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Оглавление63. Kapitel – Die Dunkelheit (can’t stop a Life )
Der Raum war dunkel, dunkler als die Nacht. Über diesem Raum herrschten Sand und Staub, die neuen Herren des Himmels. Dort, wo einst ein großes Gebäude gestanden hatte – nur noch Schutt und Asche. Statt des riesigen Gebäudes, auf das sich die lange Straße erstreckte wie auf ein Tor zu einer anderen Welt, waren nun alle Grundmauern in sich zusammengefallen und bildeten eine Nebelwand aus kleinsten Teilchen, vormals das Mauerwerk der Firma Rebound Effect. Und der große Platz vor der großen langen Straße - verwandelt in ein Schlachtfeld. Die Pflasterung eine zerklüftete Kraterlandschaft, übersät von Glassplittern und kleinen züngelnden Flammen, zu heißen Seen zerschmolzenes Gummi, verstreute Teilchen explodierter Gas-kessel und Computeranlagen. Eingehüllt in eine Wolke aus Sand und Staub. Das Fest, das die 15 Jahre Bestehen dieses Zentrums der Macht begehen sollte war endgültig vorbei. Durch die Nebelschwaden hindurch, konnte man auf diesem Platz ein rundliches Fluggerät ausmachen, dessen schwarzes Metallgehäuse schimmerte wie der Hornpanzer eines überdimensionalen Käfers. She erhob sich mit ihrem Gefährten wieder in die Lüfte. Erst jetzt folgten zaghafte Tropfen und schließlich Regen. Der Himmel schickte sich an es dem dunklen Raum gleich zu tun und wie ein schwarzes, samtenes Tuch über die Stätte dieses von Schwefel und Brandgeruch verzerrten Schauspiels zu legen. Von überall her schwirrten sie aus der Luft heran. Die Helikopter. Aus allen Richtungen des Himmels, wie ein Schwarm kleiner Insekten auf nur einen Punkt zu. Siemussten sich bereits durch erste, zuckende Blitze kämpfen. Durch aufkommende dunkle Wolken und mit ihren focussierenden Scheinwerfern einzelne helle Brennpunkte auf den Platz werfen. An Landung war kaum zu denken. Der Regen wurde stärker. Dem zaghaften Tröpfeln folgte ein rasseln. Harry irrte durch den Regen, der Sand verwandelte sich in Schlamm, dann in Morast. Die wenigen Überlebenden torkelten umher, wie Schiffbrüchige in einem von Orkanen auf-gepeitschten Ozean. Paula suchte ebenfalls. Sie hatten sich verloren, Paula und Harry. Sich wieder gefunden und jetzt noch einmal getrennt. Getrennt um `ihn´ schneller finden zu können. Immer wieder schrie Harry durch die eng vom Himmel fallenden Regenstrippen `seinen´ Namen. „Jeff! Wo bist du? Jeff! Mein Leben!“ Verzweifelt reckte er die Arme hoch. Dann arbeitete er sich durch Berge von Trümmern. Er kam nur langsam voran, musste sich seinen Weg durch dicht verstreute Steinplatten bahnen, und nur wenige der schweren Platten waren gerade noch ohne fremde Hilfe beiseite zu rücken. Und jeder verrutschten Steinplatte konnte eine andere nachfolgen und einen unter sich begraben. Harry glaubte eine Ewigkeit damit zu verbringen sich hier abzumühen; bis er endlich entdeckte, dass die ebenen Grundmauern des zusammengestürzten Gebäudes erhalten geblieben waren. Er musste leben, dieser dicke Mann. Sonst war alles umsonst. Irgendwo in diesen verschlammten Trümmern musste er zu finden sein. Er, den sie vom fünften Stock bis in die Tiefen dieses Kellers geschleppt hatten, der ihm, Harry, als einziger sein Weiterleben ermöglichen konnte. Und selbst wenn er nicht mehr lebte. Siemussten sich Gewissheit verschaffen. Und Detreu. Auch er konnte unmöglich diesem Inferno ohne Schaden entkommen sein. Alles war so schnell gegangen, so überraschend, dass niemand wirklich darauf vorbereitet sein konnte. Und Harry musste sich beeilen. Wenn es jetzt in die Kellergewölbe hinein regnete, würden am Ende die letzten Überlebenden noch ertrinken. Und damit auch er, Jeff Rebound, der Boss von Rebound Effect. Seine Firma gab es jetzt nicht mehr. Und diese Kellerbunker waren alles, was davon übrig blieb. Es war kein Wunder. Man