ein Mensch reagieren kann, und reißt tiefe Wunden in die Gliedmaßen seiner Opfer, die niemals verheilen, sondern eitern und sich immer weiter nach innen fressen. Man kann nichts dagegen tun. Und gerade das ist ja so amüsant. Ich kichere leise. So ist es mit allen übernatürlichen Mächten. Die Menschen sind völlig wehrlos. Und ich werde sie unterwerfen. Zusammen mit Joice. Das ist unsere Aufgabe. Doch zunächst muss ich ihn finden.

Gut gelaunt verlasse ich mein Versteck. Heute am Tag kam eine Magd, die mich weckte, als sie nach den Katzen rief, um ihnen Milch hinzustellen. Swift war augenblicklich in Bereitschaft, als er die Tiere roch und das Menschenfleisch. Doch wir mussten in der Dunkelheit verharren und auf diesen Moment warten. Jetzt werden wir sie uns holen.

Unbeholfen krieche ich aus dem Stroh hervor. Mein Hund folgt mir, wendig und auf leisen Sohlen. Noch immer sträubt er alarmiert das Fell. Er war es auch, der mich weckte. Vielleicht ist eine Katze über die Dielen geschlichen.

Ich richte mich auf und wische mir die Halme vom Kleid. Der Stoff ist zerknittert und eingerissen vom rauen Holzboden. Die Haut darunter ist längst verheilt und schimmert weiß durch die Risse, wenn ich mich bewege. Wahrscheinlich müssen Vampirinnen so aussehen. Ich zucke mit den Schultern, als ich merke, wie mein Hund mich mit schiefgelegtem Kopf mustert.

Wir verlassen die Scheune durch ein hohes Tor, das nach draußen und in die Nacht hineinführt. Auf dem Hof ist es still. Finster liegen die Gebäude vor mir. Doch kein Geräusch ist zu hören. Als wären alle Wesen dieser Nacht verstummt, da ich hinaus in das Mondlicht trat – seine Redeweise gewöhne ich mir auch schon an! Eine nahende Vampirin wittern die Gestalten des Lichts schon aus der Ferne und fliehen. Und auch die Kreaturen der Dunkelheit unterwerfen sich der Macht der Unsterblichkeit. Ich bin die Göttin der Nacht! Und Lilith kann mir gestohlen bleiben.

Festen Schrittes nähere ich mich dem Wohnhaus, doch dann überlege ich es mir anders und visiere das unscheinbare Seitenhaus an. Darin kommen die Bediensteten unter. Und um. Ich muss grinsen; mir kann niemand entfliehen. Der süße Duft von warmem Eisen steigt mir in die Nase: Blut, ich rieche es auf Meilen. Blut und Fleisch.

Von überall her, aus allen Winkeln und Ritzen des Bauernhofs, kommen Vampire und Werwölfe geschlichen. Die Tiere in den Ställen werden unruhig. Drachen fauchen alarmiert und kampflustig, Pferde tänzeln in ihren Ständern, und unzählige Ratten huschen durch das Stroh über den Hof, auf der Suche nach einem sicheren Platz. Aber den gibt es nicht mehr.

Im Zimmer des Bauern flammt eine Kerze auf. Die Vampire hinter mir halten inne und starren hinauf zum Fenster. Die Wölfe knurren und sträuben das Fell. Hinter der Tür ertönen Schritte.

„Wartet bei dem Einhorn!“, sage ich mit fester Stimme. „Und geht in Deckung! Er muss euch noch nicht finden. Ihr bekommt früh genug, was ihr wollt.“ Ich schleiche weiter auf das Seitenhaus zu. Zuerst werde ich mich bedienen, und dann werden sie kriegen, was ich ihnen übrig lasse.

