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4.2 Die acht Arten der Verschwendung

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Im Lean Management unterscheiden wir acht Arten der Verschwendung.


Abb. Die acht Arten der Verschwendung © Jörg Gottschalk


Wege

Wege sind in einer Organisation lediglich Mittel zum Zweck, ohne die so manche Aufgabe nicht ausgeübt werden kann. Kein Patient und keine Patientin findet den Weg in Ihr Krankenhaus, um selbst zu laufen oder mitanzusehen, wie Mitarbeitende laufen. Wege lassen sich nicht vollständig vermeiden, wertschöpfend aber sind sie nicht.

Unkoordinierte Tätigkeiten, fehlende Informationen oder plötzliche Erfordernisse veranlassen z. B. Pflegende, zwischen Patienten- und Stationszimmern hin und her zu laufen. Häufig vergessen sie etwas oder benötigtes Material steht nicht zur Verfügung.

Die räumliche Anordnung eines Krankenhausgebäudes mit ihren vielen und oft versteckten Funktions-, Arzt- oder Stationszimmern gibt Wege vor. Gemischte Stationsbelegungen wirken sich positiv auf die Bettenauslastung eines Krankenhauses aus, im Gegenzug allerdings erweisen sie sich häufig als Wegeproduzenten und unerschöpfliche Zeitfresser. Selbst innerhalb eines Behandlungsraumes können während eines einzigen Behandlungsvorganges weite Wege erforderlich sein.

Wir halten Wege für erforderlich und erkennen in ihnen selten ein relevantes Problem, zu Unrecht. Befragt man Ärzte oder Pflegende nach ihren täglich zurückzulegenden Strecken, so erhält man stets Angaben von 4 bis 6 Kilometer pro Arbeitstag. Der bislang gemessene Spitzenwert einer Pflegekraft lag bei 12 Kilometern – pro Tag. In der Regel kalkuliert man pro Meter Laufen eine Sekunde. Diese Pflegekraft verbringt als ca. drei Arbeitsstunden pro Tag mit Laufen. 40 Prozent potenzieller Wertschöpfungsverlust pro Tag für eine qualifizierte Pflegekraft stellen ohne Frage einen relevanten Wertverlust dar. Ärzten geht es nicht anders.

Die Reduktion von Wegen weist erhebliches Potenzial auf, ihre Ursachen sind weit weniger unveränderlich, als gemeinhin angenommen wird.

Transport

Ein Transport ist ein Weg mit Menschen oder Material. Jeder Bestand setzt einen Transportvorgang voraus. Dabei entsteht Aufwand für das Transportmittel selbst, für das transportierende Personal, eventuell für deren Training (Patiententransport), vielleicht für die IT (Transportlogistik) oder für notwendige Sicherheitsmaßnahmen. Verspätete Transporte führen dazu, dass Menschen warten. Es können Transportschäden auftreten.

Im Krankenhaus werden nicht nur Geräte oder Material transportiert, sondern auch Patienten. Patiententransporte sind personalintensiv, teilweise unterliegen sie besonderen Sicherheitsbestimmungen. Der Transport eines Patienten zum OP schafft definitionsgemäß keinen Wert, doch er ist im Grundsatz notwendig. Wenn ein Transport aber unnötig durchgeführt wird, weil eine Operation sehr kurzfristig auf den Folgetag verschoben wird und der Patient unverrichteter Dinge in sein Zimmer zurückverbracht wird (und am nächsten Tag wieder in den OP), dann gilt dieser Patiententransport nicht nur als notwendige Verschwendung, sondern als pure Verschwendung.

Die Outsourcing-Welle der letzten zehn Jahre hat dazu geführt, dass zahlreiche Querschnittsfunktionen, wie die Speisenversorgung, das Labor, der Einkauf oder die Logistik, weitgehend der Regie einer Krankenhausorganisation entzogen wurden. Sie werden heute von externen, getrennt voneinander agierenden und sich jeweils selbst optimierenden Dienstleistern übernommen. Deutlich sichtbar wird dieser Trend, wenn fremde und eigene Transporteure auf dem Weg zu ihren jeweiligen Zielorten vor den Aufzügen warten, die plötzlich zu einem bedrohlichen und nervigen Engpass werden. Das explosionsartige Wachstum von Transporten bindet also nicht nur Zeit, es schafft darüber hinaus nicht selten neue Engpässe: Neue Aufzüge müssen her.