schrieb das Jahr des Wasser-manns, das Jahr der Entscheidungen. Das Jahr der eigenen Gedanken. Nie zuvor auf diesem Planeten schickten sich mehr Menschen an ihre Behausung zu wechseln und umzuziehen. Das zumindest konnte man auch Jeff Rebound nur empfehlen. Nie zuvor gab es überhaupt mehr Menschen auf diesem Planeten und nie zuvor ging ein so seltsames Gefühl durch diese Welt, dass es wohl mit ihr bald zu Ende gehen würde. Und wenn nicht jetzt, so doch bereits in wenigen Jahren. Weitere hundert Jahre jedenfalls würden sich die Menschen so nicht mehr halten können. Die einen Kulturen wollten für sich bleiben, unangetastet. Und schalteten gleich mehrere Gänge, um mehrere Jahrhunderte zurück. Die anderen Kulturen, auf den alten neu aufgebauten, kümmerten sich wenig um den Erhalt dessen, was einst ihr Fundament darstellte. In den Wüsten rüsteten sie zum Krieg, um ihr altes Reich und die noch immer gültigen Überlieferungen der alten Schriften zu verteidigen. Beben der Erde, Sturmfluten, Veränderungen des Klimas wurden nicht als das gedeutet was sie waren, als ein um Einhalt gebietendes Zeichen der Natur, sondern als unerklärliche Unglücksfälle. Die neuen Kulturen beruhigten ihr Gewissen, indem sie die alten Kulturen, verzettelt in endlose Kriege, mit Hilfsgütern unterstützten, was alles nur noch schlimmer machte. Der Kreislauf ständig hin-und her geschobener Ausbesserungen kleinster Löcher und Risse, war nicht mehr aufzuhalten. Entscheidungen wurden abhängig gemacht von `Rentabilität´ wie sie es nannten und nicht von zu erhaltenden Werten. Und als die alten Kulturen keine Ruhe geben wollten, da hetzten die neuen Kulturen sie aufeinander und unwiederbringliche Reichtümer, meistervoll gestaltete Bauten, von Generation zu Generation überlieferte Traditionen wurden für immer zerstört, verschüttet und somit vergessen. Zerstört von modernsten Waffen, natürlich der neuen Kulturen. Zerstörung war um sie herum. Aber nicht auf ihren Kontinenten, sondern weit entfernt, zu Schauspielen verkommen. Und hier an diesem Ort konnte man einen guten Eindruck davon gewinnen, was das Wort Zerstörung bedeutet. Es passierte mitten in der Stadt, nicht an einem anderen Ende des Erdballs. Der dunkle Raum den Harry betrat, war ein Kellerraum und nur hier konnte jemand noch dieses monströse Disaster überlebt haben, das She angerichtet hatte. Das Klagen, die Schmerzens-schreie die er mit dem Eintauchen in die Kellerwelt hinter sich ließ, beachtete Harry nicht. Die Aufräumarbeiten hatten bereits begonnen, wenn er Hilfe wollte - brauchte er nur zu rufen. Aber er wollte keine Hilfe. Er drückte sich hinein in die Kellergewölbe und durchsuchte einen Bunker nach dem anderen, soweit er eben vorankam, soweit er überhaupt etwas erkennen konnte. Nicht einmal ein Streichholz hatte er dabei. Deshalbmusste er sich mehr auf seinen Tastsinn und seine Ohren verlassen. In jedem Bunker verweilte er kurz, um ja nichts zu überhören. Bewegte sich da etwas? Nein, weiter zum nächsten. In jedem Raum das gleiche Bild. Scherben, übereinander gefallenes Gerümpel. Wasser tropfte aus Ritzen der Betondecken von den Wänden herunter und verwandelte sie in schweiß-gebadete Rücken. Harry ging durch Pfützen, kletterte über eingefallene Türen, drückte meterdicke Kabel beiseite die aus den Wänden herauszuwachsen schienen, ihn empfangende, von Schwertern durchtrennte Arme. In den Augen schmerzte das Beißen der Rauchschwaden, in den Lungen ein Kratzen von Schwefel, in der Luft hing Brandgeruch, vermischt mit dem Geruch lehmiger, feuchter Erde. Harry wurde kalt. Er war pitschnass und jetzt begann er auch noch zu frieren. Beim zwanzigsten oder wievielten Bunker noch immer kein Lebenszeichen - nichts. Was Paula wohl machte? Vielleicht hatte sie schon etwas entdeckt? Aber jetzt war er schon zu weit vorgedrungen. Umkehren wäre genauso mühselig, wie weiter-gehen. Wie viele Räume gab es noch? Und wenn es dreihundert wären, vielleicht sogar mehr? Langsam verließ ihn der Mut. Aber dann spürte er, dass er nicht alleine war. Es war anders als in den dunklen Kellergewölben zuvor. „Jeff, bist du es?