Die Vampire rühren sich nicht sofort und stimmen einen trotzigen Ton an, der mir missfällt. Wütend schnelle ich herum und fauche sie an. „Verkriecht euch!“, warne ich sie und zeige meine Zähne. „Sonst wird es gar nichts für euch geben!“

Widerwillig ziehen sie sich in die Schatten zurück. Einige von ihnen schenken mir noch einen letzten hasserfüllten Blick. Vampire lassen sich nichts sagen. Ich muss sie wohl noch Respekt lehren. Der Gedanke macht mich etwas unruhig, doch meine äußere Erscheinung bleibt abweisend und kalt. Swift neben mir knurrt bedrohlich. Da fällt auch schon der Schein der Kerze nach draußen, und die Tür des Gutshauses wird aufgestoßen. Flink husche ich um die Ecke des Gebäudes und schleiche mich an der Wand der Bedienstetenhütte entlang. Vampire können völlig lautlos sein, wenn sie es darauf anlegen. Doch heute Nacht möchte ich die Menschen erschrecken.

An den Gutsherrn auf dem Hof denke ich gar nicht mehr. Soll der zurück ins Bett gehen und mich dort erwarten. Uns entkommt niemand.

Ich lehne mich an die Tür der Hütte. Natürlich ist sie verschlossen, die Klinke unter meiner Hand gibt nicht nach. Obwohl es vermutlich nicht einmal einen Schlüssel gibt, versperrt mir die Türe den Weg. Die Bewohner müssen mich einlassen. Ich sehe, dass sie sogar ein Zeichen auf die Schwelle gemalt haben, um böse Geister fernzuhalten. Als es mir gelingt, die Kreidelinien mit dem Fuß wegzuwischen, muss ich lachen.

„Nicht besonders wirksam, euer Zauber“, murmele ich.

Dann konzentriere ich mich auf die Seelen hinter der Wand. Es sind drei Menschen, alle in unruhigen Träumen gefangen. Ihr Leben scheint nicht das Beste zu sein – zum Glück bin ich da, um etwas zu ändern!

Ich finde am schnellsten Zugang zu einem Kind, einem kleinen Jungen, in dessen Gedanken ich mich von meiner besten Seite zeige. Das lockige Haar nicht ganz so wirr, die Kleider weniger rissig und blutig, ein gütiges Lächeln auf den Lippen und ein helles Strahlen, das mich umgibt. Wer könnte mir so widerstehen?

Ich bin die gute Fee, die dir hilft!, sage ich zu dem Kind. Lass mich rein, ich kann dich von diesem Leben erlösen!

Ich spüre die Ehrfurcht seiner Gedanken fast körperlich. Er braucht nur einen Moment, um nachzugeben. Dann springt die Tür plötzlich auf.

Die Hütte besteht aus einem einzigen Raum, in dem sich Schlaflager, Kochstelle und Vorratskammer befinden. Die einzigen Möbel sind ein Tisch mit Stühlen und eine Truhe für persönliche Dinge. Ein leise flackerndes Feuer im Kamin hält die Behausung warm. Vor der Bettstatt liegen drei Paar Schuhe aus abgewetztem Ziegenleder, fein säuberlich nebeneinander, auf einem zerfressenen Läufer aus Stroh. An den Wänden hängen Kräuter und Regale mit Nahrung, die die Familie von ihren Herren bekommt. Ich rieche Eselswurst, ein Stück Ziegenmilchkäse und einen gesalzenen Bärenschinken für Festtage. Keine Bilder, keine Bücher, kein Licht, kein fließendes Wasser. Es ist wie im Mittelalter.

Man sollte sie wirklich erlösen, beschließe ich. Über den Boden huscht eine Maus auf der Suche nach einem Loch zum Verkriechen. Ich bekomme Lust, sie einzufangen, nur um sie quieken zu hören, aber dann lasse ich ihr die Illusion von Freiheit. Ich habe etwas Besseres vor.

Auf dem Schlaflager bewegt sich etwas. Der kleine Junge richtet sich auf und starrt mich an. Nussbraunes Haar wellt sich um den kleinen Kopf, seine Augen sind schwarz wie die Nacht.

„Bist du ein Engel?“, flüstert er, und ich muss lächeln. Ich mag ihn schon jetzt.

