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Sieben

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Der Tag hatte gut begonnen. Sie hatten sich im azurblauen Licht eines frühen Septembermorgens geliebt und dann beschlossen, eine Auszeit von den Schrecknissen dieser Welt in Gordes zu nehmen. Ein Nest, das sich in die Terassen eines Bergsporns am Rande des Plateau des Vaucluse klammert. Gordes wurde in den Sechzigern von Künstlern und Malern entdeckt. In der Mitte des Dorfes schlummert ein von Efeu überwuchertes Renaissanceschloß, das Victor Vasarely für den symbolischen Preis von einem Franc für 55 Jahre pachtete und für sich selbst renovierte. Der aus Ungarn stammende Op Art-Künstler war längst in Frankreich heimisch geworden und richtete dort ein Museum ein. Bald siedelten sich Kunsthandwerker, Restaurants und Andenkenläden an, die schnell zu einem Touristenmagnet wurden.

Die Häuser Südfrankreichs haben mir eine in sich widerspruchsvolle Perspektive aufgezeigt. Niemals gelingt es dort dem Auge, Schatten und festes Mauerwerk klar zu unterscheiden. Flächen und Räume, Formen und Hintergründe vermischen sich, wechseln einander ab, werden zu Abstraktionen und beginnen ihr eigenständiges Leben … schrieb der Maler einst an einen Freund in einem Brief, den Arnoult während seines Studiums gelesen hatte. Wenn er in der schwirrenden Mittagshitze vor seiner Staffelei saß und die Formen sich auflösten, sodaß der Betrachter denkt, daß die Dinge schweben, hatte Arnoult erkannt, das Vaserely recht hatte und ihm im Stillen zu der exakten Beschreibung der Phänomene gratuliert.

Suzanne sagte ihre Veranstaltung über die Frühchristlichen Symbole bei den Kelten ab, die sie im historischen Seminar der Universität von Aix-en-Provence halten sollte und Arnoult rief seinen Chef an und behauptete, daß er einen Außentermin habe, der ihn bis in die späten Abendstunden beschäftigen würde. Sie waren sich wie zwei Pennäler vorgekommen, die die Schule schwänzten. Arnoult ließ das Verdeck des Peugeot Cabrio herunter, setzte eine Ray Ban-Sonnenbrille auf, schaltete das Radio ein, öffnete Suzanne die Tür, die in ihrem dünnen Sommerkleid verführerisch wie eine griechische Göttin aussah und startete mit quietschenden Reifen in ihre heimliche Vergnügungstour. Sie verließen Marseille, folgten der Küstenstraße, die sich parallel zur Route National vorbei an kahlen Felsen schlängelte, und bogen in Höhe von La Bourdonniere in Richtung des Pilon du Roi ab, als plötzlich ein Lastwagen vor ihnen, vollgeladen mit Tomatenkisten, ächzend und stöhnend die holprige Piste entlang fuhr. Arnoult gab Gas, schaltete zurück in den dritten Gang, beschleunigte und setzte sich neben den LKW. Zu spät bemerkte er den Citroën, der direkt auf ihn zukam. Wie in Trance riß Arnoult das Lenkrad herum. Dann ging alles sehr schnell. Das Cabrio raste in den Straßengraben, überschlug sich mehrmals, rammte einen Felsblock und ging in Flammen auf.

Arnoult schreckte hoch. Er war schweißgebadet. Wie in einem immer wiederkehrenden Film sah er er den blutüberströmten Körper Suzannes und ihre weit aufgerissenen Augen, die ihn anzuklagen schienen.

Niemals, niemals wieder wird alles so sein wie früher, stöhnte Arnoult, fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, spürte das Flammenschwert der Narbe und wälzte sich aus dem Bett.

Er versuchte sich zu orientieren. Dann erkannte er das Zimmer wieder. Er war im Quatre Poisson, einem Hotel am Place du Marché in St. Cyr abgestiegen. Madame Bousset, die Wirtin, eine kleine dralle Person mit hochtoupierten blonden Haaren und einer überdimensionalen Brille, die mit Glitzer verziert war, hatte ihm diese Bleibe zugewiesen. Todmüde hatte er sich auf das Bett fallen lassen und war sofort eingeschlafen. Warum hatte er zweimal am Tag denselben Albtraum gehabt? Ein Jahr lang war es ihm gelungen, die Dämonen der Vergangenheit zu bannen. Lag es daran, daß Françoise Clavine ihn an Suzanne erinnerte? Die gleichen fließenden Bewegungen. Er hatte sie beobachtet, wie sie in ihren weißen Clio einstieg. Die lässige Art, wie sie ihre Sonnenbrille in die Haare schob, selbstbewußt aber auch verletzlich. Françoise Clavine hatte seinen Eispanzer berührt, den er sich nach dem Tod von Suzanne zugelegt hatte. Er selbst hatte sich diesen Unfall nie verziehen. Er war für den Tod seiner Frau verantwortlich. Wochenlang vernachlässigte er seine Arbeit als Polizist. Arnoult trank mehr als ihm gut tat und kam oft zu spät oder gar nicht zum Dienst. Sein Chef mahnte ihn ab und schickte ihn zu einem Polizeipsychologen. Antoine Marmand, ein graubärtiger Riese, blätterte in seiner Personalakte und fand heraus, daß Arnoult einige Semester Malerei studiert hatte, bevor er auf die Polizeiakademie wechselte. Marmand riet ihm, sich wieder seinen Studien zuzuwenden. Arnoult zog in ein Atelier auf dem Boulevard Boille und versuchte, Suzanne zu vergessen. Die einzigen Gefühle, die Arnoult seitdem zuließ, waren die Eindrücke während seiner stundenlangen Spaziergänge durch den Luberon, auf denen er seine Skizzenbücher füllte, die die Grundlage für seine Bilder waren, die er nachts in seinem Atelier malte.

Arnoult blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor zehn und er beschloß, die trübsinnigen Gedanken beiseite zu schieben und sich wieder seinen Ermittlungen zu widmen.

Picasso sehen und sterben

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