Читать книгу Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung - Jörg Gottschalk - Страница 29
ОглавлениеEine Organisation regelt Zusammenarbeit und sorgt dafür, dass echte Qualität entsteht - und das so effizient wie irgend möglich. Dabei kann sich keine Krankenhausorganisation leisten, ihre Ressourcen zu verschwenden. Verschwendung vermindert die Fähigkeit, im Wettbewerb dauerhaft zu bestehen. Sie schafft für ihre Patient_innen keinerlei Wert, denn kein Patient wird dadurch gesünder, dass Ressourcen verschwendet werden. Eine wachsende Dynamik auf allen Ebenen von Gesellschaft und Technik verlangt darüber hinaus nach einer weiteren, gleichwertigen und geradezu lebensnotwendigen Fähigkeit: Jede Organisation muss in der Lage sein, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und jeden Tag ein wenig besser zu werden.
Beide Aufgaben - Funktionieren und Verändern benötigen ein hohes Maß an Kooperation.
Zusammenarbeit herbeif ühren
Mit der Übernahme einer ärztlichen Führungsfunktion übernehmen Sie die Verantwortung dafür, dass Ihr Unternehmen „überlebt“, eine herausragende Qualität leistet und ein wirtschaftliches Ergebnis erzielt, das Ihr Unternehmen als angemessen definiert.
„Zusammenarbeiten, das ist - ausdrücklich! - nicht die Addition von Einzelleistungen. Sondern ein Ergebnis, das im Idealfall nur durch den gleichzeitigen Einsatz aller erzielt werden kann. Das ist Synergie, das ist der Nutzen von Pool-Ressourcen, unterschiedliche Qualifikationen ergänzen sich, ungleiche Kräfte verstärken sich, verschiedene Rollen greifen ineinander, man kennt sich und kann Vertrauensvorteile nutzen. So entsteht eine Leistungspartnerschaft. (…) Wenn es der Sinn von Führung ist, das Überleben des Unternehmens zu sichern, dann ist die daraus resultierende erstrangige Führungsaufgabe, diesen Wesenskern zu hüten: Zusammenarbeit herbeizuführen, die sich von alleine nicht ergibt.“9
Zusammenarbeit ergibt sich in einer komplexen Organisation nicht von alleine. In Kapitel „eine Organisation lebt“ haben Sie viel über die Eigenheiten und die Dynamik einer Organisation erfahren, über das Leben einer Organisation „unter der Wasseroberfläche“: Kooperation, Konkurrenz und Abhängigkeit, Sympathie und Antipathie. In klassischen Organisationen dominieren heute dagegen Fragmentierung, Spezialisierung sowie Abteilungs- und Silodenken. Zielvereinbarungen fördern vor allem die Leistung Einzelner, selten des Ganzen. Es herrschen Verhältnisse und Strukturen vor, die vom Grundsatz her gegen Kooperation gerichtet sind. Deshalb entsteht Kooperation in einer Klinikorganisation nicht von alleine, sondern bedeutet Knochenarbeit. Kooperation muss jeden Tag aufs Neue mühsam herbeigeführt werden. Kooperation herzustellen gehört deshalb zur wichtigsten Führungsaufgabe der Zukunft.
In der Größe und Komplexität einer Organisation geht der Blick für die Leistung des Einzelnen ebenso verloren wie der Überblick über das Ganze. Vor allem mangelt es dem institutionellen Egoismus an etwas ganz Zentralem, was für die Organisation essenziell ist: das Bewusstsein für die gegenseitige Abhängigkeit, in der sich alle Beteiligten befinden: Mitarbeitende von anderen Mitarbeitenden, von ihren Vorgesetzten und umgekehrt. All das sind die Gründe dafür, dass sich Kooperationen in Unternehmen nicht immer und überall von alleine einstellt. Ihre zentrale Aufgabe als Ärztin oder Arzt in Führungsfunktion besteht darin, genau diese Kooperation herzustellen: in Ihrem Team, in Ihrer Abteilung, abteilungsübergreifend und im gesamten Unternehmen. Ihre Organisation soll als Ganzes klüger werden als die Summe jedes Einzelnen.
„Verbinden, um zu stärken - darum geht es. (…) Es geht um den Punkt, an dem sich das Leben des Einzelnen mit dem Anliegen aller berührt. Alles, was das Gemeinschaftliche fördert, ist dazu hilfreich. Alles, was es behindert, nicht. Letztlich läuft es auf die Frage hinaus, ob man in einem Unternehmen arbeitet oder als Unternehmen.“10
Das Gemeinsame z ählt
Wenn Sie Ihre Führungsaufgabe wirklich angenommen haben, werden Sie sich fragen, zu welchen Gelegenheiten und mit welchem Ziel Sie Kooperation fördern sollten und was Sie dazu beitragen können.
Wie Vieles in der Führungslehre gibt es auch hier keinen strukturierten Aktionsplan, den Sie lediglich abarbeiten könnten. Es klingt vielleicht schwammig, denn es geht zu allererst um eines: Ihre ganz persönliche Haltung. Sie selbst müssen zu Kooperation bereit sein. Es sind nicht Sie, der oder die Höchstleistungen erbringen muss. Sie sehen sich vor die Aufgabe gestellt, andere zur Höchstleistung zu bringen. Nicht Sie selbst müssen der Beste bzw. die Beste sein, sondern das Beste aus anderen machen, aus jedem Einzelnen, aus einem Team oder aus einer ganzen Abteilung.