“ fragte er vorsichtig in die Dunkelheit hinein. Wie zu einem Vertrauten. Als suchte er einen lange verloren geglaubten Teil seiner Selbst. Dabei war dieser Jeff noch Minuten zuvor sein ärgster Todfeind gewesen. Im fünften Stock seines da noch bestehenden Büros hatte Harry ihm die linke Hand weg geschossen und zusammen mit Paula dieses bewegungslose Monstrum in den Keller geschleppt, dahin, wo er ihn jetzt vermutete. „Jeff, bist du es?“ rief er noch einmal. Nichts. Nichts. Harry blieb stehen, bewegte sich nicht, versuchte sich an das Gefühl zu erinnern, das er damals hatte, als er einige der leeren dunklen Kammern in der Pyramide aufsuchte. Hier war es tatsächlich ähnlich. Zuerst war es unheimlich sich in einem so dunklen Raum aufzuhalten. Jedes Ertasten einer im Weg gelehnten Metallstrebe oder eines umgestürzten Betonblocks, von Drahtgittern als Brettboden mühselig zusammengehalten und nun in ungewohnt, stürzender Schräglage verankert, jedes Setzen eines Fußes auf einen nicht mehr ebenen Boden, ein Steigen auf wahllos in ihren Höhen verstellbaren Stufen, ließ den durch die dunklen Rauchschwaden Tastenden umher staksen wie einen Spinnenmann in einem nach innen gestülpten, von ungleichen Waben ausgekleideten Kegelzuber. Auch das erneute, immer wieder notwendige Verharren und Horchen konnte Harry keine wirkliche Vorstellung der Ausmaße jeden einzelnen Raumes, durch den er sich hindurchkämpfte geben. Dem Unheimlichen folgte das fast sachliche Forschen. Und dann begann man ein Gespür für Räumlichkeit zu entwickeln. Er stand da. Stand nur da und lauschte. Nichts. Er bewegte sich langsam vorwärts, hielt schützend die Arme ausgebreitet vor sich her, als Auffangmöglichkeit. Zentimeter um Zentimeter, mit Schuhen und Schultern gegen harte Hindernisse stoßend, die sich entweder rührten und zur Seite fielen oder wie unbestechliche Türsteher den Weg versperrten, tastete er sich immer weiter voran. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel. Da war doch etwas. Das leise Schnauben nahm er erst wahr, als schon irgendetwas heruntergefallen war. Glas zersplitterte. Ein Kratzen und Schaben, wie das Rudern eines sich befreienden Verschütteten. Aber dann wieder nichts. „Jeff, bist du es?“ Harry rechnete jeden Moment damit von irgendetwas kaltem Glitschigem berührt zu werden. Er sah nichts, machte eine schnelle Bewegung zur Seite, mehr um sich aus der Anspannung zu lösen, als dass es genau beabsichtigt war. Dabei stieß er selbst gegen irgendetwas, aber besser gegen etwas stoßen, als wenn dir jemand eine Hand auf die Schulter legt. Langsam wurde ihm diese Grabesatmosphäre zu unheimlich. Dann diese Stimme, sie durchfuhr Harry durch Mark und Bein, eine röchelnde, verschwommene Stimme Jeder hat einen Engel, Harry, jeder!“ hörte er Jeff Rebound grunzen, aus irgendeiner Ecke dieses Raumes, wie langemusste er hier wohl schon so verharrt haben? „Was wollen Sie jetzt tun, Harry? Sie sind es doch, oder?“ Harry antwortete kurz mit `Ja´. „Ich bin noch am Leben, mein Guter!“ fuhr Rebound fort, aber jetzt klang er schon angestrengter. Mit dieser merkwürdig verformten, eirigen, fast ständig zu Überdrehungen neigenden Stimme. Harry sagte nichts. Er instruierte Rebound zu bleiben, wo er war. Doch der sagte ihm, dass er sich sowieso nicht bewegen könne. Taub, gefühllos. „Willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Behausung kann man es ja wohl nicht mehr nennen oder?