Читать книгу Mutterschmerz - J.P. Conrad - Страница 10
Kapitel 7
Оглавление»Was ist los?«, fragte ich meinen Assistenten, überrascht, ob seines unverhofften Auftauchens.
»Es kam eine Nachricht über Funk. In Arnsbach brennt ein Haus«, erklärte er außer Atem, als wir am Tor zum Schulgelände zusammentrafen.
»Und? Wir sind nicht die Feuerwehr!«
»Es hieß, die Nachbarn hätten gesagt, in dem Haus würde eine Frau mit ihrer etwa zwölf Jahre alten Tochter wohnen.«
»Hm.« Das war eine Möglichkeit, auch wenn ich den Erfolg zu diesem Zeitpunkt eher gering einschätzte. »Was ist mit Klotz?«, fragte ich.
»Wurde in Gewahrsam genommen. Er kommt nach Homburg.«
»Gut, der läuft uns also nicht weg. Dann fahren wir nach Arnsbach«, beschloss ich.
Blume gab dem Beamten im Streifenwagen ein Zeichen, dass er nicht mehr gebraucht wurde. Dann stiegen wir in unseren Opel; Gerd setzte sich ans Steuer, wie üblich. Ich hatte kaum die Tür geschlossen, da gab er auch schon Gas.
»Was für ein Zufall, dass Sie diese Information erhalten haben«, sagte ich grübelnd.
»Von dem Brand?«
»Nein, dem Mädchen, das in dem Haus wohnt«, erläuterte ich ihm meinen Gedankengang.
Er verstand und klärte mich sogleich auf: »POM Förster von der Einsatzzentrale hat die Nachricht von den Beamten vor Ort erhalten und an uns weitergeleitet.«
»Verstehe. Gut mitgedacht.« Ich war erfreut darüber, dass die Kommunikation und auch das vernetzte Denken an und mit meiner Dienststelle offenbar glänzend funktionierten. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich mich als Neuer in diesem eingespielten Team erst noch beweisen musste. Es galt also, jetzt keine Fehler zu machen.
Ich beobachtete die herbstliche Landschaft aus Feldern und Äckern, die gemächlich an meinem Fenster vorbei zogen. Mein Blick blieb an einer dünnen, schwarzgrauen Rauchsäule hängen, die in einiger Entfernung dieses friedliche Bild unsanft durchschnitt.
»Unser Wegweiser«, sagte Gerd just in dem Moment und nickte voraus.
Während er ihm folgte, fragte ich ihn: »Was halten Sie von Emil Klotz?«
Ein abschätzendes Brummen. »Sieht nicht gut aus für ihn, zumindest nach dem ersten Anschein. Die vielen Spuren...«
»Fast schon zu einfach« murmelte ich in Gedanken, während mein Blick ins Leere fiel.
Nach knapp fünf Minuten kamen wir am Ende der Straße an; in Arnsbach. Der Ort schien ebenfalls nicht sonderlich groß zu sein. Es gab eine Hauptstraße, von der mehrere kleine Gassen abgingen. Gerd bog zielsicher in eine davon ein und wir stießen nach wenigen Metern auf zwei Löschzüge, die den Weg blockierten. Wir hielten an und stiegen aus. Hektisches Treiben herrschte hier aber nicht; die Feuerwehrmänner waren bereits dabei, die Schläuche wieder einzurollen.
»Kampmann, Kriminalpolizei.« Ich winkte mit der Marke. »Wer ist hier der Einsatzleiter?«, fragte ich in die Runde.
Eine der uniformierten und Helm tragenden Einsatzkräfte, mit von Ruß geschwärztem und Anstrengung glänzendem Gesicht, sah sich kurz um.
»Brandobermeister Klinger, da hinten.« Er deutete auf einen Mann, der mit zwei anderen vor einem alten, zweistöckigen Fachwerkhaus stand. Dessen Dach war vom Giebel her mittig eingestürzt, die Fenster allesamt geborsten. Um sie herum hatte sich der charakteristische, schwarze Rußkranz gebildet. Die angrenzenden Gebäude schienen unversehrt geblieben zu sein.
