Читать книгу Traum-Zeit - Josie Hallbach - Страница 7
Kapitel 4:
ОглавлениеDie nächsten Wochen verlebte ich wie in einer Art Trance. Ich schaffte es zwar, meinen Alltag zu bewältigen, Florian aus dem Weg zu gehen und im Job die geforderte Leistung zu bringen, aber nichts davon schien wirklich wichtig zu sein. Der seltsame Traum wollte einfach nicht aus meinem Bewusstsein verschwinden und stand so klar vor meinen Augen, wie am ersten Morgen.
Natürlich redete ich mit niemandem mehr darüber. Das eine Gespräch mit Mona hatte mir vollkommen gereicht. Außerdem erzählt man nicht freiwillig, dass man sich als erwachsene, Vernunft begabte Frau in eine fiktive Gestalt verliebt hat und nun zutiefst unglücklich ist, weil es keine reelle Chance gibt, diese wiederzusehen. Genauso wenig wie man beichtet, dass man sich „Legolas“-Bilder im Internet anschaut und innere Dialoge mit einem Unsichtbaren führt, der weder Gott noch Jesus ist. Wahrscheinlich hätte eins davon bereits für eine Selbsthilfegruppe gereicht.
Ungefähr einen Monat später trat Mona an meinen Schreibtisch. Es war ein chaotischer Mittwochnachmittag Anfang April, an dem jeder Bausparer südlich des Mains glaubte, Änderungen an seinem uralten Vertrag vornehmen zu müssen. Der Kollege, der normalerweise dafür zuständig war, befand sich sonnenbadend und tauchender Weise auf den Malediven.
Ich versuchte gerade einen aufgebrachten Kunden zu beruhigen, einen weiteren in die Warteschleife zu vertrösten, auf meinem Bildschirm poppten mehrere wichtige Info-Mails auf und der Stapel mit unerledigtem Papierkram, der sich neben meiner Grünlilie auftürmte, geriet durch eine ungeschickte Armbewegung ins Rutschen.
Genau da flüsterte meine Freundin: „Heute Abend halb acht. Ich hole dich ab. Keine Widerrede.“ und verließ vor sich hin trällernd das Büro, ohne mir die Möglichkeit einer Gegenwehr zu lassen.
Das Gute daran war, dass ich die nächsten beiden Stunden keine Zeit hatte, mich über diese Bevormundung aufzuregen.
Als sie zehn nach acht bei mir an der Wohnungstür klingelte, fragte ich mich immer noch, was sie wohl bewog, ihren heißgeliebten Yoga-Kurs an diesem Abend mir zu opfern.
„Du meine Güte läuft der Orang-Utan vom ersten Stock jetzt öfter so rum?“, begrüßte sie mich schaudernd anstelle der sonst unvermeidlichen Umarmung. „Wenn ja, solltet ihr unbedarfte Besucherinnen schleunigst vorwarnen.“
Selbstverständlich sind Mona meine Mitmieter bekannt und umgekehrt genauso. Signore Ribello, der kompakt gewachsene Opa vom dritten Stock flirtet sogar regelmäßig mit ihr. Italienische Männer stehen nun mal auf blonde, gut gebaute Frauen. Allerdings tut er das nur in Abwesenheit seiner temperamentvollen Gattin.
„Was hatte Herr Maifeld denn an?“, erkundigte ich mich betont beflissen, rechnete aber mit Schlimmem.
„Einen zwei Nummern zu kleinen Jogginganzug aus den Siebzigern und Badelatschen. Er sah aus wie Meister Propper aus der Werbung, nur ungewaschen, abgewrackt und ohne Ohrring.“ Meine Besucherin schüttelte sich angesichts dieser modischen Verirrung.
Äußerlich grinste ich vieldeutig, während mein Inneres erleichtert aufatmete. Tatsächlich konnte Mona von Glück sagen. Neulich trug unser Hausmeister, Pseudo-Minigolfer und Reparatur-Profi bloß Unterwäsche. Seit seine Frau ihn verlassen hat, kümmert ihn sein Äußeres kaum mehr. Vor drei Wochen ist diese urplötzlich ausgezogen. Man munkelt unter meinen Mietgenossinnen, sie habe beim Seniorenturnen mit dem wesentlich jüngeren Kursleiter angebändelt. Seither wird der verzweifelte Strohwitwer abwechselnd von den verbliebenen Frauen unseres Hauses mit Essen versorgt. Gestern Abend bereicherte ich seinen Speiseplan zum Beispiel durch einen Gemüseeintopf mit Saitenwürstchen. Letzteres behielt ich an dieser Stelle aber tunlichst für mich.
Trotzdem zeigte sich meine Besucherin ernsthaft erschüttert. „Wie kannst du nur freiwillig hier wohnen bleiben? Es wird höchste Zeit, dass du wenigstens einen Abend lang rauskommst. Zieh dir eine Jacke an und dann verschwinden wir.“ Sie war ausgehfertig gestylt, trug ihr blondiertes Haar als wilde Steckfrisur, Kriegsbemalung und hochhakige Stiefel, die Blicke auf ihre wohlgeformten Knie freigaben.
Ich schluckte sämtliche Entgegnungen hinunter, unter anderem die, dass ich meiner Meinung nach bereits ein abwechslungsreiches Abendprogramm besitze. Schließlich gehe ich regelmäßig in meinen Gesprächskreis, gebe Nachhilfe bei den Flüchtlingen und besuche meine Oma. Im Februar hatte ich es sogar mit einem Aquarellmalkurs versucht, wegen unübersehbarer Talentlosigkeit aber vorzeitig abgebrochen. Außerdem besitze ich ein altes Röhren-Fernsehgerät aus Mutters Zeiten. Wenn man schon GEZ-Gebühren bezahlt, sollte es wenigstens nicht umsonst sein.