“ Harry holte Hilfe. Paula. Sie packten Rebound zu zweit. Ganz gerade, den Kopf nicht einen Zentimeter aus seiner Position bewegend, und legten ihn auf eine Trage, sie schafften es, ihn unbemerkt, weil zugedeckt, abzutransportieren, schnappten sich einen der herumstehenden Sanitäter, die sowieso in dieser schwelenden Dunkelheit, bei den umherirrenden Lichtkegeln der Scheinwerfer und noch immer nicht schwinden wollenden Rauchschwaden nicht mehr Gut und Böse voneinander unterscheiden konnten, und fuhren los. „Wohin?“ fragte Paula. Jetztmusste es schnell gehen. Immer mehr ankommende Wagen versammelten sich auf dem Platz. „Erst mal weg hier!“ rief Harry zu ihr nach hinten, selber hatte er sich beim Einsteigen auf die Beifahrerbank geworfen, neben den Sanitäter. Der Wagen schlängelte sich durch wahllos abgestellte Autos. Offensichtlich glaubte jeder hier es müsse schnell gehen. Mehrere Wende-manöver waren nötig. Von großen Rollen entwickelte Folienstreifen wurden sichtbar, mit denen übereifrige Männer in Arbeitshosen, ausgestattet mit Helmen und kleinen darauf befestigten Lämpchen herumwirbelten. Erste Anzeichen von Absperrungen. Dann wäre hier kein Durchkommen mehr. „In die Pyramide!“ sagte Harry als sie wieder durch einen Schlammkrater fuhren und auf ihren Sitzen durchgeschüttelt wurden. Ein kurzer Blick nach hinten zu Paula und dem festgeschnallten Jeff. Paula nickte. Er atmete noch. Wenn es mal bloß so bliebe. Und wieder ein Bremsen und Durchrütteln. „ Fahren Sie doch bitte etwas vorsichtiger Mann, wir haben hier einen Verletzten!“ brüllte Paula nach vorne. Der Sanitäter am Steuer fluchte jetzt seinerseits. Er schien sie kaum zu hören „ Kommen immer mehr, aber wir schaffen es noch!“ Und dann, als Paula rotestieren wollte, rief er erneut: „In die Pyramide. Denen haben wir doch das ganze Schlamassel zu verdanken. Das können sie jetzt nicht ablehnen.“ Sie waren keine fünf Minuten gefahren, aus dem Dunkel und Regen hinaus in milchig, trübes Licht, geradezu gespenstisch wurden sie immer wieder von aufgerissen, entgegen kommenden, Scheinwerfern geblendet, die ganze Fahrbahn säumten dicht aufeinanderfolgende Wagenkolonnen. Ihre Fahrspur dagegen vollkommen frei. Aber niemand von ihnen wagte einen Blick zurück auf diesen Unglücksort. Dann schien Paula sich wieder in der Gewalt zu haben. Sie bat den Fahrer anzuhalten. Freundlich, fast fürsorglich, sagte sie `aussteigen´. Es war ein Befehl. Dann setzte sie sich an's Steuer und fuhr selber weiter. „Besser keiner weiß wohin wir wollen. Du musstest natürlich `Pyramide´ brüllen, damit der Typ uns gleich folgen kann!“ „Paula, nicht jetzt. Irgendwas musste ich doch sagen. Wo sollen wir auch hin? Krankenhaus? Vergiss es.“ Die Fahrt dauerte fast eine halbe Stunde. Der Asphalt wurde abgelöst von schier endlos ausgebreitetem Geröll mit Quarz-aufschüttungen. Über die Schotterstraße waren sie in Grün getaucht, schon lange aus der Stadt heraus. „Findest du es?“ fragte Harry, plötzlich wurde ihm klar, dass sie gar nicht genau wussten wie sie da hinkommen sollten. Was dann? Was, wenn sie hier irgendwo festsäßen? Dazu noch mit diesem Rebound hinten im Wagen. Paula hielt an. Sie drehte sich nach hinten zu dem stöhnenden Jeff. Dann sah sie Harry in die Augen: „Soll ich dir was sagen?“ Keine Antwort. „Dann hör mal gut zu und sieh aus dem Fenster. Fällt dir was auf?“ Harry stieg aus, es war klarer Himmel, es musste früher Nachmittag sein. Sie hatten warme Temperaturen und er verstand wirklich nicht, was Paula von ihm wollte. Harry winkte zu Paula, dann stieg er wieder zu ihr in den Wagen. „Und? Was willst du mir damit sagen?“ Paula verringerte den harten Griff auf das Lenkrad, ließ die Arme schlaff herunterfallen und drehte ihr Gesicht fast mechanisch zu Harry: „Mein Gott, sieh doch hin. Sieh genau hin. Und? Siehst du irgendetwas? Siehst du Sand? Siehst du Menschen? Zäune aus Holz? Eine weite Ebene? Kleine Häuser in einer bestimmten Anordnung um eine Pyramide im Zentrum gebaut? Genau – Die Pyramide, das Gelände. Sie sind weg.