Ich bedankte mich und ging mit Gerd zu den drei Feuerwehrleuten hinüber. Einer deutete nach oben zu dem vollkommen verkohlten Dachgebälk. Er sagte etwas von »Kann jeden Moment einstürzen.«
»Herr Klinger?«, fragte ich und alle drei fuhren herum.
Der Mann in der Mitte meldete sich: »Ja?« Er war leicht untersetzt und trug einen buschigen Oberlippenbart unter einer ziemlich platten Nase.
Ich legitimierte mich und meinen Assistenten und fragte dann: »Wissen Sie schon was über die Brandursache?«
»Das Feuer ist vermutlich in der Küche ausgebrochen, nachdem, was wir bisher sehen konnten. Dort liegt auch die Leiche. Wir haben sie noch nicht bergen können; zu gefährlich.«
Meine Augen weiteten sich. »Leiche? Es war also jemand im Haus? Wer?«
Klinger zuckte mit den Schultern. »Einer der Bewohner, nehme ich an. Den Schuhen nach zu urteilen, eine Frau.«
Blume und ich sahen uns an. Gerd war ebenso erstaunt, wie ich. Er trat einen Schritt vor und schaute auf das kleine Namensschild neben dem Türsturz.
»Mattheis«, las er vor und fragte: »Sind Sie sicher, dass die Person tot ist?«
»Das hoffe ich für sie«, kam die trockene Antwort.
»Wann wurde der Brand gemeldet?«, wollte ich wissen.
Klinger brauchte nicht zu überlegen. »Um halb neun. Wir waren dann gegen Viertel vor neun vor Ort. Hat eine Weile gedauert, bis wir das Feuer im Griff hatten. Diese alten Kästen brennen ja wie Zunder. Gerade unter dem Dach können immer wieder Glutnester entstehen. Wenn es nach mir ginge, gehörten die Dinger alle abgerissen!«
Ich nahm es mit einem Brummen zur Kenntnis und sah mich um. Wo waren die Schaulustigen? Die beiden großen Löschzüge versperrten mir die Sicht auf die umliegenden Häuser. Also lief ich um sie herum. Und ich wurde direkt fündig: Eine Traube von zehn Personen stand dort auf dem schmalen Gehsteig vor einem Hoftor und tuschelte aufgeregt. Ich ging zu ihnen und stellte mich vor.
»Können Sie mir sagen, wer dort in dem Haus gewohnt hat?«, erkundigte ich mich. Ich hatte zwar einen Namen vom Klingelschild, aber sonst nichts.
Ein stämmiger Kerl mit schmutziger Latzhose und Gummistiefeln antwortete mit dunkler Stimme: »Die Mattheis mit ihrer Tochter.«
Ich zückte mein kleines Notizbuch und den Stift. »Kennen Sie auch ihren Vornamen?«
Der Mann kratzte sich am Kopf. »Tja…«
»Sie hieß Ingeborg, die Mutter«, mischte sich eine ältere Frau in Kittelschürze und mit Kopftuch ein.
»Hieß?«, hakte ich stirnrunzelnd nach. »Sie meinen, sie ist in dem Feuer umgekommen?«
»Na ja, ich denke doch, oder?«, kam die unsichere Antwort. »Sonst wäre sie doch hier irgendwo.«
»Ja, sie war ganz sicher Zuhause«, sagte eine andere Frau, die etwas weiter hinten stand. Die Leute machte ihr Platz und ließen sie nach vorne. Sie war etwa vierzig Jahre alt und trug eine dicke Wolljacke über einem grauen Rock.
»Sie hat gekocht. Der Geruch ist direkt bei mir ins Wohnzimmer gezogen.« Dieser Umstand schien sie etwas verärgert zu haben.
»Und die Tochter?«, fragte ich in die Runde. Ratlosigkeit schlug mir entgegen.
»Na, die wird noch in der Schule sein, das arme Ding. Die ist doch noch nicht aus, oder?« Die Frau beugte sich vor und blickte blinzelnd in die Ferne zum Kirchturm. Die Uhr zeigte kurz nach elf.
»Wissen Sie, wie die Tochter heißt?«
»Ich denke, Karin, oder?«, fragte die Frau ihre Nachbarin mit der Kittelschürze.
