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Glück

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Der Himmel strahlte in einem Blau, das an Vergissmeinnicht erinnerte. Die Sonne liebkoste die unzähligen Ähren auf dem Feld und eine leichte Brise wiegte sie sanft. Eine grau gestreifte Katze schlich langsam durch das satte Grün der Wiese und die Blumen erschienen wie die bunten Farbtupfer auf einem impressionistischen Gemälde.

Sie hielt die Augen geschlossen. Außer dem gelegentlichen Ruf eines Falken umgab sie eine vollständige Stille, wie sie nur den heißen Sommertagen eigen ist. Alles Leben ging träge voran, die wenigen Geräusche verschluckte die flirrende Luft wie ein Fisch im Wasser seine Beute. Als sie ihre Augen langsam zu schmalen Schlitzen öffnete, flimmerten weiß-goldene Lichter davor. Die filigranen Blätter der Weide bewegten sich leicht im Wind und erzeugten im Blätterdach über ihr die wunderbarsten Glitzermomente. Es war, als würden Sonne und Weide ihr die schönsten Augenblicke schenken wollen. Momente, in denen nur das glitzernde Licht zwischen den zarten Blättern zählte. Momente, in denen nur sie allein im Schutz der Weide das Leben in sich einsog und alles herum vergaß.

Sie hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und betrachtete die alte, knorrige Weide. Was hatte sie schon alles gesehen? Wie viel Wasser hatte ihre Wurzeln bereits umspült? Das Mädchen setzte sich auf und betrachtete die zerfurchte Rinde des Baumes. Und plötzlich zog vor ihrem inneren Auge ihr eigenes Leben vorbei. Das vergangene und auch das zukünftige. Und dann kam das ihrer Mutter. Und ihrer Großmutter. Und ihrer Kinder. Und es war wie in einer Geschichte, die den Bogen über mehrere Generationen spannte. Ihr wurde die Vergänglichkeit, ihre eigene, aber auch diejenige allen Lebens auf der Welt, bewusst. Sie war ein klitzekleiner Teil, ein kleines Wesen auf dieser großen Welt im Rad der Zeit. Und dennoch fühlte sie sich nicht unbedeutend. Im Gegenteil, nur wenn alle Teile da waren und die Welt so erlebten, wie sie war, mit allem was dazugehörte, nur dann hatte die Erde und das Leben auf ihr einen Sinn. Das war das Beste und Größte, was es für den Menschen gab: sein Leben.

Sie hatte sich auch schon oft die Frage gestellt, wo sie vor ihrer Geburt gewesen sein mochte. „Quark im Schaufenster“, pflegte ihre Mutter dann zu sagen. Doch was sollte das sein? Und wo? Saß sie davor ebenso wie nach Lebensende auf dem Schoß Gottes? Oder daneben? Aber wie sollte das gehen, gab es doch so viele Menschen, die ebenfalls ein Anrecht darauf hatten. Und was machte sie dort überhaupt den ganzen Tag? Oder war Zeit relativ? Ihre Gedanken drehten sich immer mehr und die Fragen gingen immer tiefer.

So stand sie mit einem Ruck, der alle Grübeleien abschütteln sollte, auf und ging zum Bach. Sie stellte sich mit ihren nackten Füßen in das kühle Nass und ließ das Wasser sanft ihre Knöchel umspielen. Das war eine Liebkosung der Natur, die sie vor allem an solch heißen Tagen in vollen Zügen genoss. Sie setzte sich auf den großen Stein am Ufer und stützte den Kopf auf die Hände. Sie starrte in das Wasser und verfiel fast in eine Art Trance, ausgelöst durch die sanften Wellen des dahinplätschernden Wassers. Der Duft des Weizens stieg ihr in die Nase, gefolgt von einer Mischung aus Nässe, frischem Gras und Weidenrindengeruch. Ein Schmetterling tanzte knapp an ihrem Knie vorbei, dem Wasserlauf folgend. In der Ferne hörte sie eine Kuh rufen. Ein kleines Stöckchen trieb im Wasser. Im Wind umspielte ihr Haar sanft ihr Gesicht.

Ein Moment, den sie für sich mit dem Herzen fotografierte, umschloss und gut aufbewahrte, sollte es jemals anders werden.


Gelebt

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