“ Erst jetzt fiel Harry auf, dass Paula verdammt noch mal Recht hatte. Sie waren schon so weit gefahren, dass sie mühelos hätten ankommen müssen. Er lehnte sich zurück, packte ein Bein auf das Armaturenbrett und atmete durch. Müdigkeit und Gummi schienen sich in seinen Knochen ihren Weg zu bahnen. Vom Becken herab zu den Füßen und nach oben flossen sie über die Hüften hinauf bis auch seine Arme angefüllt waren, er konnte es spüren, von seinem Kern ausmusste er tatenlos mit ansehen wie er aufgefüllt wurde. Sein Körper ein Labyrinth aus tausenden kleinster Kapillaren, angefüllt mit einem Kontrastmittel aus Müdigkeit und Gummi wie er es bei Detreu gesehen hatte. Aber dann gab er sich einen Ruck und die Vorstellung verschwand. `Weg´, dachte er. `Verschwunden´. Camper die nach einem gemütlichen Tages-ausflug ihr eigenes Zelt nicht mehr finden können. Aber dieser Tag war keineswegs gemütlich verlaufen und schon gar kein Ausflug. Und ein Zelt das mehrere Stockwerke hoch ist? Er kurbelte das Fenster runter, steckte seinen staubverkrusteten Kopf heraus und blickte nach oben. Dann bemerkte er einen Hubschrauber am Himmel. Sie wurden also verfolgt. Und jetzt? Sie konnten sich unmöglich jemandem anvertrauen. Wo zum Teufel waren denn diese Pyramidenheinis hin verschwunden? Paula startete den Motor. Dann fuhr sie unter einen schützenden Baum, knallte das Handschuhfach auf und durchstöberte es, um endlich eine zerknitterte Karte hervor-zu holen. „Ich verstehe das nicht!“ sagte sie. „Es muss irgendwo hier gewesen sein. Sie können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben?“ Harry begann zu lachen. Aber es klang wie das verzweifelte Kichern eines Mannes, dem sie nachts, mitten im Schlaf seinen eigenen Mumienschlafsack entwendet haben und der jetzt feststellenmusste, dass in diesem anderen Modell gar kein Reißverschluss zum Öffnen vorgesehen war. „Das darf doch nicht wahr sein.“ kicherte er weiter. „Paula sage mir, dass das nicht wahr ist. Wir lassen alles zu Klump hauen, karren diesen Jeff weg und jetzt finden wir die Pyramide nicht mehr?“ Er kicherte hemmungslos weiter, wollte gerade noch einmal beginnen sich davon zu überzeugen, dass es wirklich keinen Reißverschluss gab, gerade noch einmal beginnen das Gummi langsam seine Armvenen hochwandern zu lassen, als mit einem Ruck, der ihn fast aus dem Wagen geschleudert hätte, seine Seitentür aufgerissen wurde. Beide saßen da wie paralysiert. Eine vor Schreck erstarrte Terrakottagruppe, bereit alles über sich ergehen zu lassen. Aus dem Brennofen geschobene Lehmfiguren die man bald mit der zweiten Schicht heißen Tons übergießen würde. Zu keiner merklichen Regung fähig. Harry und Paula saßen da und glotzten. Sie folgten fast blind dem Zeigefinger eines dünnen Oberarms, der sie zu sich winkte, sie aufforderte den Wagen zu verlassen. Sie räkelten sich über die Sitzbank, mehr schlecht als Recht und als sie sich endlich den Boden berührten, konnten sie spüren, dass ihr Weg zu Ende war. Sie zumindest würden seinen weiteren Fortgang nicht mehr bestimmen können. Es war vorbei, aus. Der Mann, dem der dürre Finger gehörte, trug eine einfache Sonnenbrille, aber sein schmaler, bewegungsloser Mund formte sein Gesicht zu einer kalten Grimasse. Seine Hautfarbe so weiß, dass man sich unschwer denken konnte, wohin der Rest des Blutes aus seinem Gesicht verschwunden sein mochte; geflossen zur Gänze in den Körper in dem es wohl nötiger gebraucht wurde. Wozu auch Gesichtsmuskeln innervieren, dachte Harry, der braucht sie bestimmt nicht mehr. Mit abgehackten, kurzen Bewegungen orderte er seinen schattenhaften Begleitern einige Befehle zu. Bewegungen, zu abgehackten Reflexzuckungen reduziert, ähnlich einer pickenden Taube, aber noch abrupter, in noch größeren Abständen, als hätte jemand einzelne Bilder herausgeschnitten