Warten und Suchen

Mitarbeitende warten auf Kollegen, Patienten, Material oder freie OP-Ressourcen. Assistenzärzte warten bei einer Visite auf ihre Chefärztin, das OP-Team auf den Operateur und die Mitarbeitenden in der Aufnahme auf ihre Patienten. Es wird sehr viel gewartet in einem Krankenhaus.

Warten löst regelhaft das Warten anderer aus und produziert so Verschwendung an entfernten, unbekannten Stellen einer Organisation. Im Gegensatz zu anderen Arten der Verschwendung versteckt sich Warten nicht einmal vor den Beteiligten, es ist offen sichtbar. Warten ist stets Ausdruck eines tief gehenden organisatorischen Defizits.

Lässt ein Chefarzt Privatpatienten in seinem Sprechzimmer warten, wird er vermutlich unvermeidbare Aufgaben zu erledigen haben. Warum sind diese Aufgaben nicht so organisiert, dass kein Patient auf ihn warten muss? Offensichtlich ist er in dieser Organisation nicht in der Lage, seinen Tagesablauf so zu strukturieren, dass er geplante Termine sicher einhalten kann. Man kann sehr wahrscheinlich annehmen, dass niemand seine Patienten und Kollegen vorsätzlich warten lässt, etwa, weil er keine Lust verspürt, gerne trödelt oder ihm die Zigarette oder der Kaffee zwischendurch wichtiger ist als pünktliches Erscheinen. Es muss also einen guten Grund für sein Zuspätkommen geben. Die Ursache liegt in der Regel in der Organisation begründet.

Warten und Zuspätkommen sind Zwillinge. Wer selbst wartet, kann nachfolgende Termine nicht zuverlässig wahrnehmen, andere wiederum werden zum Warten verdonnert. Wenn Verzögerungen und Verspätungen zu einer institutionalisierten Gewohnheit werden, werden Termine immer seltener ernst genommen. Wartet eine Oberärztin regelmäßig auf ihren Chefarzt, wird sie – erfahrungsgeleitet – auf ihre Station laufen, um in der Wartezeit etwas Sinnvolles zu erledigen. Trifft der Chefarzt endlich ein, warten alle gemeinsam auf genau diese Oberärztin. Ähnliche Effekte gibt es im OP, wenn in den Rüstpausen Ärzte schnell auf ihre Stationen hechten, um im Anschluss regelhaft zu spät in den OP zurückzufinden. Jetzt wartet hier ein vollständiges OP-Team.

Irgendwann wird Zuspätkommen zu einer allgemein akzeptierten, tolerierten Verhaltensweise und damit allmählich zur Kultur einer ganzen Organisation, einer Wartekultur.

Eine andere Situation: Die meisten von Ihnen kennen sicher dieses Prinzip: „Wenn der Arzt kommt, ...“. Anstatt die Arbeitsabläufe von Pflegenden und Ärzten auf einer Station fest auf definierte Visitenzeiten auszurichten, unterbrechen Pflegende spontan ihre Tätigkeit, sobald Ärzte auf ihrer Station eintreffen und ihre Visite beginnen möchten. Ärzte schwärmen in diesen Fällen von der hervorragenden Zusammenarbeit mit ihren Pflegekollegen. Leider verkennen sie, dass Pflegende ihre laufenden Tätigkeiten für sie unterbrechen, dabei selbst keine verbindlichen Terminabsprachen treffen können, Patienten auf sie warten und insgesamt der Koordinationsaufwand bestehender Pflegeroutinen exponentiell wächst. Lange Übergaben, Informationsverluste und erhöhte Fehleranfälligkeit sind die unvermeidbaren Folgen.

Eng verwandt mit der Verschwendungsart Warten ist Suchen. Gesucht werden Patienten, Akten, Spritzen und Verbände, Stifte oder ein freier Behandlungsraum. Wer sich nicht auskennt, der sucht. Wird jede freie Arbeitsfläche als willkürliche Ablage genutzt, sucht ein anderer. Kaum ein Raum gleicht dem anderen, trotz vergleichbarer Funktionen. Suchen zieht nicht selten Warten nach sich, denn alles, was gesucht wird, wird auch von jemandem für seine Tätigkeit benötigt. Das Warten ist der große Bruder des Suchens, denn in einer Organisation gilt ganz allgemein: Eine Verschwendung folgt der nächsten.

