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Kapitel 5

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März 2016


Martha musste ihren Hut festhalten, damit er nicht auf der Straße landete. Das Kleid flatterte ihr um die Beine. Den schwarzen Mantel hatte sie fest um den Körper geschlungen und die kleine Ledertasche hielt sie fest an sich gedrückt. Thela überlegte, ob sie ihre Oma schon jemals mit Hut gesehen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern. Als sie Martha die Beifahrertür aufhielt, versuchte diese sich hinzusetzen. Allerdings blieb sie mehrfach mit dem Hut am Türrahmen hängen. Schließlich kapitulierte Martha und setzte ihn ab.

„Jonas ist schon ganz aufgeregt. Er konnte gestern noch schlechter einschlafen als sonst“, bemerkte Thela, während sie das Auto Richtung Schule lenkte. Martha schaute aus dem Fenster und nickte geistesabwesend: „Das glaube ich gerne. Ich bin ja mal gespannt.“ Martha schien sich wirklich auf die Vorführung zu freuen. Dennoch hatte Thela den Eindruck, dass sie nicht ganz bei der Sache war. „Ich muss nächsten Freitag nach Dresden.“ Plötzlich drehte sich Marthas Kopf in ihre Richtung und sie blickte Thela mit einem wehmütigen Lächeln an: „Achso, was machst Du denn da?“ Thela erzählte Martha in drei Sätzen von dem Fall, für den sie zur Zeit recherchierte und dass sie dafür noch zur Schwester ihres Mandanten fahren müsse. Diese Schwester hatte sich just gestern einen schweren Bruch zugezogen und konnte daher in nächster Zeit nicht verreisen. Als Thela gestern mit ihr telefoniert hatte, stellte sich heraus, dass Lettie durchaus Informationen zum mutmaßlichen Willen der verstorbenen Mutter zu haben schien. Doch am Telefon wollte sie darüber nicht sprechen. Also nutzte Thela diese Gelegenheit, einmal allein unterwegs zu sein. Weg von den Anstrengungen des Familienlebens. Wenigstens für einen Tag.

Martha schaute sie noch immer interessiert an: „Das ist aber schön. Du warst doch noch nie da, oder? Dresden ist eine wirklich schöne Stadt. Jedenfalls war sie das damals.“ Schon lag in ihrem Blick wieder etwas Verträumtes. Da stellte Thela fest, dass sie zwar wusste, dass Martha aus der Nähe von Dresden stammte. Viel mehr hatte sie aber nie erfahren. Thela hatte auch nie nachgefragt. Jetzt war dafür aber auch nicht der richtige Zeitpunkt. Denn vor ihnen tauchte bereits die Schule auf.

In der Aula warteten Jo und Lina schon. Auch Lina war ganz hippelig und stellte ihrem Papa ununterbrochen Fragen zum Theater. Jonas war bereits hinter der Bühne. In der Garderobe legten sie ihre Mäntel ab und nun konnte Thela ihre Oma Martha in voller Pracht bewundern. Diese hatte passend zum bordeauxroten Hut Lippenstift aufgetragen. Auch die Ohrringe und Kette nahmen den Farbton auf, der sich ebenso im schwarzen Kleid wiederfand. Dieses hatte lange Ärmel und war mit ein wenig Spitze verziert. Martha sah wirklich schick aus. Und insbesondere der Hut ließ sie sehr elegant erscheinen. Für eine Schulaufführung definitiv zu elegant. Aber das schien Martha nicht zu stören. Vielmehr schulterte sie ihre Handtasche und hielt Lina die Hand hin. Gemeinsam suchten sie sich Plätze in der bereits gut gefüllten Aula. Johannes schaute Thela mit hochgezogenen Augenbrauen an. Diese zog nur ratlos die Schultern hoch und schmunzelte. Sie hakte sich bei ihrem Mann unter und gemeinsam folgten sie den beiden „Mädels“.

Kurze Zeit später war die Schulaufführung in vollem Gange. Auf der Bühne waren etliche Schulbänke aufgebaut. An einer Seite stand eine Tafel. Die Schüler – unter anderem Jonas in der dritten Reihe – saßen vorbildlich an ihren Plätzen. An der Tafel erklärte die Lehrerin gerade etwas und stellte dazu eine Frage. Da meldete sich Jonas und konnte zeigen, was er gelernt hatte. Von seiner Aufregung keine Spur mehr. Er sagte ordentlich seinen Text auf, als plötzlich die Klassenzimmertüre aufgerissen wurde: „Hallihallo.“ Da stand ein kleines Mädchen mit roten, abstehenden Zöpfen und schwenkte einen riesigen Hut. Pippi hatte ihren ersten Auftritt und die Zuschauer klatschten lachend Beifall.

Im Verlauf des Spiels brachte sie die Lehrerin zur Verzweiflung und die Zuschauer amüsierten sich prächtig. Lina und Martha lachten ebenso viel und laut wie Thela und Jo. Es war eine wirklich lustige Aufführung, die Thela in dieser Qualität nicht erwartet hatte.

Gerade war Pippi dabei, den Kindern auf dem Schulhof eine ihrer Lügengeschichten zu erzählen, als Oma Martha plötzlich aufstand und verschwand. Thela ging davon aus, dass sie sich Richtung Toilette orientiert hatte. Als Martha aber nach etwa zehn Minuten nicht wiederauftauchte, machte sich Thela allmählich Sorgen. Gerade als sie ihr folgen wollte, kam Martha aber zurück auf ihren Platz. Sie lachte nicht mehr, sondern blickte etwas traurig vor sich hin. Nein, sie sah vielmehr erschöpft aus. Und blass. Als sie merkte, dass Thela sie beobachtete, lächelte sie zu ihr hinüber. „Alles in Ordnung?“, formte Thela lautlos mit ihren Lippen. Martha nickte bloß und winkte ab. Dann schaute sie auf die Bühne und wenig später lachte sie wieder über einen von Pippi Langstrumpfs Späßen. Da richtete auch Thela wieder ihre volle Aufmerksamkeit auf das unterhaltsame Schauspiel. Die Kleine war wirklich gut.


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