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Fünf

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Sie haben bestimmt noch etwas vor, Roubaix, lassen sie mich alleine mit den Eheleuten Pirez reden.

Arnoult, ich denke, daß das alles nichts bringt, was wir hier betreiben. Es gibt eine Serie von Einbrüchen in Villen, die alle hier in der Region Var stattfanden. Es muß Spezialisten geben, die das Terrain erkunden und dann zuschlagen. Hier ist zum ersten Mal ein Mord passiert, vermutlich weil Monsieur Bertrand den oder die Einbrecher überrascht hat. Ich werde in die Präfektur fahren und die Akten mit diesem Einbruch hier vergleichen. Möglicherweise ergibt sich so etwas wie ein Muster.

Tun sie, was sie nicht lassen können. So gegen 23 Uhr werde ich sie in ihrer Klause besuchen kommen, dann können wir darüber reden, was wir herausgefunden haben.

Ich werde da sein, knirschte Roubaix, und übrigens viel Erfolg, fügte er mit einem ironischen Grinsen an, bevor er sich abwandte und eilig die Villa verließ.

Kommissar Arnoult stieg erneut die Treppe zum ersten Stock hinauf, wobei er diesmal eingehend die Ahnengalerie betrachtete, die im matten Licht des Kristallüsters glänzte.

Jean Phillip Heroult, 1862-1923, war auf einem Messingschild auf einem schweren vergoldeten Rahmen eines Ölgemäldes zu lesen, das einen streng blickenden Herrn im besten Alter mit Backenbart und Nickelbrille zeigte, der einen Jagdanzug trug und eine doppelläufige Flinte in der Hand hielt.

Der Großvater der zukünftigen Erben des gestohlenen Picassos, grinste Arnoult im Stillen.

Vom gleichen Kaliber, aber entsprechend älter, war der Gründer des Reichtums, Pierre Auguste Heroult, in Öl auf einem Bild verewigt, das einige Stufen höher hing. Er saß in der Uniform eines napoleonischen Kavallerieoffiziers auf einem Stuhl, dessen Lehne reich verziert war und blickte den Portraitisten durch ein Monokel an, das ihm einen mokanten Gesichtsausdruck verlieh. Zu seinen Füßen lag ein schwarzer Labrador, der einen Fasan verschlang.

Das ist schon richtig, daß ein argentinischer Bastard nicht in diese Erbfolge paßt, überlegte Arnoult und grinste innerlich, als er an der Tür des Gästezimmers klopfte.

Es dauerte eine Weile, bis er eine gedämpfte müde Stimme hörte, die in gebrochenem Französisch fragte: Wer ist da? Kommissar Arnoult.

Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und er stand einer Frau von Anfang sechzig gegenüber, die ein mit roten Rosen verziertes Armani-Kleid trug, das ihre stattliche Figur betonte. Ihr wallendes schwarzes Haar war nur von wenigen grauen Strähnen durchzogen. Große goldene Ohrringe betonten das Gesicht einer Aztekin, das streng und herbe wie aus Stein gemeißelt wirkte. Ihre Stimme klang rauh und schleppend wie bei einer mechanischen Puppe, als sie ihn in das Zimmer bat.

Mein Mann, Professor Pirez, hat gerade geschlafen. Er ist herzkrank und braucht noch ein wenig Zeit, bis er sich angekleidet hat. Setzen sie sich doch bitte. Sie deutete auf einen Korbsessel, der unter dem Fenster stand, das geöffnet war, um den kalten, karg möblierten Raum zu lüften. Arnoult trat an das geöffnete Fenster und sog den Duft von Thymian und Salbei ein, den eine sanfte Brise in das Zimmer wehte, bevor er sich umwandte und mit dem Rücken an die Fensterbrüstung lehnte. Die Einrichtung des Zimmers bestand aus antik gebeizten Weichholzmöbeln, einem Tisch und vier wackeligen Stühlen mit Sitzflächen aus geflochtenem Bast. Die Sorte Möbel, wie man sie in jedem Hypermarché findet. Nichts für die Ewigkeit.