Die Perfektion des Gemeinsamen orientiert sich am Wertstrom eines Unternehmens, also am „Durchlauf" des Patienten bzw. der Patientin durch einen Behandlungsprozess. In diesem Behandlungsprozess löst man sich von festen Organisationseinheiten, wie Teams oder Abteilungen, und begibt sich auf eine höhere Ebene - auf die Prozessebene. Patient_innen interessiert vielleicht noch, was auf einer Station mit ihm bzw. ihr passiert. Doch weder Stationen, die Radiologie, der OP, das Labor oder gar ferne Verwaltungseinheiten spielen für den Einzelnen eine Rolle. Ihn interessiert, wie er von A über B nach C gelangt, wie der Heilungsprozess verläuft, ob die Ergebnisse zeitnah vorliegen und verständlich kommuniziert werden, wie lange er an jeder Stelle im Prozess wartet und ob am Ende das erwartete Ergebnis erzielt wird.
Die Komplexität von Kooperation wird weiter zunehmen, was Ihre Aufgabe noch anspruchsvoller macht. Denn auf der Prozessebene überschreiten Sie Ihren eigenen Verantwortungsbereich, in dem Sie selbst den Überblick, das Sagen und die Entscheidungsbefugnis haben. Sie sind darauf angewiesen, mit Ihren Kolleg_innen auf Augenhöhe gemeinsame Interessen zu entwickeln und gemeinsame übergreifende Probleme zu lösen, deren Lösungen sich nicht immer mit Ihren persönlichen Interessen decken. Es entstehen Widersprüche und Konflikte. Sie haben bereits die Erfahrung gemacht, wie anspruchsvoll es wird, wenn persönliche oder (Abteilungs-)Interessen bereits auf der Führungsebene aufeinander prallen. Als Systemexperte, der Sie gerade werden, werden Sie feststellen, wie schnell sich Ihre Kolleg_innen in ihr Schneckenhaus zurückziehen, aus Konflikten fliehen oder sich auf der Suche nach einer Lösung gerade noch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen.
Hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Wenn es wirklich schwierig wird und unterschiedliche Interessen, Ziele oder Vorstellungen auf Führungsebene zusammenprallen, gibt es keine übergeordneten Institutionen oder Personen in der Hierarchie, die einen Konflikt qua höherer Entscheidungsbefugnis auflösen könnten. Wen wollen Sie bitten, für Sie (alle) diesen Konflikt zu lösen? Ihren Geschäftsführer? Wäre das nicht in der klassischen Hierarchie ein Eingeständnis der gemeinsamen Ohnmacht? Jetzt ist echte Problem- und Konfliktlösungsfähigkeit gefragt. Es geht deshalb um Ihre ganz persönliche Haltung. Ihre Kolleg_innen werden es niemals sagen, aber sehr genau spüren, ob Ihre Haltung echt ist oder lediglich eine angelesene Kommunikationsspielerei darstellt.
Eine kooperative Atmosph äre
Ihr Wunsch nach Kooperation wird gehört, wenn Sie ihn offen und zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit kommunizieren. Er wird aber erst glaubhaft, wenn Sie ihn tatsächlich selbst leben und vorleben. Auch weniger kooperativ eingestellte Mitarbeiter_innen verhalten sich kooperativ, wenn sie sich in einer Atmosphäre von Zusammenarbeit bewegen, in der sie permanent erleben, dass Kooperation wirklich verlangt und gewünscht wird. Der Rahmen prägt Menschen immer mit. Fordert eine Führungskraft Kooperation ein, verhält sich selbst aber permanent sichtbar unkooperativ, fällt Entscheidungen gegen das Ganze, hält Informationen gezielt zurück oder macht gar abfällige Bemerkungen über Abteilungen oder Kolleg_innen, wird diese Einstellung über kurz oder lang auf Ihre Mitarbeitenden abstrahlen. Ihr Vorbild wird - gewollt oder ungewollt - zur gelebten Blaupause für (un)kooperatives Verhalten in Ihrem Unternehmen. Übernimmt ein neuer Chefarzt bzw. eine Chefärztin eine Abteilung, lässt sich ein solcher Kulturwechsel eindrucksvoll erleben: Menschen, die bisher kaum miteinander gesprochen haben, tun dies auf einmal. Hilfe, die bürokratische Hürden und Sprachlosigkeit bislang kaum überwinden konnte, funktioniert nun durch kurze telefonische Absprachen - von der Oberärztin bis zum Assistenzarzt.
Schon bei der Auswahl von Mitarbeitenden können Sie die Voraussetzungen dafür verbessern, dass Kooperation gefördert wird. Stellen Sie möglichst nur Leute ein, die Unterschiedliches nicht als Bedrohung empfinden, die sich nicht zurückziehen in ihr Spezialistentum und ihren Perfektionismus. Diversity und Kooperationsfähigkeit sind vielleicht die beiden wichtigsten und zugleich meist unterschätzten Personalauswahlkriterien der Zukunft.