und auch diese noch in einem imaginären Kasten abgelegt, als Reserve, so dass er sie, wenn nötig, jederzeit abrufen konnte, um sie dann in schnellst Handeln zusätzlich mit einzufügen. Noch immer starrten Harry und Paula. Noch immer folgten sie dem Mann, seinen bedächtigen, leichten Schritten, beobachteten wie vier der Schemenmenschen Jeff Rebound auf einer Trage in ein geheimnisvolles, kutschenähnliches Gefährt hinüber wuchteten in dem schließlich sein bewegungsloser Körper verschwand und ließen sich dann fahren, durch eine plötzlich auf-tauchende glitzernde Nebelwand, ähnlich der, von der sie geradekamen und noch vor einer Stunde glaubten, sich befreit zu haben. Die unheimliche Stille die ihnen nach der kurzen Fahrt beim Aussteigen entgegenströmte, erschwerte zusätzlich das Begreifen wo sie sich eigentlich befanden. Nur Umrisse blieben erkennbar. Ein feuchter Geruch trieb ihnen in die Nase, schon bald war ihnen als verflöge die in den letzten Stunden so schmerzlich verspürte Müdigkeit. Ein angenehm warmer Luftzug umgab sie, als wollte er ihre Arme und matten Gesichter umschmeicheln. Sie konnten spüren, wie gut er ihnen tat, wie sich die von dem langen Tag, so hart gestraffte Haut erholte und zu alter Frische zurückkehrte. Aber auch als sie nach oben blickten war in dem diesigen Schleier, den überall kleinste aufblitzende Kristalle zu durchfunkeln schienen, nichts wirklich auszumachen. Es herrschte gerade genug graues Licht, um sich ungehindert bewegen zu können. Noch immer erschienen ihnen die unscheinbar um sie herum wuselnden Begleiter, verhüllt in matten Gewändern, sich untereinander in bedächtigen Gesten verständigend, als ein Ausdruck duldender Abweisung. Vor Harry und Paula gingen zwei von ihnen, ebenso zu jeder der andern Seite ihres kleinen Zuges, so dass sie zusammen zehn waren. Ihr dürrer Begleiter, der sie aus dem Wagen gelotst hatte war nun nicht mehr zu sehen. Verschwunden. Obwohl sich die Gestalten stets in gebührendem Abstand von einer Armlänge zu ihnen verhielten, bemerkten Harry und Paula auf ihrem Weg, dass diese keinen Zweifel daran ließen im Falle des kleinsten Anzeichens eines Zögerns oder einer Verlangsamung des Schritt-tempos zu anderen Mitteln zu greifen. Zweimal war Harry ins Straucheln geraten und zweimal hatte sich der Begleitzug abrupt dem Stoppen unterworfen. Niemand der Acht hatte sich zu ihnen umgedreht, aber es schien ihm, als würde der Kreis ganz unmerklich enger gezogen, als würde ihnen die Luft dünner und das Bewegen ein immer schwereres. Zweimal hatte Harry aber seinen Schritt wieder aufnehmen können, so dass sie schließlich den vorherigen Abstand herstellten und der Zug fortführte. Sie gelangten an eine hoch im Bogen gespannte Verästelung, einem Halbkreis, durch den gut und gern vier Mann und auch ein größerer Wagen hindurch gepasst hätten. Aber plötzlich stockte der Zug. Die vordersten beiden Begleiter wichen jeweils zu ihrer Seite ab und Harry und Paula bemerkten, dass sie alle plötzlich stehen geblieben waren. von vier Mann zu jeder Seite ließen sie stehen in einem Spalier. Und noch ehe beide sich ansehen und fragen konnten was denn nun als nächstes geschehen würde, war es ihnen als schöbe sie eine unsichtbare, weiche Hand nach vorne, um hindurch-zugehen, durch dieses Halbtor. Kurz lehnten sich beide zurück, aber es gab kein Halten, sie mussten weiter nach vorne gehen, ob sie wollten oder nicht und als sie nur noch ganz kurz vor dem Tor standen sahen sie es. Eine sich bewegende Wand und als sie noch näher herantraten, sahen sie, dass diese Wand nicht nur millionenfach zu flimmern begann, sondern millionen-fach aus lauter kleinen flirrenden Lebewesen bestand, aber es gab kein Summen, kein Rauschen und immer stärker wurde jetzt der Druck der unsichtbaren Hand. Schließlich, nur noch wenige Schritte schienen sie unausweichlich darauf zu zusteuern und Paula ergriff Harrys Hand. „ Nein, ich will nicht!