„Leg dich wieder hin“, sage ich sanft. „Ich muss mich zuerst um deine Eltern kümmern.“

Er gehorcht ohne nachzufragen, und ich gebe mir Mühe, seine Gedanken mit harmonischen, hellen Bildern zu füllen: Einem Spaziergang durch blumige Sommerwiesen oder ein wildes Spiel im Heu. Als ich mir sicher bin, dass er außer diesen Träumen nichts mehr wahrnimmt, schleiche ich um das Bett herum und packe die Mutter bei den Händen. Ich zerre sie so schnell von ihrem Lager, dass der Mann neben ihr gar nichts mitbekommt. Als sie schreien will, halte ich ihr den Mund zu, aber sie beißt in meine Hand. Aus dem Reflex heraus breche ich ihr das Genick; danach beeile ich mich mit dem Trinken, während ihr Blut langsam gerinnt. Ich lasse die Tote achtlos zu Boden fallen und steige über sie hinweg, um mir den Mann zu holen. Der Junge liegt noch immer friedlich unter der Wolldecke und hat sich von mir abgewandt.

„Ist da jemand?“, fragt der Vater plötzlich und reibt sich die Augen. Ich drücke mich an die Wand neben dem Kamin.

„Es ist ein Engel, Vater“, antwortet das Kind, „ein wunderschönes Mädchen mit goldenem Haar. Und sie hat übermenschliche Kräfte.“

Ich lächele zufrieden.

„Du träumst, Nicolae“, antwortet der Vater. „Du wünschst dir vielleicht, dass ein wunderschöner Engel kommt, um uns von hier wegzuholen, aber wir müssen es allein schaffen. Ich werde das Feuer noch etwas schüren, dann kannst du wieder einschlafen.“ Mit diesen Worten steigt er aus dem Bett und entdeckt im selben Moment die Leiche, über die er fast gestolpert wäre. Seine Augen zeigen blanke Panik. Jetzt nähere ich mich ihm und lächele süß; einen Moment scheint er verwirrt, was das zu bedeuten hat.

„Vielleicht irrst du dich“, flüstere ich geheimnisvoll. „Vielleicht kommt doch ein Engel, um euch zu erlösen!“

Während er mich reglos anstarrt, mache ich einen Schritt auf ihn zu und schlage ihm meine Zähne in den Hals. Trotz des gestählten Körpers, den die harte Arbeit formte, schafft er es nicht, mich fortzuschieben. Ich kralle meine Nägel in sein Fleisch und vergesse beinahe, ihm die sanften Bilder zu senden, die ihn seinen Widerstand aufgeben lassen. Er kämpft lange, und ich zerreiße fast seine Schlagader bei dem Versuch, ihn festzuhalten. Aber schließlich hat er zu viel Blut verloren, und ich lasse ihn zu Boden sinken, wo er sich in letzten Krämpfen windet. Seine Augen scheinen mich anzuklagen, aber vielleicht versucht er auch, sich mein Gesicht einzuprägen. Es wird ihm beides nichts nützen.

Erfrischt von neuem Tatendrang fühle ich mich bereit für die Nacht; wir haben eine lange Reise vor uns. Einen Moment lehne ich mich an die Wand und genieße den Augenblick. Noch im Blutrausch denke ich an die Familie, die ich soeben zerstörte. Auch der Junge wird mein sein. Benommen wische ich mir das Blut von den Lippen und gehe langsam um das Lager herum.

Von draußen höre ich lautes Geschrei und Gepolter – nein, eher von nebenan. In mir kocht eine Wut auf die verräterischen Vampire hoch, die nicht auf mich warten wollten. In Gedanken schwöre ich Rache und zische leise durch die Zähne, um meinen Zorn nicht hinauszubrüllen.

Dann hocke ich mich vor das Bett. Ohne eine Spur von Angst sieht der Junge mich an. Als ich in seinen Gedanken forsche, erkenne ich, wie er den Todeskampf seiner Eltern wahrgenommen hat. Deine Eltern sind tot, sagt ihm seine Angst, und du bist in Gefahr. Aber für ihn bin ich noch immer der strahlende Engel, der kommt, um ihn zu befreien. Mir fällt auf, wie schön seine großen Augen sind.