Überdimensionierter Prozess

Um überdimensionierte Prozesse handelt es sich, wenn sie für die eigentlich angestrebte Leistung unnötig komplex und aufwendig ausfallen. Ohne einen signifikanten Nutzen für die Versorgung eines Patienten werden Aktivitäten ausgelöst oder Sachmittel verbraucht. Der Prozess wird also in unangemessen verschwenderischer Weise ausgeführt. In einem überdimensionierten Prozess werden z. B. medizinische Leistungen erbracht, die entweder medizinisch nicht nötig sind oder die der Kunde als Leistung weder verlangt noch als Mehrwert erkennt.

Wenn unnötige Untersuchungen ohne eine medizinische Relevanz durchgeführt werden, findet Verschwendung statt. Denken Sie an die berüchtigte Laborflöte bzw. die „Begrüßungsdiagnostik“ in der Notaufnahme. So manche MRT-Leistung besitzt eine höchst umstrittene Relevanz, vor allem nach einem bereits erfolgten CT. Fehlende Diagnostikstandards, unerfahrene Assistenten oder ungeregelte Entscheidungspunkte im Arbeitsablauf zählen zu den am häufigsten genannten Ursachen. Überdimensionierte Prozesse finden auch statt, wenn Dokumentationen ohne einen erkennbaren Mehrwert angefertigt oder Controllingberichte erstellt werden, die niemand benötigt.

Wirklich bemerkenswert ist, wie oft die Folgen einer Handlung unterschätzt werden. Die Anordnung eines MRTs oder einer Laborflöte durch einen Arzt kostet diesen nur ein Kreuz auf einem Formular oder einen Mausklick. Dieser Arzt löst jedoch eine Kette von Aktivitäten in anderen Organisationsbereichen aus: im Labor, im Röntgen, im Schreibdienst, in der Abrechnung und vermutlich auch in anderen Bereichen.

Das Versenden eines Controllingberichtes, möglichst cc an vierzig Mitarbeitende, kostet den Absender nicht mehr als eine Minute. Wenn dieser Controllingbericht von vierzig Mitarbeitenden gelesen wird, möchte ich an den damit ausgelösten zeitlichen Aufwand nicht einmal denken. Mitarbeitende lesen den Bericht, denken über seine Bedeutung nach, fragen andere und diskutieren. Selbst wenn ein Controllingbericht keine Bedeutung für den Einzelnen besitzt, werden sich Mitarbeitende, abhängig vom Absender natürlich, zumindest Gewissheit darüber verschaffen wollen, dass sie ihn tatsächlich nicht benötigen. Manchmal ist es beruhigend zu wissen, dass ein erheblicher Anteil von E-Mails ungeöffnet in den Papierkörben strandet.

Die wirksamste Art, um Verschwendung in einer Organisation zu reduzieren, besteht darin, auf unnötige Arbeitsschritte oder Verbräuche gänzlich zu verzichten. Jedes Arzneimittel, das nicht verschrieben, jede diagnostische Maßnahme, die nicht durchgeführt und jeder unnötige Verwaltungsakt, auf den verzichtet wird, spart Zeit und Geld.

Überproduktion

Überdimensionierte Prozesse bestehen aus Leistungen, die sachlich nicht begründet sind. Überproduktion findet dagegen dann statt, wenn Ressourcen bereitgestellt werden, die zwar sachlich notwendig sind, nur nicht zu diesem Zeitpunkt oder nicht in dieser Dimension. Oft wird eine (Zwischen-)Leistung erbracht, die keinerlei Nutzen für Patienten stiftet. Es wird zwar das Richtige getan, aber davon zu viel.

Hier einige Beispiele:

 Eine Station bestellt mehr Mahlzeiten als nötig, weil die Essenbestellung am Vortag erfolgt, ohne dass die exakte Patientenanzahl des nächsten Tages bekannt ist. Pflegende handeln völlig rational, wenn sie ihre Patienten gut versorgt sehen wollen.