Stattdessen fragte ich: „Was hast du vor?“
„Wir werden einen Mann für dich suchen.“ Als sie meinen rebellischen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: „Das war ein Scherz. Ich weiß, dass wir dazu in eine Kirche müssten. Komm, wir verbringen mal wieder einen netten Abend miteinander.“
Einfachheitshalber kapitulierte ich. Auf dem Weg durch den nahegelegenen Stadtpark erkundigte ich mich dennoch nach den wahren Gründen für ihren selbstlosen Einsatz.
Die Antwort kam prompt. „Mensch Ronja. Warum wohl? Weil du meine Freundin bist, das gleiche für mich tun würdest und bereits mehrfach getan hast. Ich möchte nur an meine hirnschwache Affäre mit Jens aus der Marketingabteilung erinnern.“
Dies war ein dunkles Kapitel in ihrem Leben und allein, dass sie es freiwillig in Erinnerung rief, zeigte mir, wie ernst sie meinen Zustand einstufte. Sie hatte damals unter einer Art bulämischen Beziehungsstörung gelitten, was bedeutete, dass sie, obwohl sie gewusst hatte, dass dieser aalglatte Typ sie ausnutzte, einfach nicht die Finger von ihm hatte lassen können. Anschließend war sie regelmäßig auf meinem Sofa gesessen und hatte sich über ihre eigene Dummheit ausgekotzt.
„Ich mache mir Sorgen um dich, Kleine. Seit der Trennung von Flo läufst du rum, als ob du demnächst zu deiner eigenen Beerdigung müsstet. Echt jetzt, es gibt so viele nette Jungs auf dieser Welt. Da wird doch wohl einer dabei sein, den du nicht augenblicklich abblitzen lässt.“
„Ich will keinen Freund“, versuchte ich ihr starrköpfig klarzumachen.
Mit wenig Erfolg. Da schenkt sie sich mit meiner rumänischen Mitmieterin rein gar nichts. Erst gestern hatten wieder Kekse, nebst einem aktuellen Foto von Enkelsohn Sorin vor meiner Tür gelegen. Jetzt, wo ihm allmählich ein Bart wächst, fürchte ich ernsthaft, der gute Junge könnte seine Oma irgendwann mal besuchen kommen.
Mona rollte in gespielter Verzweiflung die Augen. „Selbstverständlich willst du einen. Wenn man von Hochzeitsnächten träumt, ist man förmlich wild darauf, seine Defizite auszumerzen.“
Ihr Blick sagte mir, dass sie mich durchschaute. Manchmal ist mir meine Freundin richtiggehend unheimlich. Oder trage ich mein Innenleben inzwischen derart unverstellt zur Schau, dass andere Menschen darin wie in einem offenen Buch lesen können? Dummerweise ähnelte es momentan sehr einem, nur wenige Seiten umfassenden, Groschenroman.
Wir endeten in einem Schnellimbiss. Sie bestellte einen Salat mit Hühnchen und ich Hamburger und eine Cola. Dazu aus Rache für heute Nachmittag ein paar Pommes, was mir immerhin ihren leidenden Blick einhandelte. Als Konsequenz hielt sie mir einen Vortrag über die Gefährlichkeit von gesättigten Fettsäuren, kanzerogenen Stoffen und kurzkettigen Aminosäuren.
Weil ich frisches Obst und Gemüse liebe und nur in ihrer Anwesenheit kulinarischen Ausrutschern schwer widerstehen kann, sagte ich einmal mehr nichts dazu und lasse sie seit Jahren in dem Glauben, mein Leben bestünde schwerpunktmäßig aus Fastfood.
An unserem Nebentisch ließ sich eine Familie nieder. Das jüngste Kind war behindert, saß im Rollstuhl und genoss den Ausflug unübersehbar. Es jauchzte ständig vor sich hin. Die anderen gingen sehr liebevoll mit ihm um. Als der Vater ihm mit seinem Stofftaschentuch den Speichel vom verzerrten Mundwinkel wischte, hätte ich fast geheult. Aus irgendeinem Grund berührte dieses Bild meine sentimentale Seite.
Vielleicht lag es daran, weil ich, als klar war, dass ein Lehramtsstudium für mich mangels Ausbildungsvergütung und wegen meiner schwerkranken Mutter nicht in Frage kam, kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, Heilerziehungspflege zu lernen. Ich hatte mich sogar um einen Praktikumsplatz bemüht. Aber die Arbeitszeiten und die Bezahlung waren nicht so, dass wir uns das hätten leisten können. Darum landete ich bei der Bausparkasse. Der Bausparvertrag, den ich seither besitze, tröstet mich nur geringfügig über meine verfehlten Ideale hinweg. Meine Mutter hat mich aber gelehrt, angefangene Dinge konsequent durchzuziehen. Daher brachte ich meine Ausbildung zu Ende und verpasste dann irgendwie den Absprung.
Als Mona und ich uns zu später Stunde auf den Heimweg machten, hatte ich sie wenigstens überzeugt, dass ich weder Suizid gefährdet bin, noch in nächster Zeit einem Kloster beizutreten gedenke. Ich gehöre zwar zur anderen Fraktion, doch Mona sieht das Thema Religion grundsätzlich überkonfessionell. Als Agnostikerin behält man so leichter den Überblick.