„Willst du mit mir kommen?“, frage ich. „Du wirst Wesen sehen und ferne Länder. Macht genießen, die dir dieses Gut hier niemals gibt. Abenteuer!“, flüstere ich. Er nickt und starrt mich noch immer an, unfähig, irgendetwas anderes zu tun. „Dein Leben hier ist vorbei“, sage ich mit gespielter Traurigkeit, „deine Eltern sind fort und ließen dich allein. Aber ich werde auf dich aufpassen und dich beschützen. Komm zu mir!“

Durch und durch fasziniert von meiner Erscheinung, die er sich noch immer schöner ausmalt, als sie ist, tut er, was ich von ihm verlange, und kommt auf mich zu.

„So ist es richtig. Hab keine Angst, Nicolae!“ Geduldig schließe ich ihn in die Arme. Geduldig, wie Joice es von mir gewollt hätte. Mein Kind, denke ich und drücke seinen warmen Körper an mich. Sein Blut ist süß und salzig zugleich. Berauscht schließe ich die Augen und koste den Moment aus. Er stirbt. Nicht an den Wunden, sondern weil ich ihm das Leben nehme. Es aus ihm trinke, wie aus einem Brunnen an einem schwülen Sommertag. Ich brauche lange dafür und setze immer wieder ab. Ich genieße jeden Augenblick.

„Dein Leben hier ist vorbei“, sage ich betrübt, ihn noch immer im Arm haltend. Gedankenverloren streiche ich mit dem Finger über seine roten Lippen. Über die Wunde an seinem Hals. Außer dem Mal trägt er keinen Kratzer davon. Ihn habe ich nicht so zugerichtet wie seinen Vater. Er wehrte sich nicht. Und nun ist er bei mir und schläft friedlich, den Kopf an meine Brust gelehnt. „Du bist mein Kind“, stelle ich fest. Dann hebe ich ihn hoch und trage ihn hi­naus. Die beiden Leichen in der Blutlache auf dem Boden würdige ich keines Blickes mehr.

Ich erinnere mich, irgendwo Erntegeräte gesehen zu haben, und entdecke eine Sense, die neben der Tür lehnt, und eine Sichel unter dem Fenster, die blitzt wie der abnehmende Mond. Ja, abnehmen werde ich auch etwas damit. Ich grinse befriedigt und greife mir mein Instrument. Dann schiebe ich die Klinge hinter dem Rücken in meinen Gürtel und lege eine Hand auf die Türklinke. In der anderen halte ich Nicolae, versunken im Schlaf des Todes. Entschlossen trete ich in den Hof.

Draußen ist ein Tumult zwischen den Vampiren ausgebrochen, die sich bereits feindlich gegenüber stehen. Ein junger, aufmüpfiger Vampir – älter als ich, doch aus diesem Jahrzehnt – posiert vor einer Gruppe missmutig dreinblickender Werwölfe. Allesamt haben sie Blut an ihren Lippen. Sie sind in das Haus eingedrungen.

Ihm gegenüber hat sich eine ebenfalls sehr junge Vampirin aufgebaut und keift auf ihn ein. Hinter ihr stehen alle anderen. Und das Einhorn, das sie für mich halten.

„Du wirst es niemals schaffen, gegen sie anzukommen!“, meint das Mädchen überheblich. „Uns bleibt gar keine andere Wahl, als ihr zu folgen.“

„Was fällt euch allen ein!“, schreie ich sie an. „Ihr verblödeten Blutsauger, habt ihr nicht gehört, was ich euch befahl? Seid ihr taub? Oder nur zu dumm, den Sinn meiner Worte zu begreifen?“

Sie schweigen verbissen.

„Oh doch, uns bleibt eine Wahl“, antwortet der Vampir großspurig und blitzt mich erregt an. In seinen Augen liegt derselbe Wahnsinn wie in meinen.

