Читать книгу Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung - Jörg Gottschalk - Страница 26
Führungsarbeit Wofür Sie eigentlich bezahlt werden
ОглавлениеDie Motive von Ärzt_innen, eine leitende Funktion als Ober- oder Chefarzt bzw. -ärztin zu übernehmen, sind sehr unterschiedlich. Sie erfüllen vielleicht ihren lang gehegten Karrierewunsch und gewinnen damit an Status nach Innen und Außen. Nicht nur verbessern sie ihr Einkommen, sondern gewinnen einen wirklichen Einfluss auf die Behandlung von Patient_innen und auf die Qualität der medizinischen Versorgung. Sie halten wissenschaftliche Vorträge und kommen auf diese Weise ihrem Wunsch nach Öffentlichkeit, wissenschaftlicher Anerkennung oder ihrem persönlich ethischen Anspruch als Arzt oder Ärztin näher. Sie können die Welt ein wenig besser machen. War damit aber jemals der explizite Wunsch verbunden, zu führen?
Ein Krankenhaus bezahlt Sie dafür, einen Nutzen zu stiften und einen Beitrag zu leisten, damit das Unternehmen seine Ziele erreicht und langfristig überlebt. Ihr Gehalt ist Ausdruck des (empfundenen) Gegenwertes für das, was Sie für die Organisation leisten. Es besteht die Erwartung, dass Sie von Ihrer persönlichen Position aus einen relevanten Beitrag zum Erfolg beitragen.
Worin der Unternehmenserfolg besteht, lässt sich allerdings nicht objektivieren. Es gibt für Erfolg einfach keine allgemein gültigen Kriterien oder einen wirklichen Maßstab. Medizinische Qualität lässt sich schwer messen oder gar objektiv vergleichen, Patientenzufriedenheit beschränkt sich meist auf subjektiv wahrgenommene Kriterien wie die Qualität des Essens, Freundlichkeit oder die Parkplatzsituation. Gewinnziele schwanken je nach Träger oder Marktlage. Weil es weder Vorgaben noch Objektivierung gibt, werden die Ziele eines Unternehmens von seinen Eigentümern bzw. deren Eigentümervertretern bestimmt. Kommunale Gremien, Gesellschafterversammlungen, Aktionärsvertreter, Aufsichtsräte definieren ihren subjektiven Anspruch an das Krankenhaus und übersetzen ihn in konkrete Gewinn- und Qualitätsziele. Wer sonst könnte das Recht für sich in Anspruch nehmen, über das Ziel und den Weg eines Krankenhauses zu entscheiden, wenn nicht seine Eigentümer? Es existiert allerdings ein Ziel, das allen Organisationssystemen gemeinsam ist: Organisationen wollen langfristig überleben und die eigene Existenz sichern. Der Überlebenswille einer Organisation unterscheidet sich nicht von dem eines Menschen und das mit allen Konsequenzen.
Diese Ziele gelten nun auch für Sie. Als leitende Ärzt_innen sind Sie ein Teil des Krankenhausunternehmens. Ihre originäre Aufgabe besteht darin, einen Beitrag zur Existenzsicherung und zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. Denn es ist die Organisation als Ganzes, die für einen Patienten den eigentlichen Zweck erfüllt: Heilung. Als Ärztin bzw. Arzt leisten Sie dazu Ihren ganz persönlichen ärztlichen Beitrag und als Führungskraft Ihren ganz persönlichen Führungsbeitrag. Beides zusammen ist das, wofür Sie das Unternehmen bezahlt.
Unternehmensziele sind für ärztliche Führungskräfte oft extrem abstrakt. An einem sehr frühen Punkt in ihrem Berufsleben mit dem starken Wunsch gestartet, Menschen zu helfen, sehen sie sich plötzlich mit ökonomischen Zielen konfrontiert, die scheinbar im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen stehen. Es entsteht der Eindruck, das Gesamtziel stehe über ihren eigenen, ganz persönlichen Zielen. Und genau so verhält es sich auch: Sich den Zielen eines Unternehmens zu „unterwerfen“ hat nichts Selbstverleugnerisches, Preußisches oder Heroisches, sondern ist Teil eines Spiels, für das Sie sich mit der Übernahme einer Führungsfunktion freiwillig entschieden haben und in dem Sie als Person zugunsten des Ganzen zurückstehen. Ihr persönlicher und ethischer Anspruch an sich selbst, an Medizin, Menschlichkeit ebenso wie Ihr persönliches Ethik- und Rechtsempfinden setzen Ihre Grenze, die Sie als Mensch und Ärztin bzw. Arzt nicht überschreiten werden. Es gelingt nicht allen Mediziner_innen, diese persönliche Grenzlinie unverrückbar zu ziehen und sie nicht zu überschreiten.
Was genau Ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg sein soll und wann er als Erfolg erkannt wird, hängt von vielen Faktoren ab. Erfolg leitet sich aus den Erwartungen ab, die Ihr Unternehmen und Ihre Vorgesetzten an Sie richten. Vielleicht wählt Sie ein Unternehmen, das an kurzfristigem Gewinn interessiert ist, damit die zentral vorgegebenen Regeln und Standards des Konzerns kritiklos befolgt und konsequent und mit aller Härte in den eigenen Reihen durchgesetzt werden. Muss Ihre Abteilung wachsen, sind sie vermutlich primär als Akquisiteur_in gefragt. Besteht die Unternehmensstrategie darin, medizinische Zentren aufzubauen, werden von Ihnen eher kooperative Kompetenzen erwartet. Diese Annahmen verändern sich mit der jeweiligen Unternehmens- oder Abteilungssituation, manchmal schon mit den Köpfen, die an der Spitze des Unternehmens stehen. Was zu Beginn Ihrer Tätigkeit Ihren Erfolg ausgemacht hat und wofür Sie ausgewählt wurden, muss Jahre später keine Bedeutung mehr für das Unternehmen haben. Zeiten ändern sich und damit auch Erwartungen sowie Aufgaben.
Ebenso wenig, wie Ziele objektivierbar sind, ist auch Erfolg nicht objektivierbar. Erfolg korreliert mit den Erwartungen, die an eine Person in ihrer Rolle gerichtet werden. Wie Sie selbst Ihre eigene Leistung bewerten, hängt davon ab, welche Erwartung Sie an sich selbst stellen. Die wohl größte Herausforderung besteht darin, sich dieser Entwicklung bewusst zu sein, sich stetig persönlich wie fachlich weiterzuentwickeln, den eigenen Blick auf Patient_innen, Organisation und Mitarbeitende kontinuierlich neu zu justieren, stets offen zu bleiben für Neues. Dies gilt nicht nur für Sie als Ärztin bzw. Arzt, sondern vor allem als Führungskraft in einer sich verändernden Welt.
In modernen Krankenhausunternehmen werden Sie als ärztliche Führungskraft in Zukunft mehr und mehr (heraus-)gefordert werden, sich als Person in den Dienst des Gesamtunternehmens zu stellen, also einen Beitrag dazu zu leisten, dass Ihre eigene Abteilung und die Organisation als Ganzes perfekt funktionieren, sich in den Gesamtprozess integriert und sich mit dem Unternehmen sukzessive weiterentwickelt. Sie werden Kooperationen fördern, Konflikte lösen, Transaktionskosten senken, Mitarbeiter führen. Um diese zentralen Aufgaben von Führung wird es in den nächsten Kapiteln gehen.