Setzen sie sich doch, bat eine brüchige Stimme. Professor Pirez stand im Morgenmantel vor ihm und deutete mit einem Stock auf den Sessel. Er selbst ließ sich ächzend auf einen der Bauernstühle nieder und gähnte herzhaft. Pirez war unrasiert und die grauen Stoppeln auf seinem aufgedunsenen Gesicht ließen ihn alt und krank aussehen.

Was wollen sie von uns wissen, Kommissar Arnoult? Wir haben diesem jungen Inspektor, wie heißt er doch gleich …? Er wandte sich hilfesuchend an seine Frau, die sich an einer Anrichte zu schaffen machte und sich einen Cognac eingoß. Roubaix, murmelte sie, und nahm einen tiefen Schluck aus dem Cognacschwenker.

… also diesem Roubaix doch alles gesagt, fuhr Aristide Pirez müde und gereizt fort.

Wo waren sie gestern nacht zwischen ein Uhr und drei Uhr morgens? Arnoult wirkte ungerührt.

Hah, sie sind lustig, wenn ich meine Herztabletten mit einem Glas Milch zu mir genommen habe, schlafe ich wie ein Murmeltier.

Wann ist das?

Na, zum Abendessen, so zwischen zwanzig und einundzwanzig Uhr. Madame Bertrand versorgt uns ausgezeichnet, sie bringt uns die Mahlzeiten und liest uns jeden Wunsch von den Augen ab. Ganz im Gegensatz zu meinem Halbbruder, der sich standhaft weigert, mir meinen Erbanteil auszuzahlen, brüllte Pirez und hieb mit der Faust auf den Tisch. Dabei atmete er so heftig wie ein Blasebalg, und sein Gesicht lief rot an.

Du sollst dich nicht aufregen, Aristide, sagte Madame Pirez ruhig, nachdem sie an ihrem Cognac genippt hatte.

Wie kommt es, daß sie mit Heroult verwandt sind? fragte Arnoult freundlich lächelnd.

Meine Mutter ist eine französische Jüdin, die während des Vichyregimes nach Südfrankreich geflohen ist. Sie hatte ein Verhältnis mit Julian Heroult, meinem Vater, der vor einer Woche verstorben ist. Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, nachdem wir von seinem Tod erfahren haben. Pirez bemühte sich mit bitterer Miene, nicht wieder aus der Haut zu fahren.

Sind sie offiziell als dessen Sohn anerkannt worden?

Meine Mutter hat ihre Flucht aus Frankreich mit einem Gemälde von Picasso bezahlt. Dasselbe gute Stück, das gestern nacht gestohlen wurde. Heute ist das Meisterwerk Millionen wert, damals hat sie nur ein paar Franc dafür bekommen. Aber das ist noch nicht alles. Sie mußte mit diesem Weinbauern ins Bett, damit er ihr abnahm, daß es ein echter Picasso ist. Er hat ihr ein Almosen in die Hand gedrückt und sie nach Marseille abgeschoben. Bei einem dieser Tête-à-tête bin ich wohl gezeugt worden. Der Alte hat mich nie offiziell adoptiert, aber meiner Mutter hin und wieder Geld bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren geschickt. Dann hörte ich nichts mehr von ihm, bis die Todesnachricht samt Testament kam. Mein Vater will mich mit hundertausend Euro abspeisen und hinterläßt seinem zweiten Kind Millionen, endete Pirez und schüttelte resigniert den Kopf.

Gibt es eine Korrespondenz zwischen dem alten Heroult und ihrer Mutter?