“ Auch Harry wurde jetzt unruhig, aber er wusste nicht was er tun sollte. „Bitte Harry, nein. Nicht in diese Insekten hinein, was immer es ist.“ Harry fasste Paulas Hand noch fester, dann riss er sich los und drehte sich um, stemmte sich von dem Torbogen weg. „Mach es wie ich, Paula!“ schrie er und stemmte sich weiter dagegen, auch sie begriff nun die Chance. Beide schafften es sich gegen den Druck etwas durchzusetzen und ihre geheimnisvolle Fahrt zu stoppen, aber schon bald spürten sie erneut wie es sie in Richtung Tor drückte, schließlich rief Harry: „Wir haben keine andere Wahl. Was immer hier passiert. Paula. Wir müssen es wohl über uns ergehen lassen.“ Sie fassten sich wieder bei den Händen und blieben kerzengerade stehen. Wieder wurden sie voran geschoben. Die Wand wurde farbiger, sie konnten kleine Fühler erkennen, aber auch wattige Flügelchen, die sich unaufhörlich drehten und schon passierte es. Paula entfuhr ein Schrei und Harry wollte noch etwas rufen. Aber schon waren sie durch den Halbbogen hindurch. Zuerst geschah nichts. Buntes Licht tauchte in sie ein, auf den Ohren ein dumpfer Druck. Dann verspürten sie ein Kribbeln und Streicheln am ganzen Körper, aber ohne es als solches wahrzunehmen, eher, als hörten sie das Kratzen und Schaben in weiter Ferne, obwohl es doch so nahe war, als umgäbe sie noch eine Schale die nichts zu den empfindsamen Rezeptoren der Körperoberhaut hindurchließ. Es kribbelte und zuppte an ihnen. Sie konnten aneinander erkennen wie die einzelnen Härchen an ihren Armen, wie jedes Partikelchen in ihren Haaren durchweht und gehoben und gesenkt wurde. Aber keinen Schmerz und auch kein wohliges Empfinden konnten sie an sich feststellen. Nur ein Abfächern und Putzen. Und noch ehe sie sich versahen, kamen sie auch schon wieder aus dem Halbbogen heraus. Merkwürdigerweise empfing sie dort das gleiche Spalier der vier Gestalten zu jeder Seite, aber Paula stand nun zur rechten von Harry und nun war es eher ein Ziehen, als ein Schieben das sie weiter vorwärts drängte. Dann endlich war das Licht und das Befühlern um sie herum vorbei und sie standen erneut in dem Nebelschleier. Beide betasteten sich und stellten fest, dass sie sich nicht nur gesäubert, sondern auch unversehrt vorfanden. Auch war der Hunger von ihnen gewichen. Und immer noch gab es keinen Zeitpunkt der Ruhe. Denn in dem Spalier stand ihnen nun wieder der dürre Mann mit der Sonnenbrille gegenüber. Aber diesmal zeigte er keinen kleinen Finger, sondern hob den ganzen Arm, um sie in ihrem Gefolge einen weiteren Weg über das Gelände schreiten zu lassen. In eben demselben Tempo, mit eben denselben acht verhangenen Gestalten. Das Entkleiden, Säubern, etwas zu Essen, waren aber erste Gesten des Willkommens. Jedenfalls wollten sie es sich so wahrhaben und als sie nun abermals aufbrachen, derselbe Trupp sie umringte, und sie diesmal auch den dürren mit der Sonnenbrille ausmachen konnten, erschien das Ganze nicht mehr so unheimlich. Ja die Angst schien fast verflogen. Es mochte ein seltsames Ritual gewesen sein, ein Füttern und Nähren, eine zu überschreitende Sperre des Kontrollierens, aber noch immer schienen sie von den sie umgebenden die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, noch immer galt ihnen beiden derer ganzes Interesse. Sie kamen an einigen kleineren Hütten vorbei und steuerten sehr zielstrebig auf ein offenbar eigens hergerichtetes Quartier zu. Nicht ein Wort hatten Harry und Paula, nie allein gelassen, miteinander wechseln können, mit Ausnahme ihrer eher armseligen Hilfeschreie. Aber auf diesem zweiten Weg nun konnte Paula für einen kurzen, unbemerkten Moment, wie sie glaubte, Harry am Arm schubsen. Er wandte sich zu ihr um und so konnte sie seine Aufmerksamkeit auf ein noch