 Für eine OP werden unnötig viele Kreuzproben angefordert.

 Teure Standard-OP-Siebe werden wegen eines fehlenden Instruments geöffnet.

 Im weiteren Sinne könnte man auch eine überdimensionierte Bereitstellung von OP-Personal als Überproduktion bezeichnen, eine Überproduktion an Sicherheit. Die Grenzen gestalten sich fließend.

Überproduktion entsteht in der Regel aus Organisations- und Informationsdefiziten. Es liegt nicht an den Pflegenden oder Ärzten, dass z. B. verlässliche Angaben über die erforderliche Anzahl von Mahlzeiten am Folgetag nicht vorliegen. Die Organisation scheint nicht in der Lage zu sein, eine exakte Zahl zu liefern.

Bestände

Jeder Bestand, vom OP-Besteck bis zum Kugelschreiber, bindet Kapital, benötigt Raum und wurde zu irgendeinem Zeitpunkt von Menschen an den Ort transportiert, an dem er sich befindet. Geräte und Material werden erworben, bezahlt, gelagert und – hoffentlich – verbraucht. Die Lagerung oder der Verbrauch von Material kostet Geld und bindet wertvolle finanzielle Mittel. Solange Material gelagert wird und auf seinen Verbrauch wartet, wird dieses Geld nicht in Nutzen für den Patienten gewandelt, sondern im Bestand gebunden. Es schafft keinen Wert, sondern lagert.

Bestände binden nicht nur Kapital, sie benötigen darüber hinaus Platz - und der ist in der Regel knapp – mit gravierenden Folgen. Permanenter Platzmangel in einem Schrank, einem Zimmer oder auf einer ganzen Station führt regelhaft zu suboptimaler, meist verteilter Lagerhaltung. Es entstehen Doppellager ebenso wie Doppelbestände, von denen irgendwann niemand mehr sicher zu sagen weiß, wo diese sich befinden bzw. welches Material überhaupt zur Verfügung steht. Das entstehende logistische Chaos bindet nicht nur Kapital, sondern zieht unweigerlich Such-, Warte- oder Transportaktivitäten nach sich. Man braucht Insiderwissen, was sich hemmend auf einen variablen, stationsübergreifenden Einsatz von Mitarbeitenden auswirken kann.

In einem Krankenhaus gleicht häufig kein Zimmer und kein Schrank dem anderen. In jedem Schrank finden sich überraschende Dinge: verfallene Medikamente, Großpackungen mit einer Reichweite von mehreren Jahren und viele weitere Verschwendungs-Schätze. Nicht selten lässt sich anhand der Fundstücke erkennen, welche historische Funktion ein Raum vor vielen Jahren einmal erfüllt haben muss.

Die Ursachen hoher Bestände sind vielfältig: Platzmangel, dezentrale Bestellungen ohne übergreifende Koordination, fehlende oder mangelhafte Bedarfsprognosen, große Produktvielfalt oder dezentrale Lagerhaltung (viele kleine Lager statt zentrale Reservehaltung), veränderte Raumfunktionalität, unangemessen lange oder unzuverlässige Lieferzeiten.

Unnötige Bestände müssen also nicht nur per se als Verschwendung gelten, sie lösen darüber hinaus selbst Verschwendungsaktivitäten aus. Der daraus folgende Aufwand kann das ursprüngliche Bestandsproblem um das Vielfache übersteigen.

Nacharbeit

Immer dann, wenn ein Arbeitsschritt in einer Organisation stattfindet und eine Leistung erbracht wird, die so nicht belassen werden kann und deshalb erneut ausgeführt werden muss, wird unnötig Arbeitszeit gebunden. Hier handelt es sich um Nacharbeit. Eine solche Leistung kann ein Teil oder das Endprodukt eines medizinischen Versorgungsprozesses sein. Je später in der Arbeitskette ein Fehler sichtbar wird, umso mehr Arbeit ist bereits unnötigerweise erledigt worden, umso größer ist folglich der Schaden für die Organisation, manchmal leider auch für die Patienten.