„Wage es, mir zu widersprechen“, beginne ich. Er bringt sich in Kampfposition. Angriffslustig zeigt er mir seine blutigen Zähne. Ich zeige ihm meine.

Die Wölfe werden von mir ablassen, wenn sie spüren, dass ich überlegen bin, denke ich kurz, doch der Junge in meinem Arm wird mich behindern. Ich werfe einen hastigen Blick auf alle anderen. Natürlich haben sie das Kind schon entdeckt. Einige sind neugierig, die anderen abweisend gegenüber Nicolae.

„Was hast du mit ihm vor?“, fragt der Vampir provozierend. „Willst du ihn vielleicht zu einem von uns machen?“ Laut schallend ertönt sein künstliches Lachen.

Nein, ich kann ihn unmöglich loslassen; dann machen sie sich ohne Gnade über ihn her und zerfetzen ihn in der Luft. Der Hass steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Der Vampir geht ein paar Schritte um mich herum. Er versucht es langsam zu tun, um mich einzuschüchtern, doch sein Körper ist unbeherrscht vor Erregung und arrogantem Eifer. Dann stürmt er auf mich los. Laut schreiend reißt er den Mund auf und krallt sich in meine Haut. Seine spitzen Zähne dringen tief in mein Fleisch. Ich kreische vor Schmerzen auf. Das ist ein Gefühl, das ich sehr wohl noch wahrnehmen kann. Wuterfüllt stoße ich ihn von mir fort. Doch bevor er erneut angreifen kann, setze ich ihm nach, um zu verhindern, dass er das Kind attackiert. Mit einer Hand packe ich seine Kehle und reiße sie auf. Das Blut, was er eben trank, strömt zu Boden. Überrascht stolpert er ein paar Schritte zurück. Doch dann grinst er schadenfroh.

„Du kannst mich so nicht töten!“, röchelt er blutspuckend. „Hast du das vergessen, Königin der Vampire? Meine Gebieterin?“ Erneut bricht er in ein irres Lachen aus. Doch ich kenne einen Weg, ihn umzubringen.

„Verabschiede dich von dieser Welt!“, fauche ich verächtlich. „Sie wird dich so bald nicht wiedersehen.“ Dann stelle ich mich aufrecht vor ihn, während er sich mit beiden Händen den Hals hält und die Blutung zu stoppen versucht. Auch mein Arm ist blutüberströmt.

Einen Moment sehe ich in sein wahnsinniges lachendes Gesicht. In seinen Augen blitzt bereits der Triumph auf. Doch ich stehe ihm kalt gegenüber.

Dann springe ich abrupt auf ihn zu. Mit meiner freien Hand greife ich die Sichel und trenne ihm mit einem Hieb den Kopf ab. Blitzartig schnellt mein Arm hervor, sodass keiner der Vampire es sehen kann. Und dann liegt auch er tot zu meinen Füßen. Das wertvolle warme Blut verteilt sich im Staub und geht für uns alle verloren. Die Vampire blicken schockiert zu Boden.

„Ihr seid noch dümmer als die Werwölfe!“, sage ich hasserfüllt. Die Wölfe kneifen winselnd die Ruten ein und folgen mir mit gesenktem Kopf. Die Vampire murren hungrig. Das Einhorn schnaubt verärgert, doch es hat keine Chance. Nicht gegen ein halbes Dutzend Vampire und ebenso viele Werwölfe, die es bedrohen.

Ich werfe den Jungen vor mir übers Pferd und schwinge mich hinauf.

„Kümmert euch von nun an selbst um euch!“, herrsche ich die Blutsauger an. „Ich habe mit euch genug Zeit verschwendet. Wagt es nicht, mir zu folgen oder ich werde euch alle töten!“

Dann gebe ich meinem Pferd die Sporen und reite nach Süden. Das Rudel Wölfe folgt mir in der Nacht.

Die Krieger des Horns - Nebelmond

Подняться наверх