im Schleier der diesigen Kristalle verhülltes Gebilde lenken, das den ganzen von überliegenden Wolken versunkenen Ort überragte, das keine andere Form hatte als die eines großen nach oben immer spitzer zuführenden Kegels, unverkennbar die Form eines Bauwerks das seit über dreitausend Jahren nur einen einzigen Namen trägt. Eine `Pyramide´. Grund ihres langen Fußmarsches in ein gesondertes Gebiet auf dem weiten Gelände der Pyramide war schließlich ein alter Bekannter. Noch ein gutes Anzeichen. Sie machten halt vor dem erst frisch aufgebauten Lager und wurden schließlich zu zweit eingelassen. In dem nicht sehr großen, schlichten Raum befanden sie sich in Gewahr nur noch zweier anderer Personen und sahen sich dann in aller Ruhe an, was von Jeff Rebound noch übrig geblieben war. Er erhielt eigens dieses Quartier nur für sich. Wie sie hierher gekommen waren, was dieses Versteckspiel sollte, dass man sie überhaupt gefunden hatte, alles war jetzt erst einmal zweitrangig, es gab noch dringendere Fragen. „ Detreu!“ hörte Harry sich sagen. Ein unbestimmtes Drängen in ihm ließ ihn sofort zum Punkt kommen: „Wo ist Detreu? Ich brauche ihn. Meine Zeit, ich habe nur noch wenige Tage zu leben, ohne die Lichtschranken werde ich sterben.“ Rebound drehte ihm schwer-fällig seinen Kopf zu, aha, das ging also noch. Aber mehr noch als das. plötzlich begann er sogar zu sprechen, was Harry aus diesem seltsam verformten Puppengesicht nun überhaupt nicht erwartet hatte, so dass er erschrocken zusammenzuckte. „Trösten Sie sich“, schnaubte Rebound. „Nur noch wenige Tage zu leben!“ äffte er Harry nach. „Da haben Sie mit einigen tausend anderen etwas gemeinsam, Harry – Sterben - Ich habe Sie ja gewarnt!“ Harry konnte jetzt keinen Zynismus gebrauchen. „Wo ist Detreu?“ „Der Wunderdoktor?“ eine lange Pause setzte ein, dann wieder diese Stimme: „Der ist über alle Berge. Tja, Pech gehabt, mein guter Junge. Pech gehabt.“ Das Schmunzeln des immer noch fast bewegungslosen Rebound traf ihn wie ein Schlag. In dem verbeulten, aufgeplusterten Gesicht dieses dicken Mannes konnte er es nicht sehen, aber erahnen. Rebound hatte diese Art, sein Schmunzeln schon vorher mit Worten anzukündigen. Ob er wohl Schmerzen hatte? Und Detreu? Getürmt? Harry setzte sich resigniert in einen Stuhl und schämte sich nicht, als die Tränen langsam seine von Staub und herabperlendem Schweiß verklebten Wangen herunter liefen. Langsam, flüssig, warm, Schmierspur für Schmierspur, sein Gesicht erforschend wie eine kriechende Schnecke, langsam, ganz langsam und dann immer schneller. Vor der Tür wurde Harry bereits erwartet. Zwei weißgekleidete Männer gingen an ihm vorbei in den Raum den er eben verlassen hatte, um sich weiter um den fast bewegungslosen Gast zu kümmern. Harry wurde in einem kurzen Schreiben, gehalten in einem Umschlag, instruiert seinem Gesprächspartner eine kurze Ruhepause zu gönnen, um dann mit dem Gespräch fortzufahren. Er würde weitere zwanzig Minuten erhalten, um sich dann vorzustellen. Was das hieß konnte nur eines bedeuten: Einen Besuch bei Geisa, der Leiterin der Pyramide. Harry stand etwas verloren da, vor dem kleinen Domizil des Jeff Rebound. Seine beiden ihm zugeteilten Beobachter, in grau gekleidet, sagten noch immer kein Wort. Er sah sich um, bemerkte sonst aber er niemanden. Siemussten sehr weit am Rande des Geländes sein. Seine Füße standen auf hartem Sandboden. Noch immer war der Himmel grau erfüllt von den glitzernden Lichtpunkten. Das merkwürdige Begrüßungsritual, die diesige Atmosphäre hatte zweifellos etwas mit dem zerstörerischen Ablauf des Tages zu tun. Ein sehr langer Tag. Aber er fühlte sich keineswegs müde und betastete ein ums andere Mal seine seit dem Halbbogen getrocknete Kleidung. Welch Wundermittel sie auch immer dort wieder angewandt haben mochten, im Moment konnte es ihm nur Recht sein.