Besonders prominent in dieser Gruppe der Zeitfresser sind medizinische Revisionen. Muss eine Operation wiederholt oder eine zusätzliche Operation an einem Patienten vorgenommen werden, wird ein großer Teil der Diagnostik, die OP-Vorbereitung, die OP selbst bis hin zur postoperativen Versorgung zum wiederholten Male durchlaufen. Medizinische Revisionen lassen sich nicht völlig ausschließen. Sind sie jedoch auf Fehler im Prozess zurückzuführen, wird der Wertschöpfungsprozess vermeidbar wiederholt, ohne dass dem Krankenhaus dafür eine zusätzliche Vergütung zusteht. Dazu kommt: ein solcher Vorgang entspricht eindeutig nicht dem Wunsch eines Patienten.

Nicht immer muss der eingetretene Schaden derart groß sein. Schreibt ein Arzt undeutlich und muss aus diesem Grund eine medizinische Schreibkraft entweder telefonisch nachfragen oder begeht gar einen Dokumentationsfehler, bindet sowohl das Nachfragen als auch die möglichen Fehlerfolgen Arbeitszeit. Muss eine Blutabnahme wiederholt oder ergänzend durchgeführt werden, weil aus Sicht der Chefärztin notwendige diagnostische Maßnahmen von den aufnehmenden Assistenzärzten unterlassen wurden, handelt es sich ebenfalls um Nacharbeit. Wird eine Patientenrechnung korrigiert und muss in der Folge neu ausgestellt werden, beschränken sich die dann notwendigen Arbeitsschritte nicht auf die bloße Korrektur von Zahlenwerten im Abrechnungsprogramm oder auf einen erneuten Ausdruck mit anschließendem Versand. In der Regel setzt ein solcher Fehler eine lange Kette aufwendiger Arbeitsschritte in Gang: Telefonate mit Patienten oder Angehörigen, eine besonders sorgfältige Analyse der Patientendokumentation, diverse Nachfragen bei Ärzten, Rückfragen mit den eigenen Vorgesetzten bzw. dem Geschäftsführer, Buchungskorrekturen in der Finanzbuchhaltung bis hin zu Rückzahlungen von Beträgen und deren abermalige Verbuchung.

Viele der so ausgelösten Arbeitsvorgänge könnten vermieden werden, wenn in vorgelagerten Prozessschritten sämtliche Aufgaben vollständig und fehlerfrei durchgeführt würden. Fehler lösen Kettenreaktionen aus an Stellen, über die man im Vorhinein oft nur Vermutungen anstellen kann.

Ungenutztes Mitarbeiterpotenzial

Die Einzigen, die wirklich wissen, welche Probleme in einer Organisation existieren, sind die Mitarbeitenden vor Ort im Prozess der Leistungserstellung. Sie kennen ihre Organisation, spüren täglich ihre Probleme und verfügen über das Wissen und die Kenntnisse, um neue Lösungen zu finden und sie umzusetzen.

Manchmal fällt es ihnen schwer zu erkennen oder anzuerkennen, dass sich ihr tägliches Handeln verändern muss und verändern lässt. Nichts ist in Stein gemeißelt, selbst wenn tägliche Routine und jahrelange Gewohnheit diesen Anschein gerne erwecken. Auch fehlen Mitarbeitenden die Methoden, um Probleme als solche zu erkennen, deren Ursachen zu erforschen und bewährte, prozessentwickelnde Methoden wirksam anzuwenden. Im Großen und Ganzen fehlt die Kompetenz zum analytischen Erkennen des Alltags, zur Ursachenforschung, zum methodischen Entwickeln geeigneter Lösungen und deren Umsetzung in einer mit Hindernissen gespickten Organisation.

Verfügen sie jedoch über diese Fähigkeiten, das Wissen, die Übung und erhalten sie Anstöße ebenso wie tatkräftige Unterstützung, können Mitarbeitende in Verbesserungsteams wahre Wunder bewirken. Man muss es einmal erlebt haben, welches Wissen, welche Energie und Kreativität perfekt unterstützte Teams entwickeln können, wenn sie die Erlaubnis ihrer Führung erhalten, ihre Probleme selbst zu lösen und damit ihre eigene Organisation nachhaltig zu verbessern. Kein externer Sachverstand könnte jemals diese Quelle der Verbesserung übertreffen.