Diese nickte. »Ich glaube auch, ja. Karin heißt das Mädel.«
»Hm.« Etwas kam mir merkwürdig vor an dem Gebaren der Herrschaften. »Sagen Sie, Sie kennen sich doch hier untereinander recht gut, oder?« Ich sah in die Runde; alle nickten und bejahten. »Bestimmt nennen Sie sich auch alle beim Vornamen?«
»Ja, natürlich. Warum?«, fragte die Frau in der Wolljacke irritiert.
»Aber bei den Vornamen der Frau Mattheis und ihrer Tochter waren Sie sich nicht sicher. Wie kommt das?« Ich sah sie alle nacheinander herausfordernd an. Manche Blicke wanderten zu Boden, andere hielten mir mit einem nichtssagenden Augenausdruck stand. Der stämmige Mann mit der Latzhose sagte schließlich:
»Sie war hier nicht so beliebt, die Frau Mattheis.«
Das ließ mich aufhorchen. »Ach? Wieso?«
Mein gegenüber schielte nach links und rechts, scheinbar in der Hoffnung, jemand anderer würde diese Frage statt seiner beantworten. Und tatsächlich erklärte die Kopftuch tragende Alte:
»Sie ist nur zugezogen. Und sie hat keinen Mann.«
Allmählich dämmerte es mir. »Aber sie hat ein Kind. Ist es das, was Sie meinen?«
Der Mann in der Arbeitshose räusperte sich verlegen und die Damen nickten zaghaft. Es ging also um die alte Leier mit den festgefahrenen Moralvorstellungen. In Frankfurt waren sie da inzwischen schon ein wenig liberaler unterwegs, aber hier auf dem Land herrschte offenbar noch finsteres Mittelalter, was diese Themen anging.
Ich seufzte. »Na schön. Wissen Sie, wie alt ihre Tochter ist?«
»Wie alt wird sie sein?«, fragte die Frau in der Kittelschürze und sah zu ihrer Nachbarin. »Vielleicht zwölf?« Niemand widersprach.
»Ihre Haarfarbe?«
»Blond, wie ihre Mutter«, raunte der Latzhosenträger.
Auch das notierte ich mir und spulte nun die Routinefragen herunter: »Hat einer von Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Vielleicht jemand ortsfremden bei ihrem Haus gesehen?«
Die Anwesenden schauten sich gegenseitig an; alle verneinten.
»Wissen sie, wer die Feuerwehr gerufen hat?«
Wieder meldete sich der Mann in der Latzhose. »Das war ich. Meine Frau hatte den furchtbaren Gestank bemerkt und ich bin zum Hoftor, um nachzuschauen, ob man sieht, woher er kam. Da hab ich den Qualm gesehen; das Haus hat richtig gedampft. Und in den Fenstern hat das Feuer geflackert. Dann hab ich schnell zehn Pfennig geholt und bin zur Zelle gelaufen.« Er deutete mit einem Kopfnicken die Straße hinunter. »Erst da ist mir dann eingefallen, dass ich die ja gar nicht gebraucht hätte für den Notruf.«
In diesem Moment ertönte ein markerschütternder Schrei, der uns alle zusammenzucken ließ. Hektisch sah ich mich um. Sein Ursprung hatte irgendwo hinter dem Feuerwehrlöschzug gelegen. Ich rannte los. Auf der anderen Seite, nahe des Hauseingangs der Familie Mattheis, rollte mir ein Apfel vor die Füße. Ich folgte mit den Augen der Richtung, aus der er gekommen war. Mitten auf der Straße erspähte ich einen umgekippten Flechtkorb. Eine zerbrochene Milchflasche, ein Blumenkohl sowie einige Äpfel lagen auf dem Kopfsteinpflaster. Hinter dem Korb stand eine Frau um die dreißig, die sich entsetzt die Hände vor den Mund hielt. Sie trug einen knielangen, beigen Mantel, unter dem ein blauer Rock hervorlugte. Ihr blondes Haar wurde von einem himmelblauen Kopftuch eingerahmt. Das Gesicht der Frau war kreidebleich. Zeitgleich mit Gerd Blume traf ich bei ihr ein. Sie schluchzte, wimmerte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich in sanftem Ton. »Wer sind Sie?«
»Ingeborg Mattheis. Das ist mein Haus«, antwortete sie mit bebender Stimme und deutete auf das heruntergebrannte Fachwerkhaus.