Aber sicher, Kommissar Arnoult. Ich war bis vor drei Jahren Professor für Romanistik in Buenos Aires, bis ich zwei Herzinfarkte kurz hintereinander bekam. Man hat mir einen Bypass eingesetzt. Von dieser Operation habe ich mich bis heute nicht richtig erholt. Aber das nur nebenbei …, murmelte Pirez in Gedanken versunken. Ich habe die Briefe meiner Mutter zum Anlaß genommen, mich mit dem Schicksal französischer jüdischer Exilanten auseinanderzusetzen. Dabei sind mehrere beachtliche wissenschaftliche Publikationen entstanden, die dazu geführt haben, daß ich eine Professur an der Universität von Buenos Aires erhielt, fügte er stolz hinzu.

Wie sind sie an die Briefe gekommen?

Es gibt hier eine inzwischen uralte Zimmergenossin meiner Mutter, Madame Esterell, die betreibt seit Jahrzehnten einen Kunsthandel in der Rue Quattre Septembre, unten im Städtchen. Als junger Mann war ich schon einmal hier …, seufzte Professor Pirez und starrte aus dem Fenster. Das war keine gute Erfahrung, die ich damals gemacht habe. Mein Vater hat mich damals nicht einmal empfangen. Er wollte nichts von mir wissen. Er schluckte, als säße ihm ein Kloß im Hals.

Und die Briefe?

Ich habe dann Madame Esterell gebeten, mir die Briefe auszuhändigen. Ich mußte ihr allerdings hoch und heilig versprechen, die Korrespondenz zurückzugeben. Pirez wandte sich an Kommissar Arnoult. Sie lebt in ihren Erinnerungen, wissen sie, sagte er lächelnd.

Beweisen diese Unterlagen ihre Identität als Sohn des alten Heroult?

Aber ja doch! Professor Pirez nickte heftig. Meine Mutter hat ihn nie unter Druck gesetzt. Sie hat ihr Leben lang als Zeichenlehrerin gearbeitet und ihr eigenes Geld verdient. Wir waren arm, aber wir haben nie betteln müssen. Es war kein Mitleid, daß der Alte uns ab und zu etwas Geld schickte, sondern sein schlechtes Gewissen! Madame Esterell lebte als junges Mädchen mit Maman in Paris zusammen und kann ihnen bestätigen, was ich ihnen erzählt habe. Soll ich ihnen die Adresse noch einmal nennen?

Lassen Sie nur, Professor, ich habe es mir schon notiert. Arnoult ließ das kleine rote Notizbuch wieder in seiner Jackentasche verschwinden. Das Problem ist, ich ermittele in einem Mordfall, Monsieur Pirez, und nicht in einer Erbangelegenheit. Ich fürchte, daß das die Gerichte klären müssen … Ach übrigens, haben Sie die Briefe eigentlich schon einmal einem Rechtsanwalt vorgelegt?

Ja sicher, 1974 … damals galten sie als nicht rechtsgültig, in den Augen der Justiz bewiesen sie gar nichts. Mein Bruder hat irgend einen Winkeladvokaten mit der Wahrung seiner Rechte beauftragt. Ich denke, daß ich nicht umhin kommen werde, erneut einen Rechtsbeistand einzuschalten, erwiderte Pirez leise.

Wie auch immer, ich werde sie jetzt alleine lassen und gegebenenfalls auf sie zurückkommen. Guten Abend, Monsieur … Madame, verabschiedete sich Arnoult und verließ das Zimmer, das trotz der milden Brise immer noch nach Medikamenten und Alter roch.

Auf dem Flur griff Arnoult in die Brusttasche seines Leinenjackets und holte die Photographie hervor, die ihm Roubaix gegeben hatte. Es war ein Photo, das anläßlich der Aufführung der Madame Bouvary in St. Etienne aufgenommen worden war. Die Schauspielerin Françoise Clavine war rot umrandet und kaum zu erkennen, zumal sie ein Kleid aus der Jahrhundertwende trug. Trotzdem ließ das Bild seinen Atem stocken. Françoise Clavine erinnerte ihn an Suzanne.

Picasso sehen und sterben

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