In einer Kultur des Schweigens, der Angst, der Gleichgültigkeit oder der Ignoranz durch Vorgesetzte kann Verbesserungsarbeit von innen nicht gelingen. Wenn sich Mitarbeitende jedoch nicht aufgerufen fühlen, keinen Nutzen darin erkennen oder gar in (hierarchischer) Angst leben, werden sie ihre Probleme nicht benennen. Verbesserungsarbeit benötigt Probleme wie der Mensch die Luft zum Atmen. Ohne Probleme gäbe es nichts zu verbessern. In einer Krankenhausorganisation, in der existierende Probleme von den Mitarbeitenden nicht benannt werden, wird Verbesserungsarbeit systematisch verunmöglicht.

Das Wissen und die Fähigkeiten seiner Mitarbeitenden nicht zu nutzen bedeutet, elementare Potenziale des Unternehmens zu verschwenden. Moderne Verbesserungsarbeit gibt Mitarbeitenden nicht nur das Gefühl des Gebrauchtwerdens, sie bezieht sie nicht nur ein oder nimmt sie gar (irgendwohin) mit. „Mitarbeiter mitnehmen“ ist seit langem meine unübertroffene Lieblings-Managerfloskel. Wirklich professionelle Prozessverbesserungsarbeit wird von Mitarbeitenden selbst betrieben. Sie sind ihr Mittelpunkt. Nur wenn Verbesserung zu einem Mitarbeiterprozess wird, wird sie nachhaltig und dauerhaft erfolgreich sein. Es wäre deshalb Verschwendung, Lösungen von Externen finden zu lassen, denn eine solche Vorgehensweise würde auf das Potenzial des Selbstlösens und nachhaltigen Umsetzens verzichten.

Verschwendung, die Letzte

Vermutlich wird es weder heute noch in der Zukunft eine verschwendungsfreie Organisation geben. Wahrscheinlich wäre sie zu perfekt, um überhaupt zu funktionieren. In jedem Fall würde keine Organisationszeit existieren, also die Zeit, die eine Organisation benötigt, um ihr Zusammenwirken zu organisieren.

Über den Grad der Verschwendung in einem Krankenhaus liegen keine validen Daten vor. Sie ließe sich messen, allerdings nur mit einem kaum zu rechtfertigenden Aufwand. Valide Messungen existieren lediglich für ausgewählte Bereiche, in denen qualifizierte Erhebungen als Grundlage für konkrete Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden können. Sie alle weisen eine erhebliche Streuung auf, lassen aber einige Annahmen zu: Pflegende verbringen tendenziell mehr direkte, wertschöpfende Zeit am Patienten als Ärzte, Chirurgen tendenziell mehr als ihre internistischen Kollegen. Der bisher niedrigste, mir bekannte Wert betrug weniger als 15 Prozent Wertschöpfung im ärztlichen Dienst einer Notaufnahme, den mit 60 Prozent höchsten Wert erreichte der Funktionsdienst einer Zentralsterilisation. Es scheint mir nicht unrealistisch, zu behaupten, dass der Wertschöpfungsgrad eines durchschnittlichen Krankenhauses heute 30 Prozent kaum überschreiten dürfte. Die im Bild suggerierte Verteilung scheint mir plausibel.

Im Grunde ist der exakte Wert ohne Bedeutung. Denn was auf der einen Seite Führungskräfte wie Mitarbeitende deprimiert, schafft Hoffnung auf der anderen: die Hoffnung auf (Ver-)Besserung. Wenn es einer Organisation gelingt, nur einen geringen Anteil der Verschwendungs-Arbeitszeit in Wertschöpfungs-Arbeitszeit zu transferieren, sprechen wir über echte Dimensionen der Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitssteigerung, die kein noch so ausgefeiltes Cost-Cutting- bzw. Struktur-Programm jemals erreichen könnte.

Bei 1 000 Mitarbeitern entsprechen 10 Prozent Wertschöpfungssteigerung einer gewonnenen Arbeitszeit in Höhe von ca. 9,3 Millionen Minuten oder der Jahresarbeitszeit von 100 Mitarbeitern. Es gewinnen die Patienten, die Mitarbeitenden und das Unternehmen.

Das schlanke Krankenhaus

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